Psychologie 01.03.2011

Möglichkeiten des modernen Stress-Managements

Niedergelassene Zahnärzte können in einer Einzelpraxis, in einer Mehr-Zahnärzte-Praxis, in einer GKV- und PKV-Praxis sowie in einer Privatpraxis arbeiten. Bei allen Unterschieden in den Praxisformen gibt es doch viele Gemeinsamkeiten zum Thema Stress bei der Arbeit in der Zahnarztpraxis.


Viele Zahnärzte sind dem Druck von Patienten/Kunden, Mit­arbeitern, Praxispartnern und Ehepartnern ausgesetzt. Gestresste Patienten treffen manchmal auf gestresste Zahnärzte und Mitarbeiter. Schmerzen erhöhen zudem den Stress-level. Ähnlich wie im Operationssaal, arbeiten die Zahnärzte unter ständiger (kritischer) Beobachtung ihrer Mitarbeiter, die alles mitbekommen.

Situation der Zahnärzte in der Praxis


Druck

Hinzu kommt der sogenannte Innovationsdruck. Die zahnmedizinische Industrie sorgt dafür, dass ständig neue Materialien und Produkte entwickelt werden. Für einen Zahnarzt, der die modernsten Techniken anwenden möchte, ergibt sich dadurch ein stän­diger Fort­bildungs- und Weiterbildungszwang. Die meisten Zahnarztpraxen definieren sich im Wettbewerb und Marketing über das Benennen und Praktizieren von bestimmten Techniken und An­wenden von bestimmten Materialien. Wenn am Anfang die be­sonders innova­tionsfreudigen Zahnärzte zu den we­nigen Anbietern am Markt gehören, die eine neue Methode praktizieren, so kommt es durch die vielen Fortbildungen schließlich zu einer Egalisierung des früheren Alleinstellungsmerkmals.


Fremdsteuerung

Viele Zahnärzte fühlen sich durch ihre Patienten/Kunden, durch die KZV und gegebenenfalls durch Banken fremdgesteuert. Während der Zahnarzt im unteren Umsatzdrittel Stress durch Banken bekommt, hat der Zahnarzt im oberen Umsatzdrittel häufig zu viele Patienten und weiß derer nicht Herr
zu werden. Eine angemessene zahnmedizinische Versorgung von GKV-Patienten ist häu­-fig bei den heutigen KZV-Rahmenbedingungen kaum möglich. Im Endeffekt führt die Fremdsteuerung dazu, dass der Zahnarzt nicht das machen kann, was er eigentlich wirklich machen möchte.


Tendenz zur Überlastung

Egal, ob es die eigene Leistungsmotivation ist oder der Druck durch die Banken: Bei den niedergelassenen Zahnärzten besteht die ständige Tendenz zur körperlichen, mentalen und emotionalen Überlastung. Ob im oberen oder un­teren Umsatzdrittel beheimatet, viele Zahnärzte können sich nur schwer aus dem Hamsterrad der täglichen
vielstündigen  Leistungserbringung befreien. Insofern arbeiten viele von Ihnen ständig am Rande eines hoch konzentrierten Burn-out-Syndroms.


Fachliche Einsamkeit

Das schwierige Studium, die anschließende praktische Tätigkeit und die ständigen Fortbildungen führen dazu, dass die fachliche Qualifikation des hoch spezialisierten Zahnarztes immer größer wird. Der sogenannte Einzelkämpfer findet dabei häufig in seiner Praxis kaum jemanden, mit dem er auf gleicher Augenhöhe fachlich diskutieren kann. Aber auch in Mehr-ZahnarztPraxen arbeiten viele Kollegen zeitgleich nebeneinander her, ohne grö-
ßeren Kontakt miteinander zu haben. Aber gerade den fachlichen Austausch z.B. über komplizierte Fälle braucht man, um den zahnärztlichen Beruf mit seiner hohen Arbeitsbelastung als befriedigend zu empfinden.


Zahnmedizinische Probleme
Der Zahnarzt begegnet dem Stress in vielfältiger Form. Auf die gestressten Patienten und Mitarbeiter wurde bereits hingewiesen. Aber auch zahlreiche stressassoziierte (zahn-)medizinische Probleme kommen vor. Dazu gehören die kraniomandibuläre Dysfunktion, Bruxismus, schlafbezogene Atemstörungen, chronisch-entzündliche Darm-entzündungen bei Gingivitis etc.


Ursachen und Folgen dieser Situation

Druck

Ursachen für den Druck aus verschie-denen Richtungen sind häufig die fehlende Distanzierung zu dem Beruf und zu den Patienten, das Helfersyndrom, das „Nicht nein Sagen können“ und
ein Harmoniebedürfnis. Folgen des ständig vorhandenen und gefühlten Druckes sind eine Belastung des vegetativen Nervensystems im Sinne einer psycho-vegetativen Dysregulation mit Folgeerscheinungen (stressassoziierte Erkrankungen).
Wie oben beschrieben, haben die zahnmedizinischen Firmen ein erhöhtes Interesse daran, ständig neue Produkte und Materialien auf den Markt zu bringen. Bei dem Verhalten, ständig neue Methoden einzuführen, steckt ein bisschen auch die Angst dahinter, von an-deren im Wettbewerb überholt zu werden. Dabei bedeutet nicht jede Innovation auch einen wirklichen Fortschritt für den Patienten. Hinter der Angst, nicht mithalten zu können, besteht letztlich das Denkmuster „Nicht nein Sagen können“ und sich von der Meinung bzw. Bewertung anderer abhän-gig machen.


Fremdsteuerung

Die Fremdsteuerung beschneidet das ganz wichtige psycho-physische Grundbedürfnis nach Selbstbestimmung und Freiheit. Wie auch die Geschichte zeigt, lässt sich das Bedürfnis nach Freiheit nicht langfristig unterdrücken. Im Rahmen der Stressmedizin spricht man auch von einem Kontrollverlust. Dies führt zur Mobilisierung von im Un-
terbewusstsein verankerten Urängsten. Diese bedingen eine erhebliche psychische Instabilität. Folgen davon können sein Burnout-Syndrom, Depressionen und Angst im engeren Sinne.
Ein anhaltendes Gefühl der Fremdsteuerung erhöht die Wahrscheinlichkeit der Manifestation von bedeutsamen Herz-Kreislauf-Erkrankungen.


Tendenz zur Überbelastung

Das ständige hochtourige Arbeiten und das kontinuierliche Verkürzen der Erholungsphasen führt letztlich dazu, dass für die permanente Höchsleistung immer weniger Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Zahn-
arzt bewegt sich quasi im Hamsterrad, dessen Geschwindigkeit er nicht mehr bestimmen kann. Diese chronische Überlastung (Abb. 2) mit einer rapiden Verminderung der Ressourcen führt unweigerlich in ein Burn-out-Syndrom. Dieser Zustand der körperlichen, emotionalen und mentalen Erschöpfung ist sozusagen die letzte Möglichkeit des Körpers, sich dem Info- und Arbeitsstress zu entziehen.


Fachliche Einsamkeit

In unserem soziokulturellen Umfeld ist es weit verbrei-tet, dass man während des akademischen Studiums zu einem Einzelkämpfer erzogen wird. Das ständige Ringen auf höchstem fachlichen Niveau führt letztlich zur fachlichen Einsamkeit des Zahnarztes in seiner Praxis, da keiner der Mitarbeiter mit ihm noch in Augenhöhe diskutieren kann. Gerade aber ein soziales Netz von
Kollegen, die sich fachlich austauschen können, führt
zu einer gesteigerten Stressresistenz. In einem solchen sozialen Netz wird Oxytozin produziert. Dabei handelt es sich um das stärkste körpereigene Antistresshormon.


WDA-Modell

Im WDA-Modell der Stressentstehung und -folgen   (Abb. 3) stehen uns zur Wahrnehmung (W) der Umwelt sieben Sinneskanäle zur Verfügung. Über diese gelangen circa 40.000 Reize/Sek. Tag und Nacht in unser Gehirn. Beim Denken (D) führen negative Gedanken oder Gedanken-Kreisen/Grübeln zur wiederholten Auslösung der Stressreaktion. In neuronalen Netzwerken des Großhirns werden die Wahrnehmungen und Gedanken prozessiert und auf vorhandene Informationen überprüft, so wie beim Google-Suchlauf  – assoziatives Denken (A). Wahrgenommenes und Gedachtes wird bewertet und dann gespeichert. Danach werden verschiedene Hormoncocktails ausgeschüttet, die bestimmte Emotionen (E) zur Folge haben. Diese lösen dann verschiedene Körperreaktionen (KR) (Körpersprache, Sprache, eigentliche Stressreaktion als Kampf oder Flucht, Ver-halten) aus.


Lösungsmöglichkeiten

Wahrnehmungen

Im Stress- oder Burn-out-Modus ist die Wahrnehmung körpereigener Signale der Erschöpfung stark beeinträchtigt (sog. Tunnelblick). Das führt zur Fehleinschätzung der eigenen Potenziale und Ressourcen. In einem achtsamkeitsbasierten Wahrnehmungstraining kann man erlernen, Körpersignale wieder wahrzunehmen und richtig darauf zu reagieren.


Denkmuster

Die Denkmuster, die wie Software nach heutigem neu­robiologischen Verständnis arbeiten, beeinflussen das Denken, das Bewerten und zum Teil auch das Wahrnehmen. Diese Denkmuster hat man sich in den ersten fünf Lebensjah-ren aus der Umgebung quasi abgeguckt. Dabei sind Denkmuster, die das Über­leben ermöglichen und die Gesundheit fördern. Einige Denkmuster sind jedoch auch gesundheitsschädlich. Aus der Sprache heraus kann der Stresstherapeut die in der Tiefenstruktur liegen-den Denkmuster herausfiltern und dann
gegebenenfalls auf Wunsch des Be-trof­fenen im Rahmen eines mentalen Trainings (kognitive Umstrukturierung) verändern.


Umgang mit negativen Gefühlen

Negative Emotionen sind häufig die Folge von Stress. Diese negativen Emotionen lösen jedoch selber auch wieder Stress aus. Unsere vernunftbetonte und kritisch-strafende Erziehung hat aber dazu
geführt, dass die sogenannte Denk­maschine der Vernunft ständig gegen negative, unerwünschte Gefühle ankämpft. Dies erhöht den Stress nur
noch mehr.

Kommunikation   

Der Patient auf dem Zahnarztstuhl bekommt hautnah mit, wie das Verhältnis des Zahnarztes zu seinen Mitarbeitern und ggf. zu dem Zahntechniker sowie umgekehrt ist. Stimmungs- und Gefühlsschwankungen der beteiligten Personen erlebt der Patient aus nächs-
ter Nähe mit. Eine wertschätzende und achtsame Kommunikation der in der Zahnarztpraxis (Abb. 4) arbeitenden Personen miteinander hilft dabei, eine stressarme Zahnarztpraxis zu erreichen.
Therapeuten, die selber immer anderen Ratschläge geben, tun sich traditionell schwer damit, von anderen Ratschläge anzunehmen. Im Burn-out-Syndrom und in der Depression kann man sich leider selber nicht helfen. Man ist dann auf
externen Rat angewiesen.


Entspannungsverfahren

Chronische Belastungen und chronischer Stress führen evolutionsbedingt zu Verspannungen vor allem der pa­ravertebralen Muskulatur. Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelentspannung oder Körperreise/ Body Scan führen dazu, dass diese
Verspannungen direkt oder indirekt stark reduziert werden.


Ziele

Vor allen Dingen Zahnärzte, die sich fremdgesteuert wie im Hamsterrad vorkommen, können viele ihrer Wünsche und Ziele nicht realisieren. Dabei stimmen häufig die kognitiven Ziele des
Bewusstseins nicht mit den limbischen Zielen des Unterbewusstseins überein. Durch eine moderne neurobiologische Technik kann man erfahren, welche limbischen Ziele man wirklich hat. Durch eine Abgleichen der kognitiven und limbischen Ziele wird man in die Lage versetzt, die wirklich wichtigen Ziele auch zu erreichen.


„Doctor’s Selfe Care“

Therapeuten denken zuerst immer an das Wohl ihrer Patienten und nur sel-ten an das eigene. Eine der wichtigen Präventionsmaßnahmen vor wiederkehrendem chronischen Stress und Burn-out-Syndrom ist, nicht nur an die anderen, sondern, mithilfe eines sozia-len Netzes, auch häufiger an sich und sein Wohlbefinden zu denken.


Soziales Netz

Nachhaltigkeit bei der Vermeidung von chronischem Stress und Burn-out-Syndrom wird nur erreicht, wenn man ein intaktes soziales Netz hat. Dazu gehö-ren Menschen, die bei Rückfall in alte Denk- und Verhaltensmuster auch einmal Klartext reden. Ein intaktes sozia-les Netz führt dazu, dass das starke
Antistresshormon Oxytozin produ-ziert wird und die tägliche berufliche Belastung besser ausbalanciert werden kann (Abb. 2).


Marketing

Bei einer ganzheitlich verstandenen Zahnmedizin tritt der Stellenwert der Methoden und Materialien gegenüber anderen, sogenannten weichen Fak-
toren, wie z.B. Empathie und Stress­management, zurück. Der Besuch beim Zahnarzt ist bei vielen Patienten angstbesetzt. Zahnschmerzen erhöhen das Stressniveau. Eine neue Positionierung am Markt wäre z. B. durch das Schaffen einer stressarmen Zahnarztpraxis möglich.
Durch die oben geschilderten Maß­nahmen ist z.B. ein Vermögensaufbau/
Umsatzsteigerung durch Stressabbau möglich. Eine umsatzstarke Praxis wird in Zukunft eine stressarme sein. Die Zahnärzte werden in die Lage versetzt, endlich das zu machen, was sie immer schon machen wollten.

Anti-Stress-Schnupper-Seminare

Am Mittwoch, dem 18. Mai, und am 20. Juli 2011 sowie am Samstag, dem 15. Oktober 2011, wird in einem drei-
bis vierstündigen Schnupper-Semi­nar von FUNDAMENTAL das Thema Stressmanagement vermittelt. Viele Zahnärzte sind an diesen Seminaren interessiert, weil die Techniken in der Praxis sofort umsetzbar sind.

Autor: Prof. Dr. med. Ulrich J. Winter

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