Wissenschaft und Forschung 03.09.2012
Weltweit erstes individuelles Unterkieferimplantat entwickelt
Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe unter aktiver Beteiligung von
Ingenieurwissenschaftlern der Fakultät Maschinenwesen der TU Dresden hat
nach dreijähriger Arbeit das weltweit erste komplexe Verfahren
entwickelt, das die Herstellung eines individuellen
Unterkieferimplantates ermöglicht. Im März 2012 konnte der erste Patient
mit dem neu entwickelten Implantat in der Klinik für Mund-, Kiefer- und
Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Dresden erfolgreich
versorgt werden.
Bisher wurden Knochendefekte im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich mit
konfektionierten Rekonstruktionsplatten behandelt. Dies führte in etwa
45 Prozent der Fälle nach kurzer Zeit zu funktionellen und ästhetischen
Komplikationen. Weil die Standardplatten nicht passgenau auf dem
Restknochen angebracht werden konnten, wurde die darüber liegende
Schleimhaut nach einer Operation stark strapaziert. Häufig entstanden
Entzündungen und die Platten lockerten sich. Zusätzlich kam es zum Bruch
der Rekonstruktionsplatte, weil Implantat und Knochen unterschiedliche
Festigkeiten aufwiesen. Die Folgen waren umfangreiche funktionelle und
ästhetisch – physiognomische Defizite.
Einer Forschungsgruppe aus Ingenieuren der Fakultät Maschinenwesen und
Medizinern des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus der TU Dresden
aus den Bereichen der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
(Frau OÄ Dr. Dr. Jutta Markwardt) und der Poliklinik für Zahnärztliche
Prothetik (Prof. Dr. Bernd Reitemeier) sowie Ingenieuren der Hofmann
& Engel Produktentwicklung GmbH ist es nun erstmals gelungen, ein
individuelles Unterkieferimplantat aus Titan zu entwickeln. „Weil das
neue Unterkieferimplantat die gleiche Festigkeit und Geometrie wie die
angrenzenden Knochen aufweist, bricht das Material nicht mehr an den
Verbindungsstellen, was dem Patienten ästhetische Defizite nach der
Operation und weitere medizinische Eingriffe erspart. Zudem erfolgt die
Befestigung am Restkiefer nun gewebeschonend. Das garantiert eine
optimale Heilung“, so Professor Ralph Stelzer, Inhaber der Professur für
Konstruktionstechnik/CAD an der Fakultät Maschinenwesen der TU Dresden.
Um die Biokompatibilität zu gewährleisten, verwendete die
interdisziplinäre Forschungsgruppe reines Titan. Dies wird in einem
komplexen Fertigungsverfahren erst aufgeschmolzen und dann schichtweise
aufgebaut. Die äußere Schale des Implantats entspricht dann mit einer
Wandstärke von nur 0,3 Millimetern der Festigkeit des entfernten
Kieferknochens. Damit das Titanimplantat nicht zu schwer oder
temperaturempfindlich wird, ist es als Schalenkonstruktion gefertigt. Im
Moment arbeiten die Forscher der Fakultät Maschinenwesen daran, den
Innenraum des Implantates mit einer filigranen Struktur zu füllen, die
das Knochenwachstum anregen soll.
Vom Computermodell zum individuellen Implantat
Als Ausgangspunkt für die Konstruktion dienen Daten aus dem CT eines
erkrankten Patienten. Die individuelle Datenaufbereitung erfolgt als
virtuelles 3D-Modell mit einer in der Arbeitsgruppe Reverse Engineering
der TU Dresden dafür eigens entwickelten Software. Auf Grundlage des
digitalen Modells wird das Unterkieferimplantat individuell konstruiert,
angepasst und bei der Firma Hoffmann & Engel gefertigt. „Die
Schwierigkeit bestand darin, die unterschiedlichen Disziplinen von der
medizinischen Diagnostik, über die Konstruktion, Fertigung, bis zur
OP-Planung und Patientenversorgung informationstechnisch und logistisch
miteinander zu verknüpfen. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit
ermöglicht es nun erstmals, ein jedem Patienten einzeln angepasstes
Implantat in etwa 32 Arbeitsstunden herzustellen“, so die Leiterin des
ingenieurwissenschaftlichen Teilprojektes Dr.-Ing. Christine Schöne. Die
Softwarelösung, die im Rahmen des Projektes entstanden ist, wird
aktuell auch für andere Problemstellungen der OP-Planung angepasst wie
z. B. bei Zahnimplantationen.
Das Forschungsprojekt „Funktionsoptimierte Strukturen von individuellen
Implantaten zur Behandlung von Knochendefekten“ wurde mit rund zwei Mio.
Euro von der Sächsischen Aufbaubank gefördert. Davon erhielt das
Teilprojekt der Ingenieurwissenschaftler zur „Erarbeitung effektiver
Methoden und Softwarelösungen zur aufwandsarmen Modellierung von
individuellen Implantatstrukturen“ 470.000 Euro Fördersumme. Das
Teilprojekt lief vom 01.04. 2009 bis 30.06.2012.
Quelle: TU Dresden