Kieferorthopädie 15.08.2019
Kieferorthopädische Hybridtechnik
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Ein neuartiges, seit Kurzem am Markt verfügbares Attachment für die Bracket-Bogen- und Alignerbehandlung verbindet beide Techniken auf einzigartige Weise miteinander. Zunächst wie ein Bracket eingesetzt, kann es die Eigenschaften eines Nivellierungsbogens optimal ausnutzen, um anschließend in Kombination mit Alignerschienen die Feineinstellung zu realisieren. Selbst anspruchsvolleren Korrekturen von Malokklusionen scheint das neue Smiletec-Hybridsystem problemlos gewachsen zu sein.
Einleitung und Motivation
Die ästhetischen Aspekte rücken heutzutage auch bei kieferorthopädischen Patienten – ungeachtet ihres Alters – immer mehr in den Fokus (siehe Abbildungen 1a bis 1d). Um diesen Ansprüchen zu genügen, stehen dem Behandler mittlerweile unterschiedlichste Optionen zur Verfügung: So können dem Patienten sogenannte ästhetische Brackets aus Keramik oder Kunststoff angeboten werden, die in bestimmten Behandlungsstadien auch mit zahnfarbenen Drähten kombiniert werden können. Eine labiale Apparatur wird dadurch nahezu unsichtbar und der Kieferorthopäde kann seine gewohnte Behandlungstechnik einsetzen.
Allerdings wird den Kunststoffbrackets vor allem eine mangelnde Farbbeständigkeit vorgeworfen, die so bei Keramikbrackets nicht gegeben ist.1 Keramikbrackets dagegen weisen teilweise eine etwas höhere Reibung als Metallbrackets2, 3 auf, weiterhin wird auch von einer erhöhten Verlustrate von Keramikbrackets gegenüber Metall- und Kunststoffbrackets berichtet.4 Ästhetische Drähte, die zumeist durch unterschiedliche Beschichtungen eines Stahl- oder Nickel-Titan-Drahtes entstehen, weisen häufig eine mangelhafte Stabilität der Beschichtung auf.5 Hier wurde sogar auf Basis einer klinischen Studie von Abplatzungen von über 50 Prozent der Beschichtung berichtet.
Die offensichtlichen Schwierigkeiten in Bezug auf das ästhetische Erscheinungsbild labialer Apparaturen waren u. a. mit Motivation dafür, alternative Lösungen für ästhetische Apparaturen zu suchen. Diese bieten sich in Form der Lingualtechnik oder der Alignerbehandlung an.6, 7 Während in klinischen Studien kaum über Unterschiede in der Effektivität von Lingual- und Labialtechnik berichtet wird 8,ist die Lingualtechnik unbestritten technisch äußerst anspruchsvoll und erfordert eine eingehende und gewissenhafte Schulung des Behandlers.
Aligner hingegen scheinen bestimmte Zahnbewegungen in Verbindung mit einzelnen Zahngattungen nur sehr eingeschränkt realisieren zu können.9 Als Lösungsansatz wurden hier eine ganze Reihe unterschiedlicher Attachments für bestimmte Zahnbewegungen vorgestellt. Diese werden auf die Labialflächen der Zähne geklebt oder dort direkt aus einem Kunststoff modelliert sowie in entsprechenden Aussparungen im Aligner verankert. Dadurch soll die Kraftübertragung zwischen Aligner und Zahn optimiert und die Zahnbewegung kontrollierter durchgeführt werden.
Einen Nachteil können derartige Attachments jedoch nicht beheben: Ausgeprägte Nivellierungen, vor allem mit großen vertikalen Stellungsänderungen, sind nur äußerst eingeschränkt mit Alignern realisierbar. Dabei ist es dann auch erforderlich, eine Vielzahl von Alignern einzusetzen.
Das Smiletec-Bracket-Attachment
Designerwägungen und Realisierung
Die oben beschriebenen Probleme der Bracket-Bogen-Techniken und der Alignerbehandlung haben die Autoren dazu veranlasst, einen neuen Weg zu beschreiten: So sollten beide Welten miteinander verknüpft werden. Dabei sollte der Grundgedanke sowohl eine Labial- als auch eine Lingualtechnik in Kombination mit einem Alignereinsatz erlauben. Die Hauptanforderung dieses Vorhabens lautete daher zunächst, ein ästhetisches Attachment zu entwickeln, das prinzipiell lingual oder labial geklebt werden könnte, das in der Lage ist, einen Draht aufzunehmen, und das möglichst keine separate Ligatur erfordert, also selbstligierend ist.
Um das Ein- und Ausligieren, aber auch die Herstellung so einfach wie möglich zu gestalten, sollte kein Klappenmechanismus integriert werden. Weiterhin muss dieses Bracket-Attachment das leichte Aufschieben des Aligners ohne Debonding des Attachments, aber auch die sichere Verankerung des Attachments im Aligner gewährleisten. Daher waren Rampen an Stirn und Seiten des Attachments vorzusehen, deren Steigung im Verlauf der Entwicklung optimiert wurde.
Die Abbildungen 2a bis e zeigen das Konstruktionsprinzip des Smiletec-Bracket-Attachments, Prototypen mit einem einligierten Draht und des Weiteren den Vorgang des Bogeneinsetzens in das mittlerweile am Markt verfügbare Bracket-Attachment. Beigefügt ist ein spezielles Instrument zum Ein- und Ausligieren (Abb. 2f).
Die Attachments werden im 3D-Druckverfahren aus Kunststoff hergestellt (EC Certification Service, Veit/Österreich; SmileforYou, Eislingen). Sie verfügen ausschließlich über einen runden Slot, der das Einbringen einer maximalen Drahtdimension von .014'' rund (Durchmesser 0,35 mm) erlaubt. Die kleinste Größe, die noch sicher durch den selbsteinrastenden Clip verankert wird, beträgt .010'' rund (0,25 mm). Dies wurde so konzipiert, da das Attachment als Bracket mit Bögen bevorzugt in der initialen Nivellierungsphase eingesetzt werden soll und insbesondere hier kleine Kräfte sichergestellt werden sollen. Der Slot wurde weiterhin in Richtung gingival verlagert, um den Kraftangriffspunkt möglichst nahe an das Widerstandszentrum zu legen.
Die Abbildung 2a zeigt, dass die Rampe in Aufschubrichtung eine geringere Steigung aufweist als die in Abzugsrichtung. Dies soll dem Patienten ein leichtes Einsetzen des Aligners ermöglichen, bei gleichzeitig sicherem Sitz des Attachments in den Aussparungen des Aligners.
Klinische Fallbeispiele
Im Folgenden wird der klinische Einsatz des Smiletec-Bracket-Attachments an zwei Fallbeispielen vorgestellt. Dabei wird insbesondere auf Behandlungsaufgaben eingegangen, die mit Aligner nur schwer zu realisieren sind.
Patientenfall 1
Ein zwölfjähriges Mädchen mit einer Angle-Klasse I, Frontengstand, Frontmittenverschiebung nach rechts im Oberkiefer sowie Hochlabialstand 13 und 23 stellte sich in der KFO-Praxis SmileforYou mit dem Wunsch einer kieferorthopädischen Regulierung vor. Dort wurde ihr eine Smiletec-Behandlung angeboten. Ziel dieser war die Einstellung der Eckzähne, die Korrektur der Frontmittenverschiebung sowie des Frontengstandes, wobei die Auflösung des frontalen Engstands sowie die Einordnung der Zähne 13 und 23 Behandlungsaufgabe der Drahtphase war. Die Korrektur der Frontmittenverschiebung sollte mittels Alignertherapie bei zusätzlichem Einsatz von Gummizügen zur Verankerung umgesetzt werden.
Nach der initialen Nivellierungsphase (Dauer ca. vier Monate) mit Einsatz dreier superelastischer NiTi-Bögen der Dimensionen .012'', .013'' und .014'' wurden nach erfolgtem Ausligieren der Bögen Abdrücke für die Herstellung der Aligner sowie die Fertigung vorübergehender Halteschienen für die Zeit bis zur Alignerfertigstellung (zwei Wochen) genommen. Die Feineinstellung mittels Alignertherapie nahm dann nochmals vier Monate in Anspruch, und zwar bei Einsatz von insgesamt 18 Alignern. Bei einer Gesamtbehandlungszeit von unter einem Jahr konnte eine stabile Neutralverzahnung erreicht werden. An diese schloss sich die Retentionsphase an (Abb. 3a – d).
Patientenfall 2
Ein dreizehnjähriges Mädchen stellte sich mit folgendem Befund in der Sprechstunde vor: Angle-Klasse II/1 mit einer 1/2 PB Distalokklusion, wobei die skelettale Diskrepanz nicht besonders ausgeprägt war. Ein Frontengstand, palatinaler Kippstand der Oberkieferfront und eine Infraposition der Zähne 13 und 23 waren weitere Befunde.
Ziel der ersten Behandlungsphase war die Nivellierung und Protrusion der Oberkieferfront. In der zweiten Phase sollte dann eine sequentielle Distalisation im Oberkiefer erfolgen, um eine Neutralokklusion einstellen zu können. In der ersten Phase kamen drei superelastische NiTi-Bögen zum Einsatz (Dimensionen .012'', .013'' und .014''). Diese erste Behandlungsphase war nach fünf Monaten beendet. Die Bögen wurden ausligiert und an den Zähnen 13 und 23 die Smiletec-Bracket-Attachments entfernt, um später Klasse II-Gummizüge einhängen zu können. Nach erfolgter Abdrucknahme wurden bis zur Fertigstellung der Aligner (zwei Wochen) Retentionsschienen getragen. Die Brackets wurden als Attachments belassen.
Die Patientin bekam 43 Aligner im Oberkiefer und Unterkiefer sowie Klasse II-Gummizüge als Verankerung. Die Behandlung konnte mit einer Neutralokklusion abgeschlossen werden. Zusätzliche Aligner für ein Refinement waren bei diesem klinischen Fall nicht erforderlich. Die Gesamtbehandlungszeit (ohne Retention) betrug 15 Monate (Abb. 4a – i).
Diskussion
Seit 2001 werden in Europa Aligner zur Behandlung von Zahnfehlstellungen verwendet, wobei sich diese Therapieform wachsender Beliebtheit erfreut. Durch Material- und Softwareentwicklungen sowie diverse Verbesserungen kann mittlerweile eine größere Gruppe von Patienten mit Alignern behandelt werden. Die große Zahl an notwendigen Refinements sowie diverse Studien zeigen allerdings, dass das Therapiespektrum für bestimmte Zahnbewegungen, wie zum Beispiel Extrusionen oder Derotationen als auch Angulationskorrekturen, häufig eingeschränkt ist.
Ein Hybridsystem wie Smiletec kann die Eigenschaften eines Nivellierungsdrahtes ausnutzen und anschließend durch die Verwendung von Alignern die Feineinstellung umsetzen. Die nur kurzzeitige Verwendung eines Drahtes macht Entkalkungen unwahrscheinlich, und das sehr flache Bracketdesign trägt zudem sowohl zum Komfort als auch zur Ästhetik der Apparatur bei.
Der klinische Einsatz ist aufgrund der grazilen Gestaltung und der Transparenz des Materials anspruchsvoller als mit klassischen Brackets und der Einsatz einer Lupenbrille ist ratsam. Das Smiletec-Bracket-Attachment kann über die Workforsmile GmbH bezogen werden (info@smiletec.eu)
Interessenkonflikt
Dr. Dr. Friedrich Widu ist Geschäftsführer der Workforsmile GmbH. Alle anderen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht, da sie die Entwicklung des Smiletec-Bracket-Attachments ausschließlich wissenschaftlich begleitet haben.
Ein Zertifizierungskurs findet am Samstag, dem 16.11.2019, in Frankfurt am Main im Marriott Hotel statt (Gebühr 500 €). Anmeldung unter: info@smiletec.eu
Die vollständige Literaturliste gibt es hier.
Dieser Beitrag ist in KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.
Foto: Dr. Dr. Friedrich Widu