Implantologie 11.08.2016

Orale Rehabilitation – kieferortho­pädischer Lückenschluss ja, nein?



Orale Rehabilitation – kieferortho­pädischer Lückenschluss ja, nein?

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Bei einem Frontzahntrauma mit Zahnverlust sind vor allem im Jugendalter eine Abwägung der verschiedenen Therapiemöglichkeiten und deren Erfolgschancen sehr wichtig. Unter vielen zu berücksichtigenden Parametern gilt es, einzuschätzen, ob ein kieferorthopädischer Lückenschluss infrage kommt oder ob eine rein prothetische Therapie bzw. eine implantatprothetische Versorgung die bessere Option wäre.

Um im individuellen Fall die best­mögliche Versorgungsform herauszufinden, sind folgende Aspekte zu beachten:

  • Alter des Patienten (chronologisch und skelettal) 
  • Ausmaß und Lokalisation der Lücken 
  • Bisslage, Okklusion, Profiltyp 
  • parodontaler Zustand, Gingivatyp Knochenangebot 
  • Motivation, Mundhygiene, ökono­mische Verhältnisse 

Ebenso wichtig sind die genaue Dia­g­nostik des jeweiligen Falls anhand von Röntgenaufnahmen und die Auswertung von Situationsmodellen mithilfe von diagnostischen Set-ups bzw. Wax-ups.

 

Oftmals treten Frontzahntraumata im Kindes- oder Jugendalter auf. Für die Therapie spielt das Alter dabei eine entscheidende Rolle, da eine zu frühe Implantation bei noch nicht abgeschlossenem Gesichtswachstum gravierende ästhetische Folgen haben kann. Im Laufe der weiteren Vertikalentwicklung des Alveolarfortsatzes würde es bei zu früher Implantation zu einer Infraposition des Implantats kommen (Odman et al., 1991; Thilander et al., 1992; Kennedy, 1999; Thilander et al., 2001; Fudalej et al., 2007; Behr et al., 2008). Nach einer Studie von Fudalej et al. endet das Gesichtswachstum bei Frauen im Durchschnitt mit dem 17. Lebensjahr und bei Männern mit dem 21. Lebensjahr. Ist also eine Implantation als Lückenschluss vorgesehen, müssen auch Möglichkeiten der Interimsversorgung – im Frontzahnbereich oftmals mithilfe von Klebebrücken, bis zum idealen Implantationszeitpunkt bedacht werden.

Eine weitere Grundvoraussetzung für die Implantation ist ein adäquates ­Platzangebot. Empfohlen wird ein interimplantärer Abstand von 3 mm und 1,5 mm zum Nachbarzahn (Tarnow et al., 2007). Bei kieferorthopädisch vorbehandelten Patienten besteht oftmals eine Wurzelkippung in die Lücke, welche eine erneute kieferorthopädische Ausrichtung der Zähne vor Implantation zur Folge hat. Bei Abwägung der Therapiemöglichkeiten ist eine enge interdisziplinäre Absprache zwischen Kieferorthopädie, Chirurgie und Prothetik sowie eine ­individuelle Betrachtung des jeweiligen Falls nötig.

Fallbeschreibung

Im November 2009 wurde eine 14-jährige Patientin in unsere Praxis über­wiesen, welche aufgrund eines Unfalls im Jahr 2006 die Zähne 11 und 21 verlor. Die bisher unternommenen Therapieversuche führten zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis (Abb. 1 und 2). In den vorangegangenen Therapien wurde mittels Multibandtherapie ein kieferorthopädischer Lückenschluss an­gestrebt. Als Ausgleich wurden im Unterkiefer 35 und 45 extrahiert. Das Ergebnis nach dieser Therapie war ein voll­ständiger Lückenschluss im Unterkiefer, ­wohingegen dies in der Oberkieferfront nur unzureichend gelang.

Als zweiten Therapieansatz sollte eine Lückenöffnung in Regio 21 und 11 erfolgen, um diese dann später mit Implan­taten zu versorgen. Durch diese Therapie wurde die Seitenzahnokklusion relativ gut eingestellt. Eine Lückenöffnung von 22 mm in der Oberkieferfront war für zwei Frontzahnimplantate jedoch zu ­gering. An diesem Punkt wurde die Patientin zu uns überwiesen. Nach Anfertigen von diagnostischen Hilfsmitteln, wie Situationsmodellen, diagnostischen Set-ups (Abb. 3 und 4), Fotos und Röntgenbildern, wurde in interdisziplinärer Zusammenarbeit der Therapieablauf besprochen, um das bestmögliche Ergebnis für die Patientin zu erzielen. Zunächst sollte eine Lückenöffnung in Regio 12 und 22 stattfinden. Grund dafür war die bereits bestehende mesialisierte Position der seitlichen Schneidezähne. Durch erneute kieferorthopädische Maßnahmen mussten 12 und 22 noch weiter mesialisiert werden, um dann später mithilfe von Veneers 11 und 21 gestalten zu können. An Position 12 und 22 sollte zu einem späteren Zeitpunkt implantiert werden. Um den notwendigen Platz für die Einzelzahn­implantate zu erreichen, musste vorher noch eine Ausgleichsextraktion von 14 und 24 erfolgen. Damit konnten 13 sowie 23 etwas distalisiert und 15, 16, 17 sowie 25, 26, 27 beidseits mesialisiert werden, sodass auch die sich noch im Wachstum befindenden Zähne 18 und 28 Platz in der Zahnreihe in Regio 17 und 27 fanden. Im Unterkiefer war die Extraktion von 38 und 48 vorgesehen.

Mithilfe von ästhetischen Set-ups wurden die Patientin und ihre Eltern über den möglichen Therapieablauf ausführlich aufgeklärt. Im April 2010 begann die kieferorthopädische Therapie mit den Ausgleichsextraktionen 14 und 24. Nach regelmäßigen Verlaufskontrollen zeigten sich Ende 2010 die ersten Erfolge – 12 und 22 waren mesialisiert, die Lücken für die spätere implantologische Versorgung waren geöffnet und im Seitenzahngebiet waren die Lücken 14 und 24 der Ausgleichsextraktion geschlossen (Abb. 5 und 6). Da die Patientin mit 15 Jahren zu jung für eine Implantation war, musste zunächst das Ergebnis stabilisiert werden. Dazu wurde ein Langzeitprovisorium in Form einer Veneer-Klebebrücke von 12–22 mit Klebeankern an den Zähnen 13 und 23 eingegliedert (Abb. 7).

Nach ca. einem Jahr wurde ein präimplantologisches Orthopantomogramm (Abb. 8) erstellt. Die Auswertung und implantologische Planung erfolgte mit der Patientin und den Eltern. Der Implantationszeitpunkt wurde mit der behandelnden Kieferorthopädin abgestimmt. Im Oktober 2012 wurden in Regio 12 und 22 zwei CAMLOG- Implantate Screw-Line Promote plus 3,3 x 13 in Verbindung mit einer lateralen Augmentation (Geistlich Bio-Oss und Bio-Guide) inseriert (Abb. 9). Nach komplikationsloser Einheilung erfolgte im Januar 2013 die Eröffnung der Implantate bei gleichzeitiger ­Weichgewebeplastik. Zur Ausheilung der Weichgewebe und zur Verbesserung des ästhetischen Ergebnisses wurden zunächst die Implantate mit PEEK-Kronen versorgt (Abb. 10). Drei Monate später erfolgte die definitive Therapie. Die an Position 11 und 21 stehenden Zähne wurden mit Zirkonkronen und die Implantate 12 und 22 mit Zirkonabutments (Abb. 11) sowie Zirkonkronen versorgt. Ausgehend von der Ausgangssituation konnte für die Patientin eine hochwertige und individuell ästhetische Versorgung realisiert werden, mit welcher sie höchst zufrieden ist (Abb. 12 und 13).

Fazit

Im vorliegenden Fall zeigt sich die ­Wichtigkeit einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit und einer umfangreichen Diagnostik, um das bestmögliche Ergebnis für den Patienten zu erzielen. Nach dem Unfall hätte eher von einem rein kieferorthopädischen Lückenschluss abgesehen werden müssen, da die zu überwindende Distanz bis zum vollständigen Lückenschluss zu groß war. Es wäre entweder möglich ­gewesen, die entstandene Frontzahnlücke mittels einer Interimsklebebrücke offen zu halten, um dann zu einem ­späteren Zeitpunkt in Regio 11 und 21 zu implantieren oder einen rein prothetischen Zahnersatz in Form einer Brücke anzufertigen. Trotz der vorangegangenen Therapie mit nicht zufriedenstellendem Ergebnis konnte mithilfe genauer Diagnostik und interdisziplinärer Absprache ein höchst ästhetisches und funktionelles Ergebnis erzielt werden.

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