Oralchirurgie 11.11.2025

Oraler Lichen planus



Der orale Lichen planus ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Mundschleimhaut, die von der Weltgesundheitsorganisation als potenziell maligne Läsion klassifiziert wird. Dieser Beitrag gibt einen aktuellen Überblick über Ätiologie und Pathogenese des oralen Lichen planus, seine therapeutischen Optionen sowie praxisrelevante Aspekte für oralchirurgisch tätige Fachkolleg/-innen.

Oraler Lichen planus

Foto: Dr. Kim N. Stolte

Klinik, Ätiopathogenese und maligne Transformation

Der orale Lichen planus ist eine chronisch-entzündliche, immunvermittelte Erkrankung der Mundschleimhaut, die vor allem Frauen im mittleren Lebensalter betrifft.1 Weltweit schwankt die Prävalenz je nach Region um ein Prozent, in Europa ist die Prävalenz mit 1,43 Prozent eher höher.1, 2 Ab dem 40. Lebensjahr steigt die Erkrankungswahrscheinlichkeit deutlich an.1

Klinisch zeigt der orale Lichen planus ein facettenreiches Bild (Abb. 1a–f). Am häufigsten tritt der retikuläre Subtyp auf.3 Dieser geht mit charakteristischen weißlichen Streifungen einher, die auch als Wickham-Streifung bezeichnet werden.4 Nach der Klassifikation von Andreasen lassen sich noch fünf weitere Typen (papulär, plaqueartig, atrophisch, erosiv/ulzerativ und bullös) unterscheiden.5 Lichen kann auch an anderen Schleimhautoberflächen, z. B. der Genitalregion, oder an der Haut auftreten, hier häufig durch „4P’s“ (pruritic, purple, polygonal papules) beschrieben.6

Die Weltgesundheitsorganisation führt den oralen Lichen planus unter den potenziell malignen Läsionen auf.7 Das Risiko einer malignen Transformation liegt bei 0,44 bis 2,28 Prozent, wobei eine unterschätzte Transformationsrate aufgrund restriktiver Diagnosekriterien, unzureichender Nachbeobachtungszeiträume oder geringer Studienqualität angenommen wird.8–11 Insbesondere bei erosiven Varianten wird ein erhöhtes Transformationspotenzial berichtet.12 Tabak, Alkohol und Hepatitis-C-Infektionen können als Cofaktoren wirken, die das Risiko zusätzlich erhöhen.13

Trotz einer Vielzahl an Studien ist die Ätiologie des oralen Lichen planus bis heute nicht vollständig verstanden. Genetische Prädispositionen, insbesondere bestimmte HLA-Allele, sowie externe Trigger wie psychischer Stress, virale Infektionen, Dysbiosen der oralen Mikroflora und Kontakt zu Amalgam scheinen die initiale Immunreaktion zu begünstigen.14 Pathologisch steht eine T-Zell-vermittelte Autoimmunreaktion im Vordergrund.15 Unterhalb des Epithels findet sich ein bandförmiges Infiltrat von CD4+- und CD8+-T-Zellen, welches, vermutlich über Interferon-γ-dominierte Signalwege, die Apoptose basaler Keratinozyten auslöst.16–18 Neuere Untersuchungen weisen zudem auf eine IL-17-reiche Entzündungsumgebung und eine Überaktivierung des JAK-STAT-Signalweges hin. Diese Aspekte wecken zunehmend therapeutisches Interesse.19–21

Diagnostik und Verlaufskontrolle: Wann ist chirurgisches Handeln gefordert?

Die gesicherte Diagnose des oralen Lichen planus stützt sich auf die Verbindung aus charakteristischer Klinik (Abb. 1a–f) und histopathologischer Bestätigung (Abb. 2a+b) mittels Biopsie.22, 23 Differenzialdiagnostisch sind vor allem die Leukoplakie, lichenoide Reaktionen durch Medikamente oder Restaurationsmaterialien, Autoimmunerkrankungen wie ein orales Schleimhautpemphigoid, Pemphigus vulgaris oder Lupus erythematodes, sowie Pilz- oder virale Infektionen auszuschließen.22

Der orale Lichen planus tritt häufig multifokal oder großflächig auf, eine vollständige Exzision ist daher häufig nicht möglich, jedoch für die Diagnosesicherung auch nicht obligat. In der Regel genügt eine repräsentative Inzisionsbiopsie (Abb. 3a–c). Bei variabler Manifestation kann die Biopsie in unterschiedlichen Regionen erforderlich sein.

Personen mit oralem Lichen planus sollten aufgrund des beschriebenen Risikos der malignen Transformation lebenslang regelmäßige Kontrolluntersuchungen wahrnehmen, deren Intervall vier Monate nicht überschreiten sollte.24 Ein fehlendes Ansprechen auf Glukokortikoidanwendung erhärtet die Indikation für eine erneute Biopsie, im Vordergrund steht die Vermeidung einer iatrogenen Therapieverzögerung bei etwaiger maligner Transformation zu einem Plattenepithelkarzinom (Abb. 3a–c), da dies die Prognose deutlich reduziert.25, 26 Weiterhin empfiehlt die AWMF-Leitlinie zu Vorläuferläsionen des oralen Plattenepithelkarzinoms für Verlaufskontrollen von Mundschleimhautläsionen, bei denen eine Restunsicherheit bezüglich der Dignität besteht, eine Bürstenzytologie.24 Die Diagnosesicherung ist mit dieser Methodik jedoch nicht möglich, da die zytologische Diagnostik entscheidende Charakteristika des oralen Lichen planus, wie das subepitheliale Entzündungszellinfiltrat, nicht erfassen kann. Auch bei Verdacht einer malignen Transformation soll gemäß Leitlinie eine histologische Klärung erfolgen.24

Lassen sich histologisch Dysplasien bestätigen, können klinisch homogene, histologisch als „low grade“ gewertete Läsionen zunächst beobachtet werden, „high grade“ klassifizierte Läsionen hingegen (Abb. 3a–c) sollen vollständig exzidiert werden.24

Bild von einem Quotenzeichen
„Bei Beschwerden sollte ferner auch eine Candida-Superinfektion in Betracht gezogen werden, die bei Personen mit oralem Lichen planus gehäuft auftritt, und die Symptome des oralen Lichen planus überlagern kann.“

Behandlungskonzepte

Die medikamentöse Behandlung des oralen Lichen planus richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung. In akuten Schüben gelten topische Kortikosteroide, z. B. auf Triamcinolonacetonid- oder Clobetasolproprionatbasis, als Mittel der Wahl. Systemische Kortikosteroide werden bei schweren Verlaufsformen, die auf die topische Anwendung nicht ansprechen oder bei extraoralen Manifestationen empfohlen und sollten aufgrund der erforderlichen fachärztlichen Expertise durch Dermatologen erfolgen. Die europäische S1-Leitlinie schlägt darüber hinaus Retinoide, Calcineurininhibitoren und Biologika vor und weist auf therapeutische Ansätze, wie Phototherapie, Laserverfahren und die extrakorporale Photochemotherapie hin, was das Fehlen einer suffizienten Standardtherapie unterstreicht (Tab. 1). Neuere Therapieansätze zielen auf die spezifische Unterbrechung der Entzündungskaskade ab, beispielsweise durch die Hemmung von sogenannten Januskinasen, die als zentrale Signaladapter zahlreicher proinflammatorischer Zytokine fungieren und so die IL-23/IL-17-Achse gezielt drosseln.19, 21
Bei Beschwerden sollte ferner auch eine Candida-Super-infektion in Betracht gezogen werden, die bei Personen mit oralem Lichen planus gehäuft auftritt, und die Symptome des oralen Lichen planus überlagern kann.27 Ältere Personen, Personen mit herausnehmbarem Zahnersatz und solche, die rauchen oder glukokortikoidbasierte Dosieraerosole aufgrund chronischer Atemwegserkrankungen einnehmen, haben weiterhin ein erhöhtes Risiko für eine orale Infektion mit Candida. Bei Verdacht auf eine Pilzinfektion sollte daher eine mikrobiologische Testung und gegebenenfalls eine antimykotische Therapie eingeleitet werden.27

Als generelle Maßnahmen werden eine optimale Mundhygiene, der Verzicht auf Tabak und Alkohol sowie das Meiden scharf gewürzter Speisen empfohlen.14 Zugleich sollte auf den möglichen Einfluss von psychischem Stress hingewiesen werden.14

Schließlich darf der Stellenwert der Patientenaufklärung nicht unterschätzt werden. Nur wenn Betroffene über den chronisch-rezidivierenden Verlauf, Reizfaktoren und die derzeit nicht heilbare Natur der Erkrankung informiert sind, können sie realistische Erwartungen entwickeln und lernen, besser mit der Erkrankung umzugehen.

Empfohlene Interventionen

  • Topische Steroide (Clobetasolpropionat 0,05 %, Triamcinolon, Betamethason, Fluocinonid, Fluticason, Dexamethason und Prednisolon in verschiedenen Darreichungsformen). Intralesionale Injektionen von Kortikosteroiden (Triamcinolon‑Acetonid, Hydrocortison, Dexamethason und Methylprednisolon) bei ulzerativem OLP.
  • Systemische Kortikosteroide (oral): Methylprednisolon oder Prednison (30–80 mg/Tag).
  • Systemische Retinoide, z. B. Acitretin (25–50 mg/Tag) anfangs, gefolgt von Isotretinoin (0,5–1 mg/kg/Tag).
  • Topische Retinoide (Isotretinoin 0,05–0,1 %) oder andere Vitamin‑A‑Derivate können weiße Läsionen beseitigen.
  • Orale Ciclosporine (3–10 mg/kg/Tag).

Weitere vorgeschlagene Interventionen

  • Topische Calcineurin‑Inhibitoren: Tacrolimus und Pimecrolimus.
  • Sulfasalazin (2,5 g/Tag über sechs Wochen).
  • Azathioprin (50 mg oral zweimal täglich oder 1–2 mg/kg/Tag über drei bis sieben  Monate).
  • Hydroxychloroquin‑Sulfat (200–400 mg/Tag für zwei Monate).
  • Methotrexat (15 mg/Woche über drei Monate).
  • Mycophenolat‑Mofetil (1–3 g/Tag, zwei Einnahmen täglich, über vier Wochen).
  • TNF‑γ‑Inhibitoren (Alefacept, Adalimumab, Etanercept); Einsatz möglich, Wirksamkeit unsicher, da Studien mit
    großen Patientenkollektiven fehlen.

Zu erwägende Interventionen

  • Cyclophosphamid (100 mg/Tag).
  • Thalidomid (Initialdosis 50–100 mg/Tag, anschließend schrittweise Reduktion auf die minimale wirksame Dosis).
  • Antibiotische Therapie für ein bis drei Monate (Metronidazol, Trimethoprim‑Sulfamethoxazol, Tetracyclin, Doxycyclin).
  • Itraconazol, Griseofulvin.
  • Dapson (initial 50 mg/Tag für 15  Tage, anschließend Steigerung auf 100 mg/Tag).
  • Niedermolekulares Heparin (Enoxaparin 3 mg/Woche).
  • Interferon als Therapieoption bei LP im Zusammenhang mit Hepatitis C.
  • Levamisol.
  • Lycopin (8 mg/Tag für acht Wochen).
  • Portulak (235 mg/Tag).
  • Curcuminoide (6 g/Tag in drei geteilten Dosen).
  • Aloe vera.
  • Topisches Tocopherol.
  • Colchicin.
  • Intraläsionale BCG‑Injektion (Bacillus Calmette‑Guérin)
  • Extrakorporale Photochemotherapie.
  • Psoralen plus UVA (PUVA), UVA1, breitbandiges oder schmalbandiges UVB.
  • Er:YAG‑Laser (2.940 nm), Diodenlaser (630 nm), CO2‑Laser.

Tab. 1: Interventionen zur Behandlung des mukosalen Lichen planus (adaptiert von Ioannides, 2020).Tabelle 1

Parodontale und implantologische Aspekte bei oralem Lichen planus

Während rein gingivale Manifestationen des oralen Lichen planus nicht selten als Gingivitis fehldiagnostiziert werden (Abb. 4a–c),
sehen sich auf der anderen Seite Personen mit bekanntem Lichen mitunter Behandlerunsicherheiten ausgesetzt und Routinemaßnahmen, wie professionelle Zahnreinigungen oder antiinfektiöse Therapien unterbleiben aus Sorge, Befunde möglicherweise zu verschlimmern.
Systematische Übersichtsarbeiten belegen erhöhte Blutungs- und Sondierungswerte bei Personen mit oralem Lichen planus, dies prädisponiert Betroffene für die Entwicklung einer Parodontitis.28, 29 Als Ursache wird häufig die erschwerte Plaquekontrolle bei schmerzhaften Mundschleimhautläsionen angegeben. Der Lichen planus wird in der aktuellen Klassifikation unter den „nicht Plaquenduzierten gingivalen Erkrankungen und Zuständen“ geführt.30 Entsprechend sollte vor weiterführenden Therapien bei Indikation eine konsequente Parodontitisbehandlung mit engmaschiger Prophylaxe etabliert werden.

Hinsichtlich periimplantärer Erkrankungen ist es sinnvoll, mehrere Aspekte zu betrachten (Abb. 4d–f). Eine Metaanalyse fand zwischen Personen mit oralem Lichen planus und Kontrollen weder ein erhöhtes Risiko für periimplantäre Mukositis noch für Periimplantitis.31 Implantatüberlebensraten von 83,5 Prozent auf Patientenebene und 85,3 Prozent auf Implantatebene wurden in einem aktuellen Review bei einem medianen Follow-up von vier Jahren berichtet.32 Jedoch scheint die Krankheitsaktivität zum Zeitpunkt der Implantation entscheidend zu sein. So scheint bei „stabilisiertem“ oralem Lichen planus die Implantatüberlebensrate nicht beeinträchtigt zu sein, wohingegen 42 von 55 Implantationen bei Personen mit „aktivem“ oralen Lichen planus fehlschlugen.33, 34 Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, dass zu einem späteren Zeitpunkt nach oraler Glukokortikoidgabe und Stabilisierung des oralen Lichen planus erneut implantiert werden konnte. Nach vier Jahren erga-ben sich keine Unterschiede hinsichtlich des marginalen Knochenabbaus zwischen gesunden Kontrollen und „stabilisierten“ Lichen-Patienten. Personen mit initial „aktivem“ Lichen während der Implantation zeigten im Vergleich erhöhten Knochenabbau.35

OLP stellt demnach keine Kontraindikation für Implantationen dar, jedoch sind periimplantäre Komplikationen möglich und eine sorgfältige Beurteilung des Entzündungsstatus sowie regelmäßige Kontrollen entscheidend.

Fazit

Der orale Lichen planus ist eine chronisch-entzündliche, potenziell maligne Erkrankung der Mundschleimhaut mit vielfältigen klinischen Erscheinungsformen. Vor diesem Hintergrund ist es eine unbedingte Voraussetzung, die Erkrankung sicher zu diagnostizieren. Regelmäßige Kontrollen, eine sorgfältige histopathologische Abklärung und ein individuell angepasstes Therapiekonzept sind entscheidend, um maligne Transformationen frühzeitig zu erkennen und Beschwerden zu lindern. Für die Praxis sind ein strukturiertes Recall-System, die interdisziplinäre Zusammenarbeit und eine umfassende Patientenaufklärung zentrale Bestandteile einer erfolgreichen Betreuung.

Literatur

Oralchirurgie Journal 04/25

Oralchirurgie Journal


Dieser Fachbeitrag ist im OJ Oralchirurgie Journal erschienen.

Das Mitgliederorgan des Berufsverbandes Deutscher Oralchirurgen e.V. (BDO) ist das Fachmedium für den Berufsstand. Das Oralchirurgie Journal begleitet Fachzahnärzte für Oralchirurgie und chirurgisch tätige Zahnärzte mit praxisnahen Beiträgen, klinischen Fallberichten und wissenschaftlich fundierten Studien. Viermal im Jahr bündelt es aktuelles Fachwissen und Verbandsinformationen des BDO und bietet damit einen kompakten Überblick über Entwicklungen und Trends im Fachgebiet.

 

Jetzt das ePaper lesen.

 

Mehr Fachartikel aus Oralchirurgie

ePaper