Implantologie 04.05.2016
Sofortversorgung des Kiefers mit festsitzendem implantatgetragenen Zahnersatz
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Das MALO CLINIC Protokoll ermöglicht Patienten mit geringem Knochenvolumen eine Sofortversorgung des Kiefers mit festsitzendem implantatgetragenem Zahnersatz. Im vorliegenden Fachbeitrag wird das Vorgehen mithilfe der All-on-4®-Methode beschrieben. Mit diesem Verfahren können Patienten ohne Zähne oder mit nicht erhaltungswürdiger Restbezahnung durch das Einsetzen von vier Titanimplantaten im Ober- und Unterkiefer vollständig versorgt werden.
Die All-on-4®-Methode findet aufgrund ihrer Vorteile für den Patienten vermehrt Anwendung. Diese liegen insbesondere in der Vermeidung eines Knochenaufbaus, der Sofortversorgung mit einer festsitzenden Brücke sowie des Komforts in der Einheilphase. Dabei werden die Vorgehensweisen und Materialien zunehmend modifiziert. Das MALO CLINIC Protokoll gibt demgegenüber klare Richtlinien für Diagnostik, Planung und Durchführung der Behandlung.
Entwicklung des Protokolls
1993 wurde in der MALO CLINIC in Lissabon der erste Patient nach einem innovativen Konzept versorgt. Ziel der Behandlung war es, die Versorgung eines kompletten Kiefers mit festsitzendem implantatgetragenem Zahnersatz einfacher und schneller zu gestalten. Hierzu wurden vier Implantate im Unterkiefer inseriert und die distalen Implantate zur Verringerung der Freienden um ca. 30–45 Grad anguliert. Verschiedene Studien zeigten keine signifikanten Unterschiede von geraden oder gewinkelten Implantaten bezüglich der Implantatüberlebensrate.1–5 Diese Ergebnisse erlaubten es, eine Sofortversorgung mit zehn ersetzten Zähnen unmittelbar nach der Operation einzugliedern. Aus diesem Konzept ging 1998 die All-on-4®-Methode hervor, die inzwischen von der Firma Nobel Biocare als eigene Marke eingetragen worden ist.6
Nach zahlreichen Unterkieferversorgungen kam diese Methode erstmals 1996 im Oberkiefer zur Anwendung. 2001 wurden die Protokolle dementsprechend an die besonderen Anforderungen im Oberkiefer angepasst. Es zeigte sich jedoch, dass bei Verwendung identischer Implantattypen wie im Unterkiefer (NobelReplace) eine wesentliche Erhöhung der Implantatverlustrate eintrat (> 20 %). Aus diesem Grund fand parallel dazu ab 1998 die Entwicklung eines neuen Implantatdesigns (NobelSpeedy) statt. Durch die neue Gestaltung der Implantatspitze, die sich wie ein Keil in die Kortikalis des Nasenbodens verankert, konnte auch bei weichem Knochen die notwendige primäre Stabilität von 30 Ncm erreicht werden.7 Das Design dieses Implantattyps wurde somit primär im Hinblick auf eine Sofortbelastung und -versorgung im Oberkiefer entwickelt. Die Literaturübersicht von Patzelt, in der 4.804 Implantate von 1.201 Versorgungen untersucht wurden, zeigt, dass das NobelSpeedy-Implantat der in diesem Zusammenhang am häufigsten untersuchte Implantattyp ist und somit die höchste wissenschaftliche Evidenz aufweist (Abb. 1).8 2005 wurden die Protokolle zur navigierten Implantation (NobelGuide) an die hier beschriebene Methode angepasst. Dadurch wurde eine minimalinvasive Versorgung eines kompletten Kiefers auf vier Implantaten ermöglicht.9
Zur Erweiterung des Indikationsbereiches wurde ab 2004 die Verankerung mit Zygoma-Implantaten eingegeführt, um auch im extrem atrophierten Oberkiefer die Voraussetzung für eine Sofortversorgung zu schaffen. 2008 wurde das ursprünglich von Prof. Brånemark beschriebene Protokoll zur Versorgung modifiziert. Die Implantate verlaufen hierbei extramaxillär und treten erst unmittelbar vor dem Os zygomaticum in den Knochen ein. Es wurden neue Zygoma-Implantate entwickelt, die nur in dem apikalen Bereich mit Gewindegängen versehen sind, um eine Irritation der Gingiva unterhalb der Implantatschulter zu vermeiden.10 Dieser neue Implantattyp wird im Laufe dieses Jahres zur Verfügung stehen und Gegenstand der nächsten Publikation sein. Diese Varianten der Sofortversorgung stellen die sogenannte 1. Phase des hier genannten Protokolls dar. Nach einem Zeitraum von sechs bis 24 Monaten wird im Rahmen der 2. Phase eine weitere Versorgung hergestellt, die zwölf Zähne ersetzt und mit einem CAD/CAM-Gerüst aus Titan versehen ist. Diese Versorgung wird entweder mit konfektionierten Kunststoffzähnen (MALO CLINIC Acrylic Bridge) oder mit individuell hergestellten Keramikzähnen (MALO CLINIC Ceramic Bridge) hergestellt.
Planung
Vor der Planung und Durchführung müssen folgende Faktoren Berücksichtigung finden und mit dem Patienten besprochen werden:
Besteht das mit dem Patienten vereinbarte Behandlungsziel in einer festsitzenden Versorgung eines kompletten Kiefers?
Ist kein Zahn zu erhalten bzw. sind alle verbliebenen Zähne in Hinblick auf eine festsitzende Versorgung nicht erhaltungswürdig?
Erst wenn diese beiden Voraussetzungen gegeben sind, kommt der Patient für die hier aufgeführte Versorgung infrage.
Knochenqualität und Knochenquantität
Für die Durchführung der Versorgung nach dem Standardprotokoll ist eine Knochenhöhe von mind. 10 mm bei einer Knochenbreite von mind. 5 mm im Bereich von 14–24 bzw. 34–44 erforderlich. Bei einem erfahrenen Behandler kann der Indikationsbereich bis auf 8,5 mm Knochenhöhe reduziert werden. Sind diese Voraussetzungen im Oberkiefer nicht gegeben, kann die Versorgung nicht nach dem Standardprotokoll erfolgen, sondern muss als Hybrid-Zygoma bzw. Double-Zygoma durchgeführt werden. Diese Protokolle sind Gegenstand der nächsten Publikation. Bei mindestens drei Implantaten ist eine primäre Stabilität von 30 Ncm für eine Sofortversorgung mit einer festsitzenden Brücke erforderlich. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, muss zweizeitig vorgegangen werden, da in diesem Fall die Implantate erst zu einem späteren Zeitpunkt belastet werden können. Diesbezüglich empfiehlt sich eine zusätzliche Aufklärung des Patienten.
Lachlinie und Lippenunterstützung
Die Umsetzung dieser Methode nach dem MALO CLINIC Protokoll setzt voraus, dass die Übergangszone zwischen künstlichem und natürlichem Zahnfleisch nicht sichtbar ist. Bei einem Patienten mit hoher Lachlinie muss entweder eine herkömmliche Methode zur Versorgung gewählt oder die Knochenhöhe reduziert werden. Weitere Gründe für eine Reduzierung der Knochenhöhe können sein:
- mangelnde Lippenunterstützung im Oberkiefer: Wenn in dieser Situation durch eine festsitzende Versorgung eine gute Lippenunterstützung erreicht werden soll, müssen unter Umständen die Zähne vor dem Kieferkamm aufgestellt werden. Dies kann zu einer balkonartigen Ausgestaltung und Schwierigkeiten bei der Reinigung sowie beim Lachen führen. Durch Reduktion der Knochenhöhe kann der Winkel zwischen der Versorgung und dem Verlauf des Kieferknochens verringert werden.
- mangelnder interokklusaler Abstand zur Herstellung von festsitzenden Brücken mit CAD/CAM-Gerüst spitzer Kieferkamm mit der Notwendigkeit zur Nivellierung als Voraussetzung zur Gestaltung von hygienefähigen (geraden oder konvexen) Brückengliedern
Operation
Eine hohe primäre Stabilität von mehr als 30 Ncm wird durch Anpassung des Bohrprotokolls an die Knochenqualität erreicht. Im Oberkiefer erfolgt dies mit einer Verankerung der Implantatspitze in der nasalen Kortikalis. Die Winkelung der distalen Implantate liegt zwischen 30 und 45 Grad. Da im Oberkiefer eine Resorption von bukkal nach palatinal eintritt, ist eine weitmöglichste palatinale Positionierung anzustreben. Die Abutments werden so positioniert, dass die Schraubkanäle palatinal, im Seitenzahngebiet ggf. auch okklusal, zu liegen kommen. Die Orientierungsschablone und eine klare Kunststoffschablone mit palatinalem Fenster leisten bei der Orientierung bzw. der Auswahl der Abutments gute Dienste (Abb. 2 und 3).
Sofortversorgung
Es erfolgt eine Verblockung der Abdruckpfosten mit Kunststoff und einem Metalldraht zur Optimierung der Genauigkeit der Abformung (Abb. 4). Der passive Sitz der Versorgung ist das Kriterium für den dauerhaften Erfolg. Die Sofortversorgung hat folgende Eigenschaften:
- standardmäßig werden zehn Zähne ersetzt
- keine Freienden zur Begrenzung der Belastung auf die distalen Implantate
- Herstellung aus Kunststoff mit aufgestellten Zähnen, ggf. können Verstärkungen eingelegt werden (Abb. 5)
- hygienefähige basale Gestaltung, kein sattelförmiges Design
2. Phase
Die 2. Phase findet im zeitlichen Abstand von sechs bis 24 Monaten nach der Implantation statt. Nach einer erneuten Abdrucknahme wird eine zweite Versorgung mit einem CAD/CAM-Titangerüst und zwölf zu ersetzenden Zähnen hergestellt. Hierbei sind, je nach Implantatpositionierung, Freienden möglich bzw. notwendig. Es gibt zwei Optionen:
Herstellung einer Kunststoffbrücke mit Titangerüst und aufgestellten, konfektionierten Kunststoffzähnen (Abb. 6 und 7)
Herstellung einer Kunststoffbrücke mit Titangerüst und individuell hergestellten keramischen Einzelkronen (Abb. 8 und 9)
Die Herstellung einer Brücke mit keramischen Einzelkronen in beiden Kiefern wird vermieden. Die Option mit keramischen Einzelkronen wird gewählt, wenn die ästhetischen Ansprüche des Patienten hoch sind und die Zahnfarbe an verbliebene eigene Frontzähne im Unterkiefer optimal angepasst werden soll.
Fazit
Das MALO CLINIC Protokoll bietet die Möglichkeit einer Sofortversorgung mit festsitzendem implantatgetragenem Zahnersatz und gibt klare Vorgaben in Bezug auf Planung und Durchführung. Die Umsetzung der All-on-4®-Methode nach diesem Protokoll minimiert nicht nur die Risiken und sichert die hohen Erfolgsraten, es ist auch aus juristischer Sicht zu empfehlen. Auf der Gutachtertagung 2014 in Düsseldorf wurde festgelegt, dass die vom Hersteller bzw. vom Entwickler angegeben Gebrauchshinweise exakt umgesetzt und dokumentiert werden müssen. Wenn von diesen Vorgaben abgewichen wird und es zu Problemen kommt, kann dies als Behandlungsfehler interpretiert werden. Das MALO CLINIC Protokoll ist eine der wissenschaftlich fundierten Möglichkeiten, Patienten mit festsitzendem Zahnersatz im Kiefer zu versorgen. Für die Entscheidung, welche der möglichen Methoden vom Behandler gewählt wird, sollte der Grad der Evidenz, die wissenschaftliche Basis, die Klarheit der Protokolle und der Nutzen für den Patienten als Kriterium herangezogen werden.
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