Endodontologie 28.02.2011

Mikroskopunterstützte Revisionsbehandlung



Mikroskopunterstützte Revisionsbehandlung

Während die primäre orthograde Wurzelkanalbehandlung unter Anwendung klassischer endodontischer Behandlungskonzepte zu über 90% zu einem erfolgreichen Erhalt des betroffenen Zahnes führt, verringert sich die Erfolgsquote im Fall eines infizierten Wurzelkanalsystems auf 60 bis 80%. Die Prävalenz für eine apikale Parodontitis liegt bei 20- bis 30-Jährigen zwischen 12 und 64% und bei 50- bis 60-Jährigen zwischen 55 und 82%.

Mit zunehmendem Alter erhöht sich der Anteil an wurzelkanalbehandelten Zähnen und der Anteil an Zähnen mit apikaler Parodontitis. Mit der allgemeinen Zunahme des Lebensalters der Bevölkerung steigt damit der Bedarf an Revisionsbehandlungen endo­dontisch behandelter Zähne. Zu den wichtigsten Ursachen posttherapeutischer Erkrankungen gehören: Persistenz von Mikroorganismen, unbehandelte Wurzelkanäle, undichte koronale Restauration oder in sehr seltenen Fällen Fremdkörper­reaktionen und extraradikuläre bakterielle Biofilme.


Ziel der orthograden Revision ist es, Voraussetzungen für eine vollständige Heilung und den dauerhaften Erhalt eines Zahnes zu schaffen. Indem das Wurzelkanalsystem vollständig gereinigt und desinfiziert wird, können die klinischen Symptome abklingen und eine apikale oder periapikale Entzündungsreaktion abheilen.

Indikation für eine orthograde Revision


1. Wurzelkanalbehandelte Zähne mit röntgenografischen Zeichen einer persistierenden

    oder neu entstandenen, endodontisch bedingten apikalen Parodontitis

2. Wurzelkanalbehandelte Zähne mit klinischen Symptomen einer endodontisch

    bedingten apikalen Parodontitis

3. Wurzelkanalbehandelte Zähne mit rönt­genografisch oder klinisch insuffizienter

    Wurzelkanalfüllung (z.B. mangelhafte Homogenität, nicht behandelte Wurzelkanäle

    oder Wurzelkanalanteile, fragwürdiges und nicht mehr indiziertes Wurzelkanal-

    füllungsmaterial wie z.B. Silberstifte) ohne klinische oder röntgenografische

    Anzeichen einer apikalen Parodontitis

4. Wurzelkanalfüllungen mit Exposition zum Mundhöhlenmilieu und zum kariösen Dentin

5. Wurzelkanalbehandelte Zähne mit progressiv verlaufenden, externen entzündlichen

    Resorptionen.


Erfolgsquote

Während in epidemiologischen Studien bei Vorliegen einer apikalen Parodontitis lediglich zwischen 35 und 78% erfolgreiche Wurzelkanalbehandlungen nachgewiesen werden, weisen klinisch kontrollierte Studienergebnisse deutlich bessere Ergebnisse mit 77 bis 94% nach. Der enorme Unterschied in den Ergebnissen ist ein Hinweis auf die mögliche Abhängigkeit des Behandlungserfolges vom Training und dem Kenntnisstand des Therapeuten, der technischen Hilfsmittel und vor allem der ausreichenden Behandlungszeit.

Fallselektion

Die Revision einer Wurzelkanalbehandlung setzt eine exakte Anamnese, Befundaufnahme, Diagnostik und Behandlungsplanung voraus. Die Behandlung vollzieht sich in drei Teilschritten:

1. Substanzschonende Entfernung von insuffizienten Restaurationen und Füllungs-

    materialien und Vorbereitung des Zahnes für eine aseptische endodontische

    Therapie (Aufbaufüllung, Kofferdam)

2. Überwindung der in der Erstbehandlung aufgetretenen Probleme

    – prozessuale Hindernisse (z.B.: Stufen, Perforationen, Fragmente)

    – anatomische Besonderheiten (z.B.: Teil­obliterationen, tiefe Wurzelkanal-

    aufteilungen)

3. Reinigung, Desinfektion und erneuter Verschluss des Wurzelkanalsystems.

Bevor eine Entscheidung für eine Revision einer Wurzelkanalbehandlung erfolgt, muss die Erhaltungsfähigkeit des Zahnes geprüft werden. Insbesondere bei tiefen kariösen Läsionen, die möglicherweise eine chirurgische Kronenverlängerung durch Osteotomie und eine subgingivale Präparation erforderlich machen, ist der Versuch einer wiederholten Zahnerhaltung kritisch zu prüfen. Neben technischen Herausforderungen zur Überwindung von intrakanalären Problemstellungen, muss ebenso die geplante funktionelle Belastung des Zahnes bei der Entscheidungsfindung vor Behandlungsbeginn berücksichtigt werden.

Entscheidungsfindung orthograde oder retrograde Revision

Im Fall einer fortbestehenden apikalen oder radikulären röntgenografischen Aufhellung oder einer über Monate fortbestehenden Schmerzsymptomatik an einem wurzelka­nalbehandelten Zahn, muss von einer intrakanalären mikrobiellen Infektion ausgegangen werden. Röntgenbilder mit einer bis zum Apex reichenden vollständigen Wurzelka­nalfüllung können Defizite in der mechanischen Reinigung und Desinfektion nicht darstellen. Sie dienen lediglich zu einer allgemeinen Übersicht und Fallplanung. Ob es sich um eine Reinfektion oder um eine Altinfektion handelt, ist für die Entscheidungsfindung orthograde oder retrograde Revisionsbehandlung nicht von Bedeutung. Die Größe und Abgrenzung der radiografischen Aufhellung können dabei Hinweise auf die Dauer und den Grad der mikrobiellen, intrakanalären Infektion vermitteln. Eine Entscheidung für oder gegen eine chirurgische Intervention basierend auf der Größe der Läsion ist nicht mehr zeitgemäß (Abb. 1 und 2). Auch das Vorliegen einer dentogenen Fistel oder eine Endo-Paro-Läsion stellen keine primäre Indikation mehr zur chirurgischen Therapie dar (Abb. 3 und 4).

Ist der Zahn erhaltungsfähig, sollte grundsätzlich eine orthograde Revisionsbehandlung erfolgen. Moderne Hilfsmittel ermöglichen heute eine substanzschonende und minimalinvasive Entfernung von allen verwendeten Retentions- und Restaurationsmaterialien (Abb. 5). Intrakanaläre Fremdkörper, die eine vollständige Reinigung und Desinfektion blockiert haben, können sicher unter Sicht mit einem Dentalmikroskop dargestellt und entfernt werden (Abb. 6). Durch den Einsatz spezieller Hilfsmittel gelingt es, Fragmente mit einer über 90%igen Erfolgsquote orthograd zu entfernen. Der orthograde Verschluss von Perforationen oder resorptiven Läsionen gelingt nach optimaler Reinigung und Desinfektion mit sehr gutem Erfolg. Die Verwendung biologisch kompatibler Materialien und die visuelle Kontrolle der Applikation haben die Erfolgsmöglichkeiten deutlich verbessert.

Lediglich in seltenen Ausnahmefällen kann eine retrograde Revisionsbehandlung erwogen werden. Hierzu zählt der Erhalt einer intakten komplexen prothetischen Rekonstruktion oder die Gefahr, dass durch die Entfernung einer tiefreichenden Stiftverankerung in einer grazilen Wurzel ein größerer Schaden am erhaltungsfähigen Zahn provoziert werden könnte. Verkleinert sich eine apikale Aufhellung nach einem Kontrollzeitraum von einem Jahr trotz vollständiger Revisionsbehandlung nicht, so kann auch in diesem Fall eine apikale Kürettage oder minimalinvasive Wurzelspitzenresektion erwogen werden. Mit dem chirurgischen Eingriff kann gleichzeitig differenzialdiagnostisch eine Vertikalfraktur durch Anfärbung der Wurzeloberfläche erfolgen. Eine pathohistologische Untersuchung der intraoperativ vorgefundenen Gewebe ist zum Ausschluss von Tumorerkrankungen zwingend erforderlich.

Behandlungsplanung


Bei der Behandlungsplanung in einer allgemeinzahnärztlichen Praxis sollte grundsätzlich von einem mehrzeitigen Therapieverfahren ausgegangen werden. Eine optimale Zeitplanung wird häufig erst dann möglich, wenn eine weitergehende invasive Diagnostik erfolgt.

Unter absoluter Trockenlegung mit Kofferdam erfolgt die Präparation der endodontischen Zugangskavität. Lässt dies der Zerstörungsgrad der koronalen Zahnhartsubstanz nicht zu, sollte dieser nach Möglichkeit mit einer adhäsiven Aufbaufüllung vorbereitet werden (Abb. 7).

Mit der Aufnahme des Trepanationsbefundes kann nun differenziert werden, ob die noch vorhandene koronale Restauration erhalten bleiben kann oder vollständig entfernt werden muss. Während der Darstellung der Wurzel­kanaleingänge und Isthmen können die Anzahl der behandelten und die Anzahl der unbehandelten Wurzelkanäle ermittelt werden, sodass eine genauere finanzielle Planung möglich wird. Gleichzeitig wird erkennbar, welche Füllmethode verwendet und welches Wurzelkanalfüllungsmaterial genutzt wurde (Abb. 8a und b). Insbesondere Keramikstifte, korrodierte teilfrakturierte Silberstifte oder auf Kunststoffträgern applizierte Guttaperchawurzelkanalfüllungen erfordern viel Erfahrung, Zeit und optimale technische Hilfsmittel.

Mithilfe der Elektrometrie können atypisch gelagerte und möglicherweise blutende Wurzelkanaleingänge von Perforationen sicher differenziert werden, sodass die Wahl des Reparaturzementes bestimmt werden kann nach der Lage der Perforation. Mit einer vertiefenden trockenen Präparation der Wurzelkanaleingänge mit Langschaft­rosenbohrern der Größe 005–012 (Drux, Gummersbach) lassen sich auch unter Sicht mit dem Dentalmikroskop Vertikalfrakturen und Infrakturen differenzieren, sodass rechtzeitig eine Entscheidung für die geeignete Therapie getroffen werden kann.

Fallbeispiel

Im vorliegenden Fall des Zahnes 26 (Abb. 8) nahm der 46-jährige Patient rezidivierende Beschwerden über mehr als zehn Jahre wahr. Die Röntgenkontrollaufnahme bestätigte mit einer fortbestehenden apikalen Aufhellung den Verdacht einer chronischen apikalen Aufhellung. Ursache einer Reinfektion konnte die distale Sekundärkaries sein, da ein direkter Kontakt der Karies mit dem Wurzelkanalfüllungsmaterial festzustellen war. Andererseits bestand auch die Möglichkeit einer nicht ausgeheilten Altinfektion aufgrund unbehandelter Wurzelkanalanteile. Die genaue Pathogenese konnte aufgrund der lange zurückliegenden Behandlung nicht mehr ermittelt werden.

Nach einer Aufklärung des Patienten über die möglichen Ursachen der fortbestehenden mikrobiellen Besiedlung wurde eine orthograde Wurzelkanalbehandlung vereinbart. Ziel der Behandlung sollte es sein, das Wurzelkanalsystem vollständig mechanisch zu erweitern, zu reinigen und zu desinfizieren unter Verzicht auf eine chirurgische Entfernung der Wurzelspitzen und retrograden Wurzelkanalbehandlung.

Unter Kofferdam wurden die Amalgamfüllung und die Karies vollständig entfernt und die fehlenden Kronenwände mesial und distal mit einer Kompositfüllung ersetzt. Nach der vollständigen Darstellung der endodontischen Zugangskavität gelang es, mehrere mögliche Ur­sachen für die Infektion zu differenzieren. Die scheinbar wandständige Wurzelkanalfüllung ließ sich leicht entfernen. Ein dichter Wandkontakt zum Dentin bestand nicht. Aussackungen des Wurzelkanalsystems waren mit nekrotischem Gewebe gefüllt. Ein weiterer unbehandelter mesiobukkaler Wurzelkanal in für obere Molaren typischen Lage beinhaltete nekrotisches Pulpagewebe. Eine Vertikalfraktur oder Dentinrisse konnten unter vergrößerter Sicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden. Auf der Grundlage aller vorliegenden klinischen und röntgenologischen Befunde konnte dem Patienten die Möglichkeit der Zahn­erhaltung mit einer guten Prognose bei opti­maler Therapie angeboten werden.

Die Guttapercha und der Sealer wurden vollständig unter kontinuierlicher Spülung mit Chlorhexidindiglukonat 1% und maschinell angetriebenen Nickel-Titan-Feilen (ProFile, Maillefer, Ballaigues) entfernt. Der unbehandelte zweite mesiobukkale Wurzelkanal war stark verengt und konnte erst nach tiefergehender minimalinvasiver Präparation ab dem mittleren Wurzeldrittel vollständig erweitert und desinfiziert werden. Nach einer wiederholten elektrometrischen Messung und röntgenologischen Kontrolle der ermittelten Arbeitslänge (Abb. 9) wurden alle vier Wurzelkanäle vollständig aufbereitet und mittels ultraschall­aktivierter Spülung gereinigt und desinfiziert (Zitronensäure 10% und Natriumhypochlorid 3%) und im Anschluss thermoplastisch gefüllt. Während der Kontrolle unter Sicht mit dem Dentalmikroskop wurde in jeder Etappe der Wurzelkanalfüllung darauf geachtet, dass das Wurzelfüllungsmaterial dicht an der Wurzelkanalwand angepresst wird, sodass der Sealer optimal in Ramifikationen verdrängt werden konnte (Abb. 10). Die erste Röntgenkontroll-aufnahme bestätigt eine auf Arbeitslänge vollständige Wurzelkanalfüllung. Ein leichter Sealerübertritt am Apex ist erkennbar und markiert das Ende des gefüllten Wurzelkanals. Nach der Entfernung der Sealerrückstände mit Alkohol erfolgte die Konditionierung und die dentinadhäsive Versieglung des gefüllten Wurzelkanalsystems bis 3mm unterhalb der ehemaligen Wurzelkanaleingänge. Die endo­dontische Zugangskavität wurde schichtweise mit Komposit gefüllt, damit der Zahn vom weiterbehandelnden Hauszahnarzt überkront werden kann. Über einen ersten Beobachtungszeitraum von drei Monaten ist der Patient erstmals vollständig beschwerdefrei.

Zusammenfassung

Die Revision einer Wurzelkanalbehandlung ist eine bewährte Therapie, natürliche Zähne trotz starker Destruktionen zu erhalten. Es werden die Ursachen einer fortbestehenden endo­dontischen Erkrankung ermittelt und korrigiert. Damit werden die Voraussetzungen für eine Ausheilung einer endodontisch bedingten Läsion geschaffen. Eine Abhängigkeit zwischen Größe der apikalen Aufhellung und der Indikationsstellung für eine ortho- oder retrograde Revisionsbehandlung besteht nicht. Die Erfolgsquoten sind abhängig von den jeweiligen Möglichkeiten, intrakanaläre Problemstellungen zu erkennen und zu überwinden. Die Nutzung eines Dentalmikroskops, die Anwendung einer minimalinvasiven, sonoabrasiven Präparationstechnik und die Verwendung von Ultraschall zur Reinigung und Desinfektion erweitern nicht nur das Therapiespektrum und die Möglichkeiten, natürliche Zähne zu erhalten, sondern stellen häufig die entscheidende Grundlage für eine kausale minimalinvasive Therapie dar.


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