Implantologie 02.04.2025
Atraumatische Extraktion und Sofortimplantation
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Eine Patientin mit circa 18 Jahre alten Frontzahnkronen stellte sich als Akutfall nach einem Sturz mit horizontal frakturiertem Zahn 11 und minimal frakturiertem Zahn 21 vor.
Diagnose und Behandlungsplanung
Im initialen Röntgenbild zeigte sich, dass Zahn 11 bereits resektiert war und eine relativ kurze Restwurzel aufwies. Zudem war die Restwurzel perkussiv und gelockert. Nach Abwägung der Möglichkeiten mit der Patientin, vorallem in Hinblick auf eine Langzeitprognose des Zahns, wurde sich für eine Extraktion und Sofortimplantation entschieden, da dadurch das ästhetische Ergebnis in diesem Fall am sichersten vorherzusagen war. Im Zuge der Therapie war auch die Neuversorgung des Nachbarzahns angezeigt, wobei die Patientin hier den vorhandenen Zahn erhalten wollte. Als definitive Versorgung wurde eine implantatgetragene, verschraubte Kronenversorgung an 11 und eine zahngetragene Kronenversorgung an 21 angestrebt.
Durchführung der Therapie
Die Extraktion des Zahns 21 erfolgte mithilfe eines atraumatischen Verfahrens nach dem Flaschenzugprinzip (Benex-Control, Meisinger). Dieses System erlaubt eine axiale Extrusion der Zahnwurzel. Dabei wurde nach Entfernung der alten Krone zunächst eine Ankerschraube bis tief in die Wurzel eingeschraubt. Anschließend wurde das Zahnfragment mit einem umgelenkten Seilzug extrudiert. Für eine geeignete Kraftverteilung sorgte dabei eine sogenannte Quadrantenstütze, die auf mehreren Nachbarzähnen abgestützt ist. Dieses Verfahren reduziert die Gefahr einer Fraktur der vestibulären Knochenwand deutlich und verhindert eine Traumatisierung des papillären Weichgewebs.
Die Extraktionsalveole wurde gesäubert und die vestibuläre Knochenwand auf ihre Kontinuität geprüft – mit dem Ergebnis, dass die Knochenwand Regio 11 keine Perforation aufwies. Nun wurde mithilfe der Orientierungsschablone eine Pilotbohrung auf 2,0 mm durchgeführt und anschließend die Richtung des noch einzubringenden Implantats mit einem Führungsstift geprüft. Unter Einhaltung des vorgegeben Bohrprotokolls wurde das Implantatbett bis zur gewünschten Größe aufbereitet, wobei auf eine Ausrichtung an der palatinalen Wand der ursprünglichen Alveole geachtet wurde. Anschließend wurde ein volllkeramisches wurzelförmiges zweiteiliges Zirkonimplantat 0,5 mm suprakrestal platziert (SICwhite tapered, 4,2/12 mm, SIC invent). Die Primärstabilität betrug 24 Ncm.
Der Raum zwischen dem Implantat und der vestibulären Knochenlamelle wurde sondiert und anschließend mit xenogenem Knochenersatzmaterial gefüllt, um eine horizontale und vestibuläre Schrumpfung der Alveole weitmöglichst zu verringern (Bio-Oss Collagen, Geistlich). Das Implantat wurde mit einer Verschlusskappe versehen. Die gemessene Primärstabilität war nicht geeignet für eine Sofortversorgung. Zur temporären Versorgung und gleichzeitigen Abstützung und Ausformung des papillären und vestibulären Weichgewebes wurde ein adhäsiv befestigtes Provisorium (BioniCut, bredent) angepasst.
Nach zehn Tagen erfolgte eine Wundkontrolle mit gut abgeheilter Weichgewebssituation. Die Patientin trug das Provisorium insgesamt über einen Zeitraum von zwölf Wochen.

Nach dieser Tragezeit wurde die provisorische Brücke entfernt. Es zeigt sich eine stabile Weichgewebssituation. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Deckkappe des Implantats durch einen Gingivaformer ausgetauscht und die Osseointegration des Implantats überprüft.
Zur prothetischen Versorgung wurde auf das Implantat der passende Scanbody aufgeschraubt und der Nachbarzahn 21 nach Entfernung der alten Krone nachpräpariert. Im Kontrollröntgenbild war zu diesem Zeitpunkt eine suffiziente krestale Knochenintegration des Implantats sichtbar. Als Schnittstelle für die okklusal verschraubbare Krone diente eine konfektionierte Klebebasis aus PEEK verbunden mit einer gefrästen und im Cut-Back-Verfahren nachgeschichteten Zirkonkrone.
Zur Eingliederung der verschraubten Krone wird eine spezielle Carbonschraube eingesetzt (SICwhite VICARBO Screw, SIC invent), welche eine sichere und stabile Verbindung der Komponenten und ein komplett metallfreies System ermöglicht (Bolt-in-Tube System). Bei der Kontrolle nach vier Monaten zeigten sich stabile Verhältnisse. Die Restaurationen waren intakt und farblich unverändert. Die Knochensituation im krestalen Bereich hielt sich auf dem Niveau zum Zeitpunkt der Eingliederung der definitiven Restaurationen.
Diskussion
Im vorliegenden Fall wurden die Vorteile einer atraumatischen Extraktion, einer vorhersagbar präzisen Implantation dank Orientierungsschablone sowie eines zweiteiligen vollkeramischen Implantatsystems mit einer gut auf eine Sofortimplantation abgestimmten Bohrsequenz sowie einer hohen Primärstabilität genutzt.
Mit dem hier verwendeten Extraktor gelingt eine Entfernung der Zahnwurzel und von Zahnwurzelfragmenten – ohne Belastung für die lateralen Knochenwände. Hätte sich dennoch bei der Prüfung der vestibulären Knochenwand herausgestellt, dass sie zu dünn oder beschädigt gewesen wäre, so hätte man möglicherweise primär nur augmentiert und später verzögert implantieren müssen.
Der Vertikalextraktor kann zudem auch an Grenzen stoßen. Bei gelockerten Zähnen ist er eine stets zu erwägende Option zur Entfernung ankylosierter Zähne, jedoch nicht immer erfolgreich einsetzbar. Im vorliegenden Fall machte er die Sofortimplantation einfach und vorhersagbar. Vor allem wurde ein Weichgewebstrauma von vornherein vermieden.Bei der Implantation selbst ermöglichte die Orientierungsschablone, wie geplant, eine dreidimensionale Tiefenplatzierung des Implantats circa 3 mm apikal der Schmelz-Zement-Grenze. Das verwendete Implantat weist systemimmanent eine polierte krestale Zone von 0,6 mm auf, welche eine maximal aequikrestale Platzierung des Implantats ermöglicht. Röntgenologisch ist gut erkennbar, dass der Knochen lateral in diesem Bereich leicht apikal der Implantatschulter an der Fixtur anliegt.
In diesem Fall war die Primärstabilität des Implantats mit einem Eindrehmoment von 24 Ncm zu gering. Zudem ist es selbst bei sehr vorsichtigem Vorgehen schwierig, die Veränderungen im Weichgewebe nach der Extraktion genau vorherzusagen. Hier bietet die Verwendung von Zirkonimplantaten erhebliche Vorteile, da das gefürchtete Durchscheinen dunkler Titanstrukturen im ästhetischen Bereich entfällt.
Fazit
Das in diesem Fall dargestellte Vorgehen gibt dem Implantologen ein hohes Maß an Sicherheit. Diese Sicherheit resultiert nicht nur aus den Vorteilen einer atraumatischen Zahnextraktion und eines gewebefreundlichen Implantatsystems, sondern vor allem aus der Berücksichtigung der entscheidenden Faktoren für den Erfolg einer Sofortimplantation: ausreichend vorhandenem apikalen und vestibulären Knochengewebe sowie einem in Volumen und Keratinisierung suffizienten gingivalen Weichgewebe. Die Maximierung der Weichgewebserhaltung – insbesondere die Minimierung der nach Extraktion zu erwartenden vestibulären Gewebsrezession – wird durch eine atraumatische Extraktion erheblich gefördert. Zudem müssen, bei unerwarteten Abweichungen vom ursprünglich geplanten Vorgehen, Anpassungen erfolgen, um das Behandlungsergebnis zu sichern. Dieses Konzept lässt sich nahtlos in digital gestützte Arbeitsweisen eines modernen zahntechnischen Labors integrieren, wobei der Einsatz von Intraoralscannern, CAD/CAM-geeigneten Materialien und der Möglichkeit zur ästhetischen Individualisierung eine präzise und effiziente Umsetzung der Behandlung unterstützt.
Dieser Beitrag ist im IJ Implantologie Journal erschienen.