Implantologie 04.06.2024
Verschraubte bimaxilläre Full-Arch-Versorgung
share
Für Patienten mit nicht erhaltungswürdigen Zähnen ist die Full-Arch-Versorgung mit implantatgetragenen verschraubten OK- und UK-Vollprothesen der aktuelle Goldstandard.1, 2 Im Anschluss an eine sorgfältige Untersuchung und Beurteilung des allgemeinmedizinischen Gesundheitszustands müssen in der Planungsphase zahlreiche Aspekte berücksichtigt werden, darunter der Zustand der intraoralen Hart- und Weichgewebe und die Morphologie der prothetischen Gerüste, um die funktionellen und ästhetischen Anforderungen und Bedürfnisse zu erfüllen.
In Fällen, in denen mehrere oder alle funktionellen Parameter außerhalb des Normbereichs liegen (Overjet, Overbite, vertikale Dimension der Okklusion, Inklination der Okklusionsebene, nicht senkrecht zur Unterkiefermitte ausgerichtete Okklusionsebene [Raphe-Median-Ebene] etc.), kann eine kurze Interimsphase vor dem schablonengeführten implantatchirurgischen Verfahren hilfreich sein, um das Prothesendesign mithilfe von herausnehmbaren provisorischen Versorgungen zu testen und bei Bedarf in der postoperativen Phase zu korrigieren. Daher empfiehlt sich eine or-thognatische Analyse zur Beurteilung der sagittalen Kieferskelettstruktur, um sicherzustellen, dass ideale funktionelle und ästhetische Ergebnisse erreicht werden.3
Mit Blick auf eine eventuelle funktionelle Sofortbelastung ist es darüber hinaus wichtig, eine DVT-Untersuchung zur Beurteilung der Knochendichte durchzuführen und ein Implantat zu wählen, dessen Morphologie geeignet ist, um ein für Sofortbelastungsprotokolle ausreichendes Insertionsdrehmoment zu erreichen. Schablonengeführte chirurgische Verfahren können die Operationszeit verkürzen und mögliche Fehler beim Setzen der Implantate minimieren.4
Patienten-Anamnese
Ein 72-jähriger Patient, Nichtraucher, guter allgemeiner Gesundheitszustand, stellte sich in unserer Klinik vor. Er klagte über Schwierigkeiten beim Kauen, da seine festsitzende Oberkieferprothese beweglich war und wackelte (Abb. 1). Die Röntgenaufnahmen zeigten, dass die vier Schneidezähne im Oberkiefer noch vorhanden waren, der Oberkieferbogen parodontal und strukturell aber stark kompromittiert war (Abb. 2). Im Unterkiefer war lediglich der linke UK-Eckzahn vorhanden – an diesem war eine herausnehmbare Teilprothese befestigt.
Behandlungsplan
Der Patient äußerte den Wunsch nach einer bimaxillären festsitzenden Full-Arch-Versorgung auf Implantaten. Wir beschlossen, als Provisorium zunächst eine herausnehmbare Prothese im Oberkiefer anzufertigen, um die anterioren und sagittalen Parameter zu korrigieren, und den UK-Eckzahn bis zum geführten implantatchirurgischen Verfahren zu erhalten.
Ein intraoraler Scan (TRIOS3, 3Shape; Abb. 3) wurde angefertigt und mittels digitalem Smile Design (Smilecloud, Straumann; Abb. 4 und 5) wurde das 2D-Lächeln des Patienten kreiert. Die Daten wurden an das Labor gesendet (Nuova Eliodent), wo die herausnehmbare Oberkieferprothese mit einem vollständig digitalen Workflow konstruiert und hergestellt wurde.
Die vier OK-Schneidezähne wurden unter lokaler Betäubung extrahiert und das herausnehmbare Provisorium wurde eingegliedert. Die Prothese war in der Frontalebene noch immer leicht gekippt (Abb. 6), dies war vermutlich der mandibulären Okklusionsebene geschuldet. Um die exakte Lage der Okklusionsebene und die Position der Schneidezähne hervorzuheben, wurde röntgenopaker provisorischer Dentalzement (TempBond, Kerr) auf die Oberkieferprothese appliziert. Anschließend wurde eine laterale Profilröntgenaufnahme angefertigt (Abb. 7a–c). Die orthognatische Analyse ergab eine Verkippung der Okklusionsebene in der Frontalebene und offenbarte die Notwendigkeit einer posterioren Anhebung der Okklusionsebene, um die Ebenen beider Kiefer anzugleichen.Die Prothesen wurden in der Klinik gescannt. Auf der Grundlage dieser Scans stellte das Labor Duplikate her. An diesen Prototypen wurden zwei extraorale 3D-Marker (3DIEMME) befestigt, um die erforderlichen Korrekturen digital zu implementieren. Um die intermaxilläre Beziehung zu bestimmen, wurden die zwei Kunststoff-Prototypen unterfüttert (Abb. 8). Im nächsten Schritt wurde mit diesen Prototypen eine DVT-Aufnahme angefertigt und die Dateien wurden an das Labor gesendet. Hier wurden die DVT- und STL-Dateien in der Guided-Surgery-Software (RealGUIDE, 3DIEMME) zusammengefügt.
Zehn Implantate (Axiom X3 Tissue Level, Anthogyr) mit schmaler Prothetikplattform 4 mm wurden geplant: sechs Implantate im Oberkiefer und vier im Unterkiefer (Abb. 9). Im Labor wurden zwei Bohrschablonen (INTEGRAL Guided Surgery für vollständig geführte implantatchirurgische Verfahren; Abb. 10), die dazugehörigen Silikon-Splints für die Platzierung der Bohrschablonen und zwei Bohrlöffel für die offene Abformung (Pick-up-Technik) konstruiert und hergestellt. Dann wurde die intermaxilläre Beziehung mit den zwei Prototypen, die wir bereits für den DVT-Scan verwendet hatten, bestimmt.
Chirurgisches Verfahren
Zwei Monate nach Eingliederung der herausnehmbaren Prothesen wurde das geführte bimaxilläre chirurgische Verfahren unter intravenöser Sedierung durchgeführt. Mit Ausnahme von Regio 16, wo eine geringfügige Augmentation mittels gesteuerter Knochenregeneration in Kombination mit einem transkrestalen Sinuslift unter Verwendung des Osteo Safe Systems (Anthogyr) durchgeführt werden musste, erfolgte die Implantatbettpräparation im Oberkiefer ohne Lappenhebung (Abb. 11a). Für die Präparation der Osteotomien im Unterkiefer wurde ein Mukoperiostlappen abgehoben, um eine Osteoplastik in Regio 33 zu ermöglichen und um das keratinisierte Weichgewebe zu erhalten (Abb. 11b).
Bei der Platzierung der Implantate wurden Insertionsdrehmomente zwischen 35 und 50 Ncm erreicht (Abb. 12). Die Abformkappen für die offene Abformung wurden direkt auf die Implantate gesetzt, ohne Multi-Unit-Sekundärteile zwischenzuschalten (Abb. 13). Anschließend wurden Gipsabformungen vorgenommen (Abb. 14). Dann wurde die Herstellung von zwei direkt auf die Implantate zu schraubenden Vollprothesen mit dem Verbindungssystem (inLink, Anthogyr) geplant. Die Gingivaformer wurden auf die Implantate gesetzt. Die zwei Prototypen wurden entsprechend unterfüttert (Abb. 15a und b) und die intermaxilläre Beziehung wurde bestimmt.
Zur Herstellung der verschraubten Prothesen (Abb. 16) wurden im Labor zwei Titanstege gefräst, auf die (konfektionierte) Sekundärteile geklebt wurden. Die Prothesen wurden 24 Stunden nach dem geführten chirurgischen Verfahren ohne lokale Betäubung in den Mund des Patienten eingesetzt (Abb. 17). Die statische und dynamische intermaxilläre Beziehung wurde durch entsprechende okklusale Anpassungen optimiert. Ein OPG der eingegliederten Prothesen wurde angefertigt (Abb. 18). Die Aufnahme zeigt die perfekte Verbindung der prothetischen Strukturen.
Fünf Monate später wurden die verschraubten Prothesen aus dem Mund des Patienten entfernt und auf die Meistermodelle platziert. Der Zustand der periimplantären Gewebe war zufriedenstellend (Abb. 19a und b). Die Prothesen auf den Modellen wurden gescannt (Abb. 20a und b), im Mund des Patienten wurde die intermaxilläre Beziehung bestimmt. Das Labor stellte zwei neue Prototypen her, wobei im Unterkiefer die vertikale Dimension der Okklusion um 1 mm reduziert wurde, da ein Störkontakt der UK-Schneidezähne vorlag und der Patient leichte Schluckbeschwerden hatte. Die zwei Prototypen wurden angepasst. Für die Weichgewebeabformung wurde ein elastomeres Abformmaterial verwendet. Anschließend wurden im Labor die definitiven Prothesen konstruiert und die Dateien wurden an das Fräszentrum gesendet. Hier wurden zwei Kobalt-Chrom-Stegkonstruktionen mit den Sekundärteilen hergestellt (Abb. 21). Die künstlichen Zähne und die künstliche Gingiva der Prothesen wurden aus PMMA hergestellt (Abb. 22 und 23). Der Patient wurde informiert, dass der Zahnersatz alle fünf bis acht Jahre erneuert werden müsse, abhängig von dem bei den Nachuntersuchungen festgestellten Grad der Abnutzung. Die zwei verschraubten Vollprothesen wurden in den Mund des Patienten eingesetzt (Abb. 24 und 25). Die Schrauben wurden gemäß den Angaben in der Gebrauchsanweisung des Herstellers mit 25 Ncm angezogen. Abschließend wurde eine Röntgenaufnahme angefertigt (Abb. 26).
Schlussfolgerungen
Die Behandlung verlief ohne chirurgische oder prothetische Komplikationen. Die Verwendung des Systems für schablonengeführte chirurgische Verfahren führte zu einer kürzeren Operationszeit und half, Fehler beim Setzen der Implantate zu vermeiden. Die Morphologie der verwendeten Implantate ermöglichte eine schnelle und genaue Platzierung mit einem für die funktionelle Sofortbelastung adäquaten Insertionsdrehmoment. Zusätzlich konnten dank des eingesetzten Verbindungssystems die Operationszeit verkürzt und die Kosten für die intraorale Rehabilitation gesenkt werden, da keine Multi-Unit-Sekundärteile verwendet wurden. Sowohl das klinische Team als auch der Patient waren mit dem Ergebnis sehr zufrieden.
Eine Literaturliste steht Ihnen hier zum Download zur Verfügung.
Dieser Beitrag ist im IJ Implantologie Journal erschienen.