Implantologie 22.06.2023

Die abnehmbare Versorgung in der Alterszahnmedizin



Die abnehmbare Versorgung in der Alterszahnmedizin

Foto: Dr. Lucas Fahling

Dieser Fachartikel ist unter der Originalüberschrift: „Muss es in der Alterszahnmedizin zwingend die abnehmbare Versorgung sein?“ im Implantologie Journal erschienen.

Die Möglichkeiten zur Rekonstruktion verloren gegangener Zähne sind vielfältig. Sie reichen von zementierten und herausnehmbaren Brücken über Teil- oder Vollprothesen bis zu implantatgetragenen Versorgungen. Die Versorgungskonzepte hängen von der individuellen Zahngesundheit, den oralen Befunden sowie den Wünschen der Patienten an die Ästhetik, den Komfort und die Funktion ab. Die Berücksichtigung der Patientenanforderungen ist – soweit medizinisch vertretbar – ein maßgeblicher Erfolgsfaktor jeder therapeutischen Maßnahme. Im nachfolgenden Fall war die Erneuerung des Zahnersatzes bei einer 73-jährigen Patientin aufgrund klinischer Probleme notwendig. Sie wünschte sich eine schlankere, femininere und ästhetische Neuversorgung.

Die Patientin wechselte zu uns in die Praxis, weil ihr Hauszahnarzt in den Ruhestand gegangen war, sie Zahnschmerzen hatte und nicht mehr richtig kauen konnte. Im Gespräch äußerte sie, dass sie ihre Oberkieferversorgung auch nicht mehr optimal reinigen könne. Bei der oralen Befundaufnahme zeigte sich eine keramisch verblendete Brückenrekonstruktion mit Verblockung von 14 auf 27. In Regio 25 bis 27 waren die Brücke abzementiert und die Pfeilerzähne kariös, parodontal und funktional jedoch unauffällig. Bei der anschließenden röntgenologischen Befundaufnahme wurden eine Wurzelspitzenresektion in Regio 13, ein Implantat Regio 14 sowie die wurzelbehandelten Zähne 25, 26 und 27 diagnostiziert. In Regio 13, 23 und 24 wurde ein massiver Knochenabbau vermutet, der im späteren Verlauf der Behandlungsplanung mithilfe eines DVTs bestätigt wurde (Abb. 1 und 2). Für den Abbau des Kieferknochens gibt es unterschiedliche Gründe, beispielsweise Entzündungen, Tumore, Unfälle oder angeborene Defekte. Aber auch mangelnde Belastungen können zu Knochendefiziten führen. Die Rekonstruktion der Atrophie des Alveolarknochens nach Zahnverlust erfordert häufig zweizeitige chirurgische Maßnahmen für den Aufbau des Kieferknochens1,2 – nicht nur um die ursprüngliche anatomische Ausprägung des Kiefers wiederherzustellen, sondern auch um ein volumenstabiles Knochenlager für die Platzierung eines Implantats im Sinne der Pfeilervermehrung zu schaffen.

Im Behandlungskonzept der Praxis gilt das autologe Knochentransplantat als das Mittel der Wahl für die Rekonstruktion des Alveolarknochendefizits. Der patienteneigene Knochen enthält osteogene Zellen, Kollagen und u. a. knochenmorphogene Proteine, die eine Knochenneubildung ohne immunologische Abstoßungsreaktion ermöglichen.3,4 Voraussetzung ist, dass die klinische Situation und körperliche Verfassung der Patienten einen zweiten Eingriff zur Entnahme von Knochenblöcken erlauben und aus der Spenderregion ausreichend Knochen für den Aufbau des Defekts gewonnen werden kann. Des Weiteren müssen Kriterien wie Augmentationsort und das benötigte Volumen sowie die Resorptionsrate und das Remodellingverhalten beurteilt werden.5,6 In Anlehnung an die Technik nach Prof. Dr. Fouad Khoury7 werden Knochenaufbaumaßen mit autologen Schalen realisiert. Die Schalen werden ausgedünnt, um sie ideal an den Defekt zum Aufbau der Kontur anpassen zu können. Sie werden mit Osteosyntheseschrauben lagestabil befestigt und mit einer Mischung aus autologen Knochenspänen und allogenem Ersatzmaterial verfüllt. Diese Technik ermöglicht es, dass komplexe Defekte präzise rekonstruiert werden können. Die Raumauffüllung mit dem Gemisch aus Eigenknochen und Granulat ermöglicht ein gutes Knochen-Remodelling und eine vorhersagbare Vaskularisierung.


ZA Lucas Fahling:

„Die Rekonstruktion der Atrophie des Alveolarknochens nach Zahnverlust erfordert häufig zweizeitige chirurgische Maßnahmen für den Aufbau des Kieferknochens.“


Planung und chirurgischer Eingriff

Die Versorgungsmöglichkeiten wurden mit der Patientin besprochen. Vor allen Dingen musste die Planung vorausschauend hinsichtlich des Alters der Patientin erfolgen und eine einfache Erweiterbarkeit des Zahnersatzes nach Zahnverlust verfolgt werden. Aufgrund der Wünsche nach einem feminineren Zahnersatz waren abnehmbare Brücken oder die teleskopierende Prothese keine Option, da die Pfeilerzähne noch voluminöser und damit auch dominanter werden würden. Die definitive Versorgung wurde mit kleinen Einheiten und guter Hygienefähigkeit geplant. Dafür waren Implantate in den Regionen 13, 23 und 24 erforderlich. Das sehr dünne Knochenangebot (1 bis 2 mm) im linken oberen Quadranten Regio 23 und 24 wurde mittels der erhobenen DVT-Daten ausgelesen. In der prächirurgischen Phase wurde die Keramikbrücke segmentiert und zahnsubstanzschonend entfernt. Die erhaltungsfähigen Pfeilerzähne wurden für die Fertigung eines Langzeitprovisoriums (LZP) präpariert, die ästhetischen Wünsche besprachen Behandler, Zahntechniker und Patientin gemeinsam (Abb. 3 und 5). Nach erfolgten Mundhygienemaßnahmen und der Unterweisung der Patientin in der täglichen Pflege wurde das LZP eingesetzt und das Erscheinungsbild gemäß den Wünschen der Patientin gemeinsam festgelegt. Aufgrund des massiven Knochendefizits wurde die Rekonstruktion des Alveolarknochens im zweizeitigen Verfahren notwendig. Auf Basis der DVT-Daten wurde das aufzubauende Knochenvolumen definiert, um einen ausreichend dimensionierten Knochenblock aus der Linea obliqua externa zu entnehmen. Dieser wurde extraoral mit einer Trennscheibe in drei Schalen geteilt und in Kochsalzlösung bis zum Einsatz gelagert. Die Freilegung des Kieferknochens in Regio 23 und 24 erfolgte mittels einer krestalen Schnittführung und der Präparation eines Mukoperiostlappens. Die Schalen wurden sowohl von palatinal als auch von vestibulär zum Konturaufbau an die Defektsituation angepasst und mit Osteosyntheseschrauben lagestabil fixiert. Der dadurch entstandene Container konnte mit autologen Knochenspänen und allogenem Knochenersatzmaterial (MinerOss® A, BioHorizons Camlog) aufgefüllt werden. Die Abdeckung des OP-Bereichs erfolgte mit einer Barrieremembran (Argonaut®, BioHorizons Camlog). Das Weichgewebe wurde mobilisiert und spannungsfrei sowie dicht über dem Augmentat verschlossen. Im rechten Quadranten war die bukkale Knochenwand vollständig vorhanden, hier musste die Knochenschale nur von palatinal zur Rekonstruktion des Defizits angebracht werden. Mit der autologen/allogenen Knochenmischung wurde der Hohlraum aufgefüllt, mit der Barrieremembran abgedeckt und verschlossen. Mit wenigen Modifikationen, wie die Anpassung der Brückenglieder im OP-Bereich von basal, wurde das LZP eingesetzt (Abb. 6–10). Die Augmentate konnten unter dem festsitzenden Langzeitprovisorium über einen Zeitraum von vier Monaten belastungsfrei regenerieren. Aufgrund des komplikationslosen Heilungsverlaufs konnten die Nähte drei Wochen nach dem chirurgischen Eingriff entfernt werden.

Vier Monate später erfolgte die Insertion der Implantate in Regio 13, 23 und 24. Nach der Präparation eines Mukosalappens stellte sich der Kieferknochen vollständig regeneriert und volumenstabil dar. Die Osteosyntheseschrauben wurden entfernt und die Implantatstollen protokollgerecht für die Insertion der 3,8 mm Implantate (13 mm lange Implantate Regio 13 und 23 und ein 11 mm langes in Regio 24, CAMLOG SCREW-LINE) aufbereitet. Die Implantatplatzierung erfolgte epikrestal. In Regio 13 wurde im vestibulären Halsbereich des Implantats Eigenknochen, gewonnen aus der Aufbereitung der Bohrstellen, angelagert, um das kleine Knochendefizit aufzufüllen. Für die gedeckte Einheilung wurden die Implantate verschlossen und das Weichgewebe speicheldicht vernäht (Abb. 11–18).

Diskussion

Bei dem vorliegenden Fall boten sich verschiedene Wege an, das angestrebte Therapieziel zu erreichen. Es galt, zwischen herausnehmbar und/oder festsitzend und damit zwischen dem ausdrücklichen Wunsch der Patientin und dem damit einhergehenden Nutzen-Risiko abzuwägen. 8,9 Aufgrund der eindeutigen klinischen Indikation war eine scharfe Abgrenzung zu einer kosmetisch orientierten „wunscherfüllenden Zahnmedizin“ gegeben. Damit rückten die individuellen Faktoren und Wünsche der Patientin in den Vordergrund wie insbesondere nach einem weitestgehenden Erhalt ihrer natürlichen Zähne und nach festsitzendem Zahnersatz, zumal auch Senioren noch aktiv sind und ihr Leben genießen wollen. Mit drei Implantaten, prothetisch jeweils mit Einzelkronen versorgt, konnte nicht nur den Wünschen der Patientin entsprochen werden. Eine Erweiterung oder Umarbeitung der Versorgung bei Verlust eines oder mehrerer Zähne wird damit nicht erschwert, sondern eher erleichtert, als keine prothetischen Konstruktionen über mehrere Zähne zu berücksichtigen sind. Ebenfalls zu berücksichtigen war ein mögliches „ästhetisches Unbehagen“ vor einer Demaskierung bei einer herausnehmbaren Restauration. Die vorgenommene festsitzende Versorgung war somit eine Frage des ethischen Respektes vor der Patientenautonomie. 10

Fazit

Bei älteren Patienten ist die Behandlungstherapie unter Berücksichtigung ihrer motorischen Fähigkeiten und ihrer Wünsche durchzuführen. Mit spezifischen chronischen Erkrankungen kann die Gewöhnungsfähigkeit an einen neuen Zahnersatz sinken. Es muss individuell entschieden werden, welche Art der Versorgung der Patient akzeptieren oder handhaben kann. Auch ist es wichtig, ob und wie eine festsitzende Versorgung gestaltet und sinnvoll oder nicht doch eine abnehmbare Versorgung zielführend ist. Statt einer umfangreichen prothetischen Neuversorgung kann bei bestimmten Indikationen eine Wiederherstellung des vorhandenen Zahnersatzes sinnvoll sein. Im vorgestellten Fall waren Maßnahmen zur Knochenrekonstruktion für jede Versorgungsart unabdingbar. So konnten mit nur drei Implantaten die Pfeiler zur Herstellung kleiner Brückeneinheiten vermehrt werden. Die Behandlungsmaßnahmen wurden in individuell geeignete Schritte unterteilt, damit die körperliche Belastung durch die einzelnen Behandlungssitzungen möglichst gering ist. Der Zahnersatz muss leicht zu reinigen sein und in der Zukunft bei Bedarf leicht angepasst werden können. Im Falle eines Zahnverlustes wären die Maßnahmen für eine Erweiterung der Rekonstruktion überschaubar.

Die Literatuliste können Sie sich hier herunterladen.

Dieser Fachbeitrag ist im IJ Implantologie Journal erschienen.

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