Patienten 15.11.2022
Moderne Prophylaxe: Von Fluoridierung bis „Steinzeitdiät“
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Ein modernes und ganzheitliches Prophylaxe-Konzept basiert auf drei Säulen, die sowohl Behandler und Praxisteam als auch Patienten in die Pflicht nehmen: Hierzu zählen die häusliche Mundhygiene, zahngesunde Ernährung und Fluoridierung. Aufbauend auf diesen drei Säulen stützt sich die zahnärztliche Prophylaxe auf bestehende erfolgreiche Methoden und hat zugleich Optimierungsspielräume. Ein Kurzgespräch mit dem Prophylaxe-Experten Prof. Dr. Johannes Einwag zu Status quo, Patientencompliance und „Steinzeitdiät“.
Prof. Dr. Einwag, das Biofilmmanagement galt lange als eines der Haupttools für eine effektive Prophylaxe. Welche Bewertung fällt dem Biofilmmanagement aktuell zu und wie wichtig ist dieses für eine nachhaltige Prophylaxe?
Karies, Gingivitis, Parodontitis und periimplantäre Entzündungen sind biofilminduziert. Das heißt: Die Anwesenheit eines pathogenen Biofilms ist Voraussetzung für die Entwicklung dieser Volkskrankheiten. An dieser Erkenntnis hat sich in den vergangenen Jahren nichts geändert! Ein wirksames Biofilmmanagement ist damit nach wie vor entscheidend für eine nachhaltige Prophylaxe. Im Mittelpunkt der Maßnahmen steht dabei die mechanische häusliche und professionelle Entfernung des Biofilms – gegebenenfalls ergänzt durch Maßnahmen der Chemoprävention. Nach wie vor gilt das Motto: Der Dreck muss weg!
Es gibt für verschiedene Patientengruppen unterschiedliche Prophylaxe-Ansätze – was haben diese Ansätze gemein? Oder anders gefragt: Was braucht eine altersübergreifende Basisprophylaxe 2022?
Auch im Jahr 2022 gilt die Trias: Ernährungslenkung, effektive Mundhygiene und eine zielgerichtete Fluoridanwendung als Basis zur Erhaltung der Mundgesundheit. Für alle Altersgruppen gelten zusätzlich zum regelmäßigen Zahnarztbesuch die folgenden Empfehlungen als Basis für die Prophylaxe:
- Zur Ernährungslenkung: Süße, saure oder klebrige Lebensmittel sollten selten verzehrt werden.
- Zur Mundhygiene: Ab dem Zahndurchbruch sollten die Zähne zweimal täglich geputzt werden.
- Zur Fluoridierung: Für alle Patientengruppen empfiehlt sich eine regelmäßige altersgruppengerechte Fluoridanwendung.
Bei Personen mit erhöhten Risiken sollten diese Maßnahmen gezielt ergänzt werden. Bewährt haben sich in diesem Zusammenhang unter anderem eine häufigere Frequenz der professionellen Zahnreinigungen und/oder eine vermehrte Anwendung fluoridhaltiger Gele/Lacke sowie die Applikation von Fissurenversiegelungen.
Wo liegen Ihrer Meinung nach die Stärken der modernen Prophylaxe, wo schwächelt es aktuell noch und welches Potenzial ist noch nicht ausgeschöpft?
Gesundheit ist letztlich die direkte Folge eines Gleichgewichtszustandes zwischen Angriff und Abwehr. Der Angriffsfaktor in der Mundhöhle ist der Biofilm, der Abwehrfaktor das körpereigene Immunsystem. Die Stärke moderner Prophylaxestrategien ist offensichtlich: Sie funktionieren! Das ist kein Wunschdenken, sondern eine dokumentierte Tatsache! Die Ergebnisse der Studien zur Mundgesundheit der deutschen Bevölkerung der letzten Jahrzehnte haben das eindrücklich gezeigt. Auch das „Wie“ ist bekannt: Die Entfernung des Angriffsfaktors Biofilm, bevor er pathogen wird. Eigentlich ganz einfach – man muss es nur auch umsetzen. Daraus ergibt sich auch direkt die Schwäche der Strategien: Unsere zwar grundsätzlich funktionierenden Strategien sind abgestützt auf das Verhalten der handelnden Personen. Das schließt sowohl den Patienten als auch das Praxisteam gleichermaßen ein. Nicht alle können oder wollen die Empfehlungen so umsetzen, wie sie zum Erhalt der persönlichen Mundgesundheit erforderlich wären – hier ist noch deutlich Luft nach oben. Dies gilt im Übrigen auch für neue Erkenntnisse aus dem Bereich der Gingivitis- und Parodontitisprophylaxe, in denen positive Auswirkungen einer Ernährungsumstellung (Stichwort „Steinzeitdiät“) auf das Immunsystem und die Gesundheit der oralen Weichgewebe nachgewiesen wurden. Hier eröffnen sich – ganz unabhängig vom Biofilmmanagement – bislang ungenutzte Möglichkeiten. Aber auch hier geht es nicht ohne Verhaltensänderungen.
Vielen Dank für das interessante Interview.
Dieser Artikel ist in der ZWP spezial erschien.