Kieferorthopädie 26.05.2016
GOZ-Position 2197 auch für Aligner geklärt
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Die
DGKFO benennt in ihrer Stellungnahme vom Januar 2010 Indikationslagen
für die Behandlung mit Alignern, bei denen neben den Alignern
zusätzliche Hilfsmittel zur Anwendung gelangen: Extrusion, Derotation
(vor allem von Eckzähnen und Prämolaren), Lückenschluss nach
Prämolarenextraktion, Zahnretension. Gemeint sind hiermit u. a.
sogenannte Attachments. Attachments bewirken eine gezielte
Krafteinleitung, insbesondere bei Derotationen und vertikalen
Zahnbewegungen, und ermöglichen eine dreidimensionale Kontrolle der
Zahnbewegung sowie eine verbesserte Kontrolle über die Wurzelbewegung
vor allem bei Front- und Eckzähnen. SmartForce-Templates (Schablonen)
werden in patienten- und fallspezifischer Form und Position vom
Behandler im ClinCheck® festgelegt und mit den Alignern ausgeliefert.
1. Technik der adhäsiven Befestigung zeitgemäßer Attachments
SmartForce-Attachments
werden nach entsprechender Reinigung der Zahnoberfläche an berechneter
Position auf die Zahnoberfläche geklebt. Zuvor erfolgen eine
mikroabrasive Aufrauung der Zahnoberfläche mittels Pulverstrahl und die
Konditionierung der Oberfläche mit Phosphorsäuregel. Dieses wird nach
Einwirkzeit aus dem Ätzrelief ausgespült und die Schmelzoberfläche
getrocknet. Die so vorbereitete Oberfläche wird mit einem Bonding
(lösungsmittelfreies oder alkohol- bzw. acetonbasiertes Bonding, jeweils
kompatibel mit dem Komposit) adhäsiv vorbereitet durch Aushärtung mit
Lichtexposition. In das Attachment-Template wird ein lichthärtender
Kompositkunststoff in die Vertiefungen des Attachments wohldosiert
eingebracht und sodann an errechneter Position auf der Zahnoberfläche in
Position gehalten. Dieser Vorgang wiederholt sich je Zahn an zwei bis
drei Klebestellen. Durch die Templatefolie hindurch erfolgt intraoral
eine Lichtbestrahlung, die nach ca. 20 Sekunden zur Polymerisation des
Komposits führt, sodass die Templatefolie von dem nun auf der
Zahnoberfläche befestigten, polymerisierten Attachment abgenommen werden
kann. Der Kleberüberschuss ist dann mit Lupenbrille auszuarbeiten,
damit keine Kleberrückstände zurückbleiben.
2. Abrechnung des traditionellen Klebens bei Brackets und Attachments (GOZ 6100)
Brackets
können traditionell, also nicht adhäsiv, geklebt werden
(„Klebebrackets“ i.S.d. Pos. 6100 GOZ). Die Abrechnung erfolgt nach 6100
GOZ: Eingliederung eines Klebebrackets zur Aufnahme orthodontischer
Hilfsmittel. Auch Attachments – extraoral ausgehärtet – könnten
grundsätzlich traditionell geklebt werden und im Sinne eines
„Klebeattachments“ analog 6100 GOZ abgerechnet werden: Die
Bracketapparatur (am Zahn festgeklebtes Bracket mit Schloss/Schlitz zur
Aufnahme des Bogens) ist zwar ein festsitzendes Gerät, während der
Aligner auch dann ein herausnehmbares Gerät bleibt, wenn er mit dem
geklebten Attachment während der Tagezeiten dauerhaft verbunden wird.
Wie der Bogen stellt aber auch der Aligner ein orthodontisches
Hilfsmittel dar. Beide dienen aufgrund der exakten Positionierung der
therapeutischen Krafteinleitung für eine kontrollierte
Einzelzahnbewegung. Hierzu werden beide auf den Zahn geklebt, wobei der
Bogen in das Bracket eingegliedert wird und der Aligner in das
Attachment einrastet. Die Arbeitsschritte des Klebens und der hierfür
erforderliche Zeitaufwand je Zahn entsprechen einander. Bracket wie
Attachment verbleiben dauerhaft in situ. Wegen der Übereinstimmungen
beider Vorgänge ist die analoge Anwendung der Pos. 6100 GOZ auf das
Kleben des Attachments im Rahmen einer Alignerbehandlung anerkannt (AG
Düsseldorf, Urt. v. 2.10.2013, 37 C 11379/10, S. 8 oben zu 610 GOZ; AG
Recklinghausen, Urt. v. 19.12.13, 54 C 117/13, Rn. 22 unter Hinweis auf
Liebold/Raff/Wissing, Der Kommentar zu BEMA und GOZ, 98. Lieferung Stand
Dezember 2011, Ziffer 6100; GOZ-Kommentar der Bundeszahnärztekammer
zu den Pos. 6100, 6110 GOZ: „Das Anbringen und Entfernen von Attachments
im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung mit Alignern wird
ebenfalls in analoger Anwendung – wie bei Brackets – unter dieser Nummer
berechnet.“).
3. Abrechnung des adhäsiven Klebens bei Brackets
Nach dem Inkrafttreten der Pos. 2197 GOZ am 1.1.2012 (Adhäsive Befestigung: plastischer Aufbau, Stift, Inlay, Krone, Teilkrone, Veneer etc.) durch die GOZ-Novelle vom 5.12.2011 (GOZ vom 22. Oktober 1987, BGBl. I S. 2316, zuletzt geändert durch BGBl. I S. 2661) wurde durch die Rechtsprechung einhellig bestätigt, dass diese im Bereich der konservierenden Zahnheilung verankerte Bestimmung auch bei der Abrechnung der kieferorthopädischen Behandlung Anwendung findet (AG Pankow/Weißensee, Urt. v. 10.1.2014, 6 C 46/13; AG Hildesheim, Urt. v. 16.12.2013, 98 C 57/13; AG Recklinghausen, Urt. v. 19.12.13, 54 C 117/13; LG Hildesheim, Urt. v. 24.7.2014, 1 S 15/14; AG Bayreuth, Urt. v. 27.2.14, 107 C 1090/13; VG Regenburg, Urt. v. 26.1.15, RO 8 K 14.1888 und Urt. v. 1.9.2015, RN 8 K 15.936; AG Köln, Urt. v. 1.9.2015, 146 C 177/14; VG Arnsberg, Urt. v. 14.10.2015, 13 K 2159/14).
Sofern also ein Klebebracket nicht mit dem klassischen Kunststoff- oder Zementkleber eingebracht werde, sondern nach der Vorbehandlung (Konditionierung) von Schmelz und Dentin mit Säuren und der Auftrag eines Primers („Grundierer“) erfolge, liege ein Mehraufwand im Vergleich zu den Leistungsmerkmalen der Position 6100 GOZ („Eingliederung eines Klebebrackets zur Aufnahme orthodontischer Hilfsmittel“) vor, der durch die zusätzliche Abrechnung der Pos. 2197 GOZ in direkter Anwendung neben 6100 GOZ zu vergüten sei. Soweit hiergegen seitens der PKV der Einwand erhoben wird, das AG Burgdorf habe in seinem Urteil vom 6.2.2014, 13 C 338/13, anderslautend entschieden, kann dem mit dem Hinweis begegnet werden, dass die Entscheidung durch das vorgenannte Urteil des Landgerichtes Hildesheim aufgeboben worden ist. Mit anderen Worten: Dass diese Entscheidung nicht mehr gilt, da sie nicht in Rechtskraft erwachsen ist.
Einzig der zuständige Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit vertrat mit Stellungnahme vom 31.10.2013 zu Az. 211-20222-01 eine abweichende Auffassung: Der Gesetzgeber würde so verbreitete kieferorthopädische Hilfsmittel wie Brackets und Aligner in Pos. 2197 GOZ ausdrücklich benannt haben, wenn er eine Abrechnung dieser Position im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlung gewollt hätte. Ferner sei dem Umstand, dass die Kosten der Abrechnung von 2197 GOZ neben 6100 GOZ für den Haushalt im Gesetzgebungsverfahren nicht eingestellt worden waren, zu entnehmen, dass die kumulative Abrechnung beider nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Nach der Einschätzung der Gerichte sind diese Fehlvorstellung des Gesetzgebers und der hiermit verbundene Kalkulations-irrtum jedoch bei der Auslegung des Gesetzes nicht zu berücksichtigen und bedürften einer textlichen Klarstellung durch eine Änderung der GOZ, falls der Gesetzgeber seinen Willen nachträglich noch zur Geltung bringen wolle.
4. Abrechnung des adhäsiven Klebens bei Attachments
Auch die adhäsive Befestigung eines Attachments erfordert einen Mehraufwand im Vergleich zu einer – grundsätzlich möglichen – Befestigung mit klassischem Kunststoff- oder Zementkleber, sodass Pos. 2197 GOZ in direkter Anwendung neben Pos. 6100 GOZ in analoger Anwendung abzurechnen ist. Hätte der Verordnungsgeber die Anwendung der Pos. 2197 GOZ auf kieferorthopädische Hilfsmittel ausschließen wollen, hätte er dies in dieser Bestimmung für Brackets und Attachments textlich klarstellen müssen (VG Regensburg, Urt. v. 26.1.15, RO 8 K 14.1888 und Urt. v. 1.9.2015, RN 8 K 15.936). Dies ist nicht erfolgt, obwohl dem Gesetzgeber beide Begriffe bekannt waren und er sie in dem Verordnungstext an anderer Stelle verwendet (z. B. vgl. Vorbem. G1, vor 6000 GOZ).
Auch der Umstand, dass das Kompositattachment selbst keinen Aufbau oder sonstiges Werkstück adhäsiv befestigt, spricht nicht gegen die Anwendung der Pos. 2197 GOZ, da dies auch bei der Kompositfüllung nicht der Fall ist und ferner sich auch ein extraoral ausgehärtetes Kompositattachment durch separaten Arbeitsgang adhäsiv befestigen ließe. Ohnehin lässt sich der Pos. 2197 GOZ nicht entnehmen, dass nur ein dauerhaft adhäsiv verbundenes und nicht auch ein herausnehmbar befestigtes Werkstück wie eine Attachment-Aligner-Kombination erfasst sein soll. Einzig das Amtsgericht Nürnberg hat sich mit Urteil vom 21.4.2015, 12 C 7440/14, gegen die Abrechnung der Pos. 2197 GOZ ausgesprochen und ist der Stellungnahme eines Gutachters und PKV--Beratungsarztes gefolgt, der Aligner/Attachments offensichtlich routinemäßig nicht anwendet, sondern auf die linguale Anbringung von Brackets spezialisiert ist. Er verneint eine analoge Anwendungsfähigkeit der Pos. 2197 GOZ und sagt, das adhäsive Kleben der Attachments sei mit 6100 analog GOZ abgegolten, indem er die Unterschiede zwischen der Zahnkorrektur mit Alignern einerseits und Brackets andererseits hervorhebt („technisch unterschiedlich, nicht gleichwertig, nicht direkt vergleichbar“): Die Fehlerfolgen falsch positionierter Brackets seien viel weitreichender als fehlpositionierter Attachments, sodass bei der Bracketanbringung anders als bei Attachments eine hochpräzise dreidimensionale Positionierung erforderlich sei, die besonders aufwendig ist.
Dies ist medizinisch nicht richtig, da die Attachmenttemplates hochpräzise in einem dreidimensionalen Prozess hergestellt und nach diesen Positionierungsvorgaben klinisch eingebracht werden. Potenziell nachteilige Gesundheitswirkungen der Bracketeinbringung – seien sie system- oder ausführungsbedingt – sind für die Abrechnung irrelevant, da diese an das zahnärztliche Bemühen im Sinne der Leistungserbringung anknüpft und nicht an einer Fehlerfolgenbeurteilung im Sinne einer Ergebniskontrolle. Die juristische Prämisse dieses Beratungsarztes ist nicht richtig, da bei der direkten Anwendung einer Norm es nicht darauf ankommt, ob die Sachverhalte, die unter diese Norm zu subsumieren sind, vergleichbar sind oder nicht, da der Gesetzgeber selbst die Gleichwertigkeit normativ angeordnet hat (vorliegend durch den Zusatz „etc.“). Gleichwertigkeitsüberlegungen, wie sie bei der Prüfung der Analogiefähigkeit einer Norm anzustellen sind, waren in dem vorliegenden Kontext deshalb nicht geboten und hätten durch den Sachverständigen nicht vorgenommen werden dürfen.
Ohnehin ist seine Schlussüberlegung falsch, dass das adhäsive Befestigen eines Attachments in 6100 GOZ analog enthalten sei. Denn wenn Attachments von der nicht abschließenden Aufzählung („etc.“) erfasst sind, dann ist ihre adhäsive Befestigung nach Pos. 2197 GOZ abzurechnen, ohne dass es auf eine Gleichwertigkeit mit der adhäsiven Befestigung von Brackets ankäme. Wenn diese Bestimmung nicht – und zwar auch nicht analog – auf das adhäsive Befestigen von Attachments anwendbar wäre, dann ist es auch nicht bereits in der Pos. 6100 GOZ analog enthalten. Der Beratungarzt hat zudem verkannt, dass die Gleichwertigkeit beider Maßnahmen durch die GOZ-Kommentierung der BZÄK bestätigt worden ist.
Die Abrechnungsfähigkeit der Pos. 2197 GOZ im Rahmen einer Alignerbehandlung ist nun auch gerichtlich bestätigt worden (AG Gießen, 41 C 438/15, Urt. v. 8.2.2016).