Cosmetic Dentistry 16.10.2023

Alterszahnmedizin: Kompromiss­behandlung oder Königsdisziplin



Alterszahnmedizin: Kompromiss­behandlung oder Königsdisziplin

Foto: Kevin – stock.adobe.com

Der folgende Artikel zeigt anhand von zwei Fällen aus der klinischen Praxis Möglichkeiten der festsitzenden als auch herausnehmbaren prothetischen Versorgung bei multimorbiden Patienten. Dabei unterstützt der digitale Workflow eine patientenadäquate Vorgehensweise.

Karies und Parodontitis sind selbstverständlich keine Erkrankungen, die ausschließlich bei alternden Menschen auftreten, jedoch sind ältere Personen mit einer reduzierten Allgemeingesundheit und bestehendem Pflegebedarf besonders gefährdet, einen schlechteren Mundgesundheitsstatus als die Durchschnittsbevölkerung zu haben.1, 2 Diese Personengruppe hat ein erhöhtes Risiko, zahnmedizinisch unterversorgt zu sein. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: Zum einen kommt es zur Akkumulation der Zahnschädigungen, zur Potenzierung von Risikofaktoren für Karies und Parodontitis. Zum anderen führen körperliche Einschränkungen zu einer sich reduzierenden Mobilität. Gegebenenfalls rücken auch andere Erkrankungen und Therapien in den Vordergrund. Zahnarzttermine können für Personen mit einer reduzierten Allgemeingesundheit und Pflegebedarf als sehr belastend wahrgenommen werden. Die zahnmedizinische Betreuung dieser Klientel erfordert zusätzlich zu der zahnmedizinischen Expertise auch besondere kommunikative Fähigkeiten sowie ein fundiertes geriatrisches und allgemeinmedizinisches Wissen (Grafik 1).

Aus beschwerdeorientiert Prävention schaffen

Es ist bekannt, dass das Besuchsverhalten besonders im Alter leider häufig eher beschwerde- als präventivorientiert ist. Erst ein abgebrochener Zahn und eine verlorene Prothese sind dann der Auslöser, dass Patienten oder deren Angehörige wieder einmal einen Zahnarzt kontaktieren. Auch ein solcher beschwerdeorientierter Besuch ist eine Chance, Patienten sowie betreuendes Umfeld zur Umsetzung präventiver Mundgesundheitsmaßnahmen zu (re)motivieren.

An restaurative Therapien sollte sich immer eine Intensivierung der Prophylaxemaßnahmen anschließen, um die Therapieergebnisse zu erhalten. Je nach Therapiebedarf und Therapiefähigkeit gilt es, bei geriatrischen Patienten ein (pragmatisches) Therapieziel und zielführendes Behandlungssetting (aufsuchende zahnmedizinische Behandlung, ambulante Behandlung in der Praxis, Sanierung in ITN) zu wählen. Präventive, erkrankungsspezifische und funktionsorientierte Maßnahmen müssen sich bei der Behandlung älterer, mehrfacherkrankter Patienten sinnvoll ergänzen. Bei stark reduzierter Therapiefähigkeit sollten als Minimalziel die oralen Strukturen schmerz- und entzündungsfrei sein, um lebensbedrohliche Komplikationen wie Pneumonien oder Bakteriämien zu verhindern.4 Der Erhalt der Kaufunktion ist auch zur Prävention einer Fehl- und Mangelernährung wichtig. Bei der Wiederherstellung von oralen Funktionen und Ästhetik können Zahnmediziner die Gesundheit und Lebensqualität von Senioren direkt unterstützen.3

Barrierefreies Praxiskonzept:

Mehr als Rollstuhl-zugängliche Praxis

Das gesamte Spektrum zahnmedizinischer Interventionen kann bei der Behandlung von Personen mit Pflegebedarf sinnvoll sein. Die Kooperations- und Belastungsfähigkeit des Patienten bei den einzelnen Therapieschritten, die realisierbare Mundhygiene und das Ausmaß der dentalen/parodontalen Schädigung bestimmen die Wahl der einzelnen Therapeutika. Prothetische Rehabilitationen bedingen ein Mindestmaß an Mitarbeit des Patienten und des betreuenden Umfelds während der prothetischen Therapie und auch bei der häuslichen Mundhygiene. Ein barrierefreies Praxiskonzept bedeutet nicht nur, dass die Praxis mit dem Rollstuhl zugänglich ist, sondern vor allem bedingt es ein im Umgang und in der Kommunikation mit Personen mit erhöhtem Pflegebedarf geübtes Praxisteam, das die Patienten entsprechend ihrer alters- und/oder erkrankungsassoziierten Bedürfnisse unterstützt. Patientenzentrierte Therapiepläne berücksichtigen die Belastungsfähigkeit der Patienten in Bezug auf die Anzahl und Dauer der einzelnen Therapiesitzungen. Eine möglicherweise reduzierte Adaptationsfähigkeit an neu angefertigtem herausnehmbaren Zahnersatz gilt es besonders bei neurodegenerativen Erkrankungen im Vorfeld der Therapie zu besprechen.5 Orale Rehabilitationen bei Personen mit Pflege- und/oder Unterstützungsbedarf verlangen ein routiniertes und effizientes Behandeln. Patienten mit stark reduzierter Therapiefähigkeit profitieren im besonderen Maß von zeiteffektiven Methoden und feuchtigkeitstoleranten Befestigungsmaterialien.

Behandlungsbeispiele

Voraussagbare Therapieergebnisse sind, auch um erneute Behandlungen zu vermeiden, von besonderer Bedeutung. Hier zeigen zahntechnische Arbeiten im digitalen Workflow Zukunftspotenzial. Die Grundlage für den digitalen Workflow ist der Intraoralscan (IOS), und dieser Behandlungsschritt erlaubt eine flexible, auf die Patienten abgestimmte Behandlungsgestaltung. So können während des IOS Pausen eingeplant werden, wovon besonders auch Personen mit reduzierter Therapie- und Belastungsfähigkeit profitieren.

Die folgenden Behandlungsbeispiele zeigen, wie der digitale Workflow sowohl im Bereich der festsitzenden als auch im Bereich der herausnehmbaren Prothetik bei Senioren erfolgreich umgesetzt werden kann.

Fall 1

Brückenversorgung einer hochbetagten Patientin mit fortgeschrittener demenzieller Erkrankung (Abb. 1 bis Abb. 15)

Fall 2

Totalprothesenversorgung eines Patienten mit reduziertem Gesundheitszustand innerhalb von drei Behandlungsterminen (Abb. 16 bis Abb. 28)

Fazit

Die prothetische Therapie von Personen mit reduzierter Therapie- und/oder Kooperationsfähigkeit ist für das gesamte Behandlungsteam anspruchsvoll und bedingt ein effizientes Behandlungs- sowie ein barrierefreies Praxiskonzept. Mithilfe eines digitalen Workflows in Kombination mit präventiven Maßnahmen bzw. Instruktionen zur Umsetzung der täglichen Mundpflege können auch bei Patienten mit reduzierter Therapiefähigkeit prothetische Therapien erfolgreich umgesetzt werden.

Autoren: Severin Rothlauf, Prof. Dr. Benedikt Spies, Dr. Anna-Lena Hillebrecht

Eine Literaturliste steht hier zum Download für Sie bereit.

Dieser Artikel ist unter dem Originaltitel: „Alterszahnmedizin: Kompromissbehandlung oder Königsdisziplin?“ in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis 09/2023 erschienen.

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