Cosmetic Dentistry 28.07.2022

Versorgung bei Nichtanlagen und hypoplastischen (Milch-)Zähnen



Versorgung bei Nichtanlagen und hypoplastischen (Milch-)Zähnen

Foto: ZÄ Lara Sommer, Dr. Marcus Striegel, ZTM Martin Toennies

Immer häufiger kommen Patienten mit multiplen Nichtanlagen oder dysmorphen Zähnen mit dem Wunsch nach einer ästhetisch ansprechenden, aber minimalinvasiven und gleichermaßen möglichst schnellen und schmerzfreien Behandlung in die Praxis. Besonders bei nicht angelegten Zähnen im sichtbaren Frontzahnbereich stehen betroffene Patienten oftmals unter hohem Leidensdruck und suchen nach Alternativen zu invasiven Implantatoperationen. Der folgende Fachbeitrag stellt eine minimalinvasive Versorgung bei multiplen Nichtanlagen und persistierenden Milchzähnen dar.

Die 24-jährige Neupatientin stellte sich mit dem Wunsch nach „schönen Zähnen und einem tollen Lächeln“ vor. Die Befunde ergaben ein klinisch und röntgenologisch gesundes Gebiss, allerdings mit multiplen Nichtanlagen und persistierenden Milchzähnen. Die Zähne 14, 15, 12, 22, 25 sowie die Weisheitszähne waren bei der Patientin nicht angelegt. Die Patientin wollte ihre Milchzähne so lange wie möglich erhalten. Zahn 13 ist in der Position des ersten Prämolaren durchgebrochen, die Milchzähne 55, 53, 52 und 65 sind persistierend. Die Lücke Regio 22 ist durch eine einflügelige, am Zahn 23 palatinal verklebte Komposit-Anhängerbrücke provisorisch versorgt. In der Unterkieferfront ist nach erfolgter und abgeschlossener kieferorthopädischer Behandlung in der Jugend ein Retainer geklebt. Konservierend sind die Zähne 55 und 65 durch Kompositfüllungen versorgt (Abb. 1). Die Vitalitätsprobe mit CO2-Schnee fiel bei allen vorhandenen Zähnen positiv aus.

Auffallend waren die ausgeprägten zervikalen Defekte, besonders an den Zähnen 55 und 65, als auch weniger stark ausgeprägt an 53 und 52. Die ersten Molaren waren beiderseits neutralverzahnt, im Eckzahnbereich lag eine halbe Prämolarenbreite Distalverzahnung vor. Der Overjet war mit 3 mm leicht erhöht, der Overbite lag im Normbereich. Zudem stellte sich ein offener Biss Regio 53/43 dar. Das parodontale Screening ergab lediglich eine leicht erhöhte Blutungsneigung des Zahnfleischs aufgrund von Zahnstein. Funktionell ergab sich nach einem CMD-Kurzscreening nach Ahlers und Jakstat1 zunächst kein Behandlungsbedarf. Bei Betrachtung der dynamischen Bewegungen fiel die initiale laterotrusive Gruppenführung bei Laterotrusionsbewegung nach rechts auf. Im Hinblick auf die teilweise übermäßigen und nicht altersgerechten zervikalen Substanzverluste (besonders an den steil stehenden Milchmolaren 55 und 65) sowie der fehlenden Front-Eckzahn-Führung rechts bei Laterotrusions- als auch bei Protrusionsbewegungen kann von einer Dysfunktion aufgrund von exzentrischen Zahnkontakten (Abb. 2) ausgegangen werden, was der Versorgung der Frontzähne neben der ästhetischen auch eine funktionelle Indikation beimisst.2,3 Ästhetisch störte sich die Patientin massiv an ihrem dysharmonischen Lächeln. Sie beschrieb ihre Frontzähne als zu klein und lückig (Abb. 2a und b).

Vorgehen

Bereits beim Ersttermin wurde die Ausgangssituation digitalisiert: Es wurde ein Scan von Ober- und Unterkiefer sowie des habituellen Bisses gemacht. Per Digital Smile Design konnten virtuell die ideale Zahnlänge und -form modelliert werden. Anschließend wurden durch 3D-Druckverfahren Situationsmodelle hergestellt, auf denen ein Wax-up der Zähne 14–24 nach virtuellem Vorbild erstellt werden konnte.

Beim darauffolgenden Beratungstermin konnte mittels eines laborgefertigten Silikonschlüssels und Tetric Evo Flow Bleach L (Ivoclar) ein direktes Mock-up zur Veranschaulichung für den Patienten erstellt werden (Abb. 4).

Das temporäre Ergebnis überzeugte die Patientin. Es wurde eine vollkeramische Versorgung der Front (Zahn 53–23) sowie Kompositfüllungen und Aufbauten der Zähne 55, 13, 24, 65 geplant. Es fand eine professionelle Zahnreinigung mit Pulverstrahlanwendung (Airflow, EMS) zur Eliminierung jeglicher extrinsischer Verfärbungen und Auflagerung sowie ein präprothetisches Bleaching mit FLÄSH statt. Anschließend erfolgte die Farbnahme durch den Techniker (Farbe: B1). Zunächst wurden Zahnhalsfüllungen an Zahn 55 und 65 sowie indirekte Kompositaufbauten der Zähne 13 und 24 mit Tetric Evo Flow A1 nach Vorbild des Wax-ups mithilfe des Silikonschlüssels gemacht (Abb. 5a und b). Die Präparation der Frontzähne erfolgte so minimalinvasiv wie möglich innerhalb der Schmelzschicht weitgehend ohne Freilegung von Dentin, um vor allem für die Milchzähne eine langzeitstabilere Schmelzklebung zu erreichen.

Die Präzisionsabformung erfolgte digital (3Shape) sowie analog mittels Doppelmischtechnik mit Impregum und Permadyne (beide 3M ESPE) und eines zuvor angefertigten individuellen Abformlöffels. Zusätzlich wurde ein Gesichtsbogen- sowie ein habituelles Bissregistrat mit Omnibite genommen. Das Provisorium wurde erneut mithilfe des Silikonschlüssels und Luxatemp Farbe A1 hergestellt, von Hand ausgearbeitet und mit einem dualhärtenden provisorischen Befestigungskomposit (Teliolink) provisorisch eingesetzt (s. Abb. 4). Nach Modellherstellung wurden mittels CAD/CAM-Technik Wachskäppchen hergestellt und durch ein Pressverfahren in einer Lithiumdisilikatkeramik (e.max) gepresst (Abb. 6a und b).

Veredelt wurde die labiale Fläche jeweils durch die individuelle Schichtung mit einer Verblendkeramik (IPS e.max Ceram, Ivoclar). Die definitive Versorgung wurde mittels Adhäsivtechnik mit Tetric Flow Bleach L eingegliedert. Mit dem Endergebnis ist die Patientin sehr zufrieden (Abb. 7a und b). Funktionell konnten durch die neue Front-Eckzahn-Führung exzentrische Störkontakte bei der Protrusionsbewegung sowie in der Laterotrusionsbewegung eliminiert werden (Abb. 8). Die Führung bei Laterotrusion nach rechts erfolgt zur Schonung des Milchzahnes 53 (verkürzte Wurzel, siehe Abb. 1) auch weiterhin initial mit über den Zahn 14.

Welche Probleme bzw. Einschränkungen sind bei der definitiven Versorgung von Milchzähnen zu erwarten und was muss der Patient wissen?

ZÄ Lara Sommer: Milchzähne sind kleiner, haben kürzere Wurzeln und unterscheiden sich auch mikromorphologisch (Schmelz- und Dentinstruktur) von bleibenden Zähnen.4 Das Risiko für frühzeitigen Verlust ist somit höher und der langfristige adhäsive Verbund zur Keramik leicht herabgesetzt. Der Verbund kann maximiert werden indem nur minimalinvasiv in der Schmelzschicht präpariert wird. Funktionell muss darauf geachtet werden, dass keine Überlastung stattfindet und beispielsweise wie im vorliegenden Fall der erste Prämolar in die Laterotrusion miteinbezogen wird. Der Patient muss darüber Bescheid wissen, dass die Langzeitprognose für Milchzähne im bleibenden Gebiss im Vergleich zu den permanenten Zähnen trotz Allem herabgesetzt ist.

Welche Alternativbehandlungen müssen daher besprochen werden?

Dr. Marcus Striegel: Die Versorgung der Milchzähne mit Keramiken oder auch Kunststoffen sind Kompromissbehandlung. Die Alternativen sind wesentlich invasiver oder möglicherweise mit ästhetischen Einbußen verbunden. So wären die Extraktion der Milchzähne mit nachfolgender Implantation oder die Versorgung mit einer konventionellen Brückenkonstruktion zwei weitere Möglichkeiten. In manchen Fällen kommt auch ein kieferorthopädischer Lückenschluss infrage.

Was sind die Vorteile von DigiLog im vorliegenden Fall? Warum führt das Zusammenspiel von digitaler Technik/Planungssoftware und handwerklicher Meisterleistung zum Erfolg?

ZTM Martin Toennies: Durch die digitale Planung und das direkte Mock-up am Patienten kann dieser leicht in die Behandlungsplanung integriert und zur Behandlung motiviert werden.5,6 Die Kommunikation zwischen Behandler, Patient und Techniker ist einfacher.7 Die Abformung kann bei epi- oder supragingivalen Präparationen wie im vorliegenden Fall meist gut digital sowie analog erfolgen, bei subgingivalen Präparationsgrenzen ist der analoge Weg oftmals noch der zuverlässigere und genauere. Durch Planungssoftwares kann unter anderem der nötige Substanzabtrag oder notwendige Schichtstärken überprüft und ermittelt werden.8 Trotzdem sollte sowohl die Farbnahme bei hochästhetischen Fällen als auch die Individualisierung der gepressten oder gefrästen Keramiken durch den Techniker erfolgen.

Eine Literaturliste steht hier zum Download für Sie bereit.

Dieser Beitrag ist in der Cosmetic Dentistry erschienen.

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