Psychologie 08.08.2011

Neurotisch verärgerte Angst



Neurotisch verärgerte Angst

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An dieser Stelle können unsere Leser der langjährigen ZWP-Autorin Dr. Lea Höfel Fragen im Bereich Psychologie in Bezug auf Patienten, das Team und sich selbst stellen. Die Fragen und Antworten finden Sie dann redaktionell aufbereitet hier wieder. In dieser Ausgabe der ZWP geht es um die Frage, wie das Praxisteam am besten mit einem neurotischen und nörgligen Patienten umgeht. Dr. Lea Höfel antwortet.


Anfrage: Wir haben einen Patienten, der aufgrund von starker Parodontitis regelmäßig in die Praxis kommt. Besonders mein Team fürchtet diesen Tag, da sich der Mann über alles ärgert. Im Empfangsbereich sind wir nicht freundlich genug, die Wartezeit ist zu lang, die Zeitschriften langweilig, der Boden nicht sauber genug, die Behandlung nicht schnell genug. Die Sätze fangen alle zwei Minuten mit „Ich ärgere mich, dass …“ an. Wir geben uns große Mühe, auf seine Wünsche einzugehen, was aber nichts bringt. Während der Behandlung fällt mir auf, dass er wirklich Angst hat. Außerdem erinnert er mich an Detektiv Monk im Fernsehen, der sehr neurotisch ist. Wie sollten wir mit ihm umgehen, sodass es ihm und uns gut dabei geht? 

Sie beschreiben einen Patienten, der mit seinem Verhalten die Geduld und Freundlichkeit des gesamten Teams stark herausfordert. Sie scheinen ihn schon gut beobachtet zu haben und ziehen die Schlüsse, dass er Angst hat und neurotische Züge zeigt. Das ist bestimmt richtig und passt zu den Verhaltensweisen, die Sie beschreiben. Bei der Frage, wie es ihm und Ihnen gut geht, sollten wir bei Ihnen und dem Team anfangen, da die Praxis die Grundlage für ein entspanntes Miteinander liefern muss.



Praxis als Wunscherfüller? 

Das Team sieht dem Patienten verständlicherweise mit gemischten Gefühlen entgegen. Der Patient beschwert sich über viele Dinge, obwohl sich alle Mitarbeiter bemühen, ihn zufriedenzustellen. Die Frage, die Sie sich hier stellen sollten, ist die, ob Sie ihm überhaupt im Rahmen Ihrer Möglichkeiten alle Wünsche in den extremen Ausprägungen erfüllen können und müssen. Sobald Sie an dieser Stelle mit Ihrem Team zu der Erkenntnis kommen, dass das höchstwahrscheinlich nicht möglich ist, können Sie dem Patienten gelassener entgegensehen.  


Tücken und Chancen der Formulierung „Ärger“ 

Die Furcht vor ihm entsteht aus der Überzeugung heraus, ihn zufriedenstellen zu müssen. Seine Kritik nagt am Selbstbewusstsein der Mitarbeiter, die sich seine Beschwerden anhören. Seine Formulierung, dass „er sich ärgert“, erlaubt wenig Argumentationsspielraum, da Sie schlecht über seine Gefühle diskutieren können. Würde er beispielsweise sagen „Sie sind unfreundlich“ oder „Der Boden ist schmutzig“, könnten Sie sich objektiv darüber austauschen. Die geschickte Äußerung allerdings, dass es ihn ärgert, setzt den Ärger in den Mittelpunkt. Er verlangt von Ihnen, dass Sie etwas tun, damit er sich nicht mehr ärgern muss. Für Sie und Ihr Team ist dies zugleich eine Chance, das Verhalten und die Beschwerden des Patienten von sich wegzuhalten. Es geht dem Patienten um seinen Ärger, für den Sie als Team nicht verantwortlich sind – zumindest dann nicht, wenn Sie, wie in Ihrer Frage formuliert, auf seine Wünsche eingehen.


Angst als Ursache 

Zusätzlich beschreiben Sie, dass der Patient Angst vor der Behandlung hat. Dieses Wissen hilft Ihnen wiederum, sein Verhalten gelassener zu betrachten. Im Griff der Angst legen Menschen gelegentlich merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag, die wir aus unserer Sicht heraus nicht nachvollziehen können. Er hat Angst und fühlt sich verunsichert. Seine Methode, damit umzugehen, zeigt sich darin, dass er alles kontrollieren möchte. Sein Ärger bezieht sich daher nicht primär auf das Wartezimmer oder die Zeitschriften, sondern auf sein gefühltes Unvermögen, die Angst zu reduzieren. Ob er nun wirklich neurotisch ist oder nicht, sei dahingestellt. Auf jeden Fall reagiert er neurotisch, wenn er beim Zahnarzt ist. Es liegt also auch aus diesem Blickwinkel heraus betrachtet nicht an der Praxis, dass er sich ärgert – es ist seine Angst.


Entspannter Umgang 

Aus dieser Perspektive heraus müsste es allen Praxismitarbeitern leichterfallen, den Ärger des Patienten bei ihm zu belassen, ohne die Anschuldigungen persönlich zu nehmen. Fokussieren Sie sich stärker darauf, seine Ängste zu minimieren und weniger darauf, seine neurotisch gefärbten Wünsche zu erfüllen. Gehen Sie gelassen mit ihm um, organisieren Sie kurze Wartezeiten, sorgen Sie für einen ruhigen und gewohnten Arbeitsablauf. Gerade wenn der Patient häufiger kommen muss, besprechen Sie mit ihm, wie er sich eine entspannte Behandlung vorstellt. Nutzen Sie dabei angenehme und lösungsorientierte Worte wie „entspannt“, „ruhig“, „zufrieden“, „ausgeglichen“ oder „gelassen“. Diese beinhalten zugleich das Gegenteil von Angst, aber auch von Ärger. Betrachten Sie insgesamt das Verhalten Ihres Patienten aus einer Distanz heraus, die es Ihnen erlaubt, seine Verhaltensweisen als Folge der Angst zu betrachten. Sie können seine Ängste in Bezug auf die Zahnbehandlung verringern und ihm damit gleichzeitig einen Weg aus seiner verärgerten und verunsicherten Welt anbieten.

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