Implantologie 29.02.2024
Einfluss der Recallfrequenz auf das Periimplantitisrisiko
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Eine multizentrische Studie
Zu den größten Komplikationen für einen langfristigen Implantaterhalt gehört die Periimplantitis. Eine Präventivstrategie ist die unterstützende Implantattherapie (UIT), oft auch als „Unterstützende postimplantäre Erhaltungstherapie“ bezeichnet. Voraussetzung ist die Mitarbeit der betreffenden Patienten (sog. Compliance).
Die klinische Frage lautet, ob die Recallfrequenz, die die betreffenden Implantatpatienten wahrnehmen, Einfluss auf das Periimplantitisrisiko hat. Dies würde im zutreffenden Fall die Hypothese unterstreichen, dass die Compliance der Patienten für dentalhygienische Maßnahmen nach Implantatversorgung einen entscheidenden Faktor für die Langlebigkeit von Implantaten und den Suprakonstruktionen darstellt und das Periimplantitisrisiko beeinflusst.
Literaturrecherche
Die Epidemiologie der Periimplantitis ist multifaktoriell und eine Infektionskrankheit, die eine große Herausforderung in der Implantologie darstellt.8 So wurden Rauchen und eine Vorgeschichte parodontologischer Erkrankungen als Periimplantitisrisiko beschrieben.7 Neben für Periimplantitis ursächliche mikrobiologische Kausalketten, Entzündungsstadien und Klassifikationen wird auch der Einfluss des Implantatdesigns und der Suprastrukturen diskutiert.9, 10
Der Einfluss von Allgemeinerkrankungen wie Osteoporose, Diabetes oder Rheuma zeigt Risiken bei Implantationsindikationen und Periimplantitis, jedoch auch medikamentenassoziierte Kiefernekrosen und periimplantitische Konsequenzen bei der Einnahme oraler Bisphosphonate bei Osteoporose.1, 6
Ist erst mal eine Periimplantitis etabliert, gibt es verschiedene Therapieansätze und Prognosen. So schätzen Seitz et al. (2011) dies wie folgt ein:11
„Die hohe Anzahl der inserierten Implantate und deren Liegedauer in Kombination mit gesellschaftlichen Aspekten führt zu einer steigenden Inzidenz biofilmassoziierter Entzündungszustände des periimplantären Gewebes. Das Vollbild der Periimplantitis zeichnet sich durch eine Resorption und Destruktion des Hart- und Weichgewebes aus und ähnelt der Parodontitis an natürlichen Zähnen hinsichtlich Pathogenese, Diagnose und Therapieansätzen. Sowohl unbehandelt als auch behandelt kann Periimplantitis zu einem Verlust des Implantats führen.“
Auch neuere Studien setzen mit der Rolle des Vitamin D, der Effektivität der photodynamischen Therapie im Vergleich zur mechanischen Oberflächenreinigung, elektrolytischer Reinigung und regenerativer Therapie, chirurgischer Ansätze ohne regenerative Materialien bis hin zu Explantationen und Postexplantationsstrategien zum Wiederaufbau des Alveolarknochens auf unterschiedliche Therapieansätze.2, 3, 5, 12, 14
Hier kann die Prävention ansetzen und es bestehen in Zeiten der Digitalisierung des Gesundheitswesens neue Möglichkeiten auch außerhalb der üblichen halbjährlichen Kontroll- und Dentalhygienetermine mit Patienten in den Austausch zu treten (E-Mail, digitale Newsletter, digitale Applikationen, Einsatz von Incentives und Gamification, Videos, Sprachnachrichten, Informationen auf der Praxiswebsite), um die Patienten über Mundhygienemaßnahmen aufzuklären, Mundhygieneinstruktionen zu wiederholen und somit die Motivation und letztlich die Compliance bei den Patienten für regelmäßige dentalhygienische Maßnahmen zu steigern.4
Interessant sind gerade in aktuellen Krisenzeiten (Coronapandemie, Inflation, Krieg) die Auswirkungen psychischer Belastungen, Depressionen und Stress auf die Compliance von Patienten.13 Psychologische Risikoindikatoren für Periimplantitis kann man nicht auf den ersten Blick erkennen und so benötigt jeder Patient bei der Remotivation für eine ausreichende Recallfrequenz eine individuelle Ansprache.
Daher ist ein präventiver Ansatz mit den für die Patienten langfristig geringsten Komplikationen anzustreben, der sich in regelmäßigen dentalhygienischen Maßnahmen finden kann.
Material und Methode
Wir führten einen Vergleich zweier Fallgruppen in zwei Praxen in Nordrhein-Westfalen durch (multizentrische Studie) bei dem mit Implantaten und Suprakonstruktionen versorgte Patienten null bis eine UIT pro Jahr erhalten hatten oder zwei bis vier UIT pro Jahr.
Tab. 1: Häufigkeit der Periimplantitis bei Patienten mit null bis einer bzw. zwei bis vier UIT pro Jahr. Anmerkung: Dargestellt werden die absoluten und relativen Häufigkeiten (n [%]) der Periimplantitis.
Die Patienten waren in Zehn-Jahre-Altersgruppen eingeteilt. Insgesamt waren es 350 Patienten zwischen 15 und 84 Jahren (sieben Altersgruppen in Zehn-Jahre-Schritten). 156 (44,57 Prozent) Frauen und 194 Männer (55,43 Prozent) nahmen teil. Die Patienten wurden zufällig ausgesucht. Die Untersuchungen fanden zwischen Januar 2017 und Dezember 2022 statt (Sechsjahresbetrachtung).
Einschlusskriterien waren, dass es Oberkieferfront-Einzelimplantate waren, mindestens seit fünf Jahren mit einer festsitzenden Suprakonstruktion versorgt und der betrachtete UIT-Zeitraum ab Untersuchung bei fünf Jahren lag. Die Definition der Periimplantitis in dieser Studie war ab Blutung nach Sondierung, Lockerung, Schwellung oder einer Taschentiefe ab 2 mm gemessen ab Implantatschulter.
Ergebnisse
Bei der statistischen Analyse gingen wir wie folgt vor:
Nominale Variablen wurden als absolute und relative Häufigkeiten (n [%]) deskriptiv beschrieben und mithilfe von Kreuztabellen und dem Chi-Quadrat-Test auf Gruppenunterschiede untersucht.
Um beide Gruppen bzgl. des Risikos, an einer Periimplantitis zu erkranken, zu vergleichen, wurde das Odds Ratio sowie das dazugehörige 95 Prozent-Konfidenzintervall (OR [95 Prozent – KI]) berichtet. Die Datenanalyse erfolgte in SPSS 29.
Tab. 2a–c: Häufigkeit der Periimplantitis aufgeteilt nach Altersgruppen und Häufigkeit der UITs pro Jahr. Anmerkung: Dargestellt werden die absoluten und relativen Häufigkeiten (n [%]) pro Gruppe.
In der Gruppe der Patienten, die jährlich null- bis einmal eine UIT erhielten, litten 56 der 175 Patienten (32,0 Prozent) an Periimplantitis, während es bei den Patienten, die zwei- bis viermal pro Jahr eine UIT erhielten, nur 22 von 175 (12,6 Prozent) waren. Patienten, die nur null bis eine UIT erhalten hatten, hatten dabei ein 3,27-fach erhöhtes Risiko, eine Periimplantitis zu bekommen im Vergleich zu der Patientengruppe mit zwei bis vier UITs pro Jahr (OR = 3,27 [1,89–5,65], p < 0,001; Tab. 1).Ein Einfluss des Alters auf das Risiko zu erkranken konnte dabei nicht festgestellt werden – weder in der Gesamtpopulation (p = 0,736; Cramer’s V = 0,233) noch bei Berücksichtigung der Gruppen (0–1 UIT/Jahr: p = 0,816; Cramer’s V = 0,130; 0–1 UIT/Jahr: p = 0,984; Cramer’s V = 0,077; Tab. 2).
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass es innerhalb der hier untersuchten Fallgruppen für Patienten deutliche Vorteile hat, zwei- bis viermal im Jahr zur UIT zu gehen, wobei diese Erwartungshaltung seitens der Zahnarztpraxis voraussetzt, dass vor der Implantationstherapie ein ausführliches und verständliches Aufklärungsgespräch erfolgt ist und auch im Anschluss die Inhalte dieses Aufklärungsgesprächs schriftlich zugestellt und unterschrieben wurden. Dabei geht es bei der Aufklärung nicht nur um die Vor- und Nachteile von Implantationstherapien, sondern auch um die Gründe für einen engmaschigen und lebenslangen Recall, möglichst zwei- bis viermal pro Jahr, um Implantate, Zähne, Zahnfleisch und Zahnersatz nachhaltig langfristig erhalten zu können. Auch die gesamte Mundgesundheit inklusive der Vermeidung von Mundschleimhautveränderungen, insbesondere in Zusammenhang mit Co-Faktoren wie Rauchen, gehören in die Gespräche hinein.
Alternativ können theoretisch Patienten mit periimplantitischen Krankheitsverläufen durch Fachanwälte für Medizinrecht juristisch auf Schadensersatzleistungen durch die Zahnarztpraxis bestehen wollen. Die Dokumentation über die Aufklärung nimmt somit einen entscheidenden Aspekt ein.
Insgesamt betrachtet kann heutzutage eine Zahnarztpraxis, gestützt auf evidenzbasierter Medizin und Zahnmedizin, die Patienten motivieren, die Compliance verbessern und sich dabei der digitalen Möglichkeiten zusätzlich bedienen. Das Ziel einer Risikominimierung ist zum Wohle der Patienten und schützt vor Folgeschäden im Mundbereich und dem gesamten Körper durch Vermeidung von Entzündungsherden.
Zusammenfassung
Die statistische Auswertung dieser multizentrischen Studie zeigt für die Fallgruppe (n = 350), dass Patienten, die nur null bis eine UIT pro Jahr erhalten hatten, ein 3,27-fach erhöhtes Risiko, eine Periimplantitis zu bekommen, hatten im Vergleich zu der Patientengruppe mit zwei bis vier UITs pro Jahr. Somit hat die Compliance der Patienten für dentalhygienische Maßnahmen nach Implantatversorgung einen entscheidenden Einfluss auf das Periimplantitisrisiko und damit auf die Langlebigkeit der Implantate und Suprakonstruktionen.
Weitere Autoren: Dr. Kivanc Tunca, Dr. Magdalene Ortmann
Eine Literaturliste steht Ihnen hier zum Download zur Verfügung.
Dieser Beitrag ist im IJ Implantologie Journal erschienen.