Implantologie 19.01.2017

Rehabilitation des Gesamtkiefers mit verschraubbarer Suprakonstruktion



Rehabilitation des Gesamtkiefers mit verschraubbarer Suprakonstruktion

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Die prothetische Rehabilitation ist der letzte Schritt der implantologischen Behandlung. Durch die gestiegenen ästhetischen und funktionellen Ansprüche im höheren Alter und die Etablierung der Zahnimplantate als Behandlungsalternative werden immer mehr zahnlose Situationen mit Implantaten versorgt. Diese Fall­serie legt besonderes Augenmerk auf die Gesamtkieferrekonstuktionen mit verschraubbaren Suprakonstruktionen.

Während bei ausreichender bis gering reduzierter Knochenquantität und guter Compliance eine festsitzende Versorgung empfohlen wird, sind größere Knochendefizite, eingeschränkte Hygienefähigkeit und Weichgewebesupport Kriterien für eine herausnehmbare Versorgung.

Die hier beschriebenen Fälle mit geringen bis mäßigen Defekten und guter Compliance werden mit verschraubbaren Suprakonstruktionen versorgt, vorausgesetzt der Ersatz der fehlenden Zähne bietet genügend Unterstützung für die Weichteile des Gesichtes. In dieser Dokumentation wurden neun Patientenfälle behandelt. Insgesamt wurden zwölf Kiefer mit 71 Implantaten versorgt (44 im Oberkiefer, 27 im Unterkiefer). In Tabelle 1 sind Kriterien für die Wahl der Behandlungsmethode dargestellt. Alle Patienten erfüllten diese Kriterien. Die Patienten mit einem zahnlosen Kiefer wurden gleichzeitig am teilbezahnten Gegenkiefer behandelt und bekamen festsitzende implantatgetragene Versorgungen.

Verteilung der Suprakonstruktionen nach Herstellungsart (Tab. 2)

Die Suprakonstruktionen wurden in den hier beschriebenen Fällen jeweils unterschiedlich gestaltet. Drei Suprakonstruktionen bekamen ein Sekundärgerüst, welches auf Abutmentniveau gegossen wurde, drei weitere wurden auf Abutmentniveau und sechs auf Implantatniveau gefräst. Die verwendeten Implantatsysteme waren vom Typ A und C, während Typ B und D integriert wurden. Ein Implantat ist in der Einheilphase verloren gegangen – der betroffene Kiefer konnte trotz des Verlustes mit sechs Implantaten versorgt werden. Des Weiteren besaß ein Patient ein älteres durchmesserreduziertes Implantat, dieses konnte in die neue Versorgung integriert werden. Von dem Prinzip All-on-4 wurde bewusst Abstand genommen. Lediglich ein Unterkiefer wurde aus wirtschaftlichen Gründen mit vier Implantaten versorgt. Die Implantate wurden ohne Neigungsachse gesetzt. Implantate, die abgewinkelte Abutments bekamen, wurden nach den anatomisch günstigen Knochenverhältnissen gesetzt.

Systemübersicht und Komponenten (Tab. 3)

Bei allen Systemen waren die abgewinkelten Abutments zweiteilig. System B und C bieten bei den geraden sowohl ein- als auch zweiteilige Komponenten an. C-Komponenten sind mit einer Einschnapp-Funktion erhältlich, welche das Einbringen erleichtert. Fast alle Systeme haben einen Rotationsschutz zwischen Abutment und Implantat. Implantate ohne Rotationsschutz müssen bei der ersten Einprobe im Mund verbleiben. Als vorteilhaft erwies sich auch ein Rotationschutz zwischen Abutment und Sekundärkappe, welcher nicht bei allen Systemen vorhanden ist. Besonders bei Typ B war das Einbringen der Abutments zeitaufwendig. Die mit den Abutments oft gelieferten Einbringhilfen reichten zum Einsetzen der Arbeiten nicht aus. Nur bei Typ D waren keine zusätzlichen Instrumente erforderlich. Auffällig war die vorteilhafte Form der Komponenten von Typ C. Durch die konkave Gestaltung des Emergenzprofils bietet es dem Weichgewebe Platz und reduziert einerseits die Gefahr von Rezessionen (Pseudorezessionen) und andererseits formt es eine Zahnfleischmanschette um den Implantathals. Letzteres schützt den krestalen Knochen und verhindert das Durchschimmern der grauen Titanoberfläche. Die Abutments werden in Abbildung 1 bis 7 dargestellt.

Vergleich der Herstellungsarten (Tab. 4)

Generell zeigten sich verschraubbare Gesamtkieferrekonstruktionen als sehr vorteilhaft. In Fällen, in denen die Gerüste gefräst wurden, waren nur vier kurze Termine notwendig: 1. Freilegung und Abdrucknahme, 2. Abdrucknahme, Kieferrelationsbestimmung sowie Gesichtsbogenübertragung, 3. Gerüsteinprobe und Ästhetikaufstellung, 4. Einsetzen. Die gesamte prothetische Behandlung dauerte drei bis vier Wochen. Die gegossenen Gerüste hingegen waren material-, kosten- und zeitintensiv. Am geringsten waren die Kosten bei den auf Implantatniveau gefrästen Gerüsten, da die Multi-Unit-Abutments entfielen. Diese wurden nur für den Oberkiefer ausgewählt.

Spannungen waren hauptsächlich bei den gegossenen Gerüsten feststellbar. Die gefrästen Gerüste wiesen seltener Spannungen auf. Treten diese auf, sind sie durch die Abformung am Stuhl oder die Handhabung der Abutments im Labor bedingt. Die Nachkontrollen werden halbjährlich durchgeführt, um ggf. gelockerte Schrauben festzuziehen. Patienten bemerken diese Schraubenlockerung in der Regel nicht.

Gefrästes Sekundärgerüst auf Multi-Unit-Abutment- oder Implantatniveau

Im digitalen Zeitalter ist es wichtig, die Möglichkeiten der Technik zu nutzen und diese auszureizen. Der digitale Workflow ist natürlich noch nicht uneingeschränkt möglich. Die Entwicklung in diesem Bereich ist allerdings sehr schnell, sodass zukunftsnah mit kompletten Systemen und Lösungen zu rechnen ist.

In dieser Fallserie wurde auf eine digitale Abformung verzichtet, da teilweise sehr hohe Weichgewebequantität bestand. Die verschiedenen Scanbodys waren zu kurz und verdrängten das Zahnfleisch, teilweise waren sie auch vom Zahnfleisch bedeckt. Aus diesem Grund wurde auch bei den dafür geeigneten Patienten auf eine digitale Abformung verzichtet.

Kiefer 5 und 6
In diesem Fall erschien die Patientin mit Röntgenbildern zur Beratung. Nach einer chronischen unbehandelten Parodontitis wurden alle Zähne als nicht erhaltungswürdig eingestuft. Die Implantation erfolgte verzögert – sechs Wochen nach Extraktion. Nach der Freilegung bei der ersten Einprobe waren optimale Weichgewebeverhältnisse zu sehen. Der Oberkiefer wurde keramisch und der Unterkiefer kunststoffverblendet restauriert (Abb. 8–18).

Kiefer 7
In diesem Fall war die Situation fast identisch mit Kiefer 5 und 6. Der Oberkiefer wurde keramisch verblendet. Die gute Platzierung der Implantate erlaubte, auf geneigte und kurze Implantate zu verzichten. Quantität und Qualität der keratinisierten Gingiva gewährleisten langfristige Ästhetik und Gewebestabilität (Abb. 19–23). Anschließend wurden im teilbezahnten Unterkiefer die Zähne 42, 32, 36, 44 und 47 extrahiert und in Regio 32, 36, 44 und 46 implantiert. Die Patientin bekam festsitzende Restaurationen.

Diskussion

Die verschiedenen Fräszentren bieten zahlreiche Möglichkeiten für die moderne Praxis an. Durch die digitale Planung ist es möglich, alle Änderungen am Computer durchzuführen. Die Kommunikation und die Bearbeitung der Daten erfolgt in Echtzeit. Gleichzeitig werden die Arbeitsstunden im Labor reduziert und die Effizienz erhöht. Die Individualisierung und die Endkontrolle erfolgen immer noch im Labor. Zeit- und kostenintensive Schritte können eingespart werden. Somit haben die Behandler mehr Zeit, auf die individuellen Wünsche der Patienten einzugehen.Die Gerüste, welche auf Implantatniveau hergestellt wurden, waren überwiegend für den Oberkiefer geplant. Im Unterkiefer führte eine Versteifung des Kiefers, durch lange rigide Spannweiten, zu Spannungen. Diese Torsionskräfte kommen bei der Mastikation zustande – auch Parafunktionen oder Pressen können langfristig zu Überbelastungen der Implantate führen. Leider war kein Fräszentrum in Deutschland in der Lage, durchmesserreduzierte prothetische Platforms von 3,0 mm auf Abutmentniveau zu fräsen. Aus diesem Grund wurden zwangsläufig zwei Unterkiefer mit Gerüsten auf Implantatniveau versorgt. Um Schwachstellen zu eliminieren und Schraubenlockerungen zu diagnostizieren, wurden diese zwei Patienten in einem viermonatigen Recall aufgenommen. Bei den anderen Fällen wurden die Schwachstellen mithilfe von Multi-Units nach koronal versetzt. In beiden Fällen ist eine passive Passung der Gerüste elementar wichtig.

Im Labor wurden Meistermodelle hergestellt und anschließend eingespannt. Die Einstellung des richtigen Emergenzprofils ist sehr wichtig. Nicht alle Fräsmaschinen waren in der Lage, konkave Profile abzubilden. In diesen Fällen wurde nachträglich manuell Platz für das Weichgewebe belassen oder aktiv durch Druck manipuliert.

Gerüste auf Abutmentniveau hingegen waren leichter herzustellen. Besonders bei Komponenten mit konkaven Schultern war die Weichgewebeästhetik leicht zu realisieren. Gleichzeitig zeigte sich, dass kein System alle klinischen Situationen optimal unterstützen kann. Die Implantathersteller bieten geringe oder keine Auswahl von Emergenzprofilen für die Multi-Unit-Abutments an. So muss bei der Planung, neben dem richtigen Implantattyp, auch der Gedanke über die prothetischen Komponenten einfließen. Individualisierungen von Komponenten in der prothetischen Phase sind begrenzt möglich, in solchen Fällen allerdings kann zwischen Gerüsten auf Abutment- oder Implantatniveau gewechselt werden, um optimale Gegebenheiten für das Weichgewebe zu realisieren. Die Verblockung aller Implantate miteinander zeigt sehr hohe Stabilität. Das periimplantäre Gewebe ist auch nach vier Jahren stabil. In dem Zeitraum der Nachkontrollen gab es keine Implantatverluste.

Ähnliche Ergebnisse sind auch bei den All-on-4-Protokollen zu sehen. Das Setzen von fünf bis sechs Implantaten pro Kiefer erhöht zwar die Kraftverteilung, dient aber primär der Erweiterbarkeit der Versorgung bei potenziellen Verlusten und der optimalen Mastikation. Etabliert hat sich auch die Versorgung mit Keramikverblendungen – Patienten mit nur einem zahnlosen Kiefer bekamen diese Versorgung.

Auf anguliert inserierte Implantate wurde verzichtet. Bei diesem Protokoll wurden die Implantate so gesetzt, dass die Austrittspofile möglichst distal erhalten werden. Oft ging es um Versorgungen auf vier Implantaten, bei denen die Kräfte sorgfältig verteilt werden müssen. Bei mehr als vier Implantaten, und unter Berücksichtigung, dass Längen unter 10 mm keine reduzierte Überlebensrate zeigen, wird empfohlen, auf Angulationen zu verzichten. Gleichzeitig wurde bei Bedarf auch eine Optimierung des Implantatbettes mithilfe eines Sinuslifts durchgeführt.

Die Patienten haben relativ lange, im Vergleich zu einer Sofortimplantation, auf Komfort und Funktionalität verzichtet. Protokolle wurden während der Behandlungen bevorzugt. Schließlich soll die Behandlung mit Implantaten nicht nur funktionell und ästhetisch sein, sondern auch langlebig. Die Hersteller bieten eine große Variation an Komponenten an. In dieser Serie haben sich einteilige Komponenten mit Rotationssicherung bewährt – sowohl zwischen Abutment und Implantat als auch zum Gerüst. Letzteres erleichtert das Einsetzen der Abutments mittels Jigg. Einteilige Komponenten sind praktisch und können oft ohne zusätzliche Instrumente eingesetzt werden. Schwierigkeiten traten bei distal gesetzten Implantaten und abgewinkelten Abutments auf – die Handhabung und die Fixierung der Abutments war erschwert.

Eine weitere Problematik war die Einbeziehung von älteren Implantaten. Obwohl alle integriert werden konnten, war deren Positionierung schlecht für die Ästhetik, weil sie früher entweder Vollprothesen unterstützt haben oder einen reduzierten Durchmesser besaßen, welche die Fräszentren nicht auf Abutmentniveau fräsen konnten. Festzuhalten ist, verschraubte Gesamtkieferrekonstruktionen bieten hohen Komfort und Ästhetik, langfristige Gewebestabilität, leichte Pflege sowie Erweiterbarkeit und sind daher für ältere Patienten gut geeignet. Kombiniert mit einer digitalen Planung kann der Patientenkomfort enorm gesteigert werden.

Der Beitrag ist im Implantologie Journal 12/2016 erschienen.

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