Branchenmeldungen 18.08.2011
Auch im Web gilt: Form follows Function
Wissenschaftler der Universität Münster hat nachgewiesen, dass die Ästhetik von Webseiten eine größere Rolle spielt als bisher vermutet
Praktisch sollen sie sein, auf den ersten Blick verraten, wo sich die
Informationen verstecken. Und die sollten natürlich umfangreich sein,
aber auch nicht zu sehr, um den Nutzer nicht zu verwirren. Mehr muss
eine Webseite nicht bieten. Oder etwa doch? Dr. Meinald Thielsch von der
Arbeitseinheit für Psychologische Diagnostik der Westfälischen
Wilhelms-Universität Münster (WWU), sieht das anders: "Ästhetik spielt
bei der Bewertung von Webseiten eine wichtige Rolle."
Schön sollen sie also auch sein. Doch was ist Schönheit eigentlich?
"Anders als häufig angenommen wird, sind Urteile über Schönheit keine
reine Geschmacksfrage. Schönheit wird zwar von jedem individuell
wahrgenommen, doch Schönheitsurteile stimmen insgesamt für eine Gruppe
von Personen gut überein", erklärt Meinald Thielsch. Schönheitsurteile
hätten zwei interessante Eigenschaften: Sie seien schnell und relativ
stabil. So wurden Probanden Webseiten einmal 500 Millisekunden und
einmal zwanzigmal so lange gezeigt: "Die Urteile stimmten überraschend
gut überein."
Bislang wurden beim Entwurf von Internet-Seiten vor allem zwei
Dimensionen berücksichtigt: die Inhalte und die sogenannte "Usability",
die Benutzerfreundlichkeit. Neuere Ergebnisse aus der
Grundlagenforschung und der Marktforschungspraxis legen allerdings nahe,
die Rolle der Ästhetik als dritte Dimension nicht zu unterschätzen. Um
das zu beweisen, erhielten 300 Testpersonen konkrete Surfaufgaben. Dann
wurden die Wirkung der drei Dimensionen auf drei Stufen erfasst: beim
ersten Eindruck, hinsichtlich der Gesamtzufriedenheit nach Durchführung
verschiedener Aufgaben und abschließend auf einem Resümee, ob man die
Seite wieder besuchen oder weiter empfehlen würde.
Dabei zeigte sich, dass vor allem der erste Eindruck ganz entscheidend
von der Ästhetik einer Seite beeinflusst wird. Schönheit hat also die
wichtige "Türöffner"-Funktion und entscheidet mit darüber, ob ein Nutzer
überhaupt auf einer Seite bleibt. "Bei der Gesamtzufriedenheit der User
bleibt der Einfluss der Ästhetik auf einem hohen Niveau. Gleichzeitig
steigt der Zusammenhang des Nutzerurteils mit der wahrgenommenen
Usability, insbesondere aber mit den Beurteilungen der Inhalte deutlich
an", beschreibt der Psychologe. Für die zentralen bindungsrelevanten
Merkmale Wiederbesuchs- und Weiterempfehlungsbereitschaft, die einer
größeren rationalen Bewertung unterworfen sind als der erste Eindruck,
spielt die Ästhetik dann nur noch eine untergeordnete Rolle.
Meinald Thielsch ist überrascht davon, dass Usability im dritten Schritt
gar nicht mehr relevant ist - vor allem der Inhalt entscheidet. "Inhalt
ist die alles entscheidende Basis einer Webseite. Usability ist wichtig
für den Gesamteindruck, aber nicht so wichtig wie gedacht. Wenn
Menschen etwas wissen wollen, sind sie anscheinend unendlich
leidensfähig. Dafür ist die Ästhetik mehr als nur Dekoration", fasst er
die Ergebnisse zusammen, die in einer zweiten Studie mit mehr als 500
Probanden und über 40 verschiedenen Testwebseiten erfolgreich bestätigt
wurden.
Farbe, Typografie, Bildsprache, Animation und Formgestaltung machen das
Gesicht einer Webseite aus. Farbe hat dabei den größten Effekt. Ein
tiefes gesättigtes Blau kommt bei den Nutzern am besten an.
Farbdreiklänge und der Einsatz von leerem Raum wirken ebenfalls
ansprechend. Bestimmt wird das Design einer Internetseite aber letztlich
durch Inhalte und die Usability, da die Nutzer inzwischen bestimmte
Normen und Konventionen verinnerlicht haben. "Form follows function, die
Funktion bestimmt das Aussehen", dieses Zitat des Architekten Louis
Sullivan gilt also noch immer.