Implantologie 24.06.2011
Optimale Knochenregeneration erreichen
share
Ein gravierendes Problem der Implantologie ist, wenn Knochenverlust zu beklagen ist. Zur Regeneration können konzentriertes Knochenmark oder bovines Knochenersatzmaterial verwendet werden.
Nicht nur Trauma und Tumorerkrankungen können zu einem Defizit an Knochensubstanz führen, sondern auch der Verlust von Zähnen führt zu einer beschleunigten Resorption des Alveolarkammes. Dies bedeutet ein geringeres Angebot an vertikalem und horizontalem Knochen für eine Implantation. Tumorerkrankungen und Zahnlosigkeit sind Probleme, die sich in naher Zukunft mit der zunehmenden „Veralterung“ der Gesellschaft verstärken werden. Um Knochendefekte zu rekonstruieren gilt noch heute als Material der Wahl der autologe Knochen vom Beckenkamm.1–5
Vielen
Vorteilen, besonders fehlende Immunreaktionen, stehen eine ganze Anzahl
an Nachteilen gegenüber: begrenzte Menge des für die Augmentation
benötigten Materials, der unverzichtbare zusätzliche chirurgische
Eingriff mit der damit verbundenen Narkose und Morbidität der
Spenderregion.6–8 Als regenerative Medizin bezeichnet man
Verfahren, mit denen man die Nachteile der autologen
Transplantatentnahme minimieren oder umgehen möchte. Die regenerative
Medizin hat in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte gemacht.
In der Zeit zwischen 1995 und 2002 wurde fast ausschließlich
Grundlagenforschung betrieben. Dieser Zeitraum wird von Chris Mason,
einem britischen Stammzellforscher, als das Zeitalter der regenerativen
Medizin 1.0 beschrieben.9 Die Bezeichnung 1.0 ist der
Nomenklatur von Computerprogrammen entliehen, die sich in ständigem
Wandel befinden. In den Jahren 2002 bis 2006 erfolgte der Übergang von
der Grundlagenforschung in die Praxis. Erste Konzepte wurden einer
klinischen Prüfung unterzogen.10 In dieser Euphorie wurden
etliche Unternehmen gegründet und an der Börse notiert. Die Ergebnisse
waren durchwachsen: Neben Schwierigkeiten bei der Integration und
Ernährung großvolumiger, gezüchteter Transplantate stellte der hohe
logistische und finanzielle Aufwand ein erhebliches Problem für die
junge Branche der Biotechnologieunternehmen dar. Strenge gesetzliche
Auflagen, engmaschige Qualitätskontrollen, hohe Fixkosten durch Personal
und Material waren Gründe für Insolvenzen. Chris Mason nennt die Zeit
ab dem Jahr 2006 das Zeitalter der regenerativen Medizin 2.0, weil sich
seitdem klare wirtschaftliche Perspektiven abzeichneten.11
Die Industrie fasst wieder Fuß und investiert erneut in die klinische
Anwendung von Technologien, die in der Grundlagenforschung entstanden
sind. Neue Biomaterialien und Zelltypen wurden getestet und die
Verfahren kostengünstiger und praktikabler gestaltet.
Studienübersicht
In
der vorliegenden Übersicht werden In-vivo-Arbeiten vorgestellt, in
denen überprüft wurde, ob eine Kombination von bovinem Biomaterial
(Abkürzung: BBM, Bio-Oss, Geistlich, Wolhusen, CH) mit mesenchymalen
Stammzellen aus dem Knochenmark (MSCs) ein im wie schon genannten Sinne
praktikables Ersatzverfahren ist. Mesenchymale Stammzellen sind im
Rahmen der desmalen Osteogenese an der Knochenneubildung beteiligt.
Dabei erfolgt die Knochenneubildung ohne knorpelige Vorstufe direkt aus
Stammzellen des embryonalen Bindegewebes (Mesenchym). Im Gegensatz zu
Osteoblasten sind mesenchymale Stammzellen (MSCs) weniger anfällig
gegenüber niedrigen Sauerstoffpartialdrücken.12 Wie bei der
Frakturheilung wandern Stammzellen oder Progenitorzellen aus dem
umgebenden vitalen Knochen zu den nicht vitalen Knochentransplantaten.
Dort lassen sie sich nieder, proliferieren, differenzieren in
Osteoblasten und bilden neues Knochengewebe. Die zellulären Elemente
enthalten Wachstumsfaktoren, die eine starke osteogenetische Potenz
besitzen.13 Osteogenetische Potenz bedeutet, dass die
Faktoren Osteoblasten zur Bildung von neuem Knochen stimulieren können.
Wachstumsfaktoren sind auch in der Knochenmatrix enthalten und werden
durch Osteoklasten im Rahmen der Ab- und Umbauvorgänge freigelegt. Die
Kombination aus einem osteokonduktiven Biomaterial mit Progenitorzellen
aus dem Knochenmark kann die lokale Konzentration an
Osteoprogenitorzellen verbessern, die in der Lage sind, in Osteoblasten
zu differenzieren.14
Wissenschaftliche Vergleiche
In
der präklinischen Phase des Projektes wurde bei Schafen der Oberkiefer
mit der Sinuslifttechnik augmentiert. Dabei wurde die Kombination vom
BBM und MSCs in „Cross-Over“-Studien einmal mit autologer
Beckenspongiosa (AB) und einmal mit BBM alleine verglichen. Die
BBM-MSC-Kombination war der AB mit einer besseren Volumenstabilität bei
vergleichbarer Knochenneubildung überlegen.15 Eine dem autologen
Knochentransplantat vergleichbare Knochenneubildung ist bei der
Verwendung von Biomaterial alleine nicht zu erwarten.16
Übereinstimmend mit den hier vorgelegten Ergebnissen fanden Jaquiéry et
al. Hinweise auf osteoinduktive Eigenschaften von BBM und MSCs, als die
Konstrukte subkutan in Mäuse implementiert wurden.17 Im
Vergleich zu BBM alleine konnte bei der BBM-MSCs-Kombination 49% mehr
Knochenneubildung in der gleichen Zeitspanne beobachtet werden (Abb. 1).18
Auch bei einer Studie mit Minischweinen fanden Pieri et al. bei den
Fluorohydroxyapatit-Gerüsten mit MSCs nach drei Monaten 24% mehr neu
gebildeten Knochen und 17% mehr Knochen-Implantat-Kontakt als bei jenen
Gerüsten, die ohne MSCs getestet wurden.19 Im Tierversuch und
bei der humanen Pilotstudie wurde das sogenannte FICOLL-Verfahren, ein
chemischer Dichtegradient, zur Anreicherung der Zellen verwendet. Der
Nachteil dieser Methode ist die Abhängigkeit des Verfahrens von einem
Zelllabor. Dieser Umstand bedeutet für eine breite klinische Anwendung
hohe logistische und rechtliche Hürden. Daher wurde nach einer
„chair-side“ Methode gesucht, die direkt im Operationssaal angewendet
werden kann. Die Konzentrierung von Knochenmarkaspirat mit dem
BMAC-Verfahren (Bone Marrow Aspirate Concentrate, Harvest Technologies
Corporation, Plymouth, MA, USA) hat sich dabei als praktikabel erwiesen
(Abb. 2–5).20 Die BMAC-BBM-Kombination war der FICOLL-Methode
gleichwertig bei der Knochenneubildung im augmentierten humanen
Sinus.21 Im konzentrierten Knochenmarkaspirat (BMAC, Bone Marrow Aspirat
Concentrat) liegen auch Thrombozyten vor. Diese enthalten
Wachstumsfaktoren wie VEGF (Vasoendothelialer Wachstumsfaktor) und PDGF
(Plateletderived Wachstumsfaktor).19 Die Thrombozyten setzen diese
Faktoren besonders beim Koagulationsprozess frei. Daher ist bei der
Anwendung von BMAC auf eine gute Gerinnung zu achten, die durch Zugabe
von Thrombin erreicht werden kann. Das Thrombin kann, wie hier in der
klinischen Anwendung geschehen, als autologes Material aus venösem Blut
hergestellt werden. Dieser Vorgang kann zeitgleich mit dem
Konzentrierungsprozess des Knochenmarkes erfolgen, sodass die OP-Zeit
nicht verlängert wird. Das Koagel stabilisiert zusätzlich das
Biomaterial und verleiht ihm eine anwenderfreundliche Konsistenz. In den
vorliegenden Tierversuchen und in der FICOLL-Gruppe der Pilotstudie
wurde die Thrombinkomponente des Fibrinklebers Tissue Col (Baxter,
Heidelberg) zur Fixierung der Zellen auf dem Biomaterial verwendet. Die
kommerzielle Thrombinkomponente führt zu einer festeren Konsistenz des
Zellkonzentrat-Biomaterial-Gemisches als bei der Verwendung von
autologem Thrombin, das mit dem Thrombin-Kit aus dem BMAC-Set (Harvest
Technologies Corporation, Plymouth, MA, USA) gewonnen wurde. Durch die
feste Konistenz, welche die Tissue Col-Thrombinkomponente verursachte,
konnten die Biomaterialpartikel in der FICOLL-Gruppe nicht so dicht
gepackt werden wie in der BMAC-Gruppe. Dies zeigt sich auch in der
histomorphometrischen Auswertung.21
Hier wurde in der BMAC-Gruppe signifikant (p = 0,019) 12,2% (90%-Konfidenzintervall: 4,32% bis 20%) mehr Biomaterial und signifikant (p 0,01) 17,4 % (90%-Konfidenzintervall: -27,2% bis -7,48%) weniger Bindegewebsraum als in der FICOLL-Gruppe bei ähnlicher Knochenneubildung gefunden. Diese ist ebenfalls vergleichbar mit der Knochenneubildung, die in den Tierversuchen mit der FICOLL-Methode erreicht wurde.15,18 Ein aus neu gebildetem Knochen und Biomaterial zusammengesetzter höherer Hartgewebsanteil in der BMAC-Gruppe bedeutet, dass unter Anwendung der autologen Thrombinkomponente ein kompakterer Knochenaufbau erzielt werden kann.
In einer randomisierten, kontrollierten Studie im
„Cross-Over-Design“ wurde bei zwölf Patienten/-innen eine beidseitige
Sinusbodenaugmentation durchgeführt.22 Auf der einen Seite
wurde BMAC-BBM und auf der anderen Seite AB-BBM verwendet. Dabei zeigte
sich nach 3,8 (± 0,2) Monaten auf der BMAC-BBM-Seite mit 17,7% (± 7,3%)
signifikant (p = 0,01) mehr neuer Knochen als auf der AB-BBM-Seite
(12,2% ± 6,6%). In einer weiteren partiellen Cross-Over-Studie an 45
stark atrophierten Sinus wurde auf der BMAC-BBM-Seite mit 12,6% (± 1,7%)
eine vergleichbare Knochenneubildung wie auf der AB-BBM-Seite (14,3% ±
1,8%) gefunden. Auf der BMAC-BBM-Seite wurde ein signifikant
(p<0,0001) höherer Biomaterialanteil gefunden.25 Wie im
vorangegangenen Tierversuch war die Volumenpersistenz auf BMAC-BBM-Seite
signifikant besser (p=0,02). In einer Fallstudie bei einer Patientin
mit kompromittierter Knochenheilung wurde BMAC dem autologen Knochen
zugesetzt, um das Regenerationspotenzial bei der
Unterkieferrekonstruktion positiv zu beeinflussen.23 In der
Onkologie wird das dynamische kontrastmittelverstärkte MRT (DCE-MRI) zum
Monitoring der Tumorangiogenese in der Therapieüberwachung eingesetzt.
Es konnte an einer Patientin mit dem DCE-MRI repetitiv und non-invasiv
die Integration von Biomaterialien im Verlauf der Zeit beurteilt
werden, d.h. 11, 25, 53 und 104 Tage nach dem Sinuslift.24
Es war möglich, die Daten für jede Oberkieferseite und jeden Zeitpunkt
getrennt zu bestimmen. Bei der Insertion dentaler Implantate drei Monate
nach der Augmentation wurden Biopsien entnommen, die
histomorphometrisch ausgewertet wurden. Hohe DCE-Parameter für
Vaskularisation des Augmentates gingen mit einer hohen Knochenneubildung
in den Biopsien einher (Abb. 6–8 und Tab. 1).
Schlussfolgerung
Die
Punktion des Knochenmarkes ist im Rahmen von kieferchirurgischen
Operationen durchführbar. Die Aspiration von Knochenmark ist eine
einfache Methode zur Gewinnung von mononukleären Zellen, darunter auch
mesenchymalen Stammzellen. Diese können mit dem BMAC-Verfahren einfach
und ohne Zelllabor „chair-side“, das bedeutet im OP, fünffach
konzentriert werden. Autologes Thrombin kann ebenfalls „chair-side“ aus
venösem Blut aufbereitet werden. Das mit mesenchymalen Stammzellen
vitalisierte Biomaterial kann vom Operateur in gewohnter Weise, d.h. wie
autologer Knochen, im Sinuslift verarbeitet werden. Die
Knochenneubildung ist bei der Verwendung von konzentiertem Knochenmark
in Kombination mit Biomaterial vergleichbar mit der in Transplantaten
aus autologem Knochen und Biomaterial. Sie ist schneller als bei der
Verwendung von Biomaterial alleine. Da beim BMAC-Verfahren kein
autologer Knochen verwendet wird, findet im Augmentat auch keine
Resorption statt, was zu einer besseren Volumenstabilität führt.
Stammzellen aus konzentriertem Knochenmark können auch für die
rekonstruktive Chirurgie eingesetzt werden. Für eine Ausweitung der
Indikation sind weitere Studien notwendig. Das mit dynamischen
Kontrastmittel verstärkte MRT (DCR-MRI) ist zur klinischen, repetitiven
Untersuchung von Biomaterialien im Patienten geeignet.
copyright Fotos: Dr. Dr. Sauerbier