Implantologie 28.02.2011
Sofortimplantation und Management des Weichgewebes - Ein Fallbericht
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Sofortimplantation mit Sofortversorgung wird seit längerer Zeit wissenschaftlich diskutiert. Für ein vorhersagbares ästhetisches und funktionelles Ergebnis ist dabei eine entzündungsfreie präoperative Situation, der Erhalt der vestibulären Lamelle, eine gute Primärstabilität, eine ausreichende keratinisierte Gingiva sowie eine bewegungsfreie Implantat-Abutment-Verbindung mit Platform Switching entscheidend.
Es kommen immer mehr Patienten in die Praxis mit dem Wunsch nach implantatgetragenem Zahnersatz. Medien suggerieren ihnen, dass binnen weniger Stunden ein neuer, fester und vor allem ästhetisch ansprechender Zahnersatz entstehen kann. Sofortimplantation mit Sofortversorgung als Alternative zum klassischen Behandlungsprotokoll sind für den Patienten in der Regel die angenehmere Variante und im Hinblick auf den Erhalt des Hart- und Weichgewebes nach Zahnextraktion seit längerer Zeit im Fokus der Wissenschaft.2,3,6,9,11 Die Ergebnisse zeigen, dass bei Beachtung der Indikationen diese Methode gut funktioniert. Somit ist es möglich, dem Patientenwunsch nach möglichst schneller Versorgung und dem biologischen Aspekt des Aufhaltens von Resorptionsvorgängen nach Zahnextraktion Rechnung zu tragen. Hier soll ein Bericht aus dem Praxisalltag über die Sofortimplantation und -versorgung vorgestellt werden.
Fallbericht
Vorgeschichte
Ein 58-jähriger Mann mit fortgeschrittener schwerer chronischer Parodontitis stellte sich in unserer Praxis vor (Abb. 1). Die Untersuchung ergab, dass es bereits zu einem vertikalen und horizontalen Knocheneinbruch, vor allem im anterioren Bereich, gekommen war. Die Situation verbesserte sich nach einer Full Mouth Disinfection. Die Zerstörung des Parodonts an den Zähnen 12 und 22 war jedoch bereits soweit fortgeschritten, dass eine Extraktion unumgänglich war. Das Weichgewebe folgte zwangsläufig der verminderten Knochenhöhe, sichtbar durch die freiliegenden Zahnhälse und die zurückgezogenen Papillen. Aufgrund einer Zahnarztphobie bestand der Wunsch des Patienten nach so wenig Eingriffen wie möglich, und nur die wirklich notwendigen Behandlungsmaßnahmen durchführen zu lassen. Eine möglichst minimalinvasive Therapieplanung war Grundvoraussetzung. Demzufolge wollte der Patient die suffiziente Füllung an Zahn 21 auch nicht austauschen lassen. Nach intensiver Aufklärung über verschiedene Behandlungsmöglichkeiten entschied er sich für eine Sofortimplantation mit Sofortversorgung.
Diagnostik
Klinisch wurden die Taschentiefen mit fünf Millimetern gemessen. Es zeigten sich vestibuläre Rezessionen von > 3mm. Somit lag auch ein vestibuläres Knochendefizit von > 3mm vor. Der dicke Schleimhauttyp bot günstige Bedingungen für eine Sofortimplantation. Der Anteil der Attached Gingiva betrug > 2mm. Röntgenologisch zeichnete sich ein schüsselförmiger Knochenabbau von mehr als zwei Drittel der Wurzellängen in Regio 12 und 22 ab (Abb. 2). Der Lockerungsgrad dieser Zähne betrug III, die Vitalität war positiv. Situationsabformungen und Modelle wurden hergestellt. Zur radiologischen Diagnostik diente ein Orthopantomogramm.
Operatives Vorgehen
Unter Lokalanästhesie (Infiltration in Regio 12 und 22 mit je 3ml UDS, eine Leitungsanästhesie am Foramen incisivus mit 0,3ml UDS) wurden die Zähne 12 und 22 extrahiert, wobei ein Periotom benutzt wurde, um das Ligamentum circulare zu lösen (Abb.3). Danach erfolgte in jeder Alveole die Prüfung der bukkalen Lamelle auf Unversehrtheit. Sie ist von entscheidender Bedeutung für die Inkorporation des Implantates und den Erhalt des Weichgewebes. Beide erwiesen sich als intakt. Es wurde kein Lappen präpariert. Nach Entfernung von Granulationsgewebe aus den Alveolen konnte in palatinaler Achsrichtung die Pilotbohrung vorgenommen und das Implantatbett auf 14mm Länge und 3,5mm Durchmesser präpariert werden. Zur Überprüfung der Primärstabilität kann beim ANKYLOS® Implantatsystem (DENTSPLY Friadent) der konische Ausreiber herangezogen werden.
Die vestibuläre Lamelle darf durch die Bohrungen nicht verletzt werden. Es wurde jeweils ein ANKYLOS® Implantat A 14 mit palatinaler Achsenausrichtung in Regio 12 und 22 inseriert (Abb. 4 und 5). Im Röntgenbild ist die weit subkrestale Implantatposition zu erkennen (Abb. 6). Zwei ANKYLOS® Balance posterior Aufbauten wurden definitiv eingeschraubt und mit provisorischen Kunststoffkronen aus Protemp versorgt (Abb. 7 und 8). Es ist darauf zu achten, dass die Kunststoffprovisorien keine okklusalen Kontakte bei der Protrusion und Laterotrusion aufweisen. Auch bei maximaler Interkuspidation dürfen keine antagonistischen Kontakte vorhanden sein. Eine manuelle Hochglanzpolitur der Provisorien reicht aus, die Mukosa und Papillen reizlos auszuformen (Abb. 9).
Eine Augmentation mit Knochenersatzmaterial war nicht notwendig. Dies senkt das Risiko postoperativer Komplikationen, ermöglicht eine Sofortversorgung und erspart dem Patienten monatelange Wartezeiten mit herausnehmbaren Provisorien.
Postoperative Reevaluation
Postoperativ kam es zu keinen Komplikationen. Der Patient hatte keine Schmerzen oder Schwellungen zu beklagen. Zwei Wochen später war bereits eine Zunahme der keratinisierten Mukosa insbesondere im ersten Quadranten erkennbar (Abb. 8). Nach drei Monaten konnten, nach Übertragung der Implantatposition mit individuellen Abformkappen (Abb. 10), die definitiven Kronen aus Vollkeramik eingesetzt werden. Zum Zeitpunkt der definitiven Versorgung war das Weichgewebe durch die Provisorien bereits natürlich ausgeformt (Abb. 9).
Zwei Jahre später zeigt sich eine schöne Weichgewebskontur. Das Ergebnis ist insofern erfreulich, da in Anbetracht der anfänglich ausgedehnten vertikalen Knocheneinbrüche sowie den vestibulären Rezessionen eine vollständige Rezessionsdeckung ohne weitere chirurgische Maßnahmen gelang. Die Kontrollaufnahme bestätigt den Erfolg (Abb. 11). Der Gewinn von keratinisierter Mukosa sowie die vollständige Rezessionsdeckung mit Ausbildung interdentaler Papillen können als Erfolge gewertet werden (Abb. 12). Der Patient ist mit dem funktionellen und ästhetischen Ergebnis sehr zufrieden.
Diskussion
Der Sofortimplantation mit Sofortversorgung stehen in diesem Fall weitere Therapiemöglichkeiten gegenüber: die verzögerte Sofortimplantation sechs Wochen nach Extraktion und die Spätimplantation. Aus der Literatur ist bekannt, dass der Erhalt der vestibulären Lamelle Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Sofortimplantation mit Erhalt des periimplantären Weichgewebes ist.10 Wäre in dem vorliegenden Fall zunächst die Extraktion der Zähne 12 und 22 vorgenommen und erst zu einem späteren Zeitpunkt implantiert worden, hätte man mit Resorptionen in vertikaler und horizontaler Richtung rechnen müssen.15 Für eine Implantation ohne Augmentation wären somit schlechtere Voraussetzungen entstanden. Um eine ausreichende vertikale Dimension in solchen Fällen zu erreichen, ist eine Augmentation mit einem Knochenblock häufig unumgänglich, was ebenfalls eine längere Therapiedauer und eventuell zusätzliche Komplikationen zur Folge hätte. Die hier vorgestellte Sofortimplantation und Sofortversorgung nahm einschließlich der definitiven Versorgung nur drei Monate in Anspruch. Eine Therapie mit Augmentation und Spätimplantation hätte neun Monate gedauert. Hinzu kommt, es ist ein weiterer, weitaus morbiderer Zweiteingriff mit Gefahren bei Entnahme sowie Einheilung erforderlich. Weiter ist zu erwähnen, dass augmentative Verfahren durch die Notwendigkeit der plastischen Deckung mittels Periostschlitzung, die mukogingivale Grenze in Richtung des Alveolarkamms verschieben. Es wird somit schwieriger, eine ästhetische Weichgewebskontur mit interdentalen Papillen herzustellen beziehungsweise vorherzusagen. In der Literatur wird die Sofortimplantation mit Sofortversorgung bei erhaltener vestibulären Lamelle mit einer Erfolgsrate von 95 Prozent angegeben und liegt damit etwas unterhalb der Vorhersagbarkeit von 97 Prozent bei Standardimplantationen.1,4,5,12
Zu diskutieren ist, ob durch eine gescheiterte Sofortimplantation mehr Knochen verloren geht als durch natürliche Resorptionsvorgänge nach einer Extraktion. Es liegt auf der Hand, dass bei der Sofortimplantation mit deren zwingenden transgingivalen Einheilmodus Infektionen in der Umgebung der Implantate problematisch sind. Zum Beispiel können übersehene präoperative entzündliche Prozesse oder andere Gründe zu einem erheblichen Knochenverlust führen. Ebenso ist dies der Fall bei Verlusten durch Überbelastung, weshalb bei der Sofortversorgung unbedingt auf eine ausreichende Primärstabilität und Belastungsfreiheit in der Einheilzeit zu achten ist.7 Die Primärstabilität wird neben der Knochenqualität auch entscheidend vom Design des Gewindes der Implantate beeinflusst. Dahingehend liegen für das verwendete Implantatsystem bei uns sehr gute Erfahrungen vor. Das Erreichen einer genügenden Primärstabilität hat aber auch anatomische Grenzen. Im vorliegenden Fall wäre es die Nähe zum Nasenboden. Einer Verbesserung durch ein verlängertes Implantat sind hier Grenzen gesetzt. Bei zu geringer vertikaler Distanz muss unter Umständen von der Sofortversorgung abgesehen werden.
Das für eine Sofortimplantation mit Sofortversorgung verwendete Implantatsystem muss gewisse Anforderungen erfüllen, um das periimplantäre Gewebe zu stützen. Das ANKYLOS® Implantat vereinigt diese Voraussetzungen im TissueCare-Konzept. Es nutzt die Gewebeanlagerung im Schulterbereich und garantiert somit Gewebestabilität. Auf der mikrorauen Implantatschulter lagern sich Knochen- und Bindegewebszellen an. Die Kombination von Platform Switching, subkrestaler Platzierung und der von Mikrobewegung freien Implantat-Abutment-Verbindung ermöglicht es, dass Knochen auf die horizontale Schulterfläche wachsen kann.13–14 Das führt zur Stützung der darüber liegenden Weichgewebe und für den Patienten zu langzeitstabilen ästhetischen Ergebnissen.8
Fazit
Die Sofortimplantation mit Sofortversorgung ist nur bei strenger Indikationsstellung erfolgreich. Erst eine entzündungsfreie präoperative Situation, der Erhalt der vestibulären Lamelle, eine ausreichende Primärstabilität, ausreichend keratinisierte Gingiva und eine bewegungsfreie Implantat-Abutment-Verbindung mit Platform Switching lassen ein vorhersagbares ästhetisches und funktionelles Ergebnis wahrscheinlich werden. Patienten müssen, insbesondere bei ungünstiger Ausgangssituation, über das höhere Risiko eines Misserfolges im Gegensatz zur Standardimplantation aufgeklärt werden. Der vorliegende Fall zeigt, dass trotz kritischer Ausgangssituation durch Beachtung der oben genannten Punkte ein langzeitstabiles Ergebnis möglich ist.
Danksagung
Unser besonderer Dank gilt ZTM Eugen Krenz/Krenz Dental GmbH in Kelsterbach.
Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.
Autoren: Dr. Pablo Hess, Dagmar Büttner
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