Cosmetic Dentistry 13.11.2014

Vollkeramik: Risikomanagement für das Sensibelchen



Vollkeramik: Risikomanagement für das Sensibelchen

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White Dentistry oder auch Cosmetic Dentistry wird heute mit exzellenter dentaler Ästhetik verbunden: Veneers, Keramikinlays und Vollkeramikkronen, ergänzt durch keramische Innenteleskope und vollkeramische Implantatprothetik.

Mit Veneers werden heute hervorragende ästhetische Ergebnisse erzielt. Der „White Dentistry“ werden eine ausgezeichnete Langlebigkeit und eine hervorragende Biokompatibilität attestiert, zudem ist das Ausbleiben allergischer Reaktionen eines der besten Argumente dafür. Eingesetzt wird sie auch gerne zur Wiederherstellung der Okklusion nach Funktionstherapie. Als Nachteile werden neben der höheren Mikrohärte, die zu Abrasionen am Antagonisten führen kann, der größere Platzbedarf bei korrekter Wandstärke der Gerüste und die Kontraindikation bei Bruxismus genannt. Chipping-Probleme und Bulk-Fractures sind die häufigsten Komplikationen.1

Problemmanagement

Zahnärztliche Fehler können bei der Präparation oder beim Zementieren auftreten. Bei der Präparation kann es zu Unterschreitungen der Mindeststärke und einer nicht „kantenfreien“ Präparation kommen. Beim Zementieren können die Verwendung eines nicht geeigneten Zementes (allergische Reaktionen auf den Befestigungszement, Sensibilitätssensationen) oder eine Überdosierung des Zements zu Irritationen führen. Der Zahntechnik hingegen können Fehler in der Herstellung, wie zum Beispiel dem Unterschreiten von Mindeststärken, unterlaufen. Es werden heute Gerüstmodifikationen kreiert, die das Chipping-Risiko minimieren. Darüber hinaus verändern sich die verwendeten Keramiken unter Belastung nicht mehr. Einigkeit herrscht dahingehend, dass eine Rekonstruktion bei kraniomandibulärer Dysfunktion das größte Problem darstellt.

Grenzbewegung des Unterkiefers

Unterkieferbewegungen sind maximale Kieferöffnung, Kieferschluss, Rechts-/Linkslaterotrusion und Protrusion. Posselt hat die Grenzbewegungen des Unterkiefers anhand des unteren Inzisalpunktes aufgezeichnet, um die maximale Bewegungskapazität des Unterkiefers zu charakterisieren.3 Die Grenzbewegung des Unterkiefers ist reproduzierbar in kraniomandibulärer Funktion und instabil bei CMD. Sie beurteilt die maximale Bewegungskapazität. Es gibt Bewegungsstereotype für Öffnen, Schließen, Laterotrusion und Protrusion. Ein Bewegungsmuster oder Bewegungsstereotyp (dynamisch-motorischer Stereotyp) ist ein einfacher oder komplizierter Bewegungsablauf, der automatisch während der Bewegung ohne bewusste Kontrolle abläuft und ein immer gleiches Muster zeigt. Alltagsbewegungen sind aus solchen Stereotypen zusammengesetzt. Sie werden in der Reihenfolge und Stärke der Muskelaktivierung durch Lernen und Wiederholen im Zentralnervensystem als Schablone abgelegt. Die Fähigkeit des ZNS, diese Abläufe durch innere und äußere Einflüsse zu verändern, bezeichnet man als Plastizität. Die unvorstellbar große Fähigkeit des ZNS, immer neue Bewegungsabläufe auszuarbeiten, verändert die Koordination der Muskeln. Ein Bewegungsablauf kann als ein idealer Verlauf beschrieben werden. Pathologische Bewegungsabläufe kann man dadurch erkennen, dass sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu klinischen Beschwerden führen. Dazwischen liegt ein Übergangsbereich, in dem zunehmende Abweichungen vom Ideal mit einer unökonomischen Form der Bewegung korrelieren. Kiefergelenkstörungen gehen mit einer lokalen Hyperaktivität des M. masseter und M. temporalis einher, was zu einer reziproken Inhibition in der suprahyoidalen Muskulatur führt und zu Muskelspasmen im M. pterygoideus lat.4 Beim Schließen werden der Temporalis, der Masseter und der Pterygoideus medialis synchron aktiviert. Aktiv ist auch der obere Kopf des Pterygoideus lat. Er hat eine „Zügelfunktion“ und stabilisiert den Kondylus und den Diskus gegen das Tuberculum articulare. Das bedeutet, dass der obere Kopf den Unterkiefer „führt“; wenn der untere Kopf des Pterygoideus lat. hypoton ist, dann ist es auch der obere Kopf und die Kieferschließbewegung erfolgt nicht gerade, sondern abweichend. Weitere Konsequenzen sind, dass der Unterkiefer bei der Aufzeichnung von Grenzbewegungen diese nicht reproduzieren kann und der Unterkiefer an unterschiedlichen Positionen verschiedene habituelle Okklusionen einnimmt.

Indikationen zur Funktionsdiagnostik

Die Deutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) sagt, dass eine klinische Funktionsanalyse bei Verdacht auf CMD und vor rekonstruktiven Maßnahmen zur Aufdeckung ggf. latent vorhandener funktioneller Probleme und zur Behandlungsplanung indiziert ist. Des Weiteren ist sie zur funktionellen Nachuntersuchung des kraniomandibulären Systems als Verlaufskontrolle nach der Initialtherapie, nach dem Einsetzen der Langzeitprovisorien und vor der Anfertigung der definitiven Rekonstruktion sowie nach dem Einsetzen des definitiven Zahnersatzes angezeigt.2

CMD-Check

Als sehr hilfreich hat sich der „CMD-Check nach Ahlers und Jakstat“ erwiesen. Eine asymmetrische Mundöffnung zeigt bereits eine Dyskoordination der Mundöffner. In Abbildung 2 sind die abweichende Mundöffnung und der kürzere Bewegungsweg des rechten Kiefergelenks deutlich zu sehen.

Eingeschränkte Mundöffnung

Eine eingeschränkte Mundöffnung kann verbunden sein mit einer Schwäche der kieferöffnenden Muskeln oder mit Diskusverlagerungen, die eine ausreichende Mundöffnung verhindern. Bei der Öffnungsbewegung macht der untere Kopf des M. pterygoideus lateralis eine protrusive und öffnende Bewegung, während die suprahyoidalen Muskeln eine retrusive und öffnende Bewegung durchführen.3 Die Elevatoren sind beim Öffnen nicht aktiv. Es gibt verschiedene dysfunktionale Kieferöffnungen. In Abbildung 3 ist eine Mundöffnung dargestellt, die nur durch die suprahyoidalen Muskeln erfolgt. Der Unterkiefer wird retrusiv geöffnet, während in Abbildung 4 die Mundöffnung nur durch die Pterygoidei lat., also protrusiv, erfolgt. In Abbildung 5 sieht man eine Kieferöffnung, bei der das rechte Kiefergelenk protrusiv öffnet und das linke Kiefergelenk retrusiv öffnet.

Gelenkgeräusche

Gelenkgeräusche können durch Ligamente und Kapselbänder oder durch Diskusverlagerungen verursacht sein. Bei allen diesen genannten Symptomen sind schmerzhafte Muskelpalpationen hochwahrscheinlich. Hinzu kommen bei Koordinationsstörungen der Kiefermuskeln „okklusale Geräusche“ – damit sind Gleitbewegungen der Unterkieferzähne an den Oberkieferzähnen gemeint, wenn die habituelle und die zentrische Okklusion different sind oder der Unterkiefer aufgrund von Koordinationsirritationen verschiedene habituelle Okklusionen einnehmen kann. Auch eine traumatische Exzentrik, das heißt Hyperbalancekontakte, sind Hinweise auf eine kraniomandibuläre Dysfunktion. Nur wenn keines dieser Symptome vorhanden ist, kann von einer kraniomandibulären Funktion gesprochen werden.

Koordinationsstörungen der Unterkieferbewegungsstereotype

Das nachfolgende Beispiel (Abb. 6) zeigt, dass der Patient eine gerade Mundöffnung aufweist und die Unterkieferbewegung nicht eingeschränkt ist. Deutlich zu sehen ist, dass die Koordination bei der Bewegung „Posselt frontal“ und „Posselt sagittal“ unkoordiniert ist und der Patient jeweils in einer anderen Unterkieferposition schließt. Der Patient hatte eine kraniomandibuläre Dysfunktion mit der Diagnose „myofaszialer Schmerz“. Er hatte schon Schienentherapie und Physiotherapie erhalten, die nicht zur Linderung der Schmerzen geführt haben, die Schienentherapie hatte die Beschwerden sogar verschlimmert. Es wurde eine falsche Therapie angewandt: Bei einer Koordinationsstörung müssen die Koordination und die Bewegungsstereotype wieder rehabilitiert werden. Abbildung 7 zeigt den gleichen Patienten nach Koordinationstraining. Deutlich zu erkennen ist der definierte Kieferschluss und die Rückkehr des Patienten in eine stabile habituelle Okklusion. Therapieziel war hier die Koordination der Bewegung; die Bewegungsausmaße Kieferöffnung, Rechts-/Linkslaterotrusion und Protrusion waren nicht eingeschränkt.

Muskelphysiologie

Die Ruheschwebelage des Unterkiefers ist definiert als Abstand zwischen Oberund Unterkiefer, durchschnittlich 2 mm bis 4 mm. In dieser Stellung zeigt die Muskulatur die geringste Aktivität und der Unterkiefer hängt „schwebend“ in seiner muskulären und ligamentären Aufhängung. In der Ruheschwebelage haben alle Kaumuskeln ihre Ruhelänge. In der Ruhelänge kann die Muskelfaser ihr isometrisches Maximum entfalten. Wird ein Muskel verkürzt, verliert er an Kraft. Bei einer Vordehnung von 20 Prozent kann der Muskel noch mehr Kraft entfalten.4 Beim Kieferschluss aus der Ruheschwebelage wird der Pterygoideus lat. vorgedehnt, um seine Kraft gegenüber der Öffnung aus der Ruheschwebelage zu steigern. Durch die Verkürzung kommt es zur Abnahme der Muskelkraft der Kieferschließer. Das Zentrale Nervensystem erhält Inputs von der Gelenkkapsel und aus der bilaminären Zone, aus den Propriozeptoren der Muskulatur und von den Mechanorezeptoren der Zähne. Die Informationen werden beantwortet von den Muskeln (Abb. 8). Muskeln können auch eingeteilt werden nach Muskelfasertypen. Bei der Einteilung nach Enzymaktivität werden Typ I-Fasern von Typ II-Fasern unterschieden. Typ I-Fasern sind langsame oxidative Fasern, während Typ II-Fasern schnelle oxidative/glykolytische Fasern sind, die nochmals unterteilt werden in Typ II A-Fasern und Typ II X-Fasern. Typ I-Fasern sind tonisch und zur Verkürzung neigende Fasern, während Typ II-Fasern phasische, zur Ermüdung/Schwäche neigende Fasern sind. Des Weiteren gibt es Hybridfasern, einen Intermediärtyp, der aus beiden Fasertypen besteht. Diese Hybridfasern haben die Eigenschaft, sich strukturell auf lokal variierende Beanspruchungen einzustellen (Abb. 9).6, 7 Es konnte gezeigt werden, dass der Anteil an Typ I-Fasern bei den Kieferschließern und den Kieferöffnern gleich ist; der Anteil Hybridfasern ist jedoch bei den Kieferschließern rund viermal höher als bei den Kieferöffnern, d. h. dass die Kieferschließer viel variabler sind und sich strukturellen Veränderungen besser anpassen können. Die Kieferöffner haben einen sehr hohen Anteil phasischer Muskelfasern und neigen bei Nichtbeanspruchung zur Ermüdung. Unter Stress nimmt die Muskelaktivität der Kieferschließer zu, während die der Kieferöffner abnimmt. Konsequenz ist, dass der untere Kopf des M. pterygoideus lat. abschwächt, die Kondyle so nicht mehr nach ventral stabilisieren kann und die „Zügelfunktion“ des oberen Kopfes des M. pterygoideus lat. nachlässt. So entsteht eine muskuläre Dysbalance oder Dysfunktion. In der Konsequenz werden die Kondylen bei beidseitiger Abschwächung des lateralen Pterygoideus nach dorso-kranial – entsprechend dem Zug der Kieferschließer – gezogen, bei einseitiger Abschwächung des lateralen Pterygoideus nach dorso-kranio-lateral auf der funktionsgestörten Seite.8

Schienentherapie

Die Schiene beeinflusst die neuromuskulären Inputs, wodurch die Kieferbewegungen verändert werden. Somit kann eine Schiene nur als „Reflexschiene“/„Relaxationsschiene“ wirken, wenn die kieferöffnenden Muskeln, also die Mm. pterygoidei lat., in Funktion sind. Zudem muss die Schienenhöhe geringer sein als die Ruheschwebelage, damit die Kieferöffner „auf Vorspannung“ kommen, um bei Kontakt auf der Schiene zu öffnen. Das funktioniert immer, wenn der Patient eine durch Abrasionen verringerte vertikale Dimension hat und die Schiene die „alte“ vertikale Dimension wiederherstellt. Bei verringerter vertikaler Dimension sind die Mm. pterygoidei lat. aktiv und bewegen den Unterkiefer protrusiv und lateral, während die Kieferschließer aufgrund ihrer verkürzten Ruhelänge Kraft verlieren. Daher kommt es zum frontalen Bruxismus. Eine Schienentherapie bei nicht reduzierter vertikaler Dimension kann zur Kräftigung der Kieferschließer und zur Abschwächung der Kieferöffner führen, wenn sich der Patient darauf „festbeißt“. Dies rührt daher, dass er nicht aus der Ruheschwebelage schließt und somit die Kieferöffner auf Vorspannung bringt, sondern die Kieferschließer bei ihrer Ruhelänge fixiert, d.h. bei ihrem Kraftmaximum. Das bedeutet, dass die Kieferöffnung sich wahrscheinlich verringern wird, weil die kieferöffnenden Muskeln nicht „trainiert“ werden, aber die Kieferschließer auf der Schiene ein isometrisches Krafttraining absolvieren.

Definitive Versorgung

Die Umsetzung der Schienenposition in eine definitive Versorgung nach adäquater Einstellung der Vertikaldimension und der Okklusionsebene in Zentrikrelation ist sicher unproblematisch. Eine Schiene zum Schutz der Rekonstruktion ist wahrscheinlich hilfreich, sollte jedoch auch niedriger als die Ruheschwebelage sein, damit der Reflexmechanismus „Kieferöffnung“ funktioniert.

Thielemann’sches Diagonalgesetz

Die größten Probleme bereitet eine prothetische Rekonstruktion, wenn ein einseitiges Kompressionsgelenk vorliegt. Das führt zum Verlust der Eckzahnspitze auf der betroffenen Seite (Abb. 10) und zur Abrasion des palatinalen Höckers des kontralateralen 7ers (Abb. 11) – bekannt als Thielemann’sches Diagonalgesetz. Auf der Kompressionsseite kommt es zu einer verringerten vertikalen Dimension, zur Abrasion des Eckzahnes und ggf. des 32/42, die Mittellinie wandert zu dieser Seite. Auf der anderen Seite wird das Kiefergelenk extendiert (Distraktionsgelenk). Eine Schienentherapie, die beide Seiten vertikal hebt, löst das Problem nicht. Voraussetzung, dass die Kondyle auf der Kompressionsseite sich ventral stabilisiert, ist, dass der M. pterygoideus lat. in Funktion ist. Der untere Kopf zieht die Kondyle bei der Öffnung nach ventral und der obere Kopf „zügelt“ die Schließbewegung und hält die Kondyle ventral.

Therapie

  • Osteopathische Techniken zur Reposition des Sphenoids und der Kondylen, um die Ruhelängen der Mm. pterygoidei lat. zu regenerieren – Wiederherstellung der Funktion des M. pterygoideus lat. auf der Kompressionsseite durch ein Lateralisfunktionstraining
  • Optimierung des metabolischen Status in beiden Kiefergelenken
  • Erhöhung der vertikalen Dimension auf der Kompressionsseite, ggf. Einschleifen von zahnärztlichen Rekonstruktion auf der Distraktionsseite (Abb. 14)

Patientenbeispiel

Der Patient in Abbildung 15 hatte ein Kompressionsgelenk links und ebenfalls links einen hypotonen Lateralis. Nach Einstellung des Kiefergelenks und Erhöhung der vertikalen Dimension links bekam der Patient „Hausaufgaben“ und sollte täglich Übungen zur Stabilisierung der Muskulatur durchführen. Nach zwei Wochen wurde erneut eine Vermessung durchgeführt und es konnte gezeigt werden, dass das linke Kiefergelenk „normal“ öffnet. Die kraniomandibuläre Dysfunktion war aufgehoben und die definitive prothetische Rekonstruktion konnte realisiert werden.

Gutachten

In ihrer gutachterlichen Tätigkeit erlebt die Autorin häufig, dass die klinische Funktionsanalyse nicht korrekt durchgeführt wird. Die häufigste Diagnose ist „Myoarthropathie“, woraufhin eine Schiene eingegliedert wird. Nicht selten wird dies am Tag der Präparation abgerechnet. Oftmals wird der Ausdruck einer elektronischen Vermessung eingereicht (häufig von einem Zahntechnikerlabor durchgeführt). Jede elektronische Vermessung muss im Zusammenhang mit einer klinischen Funktionsanalyse erfolgen, da sie eine weiterführende Diagnostik darstellt, deren Indikation sich erst aus der klinischen Funktionsanalyse ergeben kann. Dann wird nach einem gewissen Zeitraum, in dem meist Physiotherapie stattfindet, weiterbehandelt, das heißt entweder werden Langzeitprovisorien angefertigt oder definitive Restaurationen. Korrekt ist, dass vor jeder weiteren Maßnahme eine erneute klinische Funktionsanalyse durchgeführt werden muss, um zu überprüfen, ob die eingeleiteten Maßnahmen erfolgreich waren. Die beste Strategie zur Vermeidung von Keramikfrakturen ist die Rekonstruktion in kraniomandibulärer Funktion.

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