Statements 23.05.2023

Mundpropaganda: Abschied ist nicht immer wie sterben…



Mundpropaganda: Abschied ist nicht immer wie sterben…

Foto: kues1 – stock.adobe.com

Viele Mitarbeiterinnen in den Praxen haben in den letzten Wochen und Monaten ihr Arbeitsverhältnis gekündigt, ich gehöre dazu. Nach 25,5 Jahren Praxiszugehörigkeit habe ich mir die Entscheidung wahrlich nicht leicht gemacht. Doch was sind die Beweggründe für die Fluktuation, die scheinbar in allen Praxen wie ein Virus um sich greift? Liegt es an den Mitarbeiterinnen oder ist es immer nur der „blöde“ Chef?

Bei den meisten von uns ist es wohl ein Mix aus angestauter Unzufriedenheit und Frust. Irgendwann läuft es nicht mehr rund und man hinterfragt, ob das alles noch so ist, wie man es sich zu Beginn vorgestellt hat. Stimmen die Arbeitsbedingungen noch mit dem überein, was man haben möchte? Sind mittlerweile andere Voraussetzungen, Wünsche, Hoffnungen vorhanden? Dazu lohnt es sich, den Anfang seines Berufslebens noch einmal genauer zu beleuchten:

Mit welchen Vorstellungen haben wir unsere Arbeit begonnen und warum haben wir genau diesen Beruf gewählt? Angefangen mit einer fundierten Ausbildung, quälenden Berufsschulbesuchen und einer anstrengenden Abschlussprüfung wurden wir Zahnmedizinische Fachangestellte, vor 2001 auch Zahnarzthelferin genannt. Leider ist dieser Fact zur korrekten Begrifflichkeit seitdem noch immer nicht in allen Köpfen angekommen. Bitte merken: Wir sind keine „Helferinnen“, es gibt nur noch Zahnmedizinische Fachangestellte oder die qualifizierten Mitarbeiterinnen! Mit dem Berufsabschluss in der Tasche haben viele bereits über eine Aufstiegsfortbildung nachgedacht und auch diese Hürde gemeistert – sei es als ZMV, ZMP, ZMF, DH oder AZP, FZP oder Betriebswirtin. Solch ein breit gefächertes Repertoire an Möglichkeiten gibt es in keinem anderen Berufszweig!

Aber es gibt auch viele Kolleginnen, die keine Aufstiegsfortbildung anstreben, die glücklich sind, in der Behandlungsassistenz mitzuwirken, Patienten zu betreuen, als Hygienebeauftragte fungieren oder das Qualitätsmanagement überwachen. In einem Team hat jeder seinen Platz. Alles wäre so einfach, wenn, ja wenn … 

Irgendwann ist der Wurm drin. Vielleicht fängt eine neue Kollegin an, die nicht so gut in das bestehende Team passt – meint man! Denn nicht immer bekommt „die Neue“ eine korrekte Chance für den Start. Wir sind eben Frauen und haben manchmal Befindlichkeitsstörungen, die man nicht begründen kann. In den wenigsten Teams gibt es regelmäßige Mitarbeitergespräche oder Teamsitzungen. Auch ist in vielen Praxen eine Willkommenskultur nicht mehr vorhanden. Neue Kolleginnen haben es daher oft schwer, sich im bestehenden Team zu etablieren und verlieren mit ihrem Mut auch schnell den Elan. Also meine Damen: Geduld mit den „Neuen“! Wir dürfen nicht außer Acht lassen, die Neuen müssen sich erst einleben und ankommen. Sie können nicht den täglichen Ablauf der Praxis an einem Tag erlernen.

So eine Situation bedeutet oft schon eine kleine Eintrübung des eigenen Arbeitslebens. Wird die neue Kollegin dann vom Praxisinhaber übermäßig hofiert, knabbert das sehr am eigenen Selbstwertgefühl – erste Zweifel keimen auf. Wenn der Chef im nächsten Schritt die anderen Kolleginnen lobt, man selbst aber vergessen wird, knabbert man noch mehr. Und schon setzt sich eine Schraube der Unzufriedenheit in Bewegung. Die zweite schwarze Wolke am Arbeitshimmel nennt sich Wertschätzung! Ich habe manchmal das Gefühl, Arbeitgeber empfinden ihre Mitarbeiterinnen als gegeben dar. Nein, wir fallen nicht vom Himmel, wir haben uns irgendwann einmal beworben und wurden eingestellt. Die Praxis wird zu unserer Praxis, es sind unsere Patienten und wir hegen und pflegen alle Instrumente sowie Materialien. Nur irgendwann wird für die Praxis unsere Arbeit zu selbstverständlich und dem Arbeitgeber fällt nicht mehr auf, dass alles rund läuft. Kein Wort des Dankes für eine reibungslos verlaufende Woche, kein Lob. Mit der Zeit verfällt man vermehrt ins Grübeln. Und so schaukeln sich die kleinsten Dinge im Arbeitsleben allmählich hoch.

Dritter Punkt: Entlohnung – einer der Gründe, um die Flinte in Korn zu schmeißen. Die Frage nach einer Lohnerhöhung, weil natürlich auch bei uns die Lebensmittel teurer werden und die Energiekosten gestiegen sind, wird meistens verneint – ohne Begründung wird man abgebügelt. Dem Ganzen wird die Krone aufgesetzt, wenn man erfährt, was die anderen Kolleginnen verdienen und welche Zusatzleistungen sie bekommen. Und so grübeln wir abends weiter und die Spirale dreht sich langsam, aber stetig nach oben. 

Der vierte Aspekt ist der fehlende Respekt uns gegenüber. Nach vielen Jahren Praxiszugehörigkeit meinen viele Praxisinhaber, wir wären Eigentum der Praxis, eine Selbstverständlichkeit, Inventar. Und so geht im Laufe der Jahre ganz viel Respekt verloren. Das ist der Punkt, wo man innerlich kündigt.

Bei mir hat dieser Prozess fünf Monate gedauert, ausgelöst durch mein 25-jähriges Praxisjubiläum, zu dem es keine Gratulation, keine Blumen, kein Nichts vom Praxisinhaber gab. Man hinterfragt sich selbst, seine Arbeit, sein eigenes Verhalten, sein Einbringen in die Praxis – das war sehr ernüchternd für mich. Ich habe lange überlegt, welchen Weg ich für mich einschlagen soll. Da ich selbst schon der reiferen Jugend angehöre, hatte ich auch Ängste um Jobsuche, welche Aufgaben kann ich übernehmen und machen. Doch plötzlich ging alles schnell, ich hatte Anfragen über Anfragen und ich habe mir mein „Bonbon“ rausgesucht. Dem neuen Praxisinhaber habe ich meine Konditionen mitgeteilt – alles gar kein Problem. Meine Arbeitszeiten waren wie ein Wunschkonzert, zusätzliche Sonderleistungen kein Hindernis.

Gekündigt habe ich am 14. Februar – Valentinstag, mein Ex-Chef wird es bestimmt niemals vergessen. Aber mit der Übergabe des Kündigungsschreibens setzte bei ihm sofort völliges Vergessen ein, gepaart mit völliger Ahnungslosigkeit und der Bemerkung, nach 25 Jahren kündige man nicht mehr. Doch, macht man! Und was soll ich euch sagen? Ich fühlte mich danach befreit und würde es immer wieder machen. In diesem Sinne: Lasst euch nicht erzählen, ihr wärt nichts wert, ihr seid mehr als nur Wert, ihr seid Rohdiamanten! Ich wünsche allen, die mit dem Gedanken spielen die Praxis zu wechseln, überlegt es euch gut und führt vielleicht noch ein Gespräch, doch wenn es nicht fruchtet – ab in die neue Praxis! Ich freue mich auf meine neuen Aufgaben. Es gibt viel zu tun, lasst es uns rocken!

Eure Sylvia Gabel

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