Implantologie 28.02.2011
Nachhaltigkeit in der Implantologie
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Ein Fallbericht zur Sofortimplantation als Zehnjahresretrospektive
Sofortimplantationen gehören zu jenen implantologischen Themen, bei denen in den vergangenen Jahren überaus viel veröffentlicht wurde. Dabei lag der Schwerpunkt jedoch eher auf der Beschreibung von Insertationstechniken und den Resultaten. Retrospektive Betrachtungen, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit des einstmals erzielten Ergebnisses, nehmen hingegen (noch) eine untergeordnete Rolle ein.
Die heute allgemein anerkannten „Regeln“ für eine Sofortimplantation waren vor circa zehn Jahren noch nicht bzw. nur teilweise formuliert und wurden zudem kontrovers diskutiert. Dies betrifft die nach oralwärts verschobene Insertion (hinter der Verbindungslinie der Inzisalkanten) ebenso wie heute angewandten Techniken zur Erzielung einer optimal geformten Austrittsstelle des Implantates aus der Gingiva mit individuellen Formern.
Die Diskussion von „Gingiva-Morphotypen“ steckte in den Anfangsstadien. Konsens bestand hingegen in der Einschätzung, dass unabdingbare Voraussetzung für eine Sofortimplantation ein ausreichendes Knochenangebot und das Fehlen einer apikalen Entzündungszone am zu extrahierenden und zu ersetzenden Zahn ist.
Das heutige Konzept
Die Sofortimplantation wird heute als rein chirurgisches Konzept betrachtet, wobei nach Insertion des künstlichen Zahnpfeilers verschiedene prothetische Varianten, beginnend mit der unbelasteten Einheilung (klassisches Vorgehen) oder aber eine Sofortversorgung, sogar mit Sofortbelastung, möglich ist. Der optimale Zeitpunkt für die Sofortimplantation wird nach anatomischen, chirurgischen und prothetischen Aspekten gewählt. Voraussetzungen für eine Sofortimplantation werden heute folgendermaßen definiert:
– Eindeutige anatomisch-prothetische Position (in der Regel einwurzeliger Zahn)
– Entzündungsfreie Alveole
– Fehlen wesentlicher Knochendefekte.
Der Fall
Ausgangslage im Jahr 2000
Der Zahn 12 des damals 44-jährigen männlichen Patienten war wurzelbehandelt und von einer Längsfraktur – vermutlich durch ein okklusales Trauma und Versprödung des Zahnes bedingt – betroffen. Der sehr aktive, mitten im Berufsleben stehende Patient trat mit der Bitte um eine Sofortimplantation an mich heran. Diese Technik sei ihm aus der Zeitung bekannt und würde seine persönlichen Bedürfnisse (Vermeidung einer Zahnlücke und einer abnehmbaren Zwischenlösung) exakt erfüllen. Die ihm dargestellte allgemeine Ausgangslage einer Sofortimplantation, verbunden mit einer ggf. verringerten Erfolgsaussicht und Langlebigkeit der Versorgung, wurde von ihm mit den Worten „Zehn Jahre wird’s wohl halten!“ akzeptiert. Letztendlich war diese Aussage auch Anlass, exakt zehn Jahre nach der Insertion des Implantates einen Recalltermin zu vereinbaren.
Die Sofortimplantation
Um eine Traumatisierung der Weichteile in Regio 13 bis 11 weitestgehend zu vermeiden, wurde Zahn 12 schonend extrahiert. Die Implantation erfolgte mit einem Straumann-Implantat. Der bukkale Spalt, der durch die diskret oralwärts gewählte Insertionsstelle dieses künstlichen Zahnpfeilers entstand, wurde mit Knochenspänen, die bei der Implantatbettpräparation gewonnen wurden, versorgt. Eine Adaptation der Weichteile mittels i.o. Nähten bildete den Abschluss der chirurgischen Phase.
Die Zahntechnik
Nach der Abformung erfolgte im Dentallabor die Herstellung des Meistermodells. Das Laborimplantat wurde dazu in den Abdruck reponiert. Die Modellherstellung fand unter Verwendung von Spezialhartgips gemäß der üblichen Technik statt (heute würden wir das Modell sicherlich mit einer elastischen Schleimhautmaske herstellen). Nach der Artikulation wurde anhand der Situation ein 15 Grad abgewinkeltes Sekundärteil ausgewählt.
Nach dezenter Modifikation von palatinal erfolgte die individuelle Modellierung der Gusskrone. Zur Verwendung kam eine hochgoldhaltige Legierung. Im Anschluss an den Guss und die Ausarbeitung der Krone folgte die keramische Verblendung und individuelle farbliche Anpassung. Die Anprobe der Arbeit im Mund zeigte eine gute Adaption der Kronenkontur an die Weichgewebe. Nach dem Glanzbrand und der Politur der metallischen Anteile wurde die Arbeit zum Eingliedern an die Praxis übergeben.
Der weitere Behandlungsverlauf
Der Sofortimplantation folgte keine Sofortbelastung. Vielmehr wurde eine vorher vorbereitete abnehmbare Teilprothese (klammerfrei) eingegliedert. Nach Abheilung der Weichteile und einer vierteljährigen Osseointegrationszeit erfolgte die Abformung mittels eines konfektionierten Abformpfostens. Zwei Wochen später schloss sich die Eingliederung einer definitiven metallkeramischen Krone, die zunächst mit einem provisorischen Zement und vier Monate später mit einem definitiven Zement eingesetzt wurde, an. Änderungen an der Krone (z.B. des Austrittsprofils aus der Gingiva) erfolgten nicht. Zahn- und Implantatkontrollen fanden in einem halbjährlichen Turnus statt. Bis auf kleinere Maßnahmen an Zähnen waren hier keine Besonderheiten zu verzeichnen.
Die Situation im Jahre 2010
Die im Jahre 2000 mit definitivem Zement eingesetzte Restauration ist bis heute unverändert im Munde des Patienten. Dieser ist nach wie vor mit dem erzielten Ergebnis sehr zufrieden, vor allem erfreuen ihn die „wieder gewachsenen“ Interdentalpapillen. Bei den halbjährlich durchgeführten Recallsitzungen imponiert das gänzliche Fehlen klinischer Entzündungszeichen, die auf eine Gingivitis oder gar eine Periimplantitis hinweisen könnten. Diese Einschätzung wird durch den klinischen Befund unterstützt.
Diskussion
„Zehn Jahre wird’s wohl halten“ – die Erwartungshaltung des Patienten traf erfreulicherweise nicht zu. Auch ein Jahrzehnt nach der Versorgung stellt sich das erzielte Ergebnis stabil und ansprechend dar. Selbstkritisch muss allerdings angesprochen werden, dass einige der damals durchgeführten Schritte heute definitiv anders gestalten werden würden und auch müssten. Dies betrifft zum einen die Insertionsstelle, die zwar damals basierend auf eine Ahnung, jedoch nicht mutig aufgrund der bukkalen Spaltproblematik, oralwärts verlegt wurde. Dies hätte naturgemäß auch Auswirkung auf die Herstellung der Bohrschablone. Ebenfalls würde ich das „Gingiva-Management“ anders gestalten und stattdessen mit einem Langzeitprovisorium und individuell gestalteten, permanent modifizierten Gingivaformern arbeiten, bis das gewünschte Ergebnis erzielt und stabilisiert ist. In diesen beiden – wesentlichen – Punkten kann man sagen: „Glück gehabt!“ Ein engmaschiges Recall, günstige anatomische Ausgangsbedingungen, wie sie beim vorgestellten Patienten zweifellos bestanden, sowie die Beachtung allgemeiner zahnärztlich chirurgischer und damals bereits bekannter erster implantologisch-spezifischer Erkenntnisse führten schließlich zu einem zufriedenstellenden Endergebnis.
Autoren: Dr. Georg Bach, ZTM Christian Müller