Oralchirurgie 10.11.2011

Intraligamentäre Anästhesie bei anatomisch eng begrenzten dentoalveolären Eingriffen



Intraligamentäre Anästhesie bei anatomisch eng begrenzten dentoalveolären Eingriffen

Über Jahrhunderte hinweg war es der Wunschtraum aller Ärzte und Zahnärzte, den operativen Schmerz ausschalten zu können. Bei aller Würdigung der modernen Allgemein­narkoseverfahren ist die gezielte Applikation von Lokalanästhetika ein integrierter Bestandteil der chirurgischen Behandlung. In der zahnärztlichen Allgemeinpraxis wird ihr der Vorzug gegeben.

Neben der sehr oft angewandten Infiltrations- und Leitungsanästhesie sind seit ca. 1980 viele Untersuchungen zur intraligamentären Anästhesie durchgeführt worden (Boitel 1980, Castagnola et al. 1980, Harnisch 1980, Kimmel 1981, 1984).

Unter der intraligamentären Anästhesie versteht man die Anästhesie von Zähnen durch Injektion eines Lokalanästhetikums direkt in den Desmodontalspalt. Die Bezeichnung „Intraligamentäre Anästhesie“ ist insoweit nicht ganz korrekt, als eine Injektion in das Ligament nicht direkt erfolgt. Sie wird jedoch von den meisten Autoren für diese Art der Anästhesie verwendet. Besser wäre die Bezeichnung „Intradesmodontale Anästhesie“. Die Besonderheit dieser Anästhesiemethode ist darin begründet, dass ein Lokalanästhetikum unter einem weit höheren Druck als mit herkömmlichen Injektionsspritzen möglich ist, in den Desmodontalspalt injiziert wird, als wir es von der üblichen Lokal- oder Leitungsanästhesie her kennen. Wird ein Lokalanästhetikum unter einem ausreichend hohen Druck von 90–120 Newton appliziert, so verteilt sich die Injektionsflüssigkeit nur zu einem geringen Teil entlang des 0,2mm schmalen Spaltraumes, während der größere Teil der injizierten Flüssigkeit wegen des hohen Druckes den Desmodontalspalt verlässt und durch die Poren und Öffnungen der Lamina cribriformis in die intraossären Hohlräume des Alveolarknochens dringt (Frenkel et al. 1989). Die intraligamentäre Anästhesie ist somit letztlich eine intraossäre Anästhesie, wie die ­schematische Darstellung in Abbildung 1 zeigen soll.

Wegen der geringen Menge an Lokalanästhetikum kommt es zu einem sehr schnellen Abtransport desselben und man findet eine Wirkungsdauer von etwa 30 bis 45 Minuten. Die Wirkung der intraligamentären Anästhesie erstreckt sich sowohl auf die Pulpa als auch auf das Desmodont des betreffenden Zahnes und erlaubt die schmerzfreie Durchführung aller präparatorischen und endodontischen Maßnahmen, aber auch einfachen oralchirurgischen Eingriffen. Hier spielt vor allem die Zahnentfernung von parodontal vorgeschädigten Zähnen, Entfernung von Milchzähnen oder oberflächlichen Wurzelresten und die Extraktion von Unterkieferseitenzähnen, um die für den Patienten risikobehaftete Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior zu vermeiden, eine Rolle.

Spritzensysteme

In der Praxis werden Spritzensysteme verschiedener Hersteller und Bauweise angewendet. Am bekanntesten sind die Füllfederhalterform, die Dosierradvariante und die Pistolenform. Nach der Testung verschiedener handelsüblicher Spritzensysteme habe ich mich in meiner Praxis für die Pistolenform entschieden. Das unter dem Handelsnamen „Ultraject“ von der Firma Sanofi-Aventis Deutschland GmbH angebotene Spritzensystem verfügt über eine Druckbegrenzung auf 100 Newton, wodurch artifizielle Gewebeschädigungen weitestgehend ausgeschlossen werden können. Auch die von Kollegen, welche die sogenannte Füllferderhaltervariante nutzen, oft bemängelten Zylinderampullenbrüche sind in meiner Praxis bei der Anwendung dieses Injektionsgerätes noch nie aufgetreten.

Zudem lässt sich diese Modellvariante sehr gut und sicher führen und durch den relativ langen Hebel zum Betätigen des Druckmechanismus hat der Behandler eine gute Möglichkeit, die Anästhesiemenge, welche appliziert werden soll, einzuschätzen und zu kontrollieren. Eine zusätzliche Hilfe ist dadurch gegeben, dass durch die einmalige Betätigung des Auslösehebels ca. 0,2ml Anästhesielösung injiziert werden. Somit ist die Applikation des Lokalanästhetikums individuell steuerbar und die Feindosierung in 0,2-ml-Schüben klinisch von Vorteil.

Technik der Injektion

Zur Injektion wird die Kanülenspitze unter Zahnkontakt im Winkel von 10–30° schräg in den gingivalen Sulkus bis zu einem spürbaren Widerstand eingeführt. Bei Injektionen im Unterkieferseitenzahnbereich empfiehlt es sich, die Kanüle am Ansatz etwas abzubiegen, um einen günstigen Einstichwinkel zu ermöglichen. Dazu nutzt man die innenseitig sterile Kanülenschutzhülle (Abb. 2). Die Injektion selbst sollte langsam über einen Zeitraum von ca. 20–60 Sekunden erfolgen. Dadurch wird einerseits ein übermäßig hoher Injektionsdruck vermieden und andererseits kann es bei forcierter Injektion zu einem großen Verlust des Lokalanästhetikums entlang der Kanüle aus dem gingivalen Sulkus erfolgen. Im schlechtesten Falle wäre dann die Anästhesiewirkung ungenügend. Als Erfahrung empfiehlt es sich, pro Zahn mindestens zwei Injektionen mesial und distal zu je 0,2ml vorzunehmen. Für Zahnentfernungen im Seitenzahnbereich sind in der Regel vier Injektionen zirkulär ­erforderlich, um eine ausreichende Anästhesietiefe ­herbeizuführen (Frenkel et al. 1989).

Gerade die intraossäre Anreicherung des Lokalanästhetikums im Bereich des Prozessus alveolaris macht es möglich, diese Anästhesieform auch für kleinere oralchirurgische Eingriffe, wie die heute oft praktizierte Socket-Preservation-Technik oder kleine Lappenoperationen zur plastischen Deckung von Alveolen nach Zahnentfernung mit dem Ziel eines möglichst gut erhaltenen Kieferkammes zu nutzen. Auch notwendige Gingivaexzisionen oder Weisheitszahnfreilegungen lassen sich so behandeln. In den nachfolgenden Fallbeispielen sollen hierzu einige Anregungen gegeben werden. In der allgemeinen, aber chirurgisch orientierten Zahnarztpraxis kommt es nicht selten vor, dass neben der prothetischen Versorgung eine kombinierte chirurgische Mitbehandlung von Nachbarzähnen erfolgen muss. Im Fallbeispiel, welches in Abbildungen 3 bis 6 dargestellt ist, wurde neben der Fertigstellung und Eingliederung von IPS Empress-Teilkronen für die Zähne 36 und 37 auch eine Freilegung des gering verlagerten und teilretinierten Zahnes 38 durchgeführt. Da der Eingriff auf die Gingiva begrenzt war und mit einem Hochfrequenz-Chirurgie-Gerät durchgeführt wurde, war keine Leitungsanästhesie für den N. alveolaris inferior notwendig. Viele einfache Zahnentfernungen sind, wie das Fallbeispiel in den Abbildungen 7 und 8 zeigt, minimalinvasiv und damit problemlos für den Patienten möglich. Infolge der sehr feinen Kanülen und des Applikationsweges verursacht die intraligamentäre Anästhesie nur selten Einstichschmerzen. Bei extrem schmerzempfindlichen oder ängstlichen Patienten empfiehlt sich zusätzlich ein Oberflächenanästhetikum. Hierfür verwende ich ca. 1 bis 2 Minuten vor dem Einstich Gingicain D, was sich punktgenau und damit lokal begrenzt applizieren lässt.

Aber nicht nur der Kanülendurchmesser von 0,3mm ist wichtig, sondern auch die Länge. Als Ergebnis meiner über 20 Jahre langen praktischen Erfahrung auf diesem Gebiet favorisiere ich nicht die 25mm, sondern die 10mm langen Präzisionskanülen, welche unter der Bezeichnung G30 extrakurz im Dentalhandel erhältlich sind. Mit dieser Länge lässt sich die Kanüle ohne Richtungsabweichung oder Verbiegung sicher in den Desmodontalspalt einführen. Ein weiterer Patientenfall ist in den Abbildungen 9 bis 12 beschrieben. Zunächst erfolgt die intraligamentäre Anästhesie an den teils subgingival frakturierten und ehemals wurzelkanalbehandelten Frontzahnresten (Abb. 9 und 10). Trotz der ankylotischen Verbindung der tieffrakturierten Radizes reicht diese Anästhesiemethode aus, um eine schonende Osteotomie mit einem Piezochirurgiegerät durchführen zu können. In den Abbildungen 11 und 12 ist diese Variante zur Darstellung, Freilegung und nachfolgenden Entfernung der Zahnwurzeln fotografisch festgehalten. Obwohl eine Nachinjektion immer möglich ist, wird vorausgesetzt, dass diese Methode nur für wirklich kurzzeitige und für einen relativ eng begrenzten anatomischen Bereich zu empfehlen ist. Um eine Ischämie oder relative Blutleere im Operationsgebiet zu erhalten, verwende ich immer ein Anästhetikum mit vasokonstriktorischem Zusatz, in diesem Fall Ultracain D-S forte, was Adrenalinhydrochlorid zu Articainhydrochlorid von 1:100 000 entspricht.

Hygieneregime

Nicht zuletzt soll noch auf allgemeine Hygieneanforderungen in der zahnärztlichen Praxis eingegangen werden. Durch die Möglichkeit mehrere Zylinderampullenhalter als optionales Zubehör zum Ultraject-Injektionsapparat bereitzuhalten, kann die gesetzlich vorgeschriebene Desinfektion und Sterilisation lege artis erfolgen.

Schlussfolgerungen

Der intraligamentären Anästhesie muss neben den konventionellen Methoden der Lokalanästhesie Beachtung geschenkt werden (Glockmann und Taubenhaim 2011). Die erwünschte anästhetische Wirkung beginnt praktisch ohne Latenzzeit, schon wenige Sekunden post injektionem und kann je nach applizierter Menge und patientenindividuellen Parametern bis über 60 Minuten anhalten (Kaufman et al. 1984). Bei zeitlich ausgedehnten und großflächigen dentoalveolären operativen Eingriffen sollte jedoch eine andere Anästhesiemethode gewählt werden. Obwohl die Anästhesie auf den be­troffenen Zahn und dessen umgebenen Strukturen ­begrenzt ist, können kleine oralchirurgische Eingriffe durchgeführt werden, welche von kurzer Dauer sind. Eine Nachinjektion ist problemlos möglich.

Literatur erhalten Sie beim Verfasser.

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