Psychologie 24.04.2013

Missbrauch – Ein sensibles Thema



Missbrauch – Ein sensibles Thema

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An dieser Stelle können unsere Leser der langjährigen ZWP-Autorin Dr. Lea Höfel Fragen im Bereich Psychologie stellen – in Bezug auf Patienten, das Team und sich selbst. Die Fragen und Antworten finden Sie hier redaktionell aufbereitet wieder. In dieser Ausgabe der ZWP geht es um den professionellen Umgang mit Patientinnen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben. Psychologin Dr. Lea Höfel antwortet.

Anfrage: Unsere Zahnarztpraxis ist auf die Behandlung von Angstpatienten spezialisiert. Ich führe vor der eigentlichen Behandlung ausführliche Gespräche mit den Patienten durch, um gemeinsam eine Behandlungsstrategie zu erarbeiten. Manchen reicht es, einen Film zu schauen oder Musik zu hören. Einige wollen schrittweise herangeführt werden, um Stück für Stück Sicherheit zu erlangen. Viele fühlen sich schon nach dem Gespräch sicher genug, die Behandlung anzugehen. Das ganze Team ist gut eingespielt, sodass wir selten Probleme haben. Nur bei Patientinnen, die von sexuellem Missbrauch berichten (einen Mann gab es noch nicht), kommen wir häufig nicht wirklich weiter. Wir fühlen uns als Team verunsichert und die Patientinnen sind meist extrem angstbesessen. Wie können wir dieser Zielgruppe helfen, sich behandeln zu lassen?

Sie berichten, dass Sie mit den meisten Patienten, die Angst vor einer Zahnbehandlung haben, gute Erfolge erzielen. Die Strategien, die Sie anbieten, beinhalten Ablenkungsalternativen, Vertrauen, Geduld und Optimismus. Dieses Repertoire an Herangehensweisen reicht aus Ihrer Sicht für die „normalen Angstpatienten“ aus. Ich wage an dieser Stelle die Hypothese aufzustellen, dass es unter diesen normalen Angstpatienten einen Großteil an Patientinnen gibt, die ebenfalls sexuelle Missbrauchserfahrung haben, diese jedoch nicht genannt haben.

Somit haben Sie auch schon vielen dieser Patientinnen mit Ihrem Angebot geholfen und verfügen über eine hohe Erfolgsquote. Sie schildern zwei Beobachtungen, die wir getrennt voneinander anschauen sollten. Als erstes nennen Sie eine Verunsicherung aufseiten des Teams. Als nächstes nennen Sie eine extreme Form von Angst aufseiten der Patientinnen.

Eigene Verunsicherung

Die Unsicherheit scheint in Ihrer Praxis dann aufzutreten, sobald Sie von der Vergangenheit wissen. Ich beobachte häufig, dass besonders bei diesem Thema der Fokus des Behandlungsteams weggeht von der Zahnbehandlung. Stattdessen wendet er sich hin zu der Vorstellung, dass die Patientin eine Traumatherapie auf dem Zahnbehandlungsstuhl erfahren sollte. Der Umgang mit dem Thema „sexueller Missbrauch“ ist sicherlich nicht einfach und sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Bezogen auf das Ziel einer entspannten Zahnbehandlung ist sexueller Missbrauch jedoch nicht anders einzuordnen als beispielsweise traumatisierende Kindheitserfahrungen beim Zahnarzt oder Horrorstorys über missglückte Zahnarztbesuche, die eine Zahnbehandlungsangst ausgelöst haben. In allen Fällen ist der Angstpatient durch Vorerfahrungen traumatisiert. Er oder sie braucht für eine erfolgreiche Behandlung Vertrauen, Akzeptanz, Sicherheit und Professionalität. Es ist dabei weniger wichtig, wodurch die Angst ausgelöst wurde. Für Ihr Team steht im Vordergrund, was sie gemeinsam tun können, um eine erfolgreiche Behandlung zu gewährleisten. Da sie ein eingespieltes Team sind, sollten Sie Ihren Fokus auf die Behandlungsschritte legen und weniger auf die Ursachen der Angst. Denken Sie daran: Sie behandeln einen Patienten mit Angst vor der Zahnbehandlung. Sie müssen und sollen keine Traumatherapie wegen sexuellen Missbrauchs durchführen. Sollte dies jetzt leichter gesagt als getan sein, können Sie immer noch einen Psychologen als Kooperationspartner hinzuziehen, was möglicherweise allen ein Stück Sicherheit vermittelt.

Extreme Form der Angst

Patientinnen mit dieser Vergangenheit haben oft große Probleme, sich der Situation Zahnbehandlung „auszuliefern“. Sie können dann nicht kommunizieren, können schlecht flüchten, müssen körperliche Nähe ertragen und möglicherweise Schmerzen aushalten. All diese Aspekte können eine starke Angst auslösen, die für die Patienten nicht zu regulieren ist. Dies kann bis hin zu Flashbacks führen, in denen die Patienten ehemalige Situationen noch einmal erleben. Auch hier ist es möglicherweise leichter gesagt als getan, doch die einzige richtige Reaktion ist, ständig Ruhe zu bewahren. Behandeln Sie diese Patientinnen genauso wie Ihre anderen. Ich bin mir sicher, dass Sie sich auch Ihren anderen Patientinnen nicht mehr als nötig körperlich nähern. Sicherlich sind Sie auch bei den anderen geduldig und kooperativ. Ablenkung durch Filme oder Musik können Sie hier genauso anbieten. Handzeichen zur sofortigen Pause haben Sie sicherlich auch schon in der Vergangenheit abgesprochen.

Einige Aspekte könnten Sie noch ergänzen, doch das gilt auch für alle Angstpatienten:

Führen Sie Ihre Patientinnen sprachlich immer ins Hier und Jetzt. Benutzen Sie jederzeit die Gegenwartsform („Ist das so in Ordnung für Sie?“ anstelle von „War das so in Ordnung für Sie?“).

Das Beherrschen von Entspannungstechniken könnte hilfreich sein, welche die Patienten vorab zu Hause üben sollten. Traumatisierte Patienten sollten solche Techniken vorzugsweise unter therapeutischer Anleitung erlernen, um Flashbacks vorzubeugen. Möglicherweise kennen Sie einen Spezialisten in Ihrer Nähe. Im entspannten Zustand können sich die Patienten dann an einen sicheren Ort oder Wohlfühlort begeben, an dem es ihnen gut geht und von wo aus sie auf all ihre Ressourcen Zugriff haben.

Es ist hilfreich, wenn die Patientin eine Vertrauensperson mitbringt. Das kann jemand aus der Familie sein, Freunde oder eine therapeutische Bezugsperson. Dann fühlt sie sich weniger alleingelassen und weiß, dass ihr im Notfall jemand zur Seite steht. Manchmal muss spontan auf einem normalen Stuhl behandelt werden anstelle vom professionellen Zahnarztstuhl. Kleine Hilfsmittel sind oft ein Lieblingsduft, ein Kuscheltier oder ein Handtuch zum „Dran-Festhalten“.

Der Umgang mit Patientinnen, die sexuell missbraucht wurden, ist sowohl für die Patienten als auch für das Team eine große Herausforderung. Stellen Sie die Vergangenheit möglichst in den Hintergrund und konzentrieren Sie sich auf eine entspannte Zahnbehandlung. Dann fällt viel Anspannung ab und Sie können professionell Ihrer Arbeit nachgehen.

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