Implantologie 28.02.2011

Langzeiterfolg bei der Sofortbelastung im zahnlosen UK



Langzeiterfolg bei der Sofortbelastung im zahnlosen UK

Fallbericht und Studienergebnisse aus der Praxis

Als in den 1970er-Jahren Pioniere wie Philippe D. Ledermann mit ihren damals innovativen Behandlungsmethoden die moderne dentale Implantologie begründeten, dachte noch keiner von ihnen daran, dass ihre Versorgungen mehr als drei Jahrzehnte unverändert in der Mundhöhle der Patienten überdauern könnten. Die folgende retrospektive Untersuchung eines über 33 Jahre erfolgreichen Falls soll dies exemplarisch aufzeigen.


Im Sommer 1977 wandte sich eine ratlose Patientin an ihren damaligen Zahnarzt Phi­lippe D. Ledermann. Nach Verlust aller Unterkieferzähne und aufgrund der fortgeschrittenen Atrophie des Alveolarfortsatzes erwies sich der Halt ihrer Unterkieferprothese als insuffizient. Ledermann, der vor dem Zahnmedizinstudium eine Lehre als Mechaniker begonnen hatte, ging das Problem von der mechanischen Seite aus an. Warum sollten Stegversorgungen, die auf eigenen Zähnen funktionierten, nicht auch implantatgestützten Prothesen Halt geben? So inaugurierte er mit der Insertion von vier interforaminär inserierten Schraubenimplantaten und deren sofortiger Verblockung mit einem Dolder-Steggeschiebe die Sofortbelastung des zahnlosen Unterkiefers.


Erfolgskriterium: unverändertes OP-Protokoll

Das Prinzip des „immediate loading“ im zahnlosen Unterkiefer ist mittlerweile weltweit anerkannt und unbestritten. Das Originalprotokoll von Ledermann zu der von ihm inaugurierten Behandlung gilt bis auf kleinere Modifikationen bis heute nahezu unverändert: Nach beidseitiger Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior und zusätzlicher vestibulärer Infiltration zur Ausschaltung des N. buccalis erfolgt eine mediane Inzision in sagittaler Richtung aus dem Mundboden in Richtung Vestibulum (Abb. 6 bis 8). Sie dient der Entspannung des Mukoperiostlappens bei seiner Mobilisierung und der besseren Orientierung beim Wundverschluss. Danach werden durch einen krestalen Schnitt von Regio 36 bis Regio 46 die Bildung eines Mukoperiostlappens vorbereitet und nach dessen vollständiger Mobilisierung die Foramina mentalia beidseits dargestellt.

Es folgt die Kürzung des Kieferkamms, bis ein Plateau geschaffen ist, das zirkulär um die geplanten Implantate eine verbleibende Restknochenstärke von ca. 1,5mm gewährleistet (Abb. 9). Bei einem Implantatdurchmesser von 4,5mm im Bereich des Implantathalses bedeutet dies eine notwendige Plateaubreite von mindestens 7,5 mm. Von den mesialen Begrenzungen der Foramina mentalia wird das Lot auf dieses Plateau gefällt. Um die Nervi alveolari inferiori nicht zu verletzen, die vor dem Austritt aus dem Foramen mentale sehr häufig intraossäre mesiale Schleifen bilden, wird in einem Sicherheitsabstand von ca. 5mm nach mesial des Foramens zzgl. eines halben Durchmessers des gewählten Implantates eine Körnung mit einem 1,8mm Rosenbohrer durchgeführt. Ebenso erfolgt dies auf der kontralateralen Seite. Anschließend wird auf dem Kieferkamm die Distanz zwischen diesen Körnungen gedrittelt und an den Drittelgrenzen je eine weitere Körnung angebracht (Abb. 10). Im Bereich der geplanten Implantatinsertionsstellen bedarf es einer sorgfältigen Entfernung der Reste von Periost und evtl. vorhandenem Granulationsgewebes. Unter Kontrolle der Lingualneigung des Unterkieferkorpus werden die Pilotbohrungen durchgeführt (Abb. 11) und mit einer Knopfsonde die Kavitäten nach jeder Bohrung auf eventuelle (linguale) Perforationen untersucht. Nach Implantatbettpräparation mit dem genormten Bohrersatz in aufsteigender Reihenfolge werden die Implantate entsprechend dem Herstellerprotokoll inseriert und ausgerichtet (Abb. 12).

Bei zweiteiligen Implantaten erfolgt nun die Fixierung der dazugehörigen Stegabutments mit den entsprechenden Schrauben und dem vom Hersteller vorgeschriebenen Drehmoment. Bei einteiligen Abutments werden die Einbringhilfen demontiert (Abb. 13 und 14). Nach gründlicher Spülung mit gekühlter Ringerlösung und Reinigung des Wundbereichs von Bohrspänen findet der speicheldichte Wundverschluss sowie die obligatorische radiologische Kontrolle statt (Abb. 16 und 17).

Für die folgende Abformung werden auf die Abutments entweder die präfabrizierten Stegkappen verschraubt (Abb. 15) oder die vom Hersteller angebotenen Abformkappen aufgesteckt. In entspannt sitzender Position erfolgt die Einprobe der zwischenzeitlich von basal ausgeschliffenen Prothese. Mit ihr wird mit einem individuellen Abformlöffel die statische Abformung der Abutments in kontrollierter Schlussbissstellung durchgeführt. Die Abformkappen verbleiben in der Abformung, während bei der Vorgehensweise mit den Stegkappen diese abgeschraubt und separat ins Labor gegeben werden müssen. Nach Säuberung der Wunde von allfälligen Resten des Abformmaterials werden auf die Abutments erneut Originalstegkappen aufgeschraubt, damit eine allfällige periimplantäre Schwellung des Weichgewebes die spätere Eingliederung des Steges nicht behindert.

Der Patient wird während der folgenden Stunden postoperativ vom Praxisteam betreut und erhält Analgetika und Antiphlogistika sowie ausreichend Eisbeutel zur postoperativen Schmerz- und Schwellungsprophylaxe. Nach labortechnischer Herstellung des Steges und Einbau der Matrizen bei gleichzeitiger Unterfütterung der Prothese (Abb. 18 bis 20) wird der Steg im Mund auf den Abutments verschraubt. Eine radiologische Kontrolle zeigt seinen spaltfreien, exakten Sitz auf den Abutments. Die Prothese wird einprobiert und die Friktion der Matrizen individuell nach den Bedürfnissen des Patienten eingestellt. Es bietet sich an, die Handhabung mit ihm zu üben und ihn über das postoperative Verhalten zu instruieren. Der Patient kann dann mit einer sofort belastbaren und sicher fixierten Prothese entlassen werden.

Fallbeschreibung über 33 Jahre

Die Implantatinsertion der zu Beginn genannten Patientin erfolgte im Alter von 52 Jahren. Bis 2006 stellte sie sich regelmäßig einmal pro Jahr in unserer Praxis zur radiologischen Kontrolle und Dentalhygiene vor (Abb. 1 bis 5). Mittlerweile ist sie 85 und leidet unter osteoporosebedingten multiplen Wirbelfrakturen. Durch die stark eingeschränkte Lebensqualität ist der Weg in unsere Praxis zur Durchführung der Dentalhygiene nicht mehr möglich. Daher waren seit 2008 auch keine radiologischen Kontrollen mehr möglich. Der unveränderte klinische Befund (Abb. 2) lässt jedoch darauf schließen, dass trotz der fortgeschrittenen Osteoporose auch die knöcherne Situation um die Implantate unverändert ist.

Ergebnisse einer Patientenumfrage

Nicht nur aus Sicht des Implantologen ist die Unterkiefersofortbelastung nach dem Steg-Protokoll von Ledermann ein Erfolg. Eine in den letzten Monaten durchgeführte Umfrage unter 162 Patienten unserer Praxis, von denen 98 den erhaltenen Fragebogen ausgefüllt zurücksandten, ergab u.a. folgende Ergebnisse: 96,9% der Studienteilnehmer gaben an, mit dem Gesamtergebnis ihrer Versorgung zufrieden oder sehr zufrieden zu sein (Abb. 21). 93,8% der Patienten (47 weibliche, 42 männliche, 1 ohne Geschlechtsangabe) würden die Behandlung noch einmal durchführen lassen, nur sechs (6,3%, fünf Frauen, ein Mann) haben diese Frage negiert (Abb. 22).

Retrospektive Studie

Eine aktuell durchgeführte Nachuntersuchung von „Ledermann-Stegversorgungen“ (d.h. von mittels Steg sofort belasteten Implantaten im zahnlosen Unterkiefer), die in den letzten elf Jahren in unserer Praxis inseriert wurden, ergab, dass das Einhalten des oben beschriebenen Behandlungsprotokolls zu einer maximalen Erfolgsrate führen kann. Von 162 Stegversorgungen, die zwischen Januar 1999 und Dezember 2009 eingegliedert wurden, konnten 47 klinisch nachuntersucht werden.

Insgesamt durchliefen dabei 188 Implantate eine klinische und radiologische Nachuntersuchung. Die Beobachtungszeit betrug zwischen 221 und 4.017 Tage. Die untersuchten Implantate verteilten sich wie folgt (Abb. 23):
1. Ha-Ti®-Implantate: 30
2. SPI®direct-Imlantate: 133
3. SPI®element-Implantate: 22
4. SPI®contact-Implantate: 3

Das Alter der Patienten betrug zum Zeitpunkt der Implantatinsertion zwischen 39 und 83 Jahren (Abb. 24). Im Rahmen dieser retrospektiven Analyse wurden folgende Komplikationen untersucht:
1. Verlustrate
2. Mukositis
3. Implantat entwickelt periimplantäre Läsion
4. Periimplantitis

Von den 188 inserierten Implantaten ging keines ver­loren, die Überlebensrate betrug 100%. Die beobachteten Komplikationen verteilten sich wie folgt: 41 oder 21,8% der untersuchten 188 Implantate zeigten eine Mukositis, an vier Implantaten (2,12%) wurde eine Periimplantitis diagnostiziert. Die Diagnose „Mukositis“ verteilte sich wie folgt auf die Implantattypen: Es waren betroffen: zwei von 30 Ha-Ti® Implantaten (6,7%), drei von drei SPI®contact-Implantaten (100%), 30 von 133 SPI®direct-Imlantaten (22,5%) und sechs von 22 SPI®element-Implantaten (27,2%). Stegfrakturen oder sonstige Komplikationen konnten nicht beobachtet werden.

Resümee

Die Versorgung des zahnlosen Unterkiefers mit einer stegverankerten Prothese auf vier interforaminär inserierten Implantaten stellt nicht nur eine langfristig sichere, sondern für den Patienten auch sehr zufriedenstellende Versorgung dar, wie die Umfrage zeigte. Dabei macht es, was die maximale Überlebensrate angeht, nach unseren Untersuchungsergebnissen keinen Unterschied, ob es sich um Spät- oder Sofortimplantationen handelt.

Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vorteil dieser Methode liegt in der sofortigen Versorgung des Patienten mit einem festsitzenden Zahnersatz am Tag der Operation. Zwar sehen die Belastungsprotokolle heute – in Abhängigkeit von der Oberflächentextur des jeweiligen Implantatsystems – eine Einheilzeit von nur acht bis zehn Wochen vor, aber auch in dieser Zeit kann der stegversorgte Implantatpatient bereits seinen festsitzenden Zahnersatz genießen. Die Inzidenzrate periimplantärer Mukositis mag damit zusammenhängen, dass lediglich einmal jährlich Recallbehandlungen stattfinden. Eventuell muss dieses Recallkonzept nach weiteren Auswertungen unserer Untersuchungsergebnisse überdacht und abgeändert und die Recallintervalle verkürzt werden.

Die Nachuntersuchung des vorgestellten Falles nach 33 Jahren sowie die retrospektive 10-Jahres-Studie an 188 Implantaten zeigen, dass das vor 33 Jahren von Ledermann inaugurierte Konzept nicht nur weiterhin Gültigkeit hat, sondern anderen Versorgungsformen des zahnlosen Unterkiefers in vielen Punkten überlegen ist.


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