Branchenmeldungen 17.02.2014

„Freie Praxis“ in Nepals Südosten

„Freie Praxis“ in Nepals Südosten

Foto: © Dr. Edgar Lauser

Ein Erfahrungsbericht von Dr. Edgar Lauser

Wie kam ich dazu? Bei einer Kreisversammlung in Mosbach suchte Kollege Emmo Martin Mitstreiter für sein Hilfsprojekt, das er seit 1999 aufgebaut hatte. Ich ließ mich begeistern, ihn für drei Wochen zu unterstützen. Am Flughafen in Kathmandu holte uns eine Mitarbeiterin der Organisation „Women's Foundation“ ab. Unsere Koffer, überwiegend mit Instrumenten, Material und Geräten bestückt, wogen jeweils 30 kg. Dazu kam je ein Rucksack mit Persönlichem sowie Umhängetasche und Fotoausrüstung. Das brachte uns im Februar bei 25 Grad ins Schwitzen. Bei der Taxifahrt kamen wir auf einer teils ungeteerten Abkürzung am heiligen Bezirk Pashupati vorbei, wo die Toten am Fluss verbrannt werden.

In ihrem Hause empfing uns die Präsidentin der Organisation ganz herzlich bei einer Zeremonie und legte uns Kränze aus leuchtend orangenen Tagetes um. Als langjähriger Freund wird Kollege Martin „Emmo Dai“ genannt, d.h. älterer Bruder. Gemeinsam machten wir es uns in einem Zimmer mit zwei Betten bequem, die eine „Einzonenholzkernmatratze“ hatten.

Die Metallkiste, in der Kollege Martin seine Schätze aufbewahrte, wurde leider im Zuge von Umbaumaßnahmen in eine Ecke auf der Dachterrasse gestellt und war am Boden voll Wasser. So waren erst einmal Lufttrocknung, Reinigung und Aussortieren angesagt. Wir sterilisierten die Instrumente im Dampfkochtopf, in den Emmo ein Manometer einbaute. Bei unserem ersten Versuch ließen wir den Druck durch ein Gewicht auf dem Ventil zu stark ansteigen, sodass das Sicherheitsventil ordentlich Dampf abließ. Beim Einkauf von Ersatz besorgten wir uns noch eine SIM-Karte und telefonierten aus einer Vermittlungszelle über Festnetz für umgerechnet 2 Cent pro Minute mit zu Hause. Wir bereiteten, zusammen mit einem hochlehnigen Klappstuhl, unsere Koffer für den Einsatz in der Provinz Jhapa vor, in der östlichen Tiefebene an der Grenze zu Indien, von Women's Foundation organisiert. Mitarbeiterin Sarada besorgte die Tickets und verhandelte beim Einchecken, sodass wir kein Übergewicht bezahlen mussten. Nach knapp einstündigem Flug mit Blick auf die östliche Himalaya-Region holte uns Tulsa, Präsidentin der Rural Concern Group, in Bhadrapur ab. In etwa einer Stunde gelangten wir auf teilweise ungeteerten Straßen bei gewöhnungsbedürftigem Linksverkehr in den Ort Chapati, wo wir im Gebäude einer Kindertagesstätte unseren Behandlungsraum einrichteten. Dann fuhren wir zum Haus von Tulsa und bezogen unser Zimmer mit Moskitonetzen über den Betten. Von hier marschierten wir täglich etwa um 8 Uhr in 20 Minuten zu unserem Einsatzort.

Die Präsidentin hatte anscheinend kräftig Werbung gemacht. Bei unserem Eintreffen warteten bereits einige Patienten. Eine der Hilfskräfte hatte alle in einem Buch eingetragen und Nummernzettel verteilt. Außerdem unterstützten uns ein Collegeschüler als Dolmetscher sowie eine weitere Hilfskraft. Bis 18 Uhr behandelten wir an die 30 Patienten überwiegend chirurgisch. Füllungen waren nur etwa 4 Stunden täglich möglich, wenn der Strom nicht abgeschaltet war. Das war freie Praxis pur: Ohne Bürokratie, Gebührenordnung, Hygieneverordnung, Richtlinien und Verträge, aber auch ohne Behandlungseinheit und kompetente Assistenz. Am Tagesende durften wir selbst reinigen und sterilisieren. Unsere LED-Taschenlampen zur Ausleuchtung der Münder begleiteten uns gegen 19 Uhr auf dem Heimweg.

Wir wurden gut und gesund verpflegt mit Reis, Gemüse, Eiern, Joghurt sowie Wasser und Milchtee als Getränk. Das hielt uns für die nächsten Tage fit, um bei Temperaturen um 27 Grad bis zu 50 Patienten täglich zu versorgen.

Auf unserem Hin- und Rückweg zur „Praxis“ grüßten uns die Leute recht freundlich. Die meisten Patienten wünschten mehrere Extraktionen und zeigten sich sehr dankbar. Einige Zähne oder Wurzelreste steckten überaus fest im Knochen. Da waren Emmos über zehnjährige Erfahrungen unter diesen Umständen von großem Vorteil. Die Füllungen, überwiegend in SÄT, waren besonders im Unterkiefer manchmal nicht ganz einfach auszuführen. Daher assistierten wir uns gelegentlich gegenseitig. Leider versagte die Polymerisationslampe immer öfter, sodass wir uns über einen Ersatz, möglichst mit Akku, sehr gefreut hätten!

Nach vier Tagen fuhren wir mit unserer Ausrüstung in die etwa 35 km entfernte Stadt Budhabare, wo wir in den bescheidenen Räumen eines Paramediziners einen Raum zur Behandlung einrichteten. Die beiden „Nurses“ und ihr Chef standen uns hilfreich zur Seite. Abends bekamen wir sogar die Instrumente in einem elektrischen Autoklaven sterilisiert. Das Abendessen genossen wir im Hause unseres Fahrers, dessen Frau in Israel arbeitet. Beim Gespräch über Religion erzählte er uns, er sei nicht gläubig. Nach einer langersehnten heißen Dusche erholten wir uns im Doppelbett mit Fliegenschutz. Am nächsten Tag behandelten wir bis 17 Uhr und wurden dann nach Chapati zurückgefahren. Mit den beiden Nurses saßen wir zu viert auf der Rückbank. Sie nutzten die Gelegenheit, einmal kostenlos eine kleine Reise zu unternehmen.

Die nächsten drei Tage besuchten uns jeweils bis zu 40 Patienten. Einmal hatte ich gerade noch rechtzeitig bemerkt, dass sich kein Wasser mehr im Dampfkochtopf befand, und in einer Nacht wurden wir gegen 2 Uhr durch Hupen geweckt. Ein Patient, Lehrer, wurde wegen Nachblutung mit dem Motorrad gebracht. Zum Glück erwies es sich als harmlos und ich opferte ein gebügeltes Taschentuch.

Wir waren sehr erfreut, nach zehn arbeitsreichen Tagen statt eines Ruhetages zu einem Tagesausflug in die Berge eingeladen zu werden. Über Budhabare ging es auf kurvenreichen Straßen bis fast 2.000 m hoch nach Pashupatinagar an der Grenze zu Indien. Wir überschritten sie zu Fuß und betraten die Provinz Darjeeling, bekannt durch seinen Tee. So erfreuten wir uns an dem kühleren Klima, Teeplantagen, Tempeln, Bergdörfern und hohen Rhododendronbäumen.

Am nächsten Morgen marschierten wir zum letzten Mal zur „Praxis“. Wir sterilisierten und packten. Durch den Materialverbrauch wurde das Gepäck ein paar Kilo leichter. Dolmetscher Bishal und die Köchin verabschiedeten sich herzlich von uns. Da wir heute einmal bei Tag zu Hause sind, genießen wir das Waschen im Freien am Pumpbrunnen. Morgens begleiteten uns Präsidentin Tulsa, Sarbitra und ihre Kollegin zum Flughafen. Mit einem T-Shirt und einer Urkunde zum Dank wurden wir mit Blumenkränzen herzlich verabschiedet. Wir sollen bald wiederkommen. Auf dem Rückflug nach Kathmandu bestaunten wir die Himalayakette einschließlich des Everestgebietes aus gebührendem Abstand.

Am nächsten Tag führte uns Präsidentin Renu durch den beeindruckenden heiligen Bereich Pashupati und trug durch ihre Erklärungen sehr zum Verständnis bei. Danach bereiteten wir die Ausrüstung für den nächsten Einsatz von Kollegen Martin vor, der noch länger blieb.

Von Women's Foundation wurde seit 1988 Beachtliches geschaffen. Hier finden misshandelte oder verstoßene Frauen juristische sowie psychologische Hilfe und Arbeit. In den Produktionsstätten werden unter anderem wunderschöne Schals aus Seide oder Kaschmir hergestellt, von denen ich gerne einige als Souvenirs erwarb. Nach einer halbstündigen Fahrt statteten wir dem Kinder- und Frauenheim „Shelter“ noch einen Besuch ab. Zurzeit finden hier 10 Frauen mit ihren Kindern und insgesamt 70 Kinder Zuflucht und Hilfe für eine lebenswerte Zukunft. Die Kinder zeigten uns begeistert ihr Heim und luden uns zur Tanzvorführung ein. Wir empfanden Rührung und Freude zugleich.

Nach einer Abschiedszeremonie mit Überreichen von Urkunde und Schal fuhr Kollege Martin mit mir am nächsten Nachmittag zum Flughafen. Kurz nach dem Start leuchtete mir zum Abschied nochmals ein Teil des Himalayas entgegen, bevor ich beim Zwischenstopp in Abu Dhabi nach drei Wochen ohne Zeitung oder sonstiger Nachrichtenkanäle wieder in der Welt des Luxus ankam. Ich fühlte deutlich, dass es nicht so sehr vom Materiellen abhängt, ein ausgeglichenes Leben zu führen.

Für die eindrucksvollen Erfahrungen, die ich erleben durfte, bin ich sehr dankbar und wünsche mir, einige Kolleginnen und Kollegen begeistert zu haben, einmal zu einem Hilfseinsatz mitzukommen. Den Firmen VOCO, KaVo, DENTSPLY DeTrey und Bregler & Simke Dental danken wir sehr für ihre freundliche Unterstützung.

Kontakt

Dr. Edgar Lauser
e.laus@t-online.de
www.womenepal.org

Spendenkonto: „Zukunftstiftung Entwicklungshilfe“
IBAN: DE05 4306 0967 0012 3300 10 
BIC: GENODEM1GLS
Verwendungszweck: Dental camp

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