Kieferorthopädie 14.08.2024
KFO-Behandlung von parodontal erkrankten Patienten (Teil 1)
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Die zahnmedizinischen Fachdisziplinen Kieferorthopädie und Parodontologie besitzen eine Reihe inhaltlicher Berührungspunkte.
Die meisten kieferorthopädischen Behandlungen werden bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Aber die Zahl der Erwachsenen, die eine kieferorthopädische Behandlung suchen, ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen.1Parodontale Probleme sind bei der kieferorthopädischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen selten ein großes Problem, da Parodontitis in der Regel nicht in jungen Jahren auftritt und die Geweberesistenz bei jüngeren Patienten höher ist.
Parodontitis ist gekennzeichnet durch einen irreversiblen Verlust des Zahnhalteapparats und kann unbehandelt zu Zahnverlust sowie zu einer verminderten Kaufunktion führen. Des Weiteren können psychische und allgemeinmedizinische Probleme auftreten (Abb. 1).2 In mehr als 100 Jahren wurden unterschiedliche Auffassungen über die Ätiologie parodontaler Erkrankungen vertreten. Diese folgten im Wesentlichen zwei grundsätzlich verschiedenen Vorstellungen. Auf der einen Seite gab es diejenigen, die an eine primäre ätiologische Rolle der Bakterien und ihrer Produkte im Krankheitsprozess glaubten. Die andere Seite vertrat den Standpunkt, dass die bakterielle subgingivale Kolonisation als ein sekundäres Ereignis zu betrachten sei.3
Paradontitis hat eine ästhetische Veränderung sowie phonetische und funktionelle Probleme zur Folge (Abb. 2a und b, Abb. 3a–c). Aus diesen Gründen werden parodontale Überlegungen mit zunehmendem Alter der Patienten immer wichtiger, unabhängig davon, ob parodontale Probleme der auslösende Faktor für eine kieferorthopädische Behandlung waren.4 Die Prävalenz von Parodontitis in Abhängigkeit vom Alter bei einer großen Gruppe potenzieller kieferorthopädischer Patienten mit schwerer Malokklusion ist in Abbildung 4 dargestellt.
Bei der Parodontitis handelt es sich um eine durch bakteriellen Zahnbelag verursachte Entzündung des Zahnfleischs, die im weiteren Verlauf zur Zerstörung des Zahnhalteapparats und zum Zahnverlust führt (Abb. 5a–d).
Die juvenile Parodontitis
Die „juvenile Parodontitis“ zeichnet sich dadurch aus, dass sie häufig zu Beginn der Pubertät einsetzt – oft als Folge einer präpubertären Parodontitis, ausgehend vom Milchgebiss (Abb. 6). Der familiäre Hintergrund spielt in den meisten Fällen eine entscheidende Rolle.
Parodontitis ist kein kontinuierlicher und stetig fortschreitender degenerativer Prozess. Stattdessen ist sie gekennzeichnet durch Episoden akuter Angriffe auf einige, aber normalerweise nicht alle Bereiche des Mundes, gefolgt von Ruhephasen. Es ist wichtig, Hochrisikopatienten und Hochrisikostellen zu identifizieren. Anhaltende Blutungen bei der Untersuchung sind der beste Indikator für eine aktive und vermutlich fortschreitende Erkrankung.5Es gibt keine Kontraindikation für die kieferorthopädische Behandlung von Erwachsenen mit Parodontitis und Knochenverlust, solange die Paradontitis unter Kontrolle gebracht wurde (Abb. 7a–f). Das Fortschreiten des unbehandelten parodontalen Zusammenbruchs muss jedoch antizipiert und die parodontale Situation bei der Planung und Durchführung einer kieferorthopädischen Behandlung für alle Erwachsenen berücksichtig werden.
Behandlung von Patienten mit minimaler parodontaler Beteiligung
Jeder Patient, der sich einer kieferorthopädischen Behandlung unterzieht, muss besonders gründlich bei der Zahnreinigung sein. Dies ist für Erwachsene in der Kieferorthopädie noch wichtiger. Bakterielle Plaque ist der wichtigste ätiologische Faktor für den parodontalen Zusammenbruch, und Plaque-induzierte Gingivitis ist die erste Phase dieses Krankheitsprozesses.
Kieferorthopädische Geräte machen die Aufrechterhaltung der Mundhygiene gleichzeitig schwieriger und wichtiger. Bei Kindern und Jugendlichen entwickelt sich Gingivitis aufgrund kieferorthopädischer Geräte selten zu Parodontitis. Dies kann bei Erwachsenen jedoch nicht als selbstverständlich angesehen werden, unabhängig davon, wie gut ihr anfänglicher parodontaler Zustand ist.6
Die parodontale Beurteilung eines potenziellen erwachsenen kieferorthopädischen Patienten muss nicht nur das Ansprechen auf die parodontale Untersuchung, sondern auch das Niveau und den Zustand der befestigten Gingiva umfassen. Eine labiale Bewegung der Schneidezähne kann bei einigen Patienten zu Zahnfleischrezession und Verlust des Zahnhalteapparats führen. Das Risiko ist am größten, wenn unregelmäßige Zähne durch Erweiterung des Zahnbogens ausgerichtet werden.
Der aktuelle Ansatz geht davon aus, dass Gingivarezession sekundär zu einer Alveolarknochendehiszenz auftritt, wenn darüber liegende Gewebe belastet werden. Dieser Stress kann durch verschiedene Faktoren wie Zahnbürstentraumata, Plaque-induzierte Entzündungen oder die Dehnung und Verdünnung der Gingiva durch labiale Zahnbewegung verursacht werden.
Sobald die Rezession beginnt, kann sie schnell fortschreiten, besonders wenn wenig oder keine keratinisierte befestigte Gingiva vorhanden ist und der Zahnhalteapparat nur aus Alveolarschleimhaut besteht. Für erwachsene kieferorthopädische Patienten ist es viel besser, eine Zahnfleischrezession zu verhindern, als sie später zu korrigieren.
Klinisches Fallbeispiel 1
Die Patientin ist 23 Jahre alt und hat eine skelettale Klasse II/2 mit eng stehender Front sowie Steilstand der Inzisiven. Bei der Okklusion handelt es sich um einen Tiefbiss mit Distalbiss auf beiden Seiten.
Das Orthopantomogramm zeigt einen leichten horizontalen Knochenverlust im Ober- und Unterkiefer im Bereich der seitlichen Zähne.
Behandlungsverlauf:
Um die Steilstellung der Front zu korrigieren, fand zunächst die Beklebung des Oberkiefers statt. Als ästhetische Alternative wurden Keramikbrackets (Damon Clear) verwendet. Zu Beginn der Nivellierung wurde ein .013" CuNiTi-Bogen eingelegt, wie die Abbildungen 10a–d zeigen.
Nach der Protrudierung der Oberkieferfront, wurde der Unterkiefer (Damon Q Clear) beklebt, um Platz für die unteren Frontzähne zu schaffen und diese sagittal nach vorne zu bewegen (Abb. 11a–c).
Es wurde der Bogenwechsel in beiden Kiefern nach der Reihenfolge von Damon System durchgeführt, um die Rotation, Angulation und Torque zu ermöglichen.
Im Verlauf der Behandlung wurde ein Bogenwechsel wie folgt sowohl im Oberkiefer als auch im Unterkiefer durchgeführt: .016" CuNiTi, .018" CuNiTi, .014" x .024" CuNiTi, .016" x .025" CuNiTi, ,018" x .025" CuNiTi, und zum Abschluss wurde .018" x .025" TMA eingesetzt.
Um die sagittale Stufe zu reduzieren und die Verschiebung der Mittellinie zu korrigieren, trug die Patientin Klasse II-Gummizüge sowie intermaxilläre Gummizüge, um die Okklusion auf beiden Seiten zu stabilisieren (Abb. 12a–f).
Nach 24 Monaten wurde die Behandlung abgeschlossen. Zur Retention wurde im Unterkiefer ein fester Lingualretainer angebracht, während im Oberkiefer eine Retentionsschiene verwendet wird. Die Patientin ist dazu angehalten, diese über Nacht und bei Bedarf auch tagsüber zu tragen (Abb. 13a–e).
Die Abbildungen 16a und b zeigen die deutliche Verbesserung des Profils nach der kieferorthopädischen Behandlung und der Bissumstellung.
Die Abbildungen 17a (FRS) und b (OPG) zeigen die deutliche Verbesserung des Kieferknochens im Unterkiefer.
Behandlung von Patienten mit mäßiger parodontaler Beteiligung
Bevor eine kieferorthopädische Behandlung bei Patienten mit bereits bestehenden parodontalen Problemen unternommen wird, muss die Parodontitis behandelt werden.
Die vorläufige Parodontaltherapie kann alle Aspekte der Parodontalbehandlung außer operativen Eingriffen am Knochen abdecken.Es ist wichtig, alle Zahnsteine und andere Reizstoffe aus den Parodontaltaschen zu entfernen, bevor eine Zahnbewegung versucht wird. Für die Freilegung der betroffenen Stellen, ist es oft ratsam, chirurgische Lappen zu verwenden, um so die bestmögliche Skalierung zu gewährleisten.
Behandlungsmaßnahmen zur langfristigen Erhaltung der Zahngesundheit, wie etwa eine Knochenumformung oder eine Neupositionierung des Zahnfleischlappens zur Korrektur von Zahnfleischrückgang, sollten erst durchgeführt werden, wenn die endgültigen Okklusionsverhältnisse hergestellt sind.
Vor einer umfassenden kieferorthopädischen Behandlung sollte eine Beobachtungszeit nach der parodontalen Vorbehandlung eingehalten werden, um sicherzustellen, dass die Heilung nach der Parodontaltherapie erfolgt.
Während einer umfassenden kieferorthopädischen Behandlung muss ein Patient mit mittelschweren Parodontalproblemen einen Wartungsplan einhalten. Die Häufigkeit der Reinigung und Skalierung hängt dabei von der Schwere der Parodontitis ab. Üblicherweise erfolgt die parodontale Erhaltungstherapie alle zwei bis vier Monate.
Daher sollte bei Erwachsenen mit minimal anhaftender Gingiva oder dünnem Gewebe ein Zahnfleischtransplantat in Betracht gezogen werden. Dies gilt besonders für diejenigen, die eine Bogenerweiterung zur Ausrichtung der Schneidezähne benötigen oder sich einer chirurgischen Unterkiefervorverlagerung oder Genioplastik unterziehen.
Klinisches Fallbeispiel 2
Eine 34 Jahre alte Patientin stellte sich nach der Überweisung von einem Kollegen in der Praxis des Autors vor. Die Patientin war in einer langjährigen Parodontalbehandlung gewesen. Sie leidet an einer vererbten Parodontitis. Die kieferorthopädische Diagnose ergab eine skelettale Klasse III, einen Engstand im Oberkiefer, einen Kreuzbiss im Frontzahngebiet, einen Teilbruch von Zahn 23 aufgrund des Platzmangels sowie eine Verschiebung der Mittellinie nach rechts.
Behandlungsplan:
Die Ziele der Behandlung waren die Behebung des Platzmangels im Ober- und Unterkiefer, die Einordnung des Eckzahns 23 sowie die Korrektur des Kreuzbisses in der Front, unter Berücksichtigung des parodontalen Zustands während der gesamten Behandlungsphase.
Bonding der Brackets:
Die Beklebung erfolgte im Ober- und Unterkiefer vollständig. Für die Behandlung verwendeten wir eine festsitzende Apparatur (Damon System, Q Brackets) mit verschiedenen Torque-Werten.
Im Verlauf der Behandlung wurde sowohl im Oberkiefer als auch im Unterkiefer wie folgt ein Bogenwechsel durchgeführt: .016" CuNiTi, .018" CuNiTi, .014" x .024" CuNiTi, .016" x .025" CuNiTi, ,018" x .025" CuNiTi. Zum Abschluss wurde .018" x .025" TMA eingesetzt. Die Abbildungen 20a–h zeigen die Bogenwechsel im Ober- und Unterkiefer mit verschiedenen Bogengrößen. In Abbildung 21a ist das Tragen von Klasse III-Gummizügen zu sehen, und Abbildung 21b zeigt den Zustand kurz vor der Entbänderung.
Nach 24 Monaten wurde die kieferorthopädische Behandlung abgeschlossen (Abb. 22–24).
Zur Retention wurde im Ober- und Unterkiefer ein fester Lingual-/Palatinalretainer angebracht. Eine Retentionsschiene wurde für beide Kiefer angefertigt und soll über Nacht gertragen werden.
Lesen Sie Teil 2 in KN Kieferorthopädie Nachrichten 9/2024.
Dieser Artikel ist unter dem Originaltitel „Kieferorthopädische Behandlung von parodontal erkrankten Patienten (Teil 1)“ in der KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.