Wissenschaft und Forschung 03.06.2011
Zähne verraten viel über den Lebensradius unserer Vorfahren
Bisher
haben Wissenschaftler indirekt auf den Lebensbereich früher Vormenschen
(Homininen) geschlossen: Der Körperbau, der Herkunftsort des
Rohmaterials ihrer Steinwerkzeuge oder beispielsweise der Vergleich mit
lebenden Primaten half ihnen dabei weiter. Sandi Copeland, Vaughan
Grimes und Michael Richards vom Max-Planck-Institut für evolutionäre
Anthropologie in Leipzig entwickelten nun eine neue Methode. Sie
analysierten die Strontiumisotope im Zahnschmelz von A. africanus und P.
robustus und konnten dadurch genaue Aussagen treffen, wie groß der
Lebensradius dieser menschlichen Vorfahren war. (Nature, 2. Juni 2011)
Dazu untersuchten die Wissenschaftler jeweils mehrere 2,8 bis 2,0
Millionen Jahre alte Zähne von A. africanus und 1,9 bis 1,4 Millionen
Jahre alte Zähne von P. robustus, die aus Höhlen bei Sterkfontein und
Swartkrans in Südafrika stammten. Dabei fanden die Forscher heraus, dass
die kleinen Zähne der Frauen nicht-regionale Strontiumsignaturen
aufwiesen. Auf die großen Zähne der männlichen Individuen traf dies
nicht zu. Demnach haben sich hauptsächlich unsere weiblichen Vorfahren
von ihrer Geburtsgruppe entfernt.
Bestehende paläontologische und archäologische Methoden liefern bislang
wenige konkrete Beweise, wie Vormenschen die Landschaften, in denen sie
lebten, nutzten und wie sie sich innerhalb und zwischen diesen Gebieten
bewegten. Den Aktionsradius eines Individuums schätzten Forscher
beispielsweise anhand des Körpergewichts. Verbreitungsmodelle früher
Homininen stützten sich auf Verhaltensweisen, die bei Menschenaffen
häufig vorkamen und möglicherweise auf einen gemeinsamen Vorfahren
zurückgingen. „Jedoch schränkt diese Art der Rekonstruktion, die mit
einem hohen Grad an Unsicherheit verbunden ist, unser Verständnis der
Ökologie, Biologie, Sozialstruktur und die Entstehung der Homininen
stark ein”, sagt Sandi Copeland vom Max-Planck-Institut für evolutionäre
Anthropologie.
Um zu erforschen wie groß der Lebensbereich der Vormenschen war,
untersuchten Sandi Copeland und Kollegen nun die Zusammensetzung von
Strontiumisotopen im Zahnschmelz dieser Homininen. Strontium wird als
Spurenelement mit der Nahrung und dem Trinkwasser aufgenommen und in den
Zähnen gespeichert. Zuerst untersuchten die Wissenschaftler deshalb
Strontiumisotope in Pflanzen, die innerhalb eines 50-Kilometer-Radius
der Sterkfontein und Swartkrans Höhlen in Südafrika gesammelt wurden, um
Hintergrundinformationen zu dem biologisch verfügbaren (im Grundwasser
gelösten) Strontium der ganzen Region zusammenzutragen. Anschließend
analysierten die Forscher mehrere hominine Zahnkronen mithilfe einer
relativ neuen Methode zur Messung von Strontiumisotopen aus Zähnen, der
Laser Ablation Multicollector Inductively Coupled Plasma Mass
Spectrometry, einer technisch hochentwickelten Art der
Isotopenmassenspektrometrie mit vorgeschaltetem Laser zur Beprobung.
Diese Methode, bei der kleinste Mengen an biologischem Material mit
einem Laser abgetragen werden, zerstört die Zähne nicht und hinterlässt
nur winzige (kaum sichtbare) Spuren auf der Zahnschmelzoberfläche. Die
Wissenschaftler fanden heraus, dass es zwar keinen bedeutenden
Unterschied zwischen dem Anteil nicht lokaler Individuen in den Arten A.
africanus (25 Prozent) und P. robustus (36 Prozent) gibt, konnten aber
hingegen bedeutende Unterschiede zwischen den Verbreitungsmustern
weiblicher und männlicher Individuen feststellen.
„Die Strontiumisotopendaten weisen Unterschiede bezüglich des
Herkunftsgebietes bei Männern und Frauen auf”, sagt Sandi Copeland und
erklärt: „Da Strontium vor dem Eintritt ins Erwachsenenalter in den
Zähnen eingebaut wird, zu einem Zeitpunkt, als die Vormenschen
vermutlich noch mit ihren Müttern reisten, ist es unwahrscheinlich, dass
die Daten Unterschiede im Aktionsradius von erwachsenen Männern und
Frauen reflektieren. Eher zeigen die Strontiumsignaturen an, dass Frauen
die Gruppe verließen, in der sie geboren wurden“.
Die Verbreitungsmuster weiblicher (nicht jedoch männlicher) A. africanus
und P. robustus sind dem ähnlich, die man bei Schimpansen, Bonobos und
vielen Menschengruppen findet, unterscheiden sich aber von dem der
meisten Gorillas und anderer Primaten. Dies impliziert, dass die
Sozialstruktur früher Hominine wahrscheinlich nicht der von Gorillas
ähnelte, bei denen ein oder wenige Männchen eine Gruppe von Weibchen
dominieren.
Der geringe Anteil nicht lokaler männlicher Hominine könnte bedeuten,
dass männliche Australopithecinen einen relativ kleinen Aktionsradius
hatten. Das wäre jedoch verwunderlich. Denn Wissenschaftler gehen davon
aus, dass die Fortbewegung auf zwei Beinen (Bipedie) aus der
Notwendigkeit entstanden sein könnte, große Entfernungen zu Fuß zu
überwinden. Die Ergebnisse könnten aber auch bedeuten, dass
Australopithecinen die Rohstoffquellen bevorzugten, die ihnen die lokale
Landschaft bot, in der sie lebten.
Die Studie von Copeland und Kollegen wendete die beschriebene neue
Methode der Laserablations-Massenspektrometrie erstmals auf fossile
Vormenschen an und legt damit die Grundlage für zukünftige Studien an
anderen Arten, wie z.B. Australopithecus und Paranthropus Funden aus
Ostafrika und jüngeren Homininen, die unserer eigenen Gattung Homo
angehören.
An der Studie waren folgende Institutionen beteiligt:
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig,
Deutschland; University of Colorado, Boulder, USA; Texas A&M
University, College Station, USA; Oxford University, Oxford, UK;
University of Cape Town, Kapstadt, Südafrika; Universität Zürich,
Zürich, Schweiz; Memorial University, St. John’s, Kanada; University of
British Columbia, Vancouver, Kanada.
Originalveröffentlichung:
Sandi R. Copeland, Matt Sponheimer, Darryl J. de Ruiter, Julia A.
Lee-Thorp, Daryl Codron, Petrus J. le Roux, Vaughan Grimes & Michael
P. Richards
Strontium isotope evidence for landscape use by early hominins
Nature, 2. June 2011, doi:10.1038/nature10149
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.