Endodontologie 05.03.2014

Ein universelles biokeramisches Obturationsmaterial



Ein universelles biokeramisches Obturationsmaterial

Als Endodontist ist man ständig mit neuen Instrumenten, Methoden und Materialien konfrontiert. Fortschritt ist notwendig, dennoch fällt es nicht immer leicht, den tatsächlichen Wert neuer Produkte zu erkennen. Zudem leiden alle neuen Materialien trotz der zur Markteinführung erforderlichen Studienlage, hier ca. 40 Studien seit 2008, an mangelnden Langzeitresultaten. Im Folgenden sei ein auf dem deutschen Markt neues Material vorgestellt.

Das neue Material wurde 2009 von Brasseler USA® als „Endo Sequence BC SealerTM“ eingeführt, auch bekannt als iRoot SP® mit „AciV GP cones“ in Kanada (Innovative BioCreamix Inc, Vancouver, Canada) und in der Schweiz. Auf dem deutschen Markt ist es seit Ende 2013 als „Total Fill® BC SealerTM“ (FGK, American Dental Systems) und „EndoSequence® Biokeramik“ (Henry Schein). Verfügbar sind dreierlei pastöse Konsistenzen: zur Obturation ein dünnfließender „Root Canal Sealer“ und als „Root Repair Material“ dickfließend oder als Putty. Beide Materialien kommen anwendungsfertig gemischt aus der Spritze mit biegsamen Einmalkanülen bzw. der Schraubdose. Zur Obturation stehen weiter sehr präzise, maßhaltige Guttaperchaspitzen in ISO 15 bis 80 und Tapern von .04 und .06 zur Verfügung, deren Oberfläche zur Herstellung eines innigen Verbundes mit dem Sealer mit biokeramischen Nanopartikeln ummantelt ist. Außerdem werden Pellets für thermoplastische Verfahren angeboten.

Zusammensetzung

Die Komponenten des BC Sealer werden vom Hersteller angegeben mit Zirkonoxid (ZrO2), Trikalziumsilikat (3 CaO·SiO2), Dikalziumsilikat (2 CaO·SiO2), monobasisches Kalziumphosphat (Ca(H2PO4)2) und Kalziumhydroxid (CaOH2) sowie Füllstoffen und Dickungsmitteln. Das „Root Repair Material“ enthält kein Kalziumhydroxid, jedoch Tantaloxid. Damit ist es in seiner Zusammensetzung mit MTA-Produkten oder BiodentineTM (Septodont) oder auch den Zahnhartsubstanzen vergleichbar. Zur Klärung der Nomenklatur sei auf folgende Definitionen zurückgegriffen: Nach Hennicke (1967) sind „keramische Werkstoffe anorganisch, nichtmetallisch, in Wasser schwer löslich und wenigsten zu 30 Prozent kristallin. In der Regel werden sie bei Raumtemperatur aus einer Rohmasse geformt und erhalten ihre typischen Werkstoffeigenschaften durch eine Temperaturbehandlung meist über 800 °C.“

Unter der Bezeichnung „Biokeramik“ wird v.a. Aluminiumoxid, Zirkonoxid, Hydroxylapatit und bioaktive Gläser und Glaskeramik verstanden.1 Andere Quellen beziehen resorbierbares Kalziumphosphat mit ein.2

Damit wird klar, dass es sich nach deutschem Sprachgebrauch um ein Material handelt, das Inhaltsstoffe aus der Gruppe der Biokeramiken enthält, jedoch keine Keramik oder Biokeramik ist.

Physikalisch-chemische Eigenschaften

Radioopazität und Fließfähigkeit des „BC Sealers“ entsprechen den Empfehlungen der ISO 6876/2001. Die übrigen physikalischen und chemischen Eigenschaften zeigen für einen Sealer günstige Werte. Die Radioopazität ist zwar signifikant geringer als die von AH Plus, jedoch deutlich höher als die von Dentin. Die Fließfähigkeit ist signifikant höher als die von AH Plus.

Der Abbindevorgang stellt sich folgendermaßen dar:

Unter Wasserzufuhr Entstehung von Kalziumsilikathydrogel und Kalziumhydroxid:

  • a) 2[3 CaO·SiO2] + 6 H2O/3 CaO·2 SiO2·3 H2O + 3 Ca(OH)2
  • b) 2[2 CaO·SiO2] + 4 H2O/3 CaO·2 SiO2·3 H2O + Ca(OH)2

Ausfällung von Kalziumapatit:

  • c) 7 Ca(OH)2 + 3 Ca(H2PO4)2/Ca10(PO4)6(OH)2 + 12 H2O

Das freiwerdende Wasser setzt obige Reaktion wieder in Gang. Die Apatitschicht soll eine chemische Verbindung herstellen zwischen kalziumsilikatbasiertem Material und den Dentinwänden. Es ist deshalb anzunehmen, dass der kalziumsilikatbasierte „BC Sealer“ das Potenzial hat, sich chemisch ans Dentin zu binden (Abb.1).3,4 Dazu sei angemerkt, dass die hohe Fließfähigkeit das Risiko von periapikaler Transportation des Sealers grundsätzlich erhöht, was nach eigener klinischer Erfahrung bisher nicht bemerkbar ist.

Der Abbindevorgang wird nicht durch das Mischen von zwei Komponenten initiiert, sodass hier keine Mischfehler auftreten können und kein Einsatz statischer Mischer erforderlich ist. Er wird allein durch die im Wurzeldentin und den Tubuli ubiquitäre Feuchtigkeit ausgelöst und unterhalten. Letzteres ist von Bedeutung für eine langfristig dichte Obturation, da im apexnahen Kanalbereich wegen der Gewebeflüssigkeiten ein chronisch feuchtes Milieu herrscht. Auch koronale Lecks können zum Eindringen von Feuchtigkeit führen. Ein Schrumpfen oder eine Hydrolyse finden also nicht statt.

Die hohe Hydrophilie, messbar an dem kleinen Kontaktwinkel von sterilem Wasser auf frischem und abgebundenem Sealer, und die hohe Fließfähigkeit verbessern die Benetzbarkeit von engen Kanalstrukturen, Dentin und Tubuli, vor allem bei anzunehmender Restfeuchtigkeit. Damit kann der Sealer in weiten Kanalbereichen seine desinfizierende Wirkung entfalten und infizierte Toträume verringern.

Eine In-vitro-Studie zeigt für BC Sealer eine höhere Haftkraft am Dentin unter verschieden feuchten Bedingungen. Eine geringe Feuchtigkeit scheint alle getesteten Sealer positiv zu beeinflussen (Tab.1).6

Eine weitere In-vitro-Studie zeigt für AH Plus und BC Sealer vergleichbare Werte im Push-Out-Test,7 unabhängig vom Vorhandensein einer Smearlayer (Tab. 2).21 Ein Versagen findet jeweils im kohäsiven Bereich statt. Eine andere Studie zeigt für BC Sealer erst dann die gleichen guten Werte wie für AHPlus, wenn vorher CaOH in den Kanal appliziert wurde.8 Ein Fluid-Leakage-Test zeigt für iRoot SP und AH Plus gleichwertige Resultate.9

Das Root Repair Putty zeigt im In-vitro-Leakage-Test ähnlich gute Resultate wie weißes MTA.22,23

Biologische Eigenschaften

Mit einem initialen pH von + 12,5 ist während der Abbindezeit eine hohe antibakterielle Potenz zu erwarten. Ein In-vitro-Versuch mit E. faecalis zeigt, dass frisch appliziertes iRoot SP innerhalb zwei Minuten und nach einem und drei Tagen innerhalb von 20 Minuten sämtliche Bakterien abtötet und damit den Vergleichsmaterialien überlegen ist. Nach sieben Tagen ist die antibakterielle Wirkung erloschen. Der antibakterielle Effekt könnte eine Kombination aus hohem pH, Hydrophilie und aktiver Kalziumhydroxiddiffusion sein(Tab.3).10

Für das Root Repair Material werden während der Abbindezeit ähnliche antimikrobielle Eigenschaften gegen E. faecalis wie für MTA beschrieben. Allerdings scheint das Abbindeverhalten deutlich zu variieren, und die Wirkung auf Biofilm ist nicht untersucht.11

Die Zytotoxizität des Sealers ist vergleichsweise gering: Der Sealer zeigt bei In-vitro-Tests an Mausfibroblasten eine moderate Toxizität in frischem Zustand und keine in abgebundenem. MTA zeigte keine Zytotoxizität, AH Plus sowohl frisch als auch abgebunden (Tab. 4).12

Zytotoxizität und osteogenes Potenzial des „Root Repair Putty“: Wegen des therapeutisch unvermeidbaren Kontaktes zu periradikulären Geweben oder der Pulpa sind Zytotoxizität und osteogenes Potenzial der „Root Repair“ Materialien besonders interessant: Eine In-vitro-Studie zeigt statistisch ähnliche Toxizität auf menschliche Fibroblasten wie MTA-Angelus und eine geringere als Dycal. Das Überleben der Zellen wurde nicht negativ beeinflusst, und das Material wird für weitere Studien empfohlen.13 Gemessen an der Zytokinasefreisetzung zeigen Root Repair Putty und MTA ähnliche und vernachlässigbare Zytotoxizität. Für die Beurteilung der klinischen Relevanz sind weitere Studien erforderlich.14

Ein weiterer Vergleich von Root Repair Putty mit grauem und weißem MTA zeigt ebenfalls ähnlich geringe Zytotoxizität sowohl in frischem als auch abgebundenem Zustand. Die Lebensfähigkeit von Zellkulturen in Kontakt mit AH 26 war geringer.15 Eine weitere Versuchsanordnung zeigt, dass in Gegenwart von iRoot SP keine und bei AH Plus (DENTSPLY DeTrey, Konstanz) eine geringe Zytotoxizität besteht und iRoot SP die Expression von mineralisationsrelevanten Genen in menschlichen, osteoblastenähnlichen Zellen fördert. Das Material wird als günstig für Interaktion im Zellkontakt betrachtet (Abb. 2).16

Eine nicht signifikante Entzündungsreaktion und osteogene Eigenschaften sind feststellbar und selbstverständlich vorteilhaft, wenn der Sealer bei Puffs oder Überfüllung unbeabsichtigt oder bei Resektion, Perforationen, Resorptionen bzw. bei direkter Überkappung oder Amputation der Pulpa gezielt mit periapikalem Gewebe bzw. Pulpagewebe in Kontakt kommt.

Indikationsspektrum

Der Hersteller nennt das gesamte Spektrum permanenter endodontischer Versorgungen von der Obturation (BC Sealer) bis zu Maßnahmen mit Pulpenkontakt und Perforationsverschluss, Resorptionsbehandlung und apikale Chirurgie (Root Repair Material).

Applikation

Der Hersteller schlägt vor, den Sealer mit Einmalkanülen – keinem statischen Mischer – direkt aus der Spritze in das koronale Drittel oder die koronale Hälfte zu injizieren, mit einer #15 Handfeile die Kanalwände zu benetzen und die passende, sealerbeschickte Guttaperchaspitze zu inserieren. Da die Maßhaltigkeit der Points sehr gut ist, sollte nicht zu viel Sealer verwendet und die Spitze langsam eingeführt werden. Erforderlichenfalls kann eine laterale „Kondensation“ mit weiteren Points erfolgen. Abschließend werden die Guttaperchaspitzen mit einer Hitzequelle abgetrennt und vertikal komprimiert.

Von erfahrenen Praktikern werden Alternativen beschrieben: Den Sealer nach koronaler Injektion mit einem Handinstrument auf die endgültige Arbeitslänge zu bringen oder die apikalen ca. 4 mm mit einer entsprechend abgelängten Guttaperchaspitze zu füllen und den koronalen Kanalanteil mit Putty oder thermoplastisch zu verschließen oder nur den Point mit Sealer zu beschicken oder den Sealer einzulentulieren.

Die eigene Erfahrung zeigt, dass sich die Points mit einem Hitzeträger zwar gut abtrennen, jedoch nicht wie in der Schildertechnik wiederholt apikalwärts reduzieren und verpressen lassen. Die im Vergleich zu herkömmlicher Guttapercha steiferen, beschichteten Points wirken eher wie ein Carrier für den Sealer und weniger als Obturationsmaterial selbst. Der Sealer und nicht eine erwärmte Guttapercha bildet hier die Versiegelung der Kanäle. Ferner wird beobachtet, dass sich die Points nicht immer bis zur endgültigen, in der Masterpointaufnahme radiografisch bestätigten Länge einbringen lassen. Dann ist der erneute Einsatz der MAF (Master Apical File) notwendig, bevor der Point erneut eingebracht wird oder eine dünnere Verwendung findet. Diese Beobachtung wird in der Literatur geteilt.17

Die Ursache für diese Komplikation mag in einer zu großen Menge an Sealer, einer zu schnellen Insertion des Points liegen, in einem zu schnellen Abbinden unter Feuchtigkeit im apikalen Bereich und der sehr genauen Maßhaltigkeit der Points im Vergleich zu den Aufbereitungsinstrumenten.

Da der Anmischvorgang entfällt, wird nur so viel Material verworfen, wie in den Applikationskanülen verbleibt – außer man verzichtet auf die Kanülen und nimmt eine kleine Menge von einer sterilen Glasplatte auf einen Lentulo auf.

Als Verarbeitungszeit werden vier Stunden (gemessen nach ISO 6876:2001) angegeben, wobei zu beachten ist, dass sie in sehr trockenen Kanälen länger sein kann. Feuchtigkeit beschleunigt den Abbindevorgang und sollte auch bei der Lagerung des Materials dringend vermieden werden.

Revidierbarkeit

Während einerseits die Revidierbarkeit als vergleichbar mit der von AH Plus beschrieben wird,18 wird andererseits festgestellt, dass konventionelle Revisionstechniken nicht in der Lage sind, BC Sealer vollständig zu entfernen. In den Fällen, in denen der Mastercone nach der Füllung die Arbeitslänge nicht erreichte, konnte zu 70 Prozent die ursprüngliche Arbeitslänge auch bei der Revision nicht erreicht werden. Hatte der Mastercone die Arbeitslänge erreicht, konnte in 20 Prozent der Fälle keine Patency hergestellt werden.19

Fazit

Das vorgestellte Material (Abb. 3) zeigt also vielversprechende physikalische und chemische Eigenschaften (Fließfähigkeit, Hydrophilie und damit Benetzbarkeit, hydraulisches und damit permanentes Abbindeverhalten, hohe Adhäsion ans Dentin, hoher pH), einfaches Handling (vorgemischt, single cone oder laterale Kondensation, eine Materialfamilie für alle obturativen Indikationen) sowie günstiges biologisches Verhalten (geringe Zytotoxizität, osteogenes Potenzial) und damit universelle Einsetzbarkeit intrakanalär und in Kontakt mit Pulpa und pararadikulärem Gewebe. Soweit bisher erkennbar, kann es sich in einigen Eigenschaften mit den über lange Zeit bewährten Goldstandard-Materialien messen oder zeigt bessere Eigenschaften als diese.

Ein Review über die Fähigkeiten neuer Obturationsmaterialien kommt zu dem Schluss, dass bis heute keine Peer-Reviews veröffentlicht sind, welche den Nutzen von Trikalziumsilikat in Sealern mit klinischen Studien belegen. Alle Studien sind In-vitro- oder an In-vivo-Modellversuchen durchgeführt. Dies betont den Bedarf nach einer Übersetzung von anekdotischen Informationen in klinisch relevante Forschungsdaten.5,20 Sichere Aufbereitung, Desinfektion und koronale Versiegelung sind strategisch wichtiger als die Obturation – aber es wäre eine Fehleinschätzung, die Bedeutung von Obturationsmaterialien zu vernachlässigen.

Hier gibt's die vollständige Literaturliste

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