Recht 11.06.2015

Chirurgische Eingriffe – Aufklären, wie und wann?

Chirurgische Eingriffe – Aufklären, wie und wann?

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Jeder Zahnarzt sollte wissen, dass er seine Patienten persönlich aufzuklären hat. Doch was passiert, wenn der frühere Patient einen Schaden geltend macht und der Zahnarzt gerade in diesem Behandlungsfall nicht oder nur unzureichend aufgeklärt hat? Folge einer unzureichenden Aufklärung ist, dass der Zahnarzt für die Behandlung bzw. für die aufgrund dieser Behandlung entstandenen Schäden zivilrechtlich haftet, ohne dass ihm tatsächlich ein Behandlungsfehler unterlaufen sein muss. Mangels Aufklärung konnte der Patient nicht rechtfertigend in die Behandlung einwilligen, sodass der Eingriff eine nicht gerechtfertigte Körperverletzung darstellt.

Der richtige Zeitpunkt

Woher aber weiß der Zahnarzt, wann er wie aufklären muss? Durch die Aufklärung soll der Patient in die Lage versetzt werden, in Kenntnis der Notwendigkeit, des Grades der Dringlichkeit sowie der Tragweite der zahnärztlichen Behandlungsmaßnahme eine auch aus zahnärztlicher Sicht vernünftige Entscheidung zu treffen. Zugleich soll dem Patienten ermöglicht werden, die Nutzen und Risiken der zahnärztlichen Behandlung gegeneinander abzuwägen. Somit ist der Patient zunächst rechtzeitig aufzuklären. Die Aufklärung als Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung muss zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem der Patient noch im Vollbesitz seiner Erkenntnis- und Entscheidungsfähigkeit ist und somit durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahren kann (BGH, Urteil vom 17.03.1998, Az: VI ZR 74/97). Wann der Patient aufzuklären ist, wurde zwischenzeitlich auch in § 630e Abs. 2 Nr. 2 BGB gesetzlich normiert. Dies hat zur Folge, dass die Aufklärung vor der eigentlichen Behandlung zu erfolgen hat und dem Patienten eine Überlegungsfrist verbleibt, vorausgesetzt, die Dringlichkeit der Maßnahmen lässt dies zu. Der Patient sollte noch nicht auf den Eingriff medikamentös vorbereitet sein. Gerade bei chirurgischen Eingriffen sollte daher sicherheitshalber die Aufklärung einen Tag vor der Durchführung des Eingriffs erfolgen. Für sonstige zahnärztliche Behandlungen genügt in der Regel die Aufklärung am Tag des Eingriffs.

Diagnose, Verlauf und Risiko

Inhaltlich gehört gem. § 630 e BGB zur Aufklärung insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können. Somit hat immer eine Diagnoseaufklärung, Verlaufsaufklärung und Risikoaufklärung vor einem chirurgischen Eingriff zu erfolgen. Im Rahmen der Diagnoseaufklärung ist, wie der Name schon sagt, der Patient über Anlass und Dringlichkeit der Behandlung zu informieren. Die Verlaufserklärung erstreckt sich auf Art, Umfang und Durchführung des Eingriffs sowie die Information über sichere Behandlungsfolgen. Zum Beispiel muss auf das Entstehen einer Lücke im Gebiss nach Zahnextraktion und die gegebenenfalls daraus folgende Notwendigkeit einer prothetischen Versorgung hingewiesen werden. Dies wird besonders relevant, wenn die Möglichkeit einer weniger einschneidenden Behandlungsmaßnahme, wie die Wurzelspitzenresektion oder Ähnliches, zum möglichen Erhalt des Zahnes besteht. Besonders relevant ist die Risikoaufklärung. Umfang und Inhalt der Risikoaufklärung richten sich grundsätzlich nach der Art des Eingriffs. Hinsichtlich des Umfanges gilt die Faustformel: je dringlicher der Eingriff, desto geringer der Aufklärungsumfang. Handelt es sich hingegen um einen elektiven Eingriff, muss möglichst umfassend aufgeklärt werden. Vor dem Hintergrund dieser Faustformel trifft Zahnärzte ein hoher Aufklärungsaufwand, da es sich ganz überwiegend um planbare Eingriffe handelt. Daher sollte der Zahnarzt zur eigenen Sicherheit nicht nur über häufige Komplikationen informieren, sondern insbesondere auch über seltene und gegebenenfalls extrem seltene Risiken, sofern sie erhebliche Folgen für das Leben des  Patienten haben können.

Risiko-Typizität

Die Rechtsprechung geht davon aus, dass es nicht auf die Risikohäufigkeit, sondern auf die Typizität der Risiken ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2000, Az.: VI ZR 48/99). Was unter der Typizität der Risiken zu verstehen ist, wird beispielhaft anhand einer Entscheidung des Oberlandesgerichtes Koblenz vom 13.05.2004, Az.: 5 U 41/03 deutlich. In dem konkreten Fall wollte der Zahnarzt bei seinem Patienten einen Backenzahn erneuern. In Vorbereitung auf den Eingriff wurde dem Patienten ein Betäubungsmittel gespritzt, ohne dass eine Aufklärung über die Risiken einer Leitungsanästhesie vorgenommen wurde. Beim Einstich und der anschließenden Applikation des Betäubungsmittels kam es zu einer Beeinträchtigung des Nervus lingualis. In der Folgezeit stellten sich bei dem Patienten persistierende Beschwerden und Ausfälle im Bereich der Injektionsstelle und der rechten Zungenhälfte ein. Die durch den Einstich mit der Spritze erfolgte Schädigung des Nervus lingualis war dauerhaft. Der Patient erhob darauf Klage auf Schmerzensgeld mit der Begründung, dass er bei Aufklärung über dieses Risiko seine Einwilligung in die Injektion verweigert hätte. Das Oberlandesgericht Koblenz entschied, dass der Zahnarzt, auch wenn das Risiko einer dauerhaften Nervenschädigung beim Einsatz von Lokalanästhetika in der Mundhöhle sehr gering sei, den Patienten vor Behandlung hierüber hätte aufklären müssen. Zwar müsse nach Auffassung des Senats über extrem seltene Risiken, die regelhaft nicht zu einer dauerhaften Schädigung des Patienten führen, nicht aufgeklärt werden. Sind jedoch Dauerschäden möglich, ist es im Rahmen der stets notwendigen Risikoaufklärung erforderlich, den Patienten eben auch über extrem seltene Risiken zu informieren. Dies sei insbesondere immer dann unabdingbar, wenn diese Risiken bei ihrer Verwirklichung die Lebensführung schwer belasten, trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch und für den Laien überraschend seien. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht sei damit nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik, sondern vielmehr, ob das betreffende Risiko dem Eingriff immanent ist und bei der Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belaste. Das Gericht sah im vorliegenden Fall eine Aufklärung über diese äußerst seltene, jedoch schwerwiegende Komplikation als notwendig an und verurteilte den Zahnarzt zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 6.000,– Euro, da eine Schädigung oder gar die Durchtrennung des Nervus lingualis je nach Alter, Beruf und sozialer Stellung des Patienten die Lebensführung erheblich beeinträchtigen könne. Somit ist letztlich immer anhand des Einzelfalls zu bestimmen, in welchem Umfang und über welche Risiken bei dem konkreten Eingriff aufzuklären ist. Bei dieser Aufklärung muss aber nicht nur auf die Behandlung, sondern auch auf den jeweiligen Patienten Rücksicht genommen werden.

Kosmetische Eingriffe

Noch weiter geht die Aufklärungspflicht immer dann, wenn es sich um einen rein kosmetischen Eingriff handelt. Mit Urteil vom 30.05.2012 (Az.: I-3 U 205/10) entschied das OLG Hamm, dass vor der Behandlung mit dem Einsetzen von Veneers der behandelnde Zahnarzt über das mit den notwendigen Einschleifmaßnahmen verbundene Risiko einer chronischen Pulpitis (Entzündung des Zahnnervs) dann aufzuklären hat, wenn die Behandlung nicht nur aus medizinischen, sondern auch aus kosmetischen Gründen erfolgt. Auch in diesem Fall sah es das Gericht als notwendig an, über seltene Risiken jedenfalls dann aufzuklären, wenn diese bei ihrer Verwirklichung die Lebensführung schwer belasten und trotz ihrer Seltenheit spezifisch für den Eingriff sowie für den Laien überraschend seien. Da das Einsetzen der Veneers zudem einen überwiegend kosmetischen Charakter hatte, waren die Anforderungen an die Risikoaufklärung nochmals zu erhöhen. Bereits mit Urteil vom 6. November 1990 hat der Bundesgerichtshof deutlich gemacht, dass die Aufklärung bei nicht medizinisch indizierten Maßnahmen besonders sorgfältig und umfassend zu erfolgen habe. Im Bereich der kosmetischen Operationen ist eine schonungslose Risikoaufklärung zu verlangen. Da der Behandler auf das seltene Risiko einer Entzündung des Zahnnervs im Vorfeld der Behandlung nicht hingewiesen hatte, verpflichtete das OLG den beklagten Zahnarzt zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Fazit

Unabhängig vom Eingriff ist dem Zahnarzt zu empfehlen, den Patienten umfassend über mögliche Risiken eines Eingriffes aufzuklären. Hierbei sollte der Patient nicht nur über die typischen Komplikationen unterrichtet werden, sondern auch über spezielle Risiken des bevorstehenden Eingriffs. Neben der Aufklärung über die üblichen Risiken der anstehenden Operation hat ein Zahnarzt auch über extrem seltene Komplikationen aufzuklären, die dem Eingriff immanent sind und die Lebensführung des Patienten erheblich beeinträchtigen können.

Tipp

Eine umfassende Aufklärung sollte grundsätzlich auch umfassend dokumentiert werden, eventuell unter Angabe bei der Aufklärung anwesender Personen. Dies kann in einem möglichen Prozess den notwendigen Beweis, dass und in welchem Umfang aufgeklärt wurde, erheblich erleichtern.

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