Psychologie 12.03.2025
Burn-out: Die große Erschöpfung, die kein Urlaub regeln kann
Der Frühling steht vor der Tür und Sie sind „reif für die Insel“? Hilft die Vorfreude auf einen ausgiebigen Sommerurlaub, oder fehlt Ihnen bereits die Freude aufgrund von tiefer Erschöpfung? Burn-out-Gefährdung betrifft auch Zahnärztinnen und Zahnärzte, besonders als Führungskräfte. Beim Blick auf das Wohlbefinden ihrer Angestellten übersehen sie ihr eigenes Risiko und gehen unmerkbar immer weiter über ihre Grenzen. Der folgende Beitrag nimmt Studien zum Thema in den Blick und gibt präventive Handlungsempfehlungen für den (Arbeits-)Alltag von Zahnärztinnen und Zahnärzten sowie ihr Team.
Ein Artikel im Deutschen Ärzteblatt aus dem Jahr 2011 hatte es mit dem Titel „Modediagnose Burn-out“ auf den Punkt gebracht.1 Damals wie heute besteht das Problem in der Unschärfe der Definition und Diagnostik von Burn-out und die damit verbundene Skepsis. Es handelt sich auch immer noch nicht um eine anerkannte Erkrankung, sondern steht im ICD-10 unter den „verwandten Gesundheitsproblemen“ kodiert als Z73.0 „Ausgebranntsein: Burn-out, Zustand der totalen Erschöpfung“.2 Im ICD-11 wandert es zunehmend in die Arbeitsmedizin, denn hier findet sich Burn-out als Syndrom unter „Probleme in Verbindung mit Arbeit und Arbeitslosigkeit“ kodiert als QD85. Burn-out sei demnach ein Syndrom, das als Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz konzeptualisiert werde, der nicht erfolgreich bewältigt wurde.3 Ich frage mich, wer als gestandene Führungskraft, auch als Zahnärztin oder Zahnarzt, mit starker Verantwortungsbereitschaft und Engagement zugeben möchte, den alltäglichen Stress nicht erfolgreich bewältigen zu können.
Viele Daten schlagen Alarm
Burn-out ist mittlerweile kein Tabu mehr. Unternehmen haben das Thema bereits häufig in ihre Führungskräftetrainings aufgenommen. Auch im Gesundheitswesen wird zunehmend das Thema Stress und Burn-out ernst genommen. Schließlich spricht auch die wissenschaftliche Literatur für ein gravierendes Problem:
- In einer amerikanischen Übersichtsarbeit zeigte sich Burn-out bei etwa der Hälfte der Ärzteschaft,4 während der Marburger Bund in einer Studie 35 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte eruierte, die einschätzten, dass sie oft bis sehr oft Gefühle des Ausgebranntseins erlebt hätten.5 Im AOK Fehlzeiten-Report für 2021 waren die Fehlzeiten für Pflegefachkräfte im Zusammenhang mit Burn-out doppelt so hoch wie in anderen Berufsgruppen.6
- Für Zahnärztinnen und Zahnärzte kann die Burn-out-Prävalenz von circa 13 Prozent angegeben werden. In der zugrundeliegenden Metaanalyse zeigte sich jedoch auch, dass die Subskalen für emotionale Erschöpfung und Depersonalisierung mit 28 Prozent ausgeprägter war.7
- Sicherlich können auch noch die Ergebnisse der bereits 2012 veröffentlichten deutschen Daten orientierend herangezogen werden.8 Unter 1.231 teilnehmenden deutschen Zahnärztinnen und Zahnärzten beschrieben 61 Prozent ihre Arbeit als „überdurchschnittlich stressig“ und 44 Prozent gaben Depressionen an. In dieser Studie wurde für deutsche Zahnärztinnen und Zahnärzte eine Burn-out-Prävalenz von 13,6 Prozent und ein Burn-out-Risiko von 31,9 Prozent errechnet. Angesicht der deutliche höheren Zahlen bei Ärztinnen und Ärzten, erscheint der Anteil an Zahnärztinnen und Zahnärzten unterschätzt zu sein, wie die nachfolgende spanische Studie zeigt.
Besondere Risikogruppe Zahnärzte mit Führungsaufgaben
Eine 2022 veröffentlichte spanische Studie hat versucht, die soziodemografischen und arbeitsbedingten Faktoren für Zahnärztinnen und Zahnärzte bezogen auf eine Burn-out-Entwicklung zu eruieren.9 Diese zeigte jeweils signifikant häufiger eine emotionale Erschöpfung bei:
- Zahnärztinnen (64,4 versus 56,7 Prozent bei Zahnärzten),
- ländlich Arbeitenden (70,1 versus 59,9 Prozent bei städtisch Arbeitenden),
- Angestellten (65,6 versus 58,3 Prozent bei Praxisinhabenden) und
- alleine Arbeitenden (63,7 versus 59,9 Prozent für nie oder selten alleine Arbeitenden).
Diese Punkte können einen Hinweis auf Burn-out begünstigende Faktoren geben, allerdings sind die Zahlen über die gesamte Kohorte hoch.
Aus meiner Erfahrung sind die Faktoren multifaktoriell aus unserem Gesundheitssystem und den gegebenen Strukturen entstehend sowie individuell auf der Basis der Persönlichkeitsausprägungen. Wir haben den wirtschaftlichen Druck gepaart mit Fachkräftemangel, dadurch zu kurz angesetzten Zeiten pro Patient, weiterhin einen hohen Anspruch der im Gesundheitswesen Arbeitenden und die damit verbundene zunehmende Erschöpfung, die wiederum zu krankheitsbedingten Ausfällen und Fluktuation in Praxen und Kliniken führt. In einer Metaanalyse aus 170 Studien mit 239.246 Ärztinnen und Ärzten10 konnte z. B. eine Assoziation von Burn-out in dieser Berufsgruppe gefunden werden mit:
- der Zunahme von Arbeitsplatzwechsel-Intention (Odds Ratio 3.10),
- Produktivitätsabnahme (Odds Ratio 1.82) und
- einer Zunahme von Vorfällen im Bereich der Patientensicherheit (Odds Ratio 2.04).
In Unternehmen können bzw. sollten die Führungskräfte in erster Linie Führungsaufgaben wahrnehmen und sich zum großen Teil aus dem operativen Geschäft zurückziehen. Das geht bei Zahnärztinnen und Zahnärzten nicht. Hier werden die Führungsaufgaben „mal eben nebenbei“ erledigt.
That’s Burn-out!
Die amerikanische Professorin und Psychologin Christina Maslach definierte mit ihrer Forschungsgruppe folgende drei Aspekte des Burn-outs:11 Das Vorhandensein von emotionaler Erschöpfung (emotional exhaustion), Depersonalisierung (depersonalization) und Leistungsmangel/Verminderter Leistungsfähigkeit (lack of personal accomplishment). Die erkennbaren Anzeichen für diese Aspekte können unterschiedlich sein. Hier einige Beispiele:12
- Die zurückgehende Leistungsfähigkeit wird häufig durch längere Arbeitszeiten in der Praxis oder Klinik kompensiert. Teilweise wird versucht, noch zusätzlich am Wochenende offen gebliebene Aufgaben abzuschließen, wodurch es noch weniger zu Regenerationmöglichkeiten und weiterer Erschöpfung kommt.
- Häufige Krankmeldungen z. B. mit Symptomen wie Rückenschmerzen und Verspannungen, teilweise mit Spannungskopfschmerzen, aber auch Infektanfälligkeit können ein Hinweis auf einen Burn-out Prozess mit erhöhten Cortisol Spiegeln sein.
- Genauso kann eine Gewichtszunahme auf der Basis von vermehrter Cortisol Ausschüttung im Dauerstress erkannt werden. Jedoch können andere auch ungewollt Gewicht abnehmen, da sie im Burn-out-Autopiloten keine Zeit zum Essen finden.
- Der (vermehrte) Konsum von Suchtmitteln wie Nikotin und Alkohol ist ebenfalls ein nicht zu unterschätzender Hinweisgeber im Burn-out Prozess.
- Burn-out-Gefährdete können sich in ihrer Freudlosigkeit zunehmend von Kolleginnen und Kollegen zurückziehen, gemeinsame Pausen vermeiden oder Teambuilding-Treffen absagen. Oft bezieht sich dieses Zurückziehen auch auf die private Situation, sodass Betroffene nicht mehr von Wochenendaktivitäten sprechen.
- Selbstzweifel und mangelndes Selbstwertgefühl zeigen sich im Burn-out-Prozess vielleicht daran, dass die eigene gute Arbeit schlecht geredet wird oder zumindest eine übersteigerte selbstkritische Haltung ersichtlich wird.
- Ein fortgeschrittener Burn-out-Prozess versteckt sich manchmal auch hinter dem unbequemen Verhalten von Mitarbeitenden, die sich ständig ungerecht behandelt fühlen und Kritik viel stärker wahrnehmen als Anerkennung. Teilweise hat man das Gefühl, dass sie nur auf eine ungerechte Behandlung oder Kritik warten, was auch den Selbstverletzenden Aspekt eines Burn-out-Prozesses verdeutlicht.
- Besonders kritisch ist die Tatsache, dass Betroffene im Burn-out-Prozess reizbarer und schneller genervt sind als zuvor. Daraus entstehen häufig Lästereien und Schimpfen über andere, sowohl über Kolleginnen und Kollegen, als auch über Patientinnen und Patienten. Führungskräfte sollten daher offen für negative Rückmeldungen sein und gezielt auch einen eventuell bestehenden Burn-out-Prozess bei sich selbst oder im Team in Betracht ziehen.
Was tun?
Als erstes ist es wichtig, Resilienz als Prävention von Burn-out zur Chef(innen)sache zu machen. Dann empfehle ich drei Schritte:
- Sorgen Sie für eine gute eigene Resilienz: Jede Zahnärztin und jeder Zahnarzt dürfen erst einmal bei sich selbst anfangen. Denn ich kann andere nur gesund führen, wenn ich selbst gesund bin. Auch im Gesundheitswesen nimmt das Führungsverhalten von Vorgesetzten einen deutlichen Einfluss auf die Gesundheit von Mitarbeitenden.13 Ebenso im negativen Sinne, denn die Mitarbeitenden spüren unseren Druck.14 Es gibt hilfreiche (zahn)ärztliche Fortbildungen, um Resilienz aufzubauen (siehe www.instgag.com). Auch individuelles Coaching hilft, für sich selbst eine gelassenere Führungskompetenz zu erreichen.
- Schaffen Sie im Team ein Bewusstsein für Burn-out-Prävention: Oft hilft es dem Team, dass über die täglichen Herausforderungen gesprochen werden darf, sodass man sich nicht alleine mit den belastenden Empfindungen fühlt. Schließlich zeigen zahlreiche Studien für alle im Gesundheitswesen Arbeitenden eine Burn-out-Gefährdung (siehe oben). Nur wenn ein gemeinsames Bewusstsein dafür geschaffen wird, können Hinweise bei mir selbst oder auch bei anderen gesehen werden. Fragen Sie auch konstruktiv nach, was das Team benötigt, um sich resilienter aufzustellen. Manchmal sind es einfache strukturelle Maßnahmen, die zum Beispiel zu weniger Unterbrechungen führen oder einen reibungsloseren Patientenfluss ermöglichen. Hören Sie auf die Verbesserungsvorschläge Ihres Teams.
- Etablieren Sie Team-Resilienzbeauftragte: Wir haben verschiedene Verantwortlichkeiten in der Praxis oder Klinik wie zum Beispiel Hygienebeauftragte oder Qualitätsbeauftragte. Es sollte auch regulär Resilienzbeauftragte für das Team geben. Diese können gezielt ein Konzept für das Team erstellen, um Methoden, Tipps und vorteilhafte Verhaltensweisen im Team zu verankern. Meist werden Impulse auch viel besser aufgenommen, wenn sie direkt aus der Peer Group und nicht von der Chefin oder dem Chef kommen. Zum Beispiel können Sie eine oder zwei Praxiskräfte zu einer Peer-Group Resilienz Trainer/-in Ausbildung schicken (siehe www.instgag.com).
Weitere Infos zum Thema von der Autorin auf: www.instgag.com.
Autor: Prof. Dr. med. Sonja Güthoff, MBA
Dieser Artikel ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.