Patienten 16.11.2021

Kleiner Exkurs: Geriatrische Medizin (Altersheilkunde)



Kleiner Exkurs: Geriatrische Medizin (Altersheilkunde)

Foto: stock.adobe.com – Yakobchuk Olena

Die Geriatrie oder Altersheilkunde führt akutmedizinische, fachübergreifend frührehabilitationsmedizinische und rehabilitationsmedizinische Behandlungen durch, zumeist über die reine Organmedizin hinaus. Sie erbringt zusätzliche Leistungen vor allem im Bereich der multidisziplinär orientierten Diagnostik und funktionellen Therapie sowie im Bereich der Prävention und der Palliation. Geriatrische Medizin muss sich häufig mit dem Problem gestörter Willensbildung und dem besonderen rechtlichen Schutzbedürfnis der Kranken befassen.

Geriatrie: Definition und Merkmale

Die Geriatrie ist eine medizinische Spezialdisziplin, die sich aus dem besonderen Behandlungs­ und Versorgungsbedarf betagter und hochbetagter Menschen entwickelt hat. Sie nutzt Instrumente zur Identifikation individueller Ressourcen, leitet daraus umfassende Behandlungsziele ab und bringt die Kompetenz des geriatrischen Teams im individualisierten Therapieplan zum Einsatz.

Der geriatrische Patient definiert sich durch

  • geriatrietypische Multimorbidität, 
  • höheres Lebensalter (überwiegend 70 Jahre oder älter).

Die geriatrietypische Multimorbidität ist hierbei vorrangig vor dem kalendarischen Alter zu sehen oder auch durch ein Alter über 80 aufgrund der alterstypisch erhöhten Vulnerabilität (z. B. wegen des Auftretens von Komplikationen und Folgeerkrankungen, der Gefahr der Chronifizierung sowie des erhöhten Risikos eines Verlustes der Autonomie mit Verschlechterung des Selbsthilfestatus). Bedingt durch die typische Multimorbi dität und Gebrechlichkeit (Frailty) des geriatrischen Patienten ergeben sich besondere Versorgungsbedarfe.

Besonderheiten geriatrischer Patienten:

  • häufiges Vorliegen geriatrischer Syndrom­ und Problemkonstellationen
  • somatisch, kognitiv und affektiv erhöhte Instabilität und verringerte Anpassungsfähigkeit 
  • erhöhte Vulnerabilität sowie begrenzte Kompensationsfähigkeit 
  • affektive und kommunikative Störungen 
  • atypische Symptompräsentation (z. B. Hyperthyreose) 
  • reduzierte Spontan­Rekonvaleszenz, erhöhter Rehabilitationsbedarf 
  • drohender Verlust der Selbstständigkeit, Auftreten von Pflegebedürftigkeit 
  • oft unzureichende oder fehlreagierende soziale Unterstützungssysteme 
  • Anfälligkeit für iatrogene Schäden 
  • häufiges Auftreten von Malnutrition, Obstipation, chronischen Wunden, Inkontinenz, Demenz, Delir, Depression, chronischem Schmerz, Schlafstörungen, Multimedikation bzw. potenziell inadäquate Medikation

Typische Fähigkeitsstörungen geriatrischer Patienten: 

  • in der Fortbewegung 
  • in der Feinmotorik 
  • in der Selbstversorgung 
  • in der Kommunikation 
  • Apraxien
  • Verhaltensstörungen (z. B. bei akutem Delir, Demenz etc.)

Geriatrisches Assessment

Das Instrument für die funktionelle Einschätzung des Älteren ist das Geriatrische Assessment. Darunter versteht man einen multidimensionalen und interdisziplinären Prozess mit dem Ziel, die medizinischen, psychosozialen und funktionellen Probleme – Ressourcen – des Patienten zu erfassen und einen umfangreichen Behandlungs- und Betreuungsplan zu entwickeln.

„Der ältere Patient zwingt uns, aufgrund der meist vorhandenen Multimorbidität mit chronisch verlaufenden Krankheiten weniger das medizinisch Machbare, sondern das für den älteren Patienten medizinisch Sinnvolle bewusst aufzugreifen. Dies bedeutet Lebensqualität, die häufig mit Selbstständigkeit verbunden ist. So sollte immer die bedrohte Selbständigkeit bei allen medizinischen Aktionen im Vordergrund stehen.“ Prof. Dr. Ingo Füsgen, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie.

Kapazitäten schaffen!

Die Geriatrie leistet einen entscheidenden Beitrag zum Erhalt von Selbstständigkeit, Mobilität und Lebensqualität betagter und hochbetagter Patienten. Die demografische Entwicklung und die damit verbundenen Herausforderungen – unter anderem zum gesundheitspolitischen Grundsatz Rehabilitation vor und bei Pflege – erfordern eine konsequente Weiterentwicklung und den kontinuierlichen Ausbau geriatriespezifischer Versorgungsstrukturen. Hierfür gilt es, die entsprechenden Kapazitäten zu schaffen, eine der Versorgung geriatrischer Patienten angemessene Finanzierung sowie die Weiterentwicklung von Qualitätssicherungsmaßnahmen anzubahnen. Mit der Etablierung der Gebietsbezeichnung Innere Medizin und Geriatrie hatte das Bundesland Sachsen-Anhalt bereits eine Vorreiterrolle inne. Die im „Qualitätssiegel Geriatrie“* definierten Strukturstandards sollten als Standard überall etabliert werden.

* Der Bundesverband vertritt derzeit 386 Mitgliedseinrichtungen, betrieben von 347 Trägern mit ca. 26.000 geriatrischen Betten und ist Herausgeber des „Qualitätssiegel Geriatrie“, einem speziellen Qualitätsmanagementverfahren für geriatrische Einrichtungen. Das Qualitätssiegel soll insoweit als gemeinsame Leitlinie in Sachen Qualität verstanden werden. Antrieb aller Beteiligten war es, die Qualität der geriatrischen Versorgung zu stärken.

 Dieser Artikel ist auch in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.

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