Implantologie 15.02.2012
Wer stellt die Indikation für die Periimplantitistherapie?
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Durch die Unterstützung der gesetzlichen Krankenkassen bei der Anfertigung von implantatgetragenen Suprakonstruktionen wurde die Implantattherapie zu einer realistischen Versorgungsoption für größere Patientenkreise. In Konsequenz hat die häufigere Anwendung von Implantaten zum Ersatz von verloren gegangenen prothetischen Verankerungsmöglichkeiten dazu geführt, dass viele Zahnärzte selbst implantieren oder sich Kooperationen zwischen schwerpunktmäßig chirurgisch tätigen Kollegen und den überweisenden Prothetikern etablieren.
Da das große Spektrum der augmentativen Techniken eine umfangreiche Ausbildung und regelmäßige Anwendung erfordert, werden zunehmend häufiger Vorgehensweisen propagiert, die einen minimalinvasiven Ansatz favorisieren.10 Kommt es dann aufgrund von präoperativ nicht abzusehenden intraoperativen schwierigeren Befunden, kann es vorkommen, dass Implantate aufgrund von nicht angewendeten augmentativen Maßnahmen oder ei-ner unzureichenden Regeneration des augmentierten Bereichs mit einer unzureichenden knöchernen Abdeckung prothetisch versorgt werden. Bei diesen Fällen zeigt sich dann oftmals eine ungünstige Weichgewebssituation mit einer hohen Sondierungstiefe, welche die Ansammlung von Anaerobiern begünstigt, obwohl kein periimplantärer Knochenabbau aufgetreten ist.2 Wenn die prothetische Versorgung nur gelegentlich in Zusammenarbeit mit einem Chirurgen durchgeführt wird, kann es auch dort zu Komplikationen kommen. Die Gestaltung des Zahnersatzes benötigt aufgrund der oftmals kleineren Implantatdurchmesser im Vergleich zur Größe des prothetischen Ersatzes eine implantatspezifische Form der Krone. Es kann somit vorkommen, dass die Reinigungsfähigkeit der Suprakonstruktion eingeschränkt ist und sich Fremdkörper im periimplantären Gewebe festsetzen können. Dies bedeutet insbesondere zum Abschluss der prothetischen Behandlung, dass Zementreste nicht erkannt oder auch nicht entfernt werden können.16 Aber auch unter der funktionellen Belastung kann es zu Impaktierungen von harten Speiseresten kommen, sodass dann diese Fremdkörper im periimplantären Gewebe zu Entzündungen führen. Durch die ungünstige Zusammensetzung des mikrobiologischen Milieus bei diesen Entzündungsreaktionen kommt es zu einer zunehmenden Destruktion des periimplantären Hart- und Weichgewebes. Deshalb ist es wichtig, dass besonders nach Eingliederung des Zahn-ersatzes oder bei Missempfindungen des Patienten das periimplantäre Knochenniveau durch eine Röntgenaufnahme dokumentiert und vermeintliche Fremdkörper diagnostiziert werden. Der Patient sollte darauf aufmerksam gemacht werden, dass er geringste Blutungszeichen („Zahnfleischbluten“) am Implantat als ein Warnsignal für eine Entzündung und damit als Aufforderung zum Kontrollbesuch auffassen sollte, um destruktive Prozesse zu vermeiden und den langfristigen Erhalt des Zahnersatzes zu sichern.
Gerade bei Patienten, die durch parodontale Vorerkrankungen frühzeitig ihre Zähne verloren haben, wird ein erhöhtes Entzündungsrisiko durch die Persistenz parodontal pathologischer Keime diskutiert.13 Daher ist prinzipiell ein enges Recall zur Vermeidung einer Periimplantitis notwendig, damit die Erfolgswahrscheinlichkeit und Komplikationsrate reduziert werden kann. Neben dem regelmäßigen Implantat-Recall ist der Patient darauf hinzuweisen, dass auch beim Auftreten von Lockerungen der Suprastruktur eine zahnärztliche Intervention erforderlich ist, um eine Periimplantitis bereits im initialen Stadium der Mukositis behandeln zu können.
Nicht chirurgische Mukositistherapie
Bei der initialen Periimplantitistherapie gilt es, die Hypoplasie des Weichgewebes und die mikrobiologische Belastung im Sulkus zu reduzieren, sodass es zu keiner Knochendestruktion kommt. Hier kann bereits durch eine einmalige Sitzung mit der antimikrobiellen Photodynamischen Therapie eine Keimreduktion erreicht werden, die zum Abheilen der Mukositis führt.12 Bei der antimikrobiellen Photodynamischen Therapie (aPDT)4,6 handelt es sich um ein Verfahren, bei dem durch einen photodynamischen Reaktionsmecha-nismus eine sichere, rasche und schonende Keimreduktion am infizierten Gewebe erreicht werden kann.17 Unter den verschiedenen beschriebenen Protokollen sind nur wenige im Ergebnis klinisch dokumentiert und wissenschaftlich untersucht. Bei dem hier vorgestellten Vorgehen wird eine sterile lichtaktive Farbstofflösung als Photosensitizer (HELBO® Blue Photo-sensizizer, bredent medical, Senden) auf das infizierte Areal appliziert. Während der Einwirkzeit von mindestens 60 bis 180 Sekunden diffundieren Photosensitizermoleküle in den Biofilm und lagern sich an negativ geladene Zentren der Bakterienwand an. Danach erfolgt die Aktivierung der Photosensitizermoleküle mit nicht thermischem Laserlicht1,3,17,18 (HELBO TheraLite Laser, bredent medical, Senden) (Abb. 1–3). Hierdurch wird ein quantenmechanischer Prozess ausgelöst, bei dem durch Energieabsorption, Spinänderung und -übertragung Singulettsauerstoffmoleküle entstehen. Diese sind sehr starke Oxidationsmittel, welche sofort mit der Bakterienwand reagieren und vorzugsweise über Oxidation von Membranlipiden zu einer letalen, irreversiblen Schädigung der Bakterien führen. Nach dem gleichen Prinzip kommt es auch zu einer Destruktion bei Pilzen. Dies ist besonders bei therapieresistenten Periimplantitisfällen wichtig, da hier häufig eine synergistische Koinfektion vorliegt. Hierdurch wird die photodynamische Dekontamination des infizierten Gewebes und der behandelten Oberfläche erreicht. Ein sehr schonender Aspekt der Therapie liegt darin begründet, dass eukaryote Zellen aufgrund ihres Membranpotenzials nicht angefärbt werden, somit an ihnen auch kein Singulettsauerstoff gebildet wird.
Chirurgische Mukositistherapie in Kombination mit Vestibulumplastik
Bei einer Progredienz der Erkrankung ist es notwendig, die Ursache genau zu bestimmen, sodass bei dem chirurgischen Vorgehen diese Risikofaktoren eliminiert werden können. Dies bedeutet, dass, je nach Weichgewebsverhältnissen und ästhetischen Ansprüchen, unterschiedliche Schnittführungen für die chirurgische Intervention einer Periimplantitisoperation notwendig werden. Bei einem im Wesentlichen horizontalen Knochendefekt und einer mobilen Schleimhaut ist der Knochenabbau in der Regel auf die Pumpeffekte der mobilen Schleimhaut zurückzuführen. Wenn keine oder nur eine geringe Defektaugmentation im periimplantären Lager notwendig oder auch möglich erscheint, kann hier eine Schnittführung im Bereich des Vestibulums gewählt werden, um neben der Vestibulumplastik auch gleichzeitig das periimplantäre Granulationsgewebe zu exzidieren und kleine Defekte zu augmentieren. Zur Dekontamination des infizierten Areals erfolgt intraoperativ die adjuvante Anwendung der oben beschriebenen Photodynamischen Therapie (Abb. 4–8).
Periimplantitistherapie mit Augmentation
Diese Vorgehensweise und die entsprechende Schnittführung können jedoch nicht angewendet werden, wenn eine tiefe Kraterstruktur am Implantat vorliegt, die das Einbringen von Knochenersatzmaterial zur absoluten Defektaugmentation erfordert. Da gerade bei knöchernen Destruktionen sich oftmals im basalen Fundus nekrotische Knochenanteile zeigen, welche stark mikrobiologisch belastet sind, lassen sich diese bei der Photodynamischen Therapie gut anfärben. Damit diese bakteriellen Residuen entfernt werden, sollten sie, auch wenn der Defekt dadurch vergrößert wird, sorgsam exkaviert werden. Daher muss bei diesen Fällen eine komplette Lappenpräparation mit einer marginalen Schnittführung erfolgen, damit der periimplantäre Bereich von Entzündungsgewebe befreit werden kann. Vor der Applikation des Augmentationsmaterial erfolgt wiederum die Photodynamische Therapie, damit das infizierte Hart- und Weichgewebe sowie die Implantatoberfläche dekontaminiert werden. Zur Reduktion der Taschentiefe sollte das Knochersatzmaterial auf das Niveau des verbleibenden Knochens augmentiert werden. Da bei diesen Fällen bereits so weit periimplantäres Knochengewebe verloren gegangen ist, dass eine plastische Deckung nicht mehr möglich ist, sollte das eingebrachte Augmentationsmaterial durch eine resorbierbare Membran abgedeckt werden.9 Zeigt sich ein stabiles Areal nach einer Defektaugmentation, kann es dann notwendig sein, dass in der zweiten Phase eine Vestibulumplastik durchgeführt werden muss, damit die Zone der fixierten Schleimhaut verbreitet wird. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme als zweite zusätzliche Operation muss den Patienten verdeutlicht werden, sodass das Operationsergebnis nicht durch eine erneute Mukositis gefährdet wird (Abb. 9–18).
Diskussion
Beim Auftreten einer periimplantären Erkrankung ist es wichtig, dass diese im initialen Stadium erkannt und therapiert wird. Gerade bei der Mukositistherapie besteht die Möglichkeit einer vollständigen Remission der Erkrankung, da noch keine tiefen Taschen auftreten, die zu einer Ansammlung von Anaerobiern mit einer weiterführenden Knochendestruktion führen können.8 Bei tiefer liegenden Defekten ist es wichtig, dass diese vollständig von infiziertem Material entfernt werden. Die Areale, die im tieferen Bereich durch eine mechanische Intervention nicht eliminiert werden können, werden durch die aPDT effektiv dekontaminiert. In den letzten Jahren hat sich die aPDT zu einer effektiven Maßnahme zur Reduktion von oral manifestierten chronischen Infektionen entwickelt, was von verschiedenen Autorengruppen besonders für die schwierig zu therapierende periimplantäre Infektion bestätigt wird.4,11,15,18,19 Als entscheidend für den Erfolg der antimikrobiellen Photodynamischen Therapie müssen das wissenschaftlich belegte Therapie- und Produktkonzept sowie insbesondere die Sterilität der verwendeten Produkte in die-sen hochinfizierten Bereichen angesehen werden. In einer In-vitro-Studie konnte gezeigt werden, dass die aPDT eine bakteriozide Wirkung auf drei relevante parodontale Markerkeime auf unterschiedlich strukturierten Implantatoberflächen zeigt. Die Wirkung stellt sich jedoch nur bei der Kombination aus der Applikation eines Thiazinfarbstoffes und der Low-Level-Laser-Aktivierung ein, aber nicht bei der isolier-ten Anwendung des Photosensitizers. Eine erste klinische Dokumentation über 24 Implantate bei 15 Patienten mit periimplantären Erkrankungen bei TPS-beschichteten Implantaten zeigte einen mittleren Knochengewinn von 2mm ± 1,9mm nach 9,5 Monaten.5 Dies führt dazu, dass pathogene Taschen und Knochendefekte mit einer Sondierungstiefe von über 4mm in Taschen und Knochendefekte mit einer geringeren Sondierungstiefe überführt werden konnten, sodass die Progression der Erkrankung durch die eingeleitete Behandlung bei 22 von 24 Implantaten gestoppt werden konnte. Lediglich zwei Implantate mussten im Beobachtungszeitraum entfernt werden. Die mikrobiologische Untersuchung dieses Patientenguts zeigte eine signifikante Reduktion der Markerkeime jedoch erst nach Aktivierung des eingebrachten Thiazinfarbstoffes durch die Laserapplikation.
Eine vergleichende Untersuchung zwischen der lokalen Antibiotikatherapie, der physikalisch-chemischen Desinfektion, der physikalisch-biologischen Desinfektion mittels aPDT und einer Kontrollgruppe zeigte, dass die höchste Keimreduktion auch im Verlauf von sechs Monaten bei der physikalisch-biologischen Desinfektion erreicht werden konnte.7 Die Applikation von Ozon zeigte eine höhere Re-Besiedlung als die Antibiotikatherapie, was hier auf die geringere Taschenzugänglichkeit mit der entsprechenden Applikatortechnik und ggf. Probleme hinsichtlich der Abdichtung zurückzufüh-ren sein könnte. Ferner sind bei der Ozontherapie die Geräteparameter genau einzuhalten, damit keine schädliche Überdosierung des Ozons erfolgt, was zu einer Gewebeschädigung mit der Gefahr einer Wundheilungsstörung oder bei Anwendung ohne eine Lokalanästhesie zu Missempfindungen beim Patienten führen kann. Bei der Wahl des Knochenersatzmaterials zur Stabilisierung des Defektes muss darauf geachtet werden, dass dies dem eingeschränkten biologischen Regenerationspotenzial gerecht wird. Schnell resorbierende Knochenersatzmaterialien haben sich hier nicht bewährt, da die Anlagerungsfläche am Implantat und das gereinigte Knochen-areal ein schlechtes Regenerationspotenzial zeigen.14 Bei der Anwendung von autologen Knochen zeigt sich durch die zusätzliche Morbidität aufgrund der zweiten Operationsstelle eine eingeschränkte Indikation, besonders für ästhetisch nicht relevante Areale. Erste Erfahrungen mit einem Titangranulat zeigen positive Ergebnisse, sodass es hier durch das Einbringen des Knochenersatzmaterials zu einer Stabilisierung des Defektes mit einer Reduktion der Taschentiefe kommen kann.20 Zusätzliche weichgewebsstabilisierende Operationen erlauben den Patienten eine bessere Mundhygiene und reduzieren den Pumpeffekt des periimplantären Gewebes, sodass hier auch prophylaktisch chirurgische Maßnahmen zur Vermeidung eines Rezidivs notwendig werden.
Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.