Psychologie 01.03.2013
Stress ist ein Geschenk
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Stress als Geschenk anzusehen, ist eine ungewöhnliche Sichtweise. Vor allem dann, wenn sich dies speziell auf „negativen“ Stress wie Ärger, Druck, Zeitnot, Sorgen oder Überarbeitungsgefühle bezieht. Die meisten Menschen betrachten diesen Stress als etwas Unangenehmes, was vermieden werden muss. Dieser Artikel beschreibt Gründe für die neue Perspektive und zeigt auf, wie mit Stress besser umgegangen werden kann.
Stress ist ein Alltagsphänomen mit schlechtem Image. Dass Stress jedoch auch Grund zur Freude sein kann, lesen Sie hier anhand von fünf möglichen Geschenken. Prüfen Sie in Ihren nächsten Stresssituationen, ob Sie in ihnen das ein oder andere Geschenk finden können. Wenn Sie die These „Stress ist ein Geschenk“ für sich testen wollen, dann werden Sie nicht immer alle fünf möglichen Geschenke finden, eines jedoch immer. Um für die Suche nach dem Geschenk in Ihrem Stress einen klaren Kopf zu haben, sagen Sie zu sich selbst in der nächsten Stresssituation zuerst Stopp! und gönnen sich dann einige langsame Atemzüge. So sind Sie bestens auf das Finden der Geschenke vorbereitet.
Geschenk 1: Stress zeigt auf, dass wir uns in fremden Einflusszonen befinden
In jeder Stresssituation im Leben gibt es immer eine persönliche Einflusszone und eine persönliche Interessenszone. Stress wirkt hier wie ein 100 Prozent funktionierender Weckruf, denn unter Stress verwechseln wir oft Einfluss- und Interessenszone. Der gewagte Fahrstil des Vordermannes ist nicht unsere Einflusszone. Es ist bloß unsere Interessenszone, weil wir pünktlich und sicher ankommen wollen. Der unsichere Führungsstil des Chefs ist nicht unsere Einflusszone. Er ist bloß unsere Interessenszone, weil wir gern gelobt und gut informiert werden wollen.
Was ist zu tun, um das Geschenk anzunehmen?
Wenn Sie prüfen wollen, ob das Geschenk in Ihrer Stresssituation darin liegt, dass Sie Einfluss- und Interessenszone verwechseln, beantworten Sie sich diese zwei Fragen:
1. Bin ich gerade mit meiner Sichtweise außerhalb meiner Einflusszone?
2. Was ist jetzt meine Einflusszone?
Auf diese Weise erkennen Sie die Verwechslung und tun dann das, was Ihnen möglich ist.
Geschenk 2: Stress zeigt auf, dass uns eine eigene Angewohnheit nicht gut tut
Wenn wir auf die Welt kommen, ist unser Verstand wie ein leeres Wasserglas, welches im Laufe der Zeit automatisch gefüllt wird. Ab dem Moment unserer Geburt bekommen wir viele Informationen verabreicht, welche wir in den ersten Lebensjahren ungeprüft übernehmen müssen. Informationen über uns, die Welt und andere Menschen. Viele davon führen zu Gewohnheiten und Perspektiven, die uns ständig wiederkehrend in den Stress führen.
Solche Gewohnheiten sind beispielsweise
- sich zu viel vornehmen
- stets für andere da sein
- sich keine Zeit für sich selbst nehmen
- niemals nein sagen.
Diese oder ähnliche Gewohnheiten sind bei vielen Menschen zu beobachten, weil die meisten Menschen alles über Stress, Entspannung, Gelassenheit und Balance von Menschen gelernt haben, die nicht entspannt, nicht gelassen und auch nicht in Balance sind.
Was ist zu tun, um das Geschenk anzunehmen?
Um herauszufinden, welche Gewohnheiten Sie immer wieder in Stress führen, beobachten Sie sich einige Tage und erstellen jeweils abends eine Liste von stressvollen Situationen. Wenn Sie circa dreißig Beispielsituationen gesammelt haben, gruppieren Sie diese, indem Sie deren Gemeinsamkeiten suchen. Überlegen Sie sich dann, welche inneren Programme diese wiederkehrenden Situationen auslösen. Schreiben Sie diese auf und formulieren für jedes Programm
sein genaues Gegenteil.
Zum Beispiel:
- sich zu viel vornehmen – Ich nehme mir nicht zu viel vor.
- stets für andere da sein – Ich bin für mich da.
- sich keine Zeit für sich selbst nehmen – Ich nehme mir Zeit für mich.
- niemals nein sagen – Ich sage nein.
Beginnen Sie dann, diese neuen Programme bei vertrauten Personen auszuprobieren. So werden Sie feststellen, dass die Welt Ihnen trotz der neuen Programme nicht auf den Kopf fällt.
Geschenk 3: Stress zeigt auf, dass wir noch etwas lernen können, um glücklich zu sein
Eine mögliche Betrachtung von Glück besteht darin, dass es immer da ist, außer wir sehen es nicht. Ähnlich wie das Wasser den Fisch umgibt, umgibt uns Menschen das Gefühl von Glück. Unter Stress sind wir von diesem Glück abgeschnitten und haben keinen Zugang zu ihm. Diese Trennung begründet sich einfach darin, dass wir für Situationen, in denen wir Stress statt Glück empfinden, noch keinen passenden Schlüssel haben. Der Stress will uns sagen: „Um diese Situation jetzt und zukünftig entspannt und freudvoll zu bewältigen, musst Du vorher noch etwas lernen.“ Im Leben ist es sehr oft so, dass die stressauslösenden Situationen erstens wiederkehrend und zweitens nicht abwendbar sind. Denn egal mit wem Sie arbeiten oder zusammenleben, es wird zu Konflikten kommen. Egal wie gut Sie eine Aufgabe beherrschen, es kommt zu Fehlern. Sie werden so lange Stress empfinden bis Sie gelernt haben, mit Konflikten oder den eigenen Fehlern produktiv umzugehen. Eine Situation bleibt also so lange stressauslösend, bis Sie gelernt haben, sie zu bewältigen.
Wie ist dieses Geschenk anzunehmen und zu nutzen?
Stellen Sie sich die folgenden Fragen, um an Ihr Wissen zu gelangen, welches Ihnen eine leichte Bewältigung der Situation ermöglicht:
1. Wann war ich in einer ähnlichen Situation und habe sie überlebt?
2. Was habe ich getan, um die Situation damals zu bewältigen?
Die bewusste Übertreibung in der Frage nimmt die Schärfe aus der Situation, denn das Gehirn reagiert unter Stress oft so, als ob Lebensgefahr bestünde. Der Fokus der Frage bezieht sich auf die stets vorhandene innere Weisheit, deren Zugang durch Stress blockiert wird. Mit dieser Frage gelingt es, vorhandene Erfahrungen, Sichtweisen und Kompetenzen abzurufen und zu nutzen.
Geschenk 4: Stress zeigt auf, dass wir einen neuen Blickwinkel einnehmen müssen
Jeder Mensch sieht seine Stresssituation durch seine eigene Brille. Das, was den einen wütend macht und stark verärgert, nimmt der andere kaum wahr. Das Gefühl des Stresses weist darauf hin, dass es an der Zeit ist, eine andere Brille aufzusetzen. Denn die wahre Ursache für Stress ist nicht der Brief vom Finanzamt, sondern die Brille, durch die wir ihn betrachten. Der Brief an sich kann nichts, außer auf dem Tisch liegen.
Unsere Brillen wie beispielsweise
- die Steuern sind viel zu hoch
- wie soll ich das bezahlen
- andere arbeiten schwarz und ich werde ausgenutzt
sind die wahren Ursachen für unsere Stressgefühle. Wie kann ein Mensch sich ohne solche oder ähnliche Meinungen aufregen oder beunruhigt sein? Gar nicht, denn Stress beginnt und endet im eigenen Kopf. Dank einer neuen Perspektive auf dieselbe Situation gelingt es, sich in Einklang mit ihr zu begeben.
Wie ist der neue Blickwinkel einzunehmen? Auch hierbei helfen Ihnen zwei Fragen, die Sie sich beantworten können:
- Was ist das Gute an der Situation?
- Wofür kann ich jetzt in der Situation dankbar sein?
Die Antworten können beispielsweise im oben genannten Brief vom Finanzamt lauten:
- Das Gute ist, dass ich vier Wochen Zahlungsfrist habe.
- Das Gute ist, dass ich den Brief meinem Steuerberater zur Prüfung geben kann.
- Dankbar kann ich dafür sein, dass ich Geld verdient habe. Denn nur wer vorher verdient hat, zahlt Steuern.
- Dankbar kann ich dafür sein, dassich aufgrund der Steuern von Polizei und Feuerwehr beschützt werde.
Auf den ersten Blick sind das zwei sehr ungewöhnliche Fragen, doch helfen sie dabei, aus einer nicht zu verändernden Situation das Beste zu machen.
Geschenk 5: Stress zeigt auf, dass wir unsere Ziele aus den Augen verloren haben
Wer gestresst ist, denkt nicht an seine Ziele, sondern an ein scheinbar unüberwindbares Problem oder an im Wesentlichen Unwichtiges. Prüfen Sie das in Ihrer nächsten Stresssituation, indem Sie sich die Frage stellen, ob Sie gerade auf Ihre beflügelnden Ziele oder auf ein blockierendes Problem fokussiert sind. Unter Stress arbeitet der Verstand gegen uns, nicht für uns. In Stresssituationen kommt es daher eher zum Tunnelblick und weniger zur Lösungsorientierung. Wenn Sie sich beispielsweise über eine unfreundliche Bäckereifachverkäuferin aufregen, dann sind Sie auf Unwichtiges fokussiert, nicht
auf Wichtiges. Denn Sie brauchen in Wahrheit nicht die Freundlichkeit der Verkäuferin, sondern frische Brötchen.
Wie kann dieses Geschenk der aktiv gelassenen Zielorientierung angenommen werden?
Die Brücke zum Verständnis für das Geschenk besteht darin, sich selbst eine oder mehrere der folgenden drei Fragen zu beantworten:
1. Bin ich auf ein Problem oder auf mein Ziel fokussiert?
2. Was ist jetzt noch wichtig?
3. Worauf kann ich mich jetzt noch fokussieren?
Das Ergebnis können völlig neue Sichtweisen in ein und derselben Situation sein, zum Beispiel:
- mein Vordermann fährt wie … – Ich habe genug Zeit, um pünktlich zu sein.
- mein Kollege könnte sich mehr einsetzen – Ich wende mich meinen Prioritäten zu.
- die hätten mir freundlicher einen Termin geben können – Ich habe einen Termin.
Es geht nicht darum, ein Leben ohne Stress zu führen. Es macht daher keinen Sinn, gegen Stress zu sein und ihn negativ abwertend aus seinem Leben verbannen zu wollen. Erst wenn sich ein Mensch seinem Stress ehrlich interessiert zuwendet und das Wertvolle in ihm sucht, ist eine Lösung in Sicht. Es geht darum, mit aufkommendem Stress produktiv, gesund und gestalterisch umzugehen. Menschen, die ihrem Stress so begegnen, fühlen sich entspannter, lernen jeden Tag dazu, schöpfen ihre Möglichkeiten zu 100 Prozent aktiv aus und leben im Einklang mit dem, was im Leben passiert.