Patienten 19.10.2023

Studie rückt deutlich benachteiligte Patienten in den Fokus



Studie rückt deutlich benachteiligte Patienten in den Fokus

Foto: RFBSIP – stock.adobe.com

Die Deutsche Gesellschaft für Alterszahnmedizin e.V. (DGAZ) zeichnete auf ihrer Jahrestagung im Mai 2023 unter anderem die Arbeitsgruppe von Dr. Marc Auerbacher, Priv.-Doz. Dr. Dalia Kaisarly und Lydia Gebetsberger für ihren gemeinsamen Beitrag mit dem Deutschen Preis für SeniorenzahnMedizin 2023 in der Sektion Wissenschaft aus. Welcher Thematik die drei Kliniker in ihrer Forschungsarbeit nachgingen, verrät die angestellte Münchner Zahnärztin Lydia Gebetsberger im ZWP-Kurzinterview.

Frau Gebetsberger, worum ging es in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit unter dem Titel „Oral health in patients with neurodegenerative and cerebrovascular disease: a retrospective study“?

Angesichts der alternden Bevölkerung und Zunahme altersbedingter chronischer Erkrankungen wird die Mundgesundheit dieser Patientengruppe immer wichtiger. In Deutschland haben ältere Menschen mit Beeinträchtigung generell eine schlechte Zahn- und Mundgesundheit. Vor diesem Hintergrund untersuchten wir in unserer Studie den Zahnstatus, das Behandlungsspektrum und auch die Zahnpflege älterer Patienten mit neurologischen Erkrankungen, welche sich im spezialisierten universitären Bereich für Menschen mit Behinderung an der Zahnklinik der LMU München vorgestellt haben. Bei 152 Patienten mit Multipler Sklerose, Morbus Parkinson, Demenzerkrankung und zerebrovaskulären Erkrankungen konnten wir eine hohe Kariesprävalenz, viele fehlende Zähne und Parodontitis feststellen. Zudem erhielten Patienten mit vorbestehenden neurologischen Erkrankungen weniger konservierende und prothetische Versorgungen und wiesen deutliche Limitationen bei der eigenständigen Zahnpflege auf. Die Ergebnisse unserer Studie stimmen mit der Literatur überein und lassen auf eine deutliche Benachteiligung dieser Patientengruppe schließen.

„Ziel unserer Studie war es, das Bewusstsein über den Versorgungsgrad älterer Patienten mit neurodegenerativen und zerebrovaskulären Erkrankungen zu schärfen sowie Ursachen zu identifizieren, die den Zahnstatus dieser Patienten negativ beeinflussen.”

Was macht die von Ihnen untersuchte Patientengruppe im Besonderen aus und wie sollte in der Praxis darauf reagiert werden?

Patienten mit neurodegenerativen und zerebrovaskulären Erkrankungen sind aufgrund von motorischen und kognitiven Beeinträchtigungen einem erhöhten Risiko für Karies, Parodontitis und Mundschleimhauterkrankungen ausgesetzt. Die Ursachen dafür liegen mitunter in der Limitation der eigenständigen Zahnpflege, der fehlenden Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen, aber auch in den Herausforderungen bei der Behandlung. Aus zahnärztlicher Sicht ist es wesentlich, die Patienten so früh wie möglich in ein regelmäßiges Recall einzubinden. Neurodegenerative Erkrankungen haben einen progressiven Charakter. Wenn sich Patienten zu Beginn der Erkrankung in der Praxis vorstellen, sind viele Behandlungen noch realisierbar. Zudem kann eine regelmäßige Prophylaxe gesunde orale Verhältnisse aufrechterhalten. Die Ergebnisse unserer Studie haben gezeigt, dass eine professionelle Zahnreinigung am Behandlungsstuhl beim Großteil der Patienten mit schweren Beeinträchtigungen machbar war. Da erhebliche Defizite bei der häuslichen Zahnpflege vorliegen, müssen auch Angehörige und Pflegekräfte vom zahnärztlichen Personal instruiert und sensibilisiert werden. Denn auch sie sind Teil des Gesamtkonzepts, um die Zahngesundheit dieser vulnerablen Patientengruppe aufrechtzuerhalten.

„Sicherlich ist die zahnärztliche Versorgung dieser Patienten- gruppe mit einigen Herausforderungen verbunden, sie stellt sich aber als äußerst wertschätzend und dankbar heraus.”

Welche Bedeutung haben Gespräch und aktives Zuhören bei älteren Patienten in der Praxis?

Die Behandlung beeinträchtigter Patienten sollte auf individuelle Bedürfnisse abgestimmt werden. Dabei ist es wichtig, sich genügend Zeit für Gespräche zu nehmen, um Behandlungsabläufe zu erklären und den Patienten ihre Bedenken und Angst zu nehmen. Im besten Fall stellen sich Patienten erstmal für die Kontrolle und Prophylaxe vor. So kann man beeinträchtigte Personen an die Behandlung heranführen und sehen, was realisierbar ist. Manche Patienten haben eine stark eingeschränkte Mundöffnung, andere können nur in bestimmten Positionen auf dem Behandlungsstuhl liegen oder müssen sogar im Rollstuhl versorgt werden. Besonders bei deutlich älteren Patienten sind kurze Behandlungsintervalle und Pausen notwendig. All diese Bedürfnisse gilt es, vorab zu eruieren, um den Behandlungsablauf so optimal wie möglich zu gestalten. Leider kommt der Großteil älterer, beeinträchtigter Patienten erst bei Schmerzen in die Zahnarztpraxis. Dann können ein kleiner Zeitrahmen sowie mangelnde Compliance des Patienten für Unruhe sorgen. Um in solchen Situationen den Arbeitsalltag nicht zu verzögern, sollte das Praxisteam grundsätzlich auf diese vulnerable Patientengruppe vorbereitet sein, um die notwendige Behandlung souverän, adäquat und empathisch durchführen zu können. Hierbei kann bereits bei der Terminkoordinierung genügend Zeit eingeplant werden und ggf. während der Behandlung eine zusätzliche Assistenz vorhanden sein.

Dieser Artikel ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 09/2023 erschienen.

Mehr News aus Patienten

ePaper