Finanzen 18.03.2024
„Was wir zuerst brauchen, ist Transparenz“
Das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Dezember 2022 angekündigte MVZ-Gesetz lässt weiter auf sich warten. Währenddessen bauen internationale Investoren ihre Marktanteile in der medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung weiter aus. Die Patienten wissen meist nicht, wem die Praxis gehört, in der sie sich behandeln lassen. Aurora Li ist bei der Bürgerbewegung Finanzwende e.V. für den Bereich Banken und Finanzstabilität zuständig. Im Gespräch mit dem Mitgliedermagazin der KVB warnt sie vor möglichen Insolvenzen und fordert mehr Transparenz.
Frau Li, in Ihrem Gutachten kommen Sie zu dem Schluss, dass viele Praxisketten in den Händen von Investoren hohe Schulden haben. Warum macht es aus Sicht des Investors Sinn, beim Aufbau einer Praxiskette eine solche Überschuldung in Kauf zu nehmen? Das Ziel ist in der Regel doch der Weiterverkauf und tendenziell würde jeder Laie sagen: Diese Kette hat viele Schulden, die kaufe ich besser nicht, weil ich diese Schulden ja mitübernehme.
Wir müssen uns zunächst auf die Denke von Private Equity einlassen. Private Equity arbeitet mit dem Einsatz von viel Fremdkapital, also Schulden. Mit wenig eigenem Mitteleinsatz in Form von Eigenkapital können sie so hohe Profite für sich generieren. Wir sprechen in diesem Fall von hoher „Eigenkapitalrendite“, also wie viel Rendite bekomme ich auf das Eigenkapital, das ich als Investor eingesetzt habe? Das ist eine sehr wichtige Kennzahl für Investoren für die Profitabilität. Das heißt, je höher die Eigenkapitalrendite ist, desto attraktiver ist eine Praxiskette für Investoren. Das bestimmt dann beim Weiterverkauf auch den Verkaufspreis. Gewinne der Praxiskette sind in diesem Geschäftsmodell eher zweitrangig. Die Gewinne, die Private Equity macht, kommen nicht zwingend aus den Gewinnen der Unternehmen, die sie besitzen. Denn Private Equity kann mit Finanztricks wie unternehmensinternen Krediten, sogenanntem Asset Stripping und hohen Managementgebühren Gelder in ihre Fonds transferieren. Es zählt der Umsatz und schnelles Umsatzwachstum.
In der ambulanten medizinischen Versorgung ist dies vor allem durch kreditfinanzierten Zukauf von Praxissitzen möglich.
Wie schaffen es die in Ihrem Gutachten untersuchten Unternehmen, ihr Geld am Fiskus vorbeizuschleusen und in sogenannten Steueroasen zu bunkern?
Private Equity nutzt „Tricks“, um Steueroptimierung zu betreiben, die bei einer normalen Arztpraxis nicht möglich sind. Ein Trick ist die Nutzung der unternehmensinternen Kreditvergabe: Die Ärztinnen und Ärzte nutzen in der Regel Bankkredite. Private Equity-Gesellschaften nutzen hingegen die unternehmensinterne Kreditvergabe, indem etwa der Private Equity-Fonds der Praxiskette einen Kredit gibt – zu Zinsen, die deutlich über dem Niveau auf dem Markt sind. Wir haben in unseren Beispielen gesehen, dass Zinsen in der Höhe von schätzungsweise 18 Prozent vereinbart wurden, die Private Equity-Gesellschaften als Gewinne verbuchen können. Hier kommt nun ein weiterer Trick ins Spiel: Die Nutzung von Steueroasen. Die wichtigste Gewinnmarge erzielt Private Equity beim Weiterverkauf. Die Gewinne, die beim Weiterverkauf generiert werden, versteuern die Gesellschaften in der Regel in Steueroasen zu den dort niedrigen Steuersätzen – ebenso wie die Gewinne aus der internen Kreditvergabe.
Lässt das ambulante Gesundheitswesen große Umsatzzuwächse zu? Wir reden hier von keinem klassischen „Markt“, denn gedeckelte Honorartöpfe setzen einer Einnahmenexpansion, etwa über die Zahl der Behandlungsfälle, Grenzen. Und kostenseitig müssen Ärztinnen und Ärzte sowie qualifiziertes Praxispersonal konkurrenzfähig bezahlt weren.
Diese Player sind über die Märkte oder Geschäftsfelder, in denen sie tätig werden, sehr gut informiert. Das heißt: Sie konzentrieren sich auf Leistungen, in denen die Deckelung nicht gilt, wie beispielsweise bestimmte Operationen, oder sie setzen auf Wachstum, indem sie so viele Arztsitze kaufen wie möglich.
Irgendwann kann die Logik des ständigen Weiterverkaufs nicht mehr aufgehen. In Großbritannien beispielsweise mussten profitable Pflegeheime, die von Private Equity-Firmen übernommen wurden, am Ende Insolvenz anmelden. Kalkulieren solche Gruppen möglicherweise ein, dass im Falle einer Insolvenz ein neuer Investor mit frischem Geld vom Staat oder gar die KV die marode Praxiskette weiterbetreibt?
Zunächst ist wichtig zu verstehen, dass kein Private Equity-Investor an einem langfristigen Engagement interessiert ist – weder im Gesundheitswesen noch in einer anderen Branche. Dies ist schon deswegen der Fall, weil Private Equity-Fonds eine Laufzeit von maximal circa zehn Jahren haben. Es geht immer darum, aufzukaufen, auf Rendite zu trimmen und dann weiterzuverkaufen. Ein langfristiges Engagement im Gesundheitswesen findet also nicht statt. Das schuldenbasierte Geschäftsmodell, das den Praxisketten übergestülpt wird, stellt sie auf wackelige Beine, weil sie sehr auf Kante genäht sind. Kommen steigende Zinslasten oder weitere branchenspezifische Probleme wie Personalmangel hinzu, steigert das die Gefahr einer Insolvenz.
Dass das Kalkül einer Insolvenz zum „Geschäftsmodell“ gehört, ist schwer zu sagen. Insolvenzen bedeuten auch den Verlust des Eigenkapitals, das dort investiert ist. Aber wir gehen davon aus, dass die Private Equity-Gesellschaften genau wissen, dass Bund, Länder und Kommunen oder die KVen es nicht dulden können, dass plötzlich ganze Praxisketten mit Hunderten Sitzen komplett aus der Versorgung fallen.
Wie kann man Private Equity-Beteiligungen an Arztpraxen und das damit zunehmende Eindringen der Finanzmarktlogik in den ambulanten Sektor eindämmen? Was erhoffen Sie sich von der Politik?
Prinzipiell halten wir es für richtig, sektorale Regulierungen umzusetzen, aber auch den Blick über Regulierungen im Gesundheitswesen hinaus zu richten. Was wir zuerst brauchen, ist Transparenz. Dass das wichtig ist, haben bereits viele Akteure wie auch die KVB erkannt. Ein Transparenzregister ist notwendig, um zu erkennen, hinter welchen Ketten Finanzinvestoren stecken. Ebenso könnten regionale Beschränkungen beim Aufkauf von Praxissitzen sinnvoll sein. Dies würde beispielsweise das Risiko minimieren, dass bei
einer Insolvenz eine sehr hohe Zahl an Sitzen auf einen Streich aus der Versorgung fällt. Ein Punkt, der über eine sektorale Regulierung hinausgeht, wäre die Begrenzung der Kreditaufnahme der Praxenkonzerne bei der Dachholding. Damit könnten sie sich nicht übermäßig verschulden. Zudem könnte es längerfristige Haftungsregeln geben, damit die Geldgebenden nach dem Verkauf des Unternehmens nicht direkt aus der Verantwortung entlassen sind.
Frau Li, herzlichen Dank für das Gespräch!
Dieses Interview ist im BZB Bayerisches Zahnärzteblatt erschienen.
Autoren: Dr. phil. Axel Heise und Benjamin Laub (KVB)