Implantologie 28.12.2022

Versorgungsmethode im hochatrophen Oberkiefer



Versorgungsmethode im hochatrophen Oberkiefer

Foto: Dr. Bernd Quantius, M.Sc.

Die All-on-4-Methode® hat sich als Behandlungsoption zur Versorgung des zahnlosen Unter- und Oberkiefers etabliert. Im Fallbericht dieses Fachbeitrags wird die Umsetzung dieser Methode bei Patienten mit hochatrophem Oberkiefer mithilfe von Zygoma-Implantaten gezeigt.

Die All-on-4-Methode® wurde 1998 als standardisiertes Protokoll für den Unterkiefer eingeführt (Tab. 1) und ab 2001 nach der Entwicklung von Implantattypen mit erhöhter primärer Stabilität auch im Oberkiefer angewendet. Seit 2004 konnte diese Methode durch die Verwendung von Zygoma-Implantaten auch im hochatrophen Oberkiefer durchgeführt werden. Seitdem ist sie Gegenstand umfangreicher Studien.

Die All-on-4-Methode® – Prinzipien

  • standardmäßig vier Implantate
  • Implantation im Kiefer oder extramaxillär (Zygoma)
  • Winkelung der hinteren Implantate (30–45 Grad)
  • immer einteilige, festsitzende und verschraubte Suprakonstruktion
  • Sofortversorgung mit festsitzendem, implantatgetragenem
  • Zahnersatz
  • Knochenreduktion, falls erforderlich
  • Verankerung der Implantate im ortsständigen Knochen
  • Freienden, wenn notwendig
  • immer künstliches Zahnfleisch

Es liegen retrospektive Studien mit Beobachtungszeiträumen von über zehn Jahren,1, 2 prospektive Studien mit Untersuchungszeiträumen bis zu sieben Jahren3 sowie systematische Reviews4 vor. Die Verwendung der Zygoma-Implantate wurde nach der Beschreibung durch Branemark5 und Modifikation durch Stella6 insbesondere von den Teams um Malo 7–10 sowie Aparicio11–14 weiterentwickelt und die Vorgehensweise sowie das Design der Implantate modifiziert. Die Studie von Tallarico,15 die randomisiert die Überlebensraten von sechs vs. vier Implantaten mit festsitzender Versorgung im Oberkiefer untersuchte, führte schließlich 2020 zur Aufnahme der All-on-4-Methode in die S3-Leitlinien zur Versorgung des zahnlosen Oberkiefers.16

Diagnose und Patientenauswahl

Die Mindestanforderung im Oberkiefer hinsichtlich der Knochenquantität beträgt für eine Vorgehensweise nach dem Standard-Protokoll ca. 10 mm Knochenhöhe bei 5 mm Knochenbreite im Bereich 14–24. Liegt die Implantatschulter des distalen Implantats im 4er-Bereich, sollte das mesiale Implantat im Bereich des mittleren Frontzahns platziert werden, damit das Verhältnis zwischen Freiendlänge und Abstand der Implantate zueinander nicht zu ungünstig ausfällt. Diese Situation stellt auch die Grenze einer Versorgung mit der Standard-All-on-4-Methode dar (Abb. 1a). Ist ein adäquates Knochenangebot nur zwischen 13 und 23 gegeben, erlaubt die Kombination von Zygoma-Implantaten mit herkömmlichen Implantaten im Frontbereich als sog. Hybrid-All-on-4 weiterhin eine festsitzende implantatgetragene Versorgung (Abb. 1b). Ein solcher Fall wird in diesem Beitrag beschrieben. Patienten, bei denen auch im Bereich 13 bis 23 kein Knochen vorhanden ist, können durch die Insertion von jeweils zwei Zygoma-Implantaten auf der rechten und linken Seite mit festsitzendem Zahnersatz versorgt werden (Abb. 1c). Somit ist es grundsätzlich möglich, mithilfe der All-on-4- Methode auch Patienten mit hochatrophem Oberkiefer eine festsitzende prothetische Versorgung zu ermöglichen.

Patientenfall

Die 64-jährige Patientin stellte sich mit dem Wunsch nach einer Gesamtsanierung vor. Als Behandlungsziel gab sie eine festsitzende Versorgung auf Implantaten an. Die klinische sowie röntgenologische Untersuchung ergab eine fortgeschrittene Parodontitis mit massivem Knochenabbau sowie Zahnlockerungen (Abb. 2 und 3). Zur Planung einer All-on-4-Versorgung ist die Kontrolle der Lachlinie durch ein Foto mit maximalem Lachen (Abb. 4) notwendig. In diesem Fall zeigte sich eine hohe Lachlinie, was bei der Operationsplanung berücksichtigt werden musste, da bei einer All-on-4-Versorgung der Übergang zwischen künstlichem und natürlichem Zahnfl eisch nicht sichtbar sein darf. Die mögliche Behandlungsalternative mit Knochenaufbau in der Front und beidseitigem Sinuslift nach Extraktion der Zähne wäre komplexer und mit ca. einem Jahr wesentlich zeitaufwendiger. Ein gutes ästhetisches Ergebnis ist darüber hinaus im Vergleich zu der beschriebenen Vorgehensweise mit Zygoma-Implantaten wesentlich schwieriger und nicht vorhersagbar zu erreichen.

Bei der Planung einer All-on-4-Versorgung mit Zygoma- Implantaten und einem festsitzenden Zahnersatz müssen wiederum andere Kriterien berücksichtigt werden: Für eine gute Reinigungsmöglichkeit des festsitzenden Zahnersatzes müssen die Implantatschultern der Zygoma-Implantate im Bereich des Kieferkamms positioniert werden. Bei flachen oder – wie in diesem Fall – nicht vorhandenem Knochen in der Prämolarenregion wird das Implantat bukkal nur von der Gingiva bedeckt sein und die Implantate werden extramaxillär positioniert (Abb. 5 und vgl. 8). Um eine langfristig stabile Gingivasituation zu ermöglichen und Rezessionen am Zygoma-Implantat zu vermeiden, soll die Schulter innerhalb der Kurvatur des Kieferkamms liegen und von einem breiten Saum befestigter Gingiva umgeben sein. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden die Prämolaren und Molaren sowie 11 und 21 im Vorfeld der Operation entfernt und eine herausnehmbare Interimsversorgung zum Ersatz dieser Zähne eingesetzt. Die Operation mit Extraktion der verbliebenen Zähne, Insertion der Implantate Regio 12, 22 sowie der Zygoma-Implantate Regio 15 und 25 erfolgte dann nach der Weichgewebsheilung der Extraktionsalveolen ca. acht Wochen später.

Um die Anatomie des Os Zygoma im Vorfeld der Operation beurteilen zu können, ist eine 3D-Visualisierung der Situation wichtig. In diesem Fall wurde DTX Studio Implant (Nobel Biocare, KaVo Kerr) als Software verwendet (Abb. 6). Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die DICOM-Daten in ein STL-Format zu konvertieren und mit einem 3D-Drucker ein Modell der knöchernen Situation zu erstellen, an der die Implantation trainiert werden kann. Die 3D-Visualisierung der knöchernen Situation dient zur Planung der Operation, jedoch nicht zur Herstellung einer Implantationsschablone. Unter Berücksichtigung der Länge der Zygoma-Implantate würden geringe Positionsabweichungen der Schablone zu einer nicht tolerierbaren Abweichung der Implantatposition führen.

Operative Vorgehensweise

Die Operation fand in Intubationsnarkose statt. Die Patientin wurde mit Penicillin (Penicillin Mega 3 x 1 tgl. für fünf Tage) sowie Prednisolon 20 mg (am Tag der Operation sowie am Tag danach) medikamentös versorgt. Die Schnittführung erfolgte palatinal vom Kieferkamm, um die befestigte Gingiva durch Verschiebung nach bukkal im Bereich der Implantatschultern zu verbreitern. Eine Nivellierung des Knochens ist notwendig, um ein gleichmäßig breites Plateau und eine Verschiebung des Gingivaverlaufs in den nicht sichtbaren Bereich zu erreichen (Abb. 7).

Nach Darstellung des Os Zygoma, des N. infraorbitalis und der lateralen Austrittsstelle des Implantats wird unter Schonung der Schneider’schen Membran ein Kanal in den Knochen der bukkalen Kieferhöhlenwand bis zum Os Zygoma präpariert. In Verlängerung dieses Kanals erfolgt die Bohrung durch das Os Zygoma. Bei einer Hybrid-Allon- 4 sollte die Spitze des Zygoma-Implantats im kaudalen Drittel des Os Zygoma positioniert werden, um die Option der Implantation eines zweiten Zygoma-Implantats kranial zu ermöglichen.

Nun wurden vier Implantate (zwei NobelZygoma 45°-Implantate und zwei NobelSpeedy Implantate) in Regio 12 und 22 inseriert. Als Anpassung auf die extramaxilläre Vorgehensweise besitzen diese Zygoma-Implantate nur im apikalen Drittel Gewindegänge, sodass die im Bereich der Implantatschulter direkt aufliegende Gingiva nicht irritiert wird (Abb. 8). Die Zygoma-Implantate wurden mit 17° MultiUnit-Verbindungen versehen, damit sich die Öffnung des späteren Schraubkanals zur Befestigung der Prothetik auf der Kaufläche des Zahnersatzes befindet.

Prothetische Versorgung

Die Patientin wurde am Operationstag mit einer festsitzenden Kunststoffbrücke als Langzeitprovisorium versorgt. Die nach sechs Monaten hergestellte definitive Versorgung wurde als CAD/CAMTitangerüst mit aufgestellten Zähnen hergestellt (Abb. 9 und 10). Die Schraubkanäle befinden sich palatinal von 15 und 25 bzw. 12 und 22. Die schmale Gestaltung bewirkt eine gute Hygienefähigkeit des festsitzenden Zahnersatzes. Abbildung 11 zeigt die Kontrollaufnahme nach Einssetzen der difinitiven Versorgung.

Diskussion

Der beschriebene Patientenfall zeigt die Möglichkeit, dass durch den Einsatz von Zygoma-Implantaten Patienten relativ schnell in einem einzeitigen Verfahren mit festsitzendem Zahnersatz versorgt werden können, was sich aus Sicht des Patienten wesentlich komfortabler darstellt als die Behandlungsalternative mit Knochenaufbau und späterer Implantation. Allerdings ist auch dieses Verfahren technisch anspruchsvoll und setzt eine entsprechende Aufklärung des Patienten, genaue Planung und einen erfahrenen Operateur voraus. Als häufigste Komplikationen nach einer Zygoma-Operation werden in der Literatur Sinusitis und mukogingivale Probleme angegeben. Dabei wird die Sinusitis bei einer zweizeitigen Vorgehensweise mit geschlossener Einheilung häufiger beschrieben11, 17 als bei der einzeitigen Vorgehensweise mit Sofortversorgung.18, 19 Bei der extramaxillären Vorgehensweise mit Schonung der Schneider’schen Membran treten Komplikationen vonseiten der Kieferhöhle weniger häufig auf. Durch die bukkale Positionierung der Implantatschulter, die bei dieser Methode nicht von Knochen bedeckt ist, kommt es jedoch eher zu mukogingivalen Problemen im Sinne einer Rezession am Implantat. Zur Minimierung dieses Risikos sollte die Implantatschulter innerhalb der bukkalen Kurvatur des Kieferkamms positioniert werden. Der Patient muss im Rahmen des Recalls darauf hingewiesen werden, dass er im Bereich der Zygoma-Implantate keine Munddusche benutzen darf, da dies zu Entzündungen im Bereich der Gingiva an den Implantaten führen kann.

Die Literaurliste können Sie sich hier herunterladen.

Dieser Artikel ist im Implantologie Journal erschienen.

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