Kieferorthopädie 19.11.2019

Patientenfreundliche Kieferorthopädie mit Clear Alignern



Patientenfreundliche Kieferorthopädie mit Clear Alignern

Der Wunsch der Patienten nach ästhetischen und diskreten Lösungen wird zunehmend auch in der kieferorthopädischen Praxis deutlich und ebenso die Bereitschaft erwachsener Patienten, ihre Zahnfehlstellungen zu korrigieren, ist stetig gestiegen. Schätzungen zufolge ist jeder dritte KFO-Patient über 18 Jahre alt.3 Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass immer mehr Menschen eine kieferorthopädische Therapie mit Clear Alignern, also transparenten, nahezu unsichtbaren und herausnehmbaren Schienen, statt mit festsitzenden Brackets bevorzugen. Darüber hinaus stellen Aligner eine wertvolle Option dar, um implantologische und prothetische Maßnahmen vorzubereiten. Am Beispiel des Alignersystems ClearCorrect (Straumann Group) veranschaulicht Dr. Christian Mall seine Erfahrungen mit der Clear Aligner-Therapie.

Bereits vor rund 20 Jahren, während und nach meiner Facharztausbildung zum Kieferorthopäden, habe ich Clear Aligner sowohl als Retentionsgerät (Retainer) als auch für die Feineinstellung in der Endphase einer kieferorthopädischen Therapie erfolgreich eingesetzt. Dabei habe ich Aligner-Basismaterial mit Planungssoftware von einem Hersteller bezogen und das Vorgehen individuell mit dem Dentallabor besprochen. So konnte ich die Korrektur der Fehlstellung nach meinen Vorstellungen steuern und umsetzen und zudem der individuellen Fehlfunktion hinsichtlich der Mastikation des jeweiligen Patienten Rechnung tragen.

Vor rund zwei Jahren setzte die Straumann Group, die ich durch meine Arbeit als Oralchirurg und Implantologe schon lange schätze, mit der Übernahme von ClearCorrect, einem amerikanischen Hersteller transparenter Aligner, einen Meilenstein und stieg in den KFO-Markt ein. Das weckte mein Interesse für das System. Denn diese Übernahme eröffnete mir u. a. die komfortable Möglichkeit, eine implantologische Vorbereitung kieferorthopädisch einfacher zu gestalten, z. B. Molaren aufzurichten oder Zahnlücken weiter zu öffnen.

Die Quervernetzung hierbei, Lösungen von einem renommierten Anbieter mit sechs Jahrzehnten Expertise in Forschung und Entwicklung aus einer Hand zu beziehen, ist hinsichtlich Service und Support ein besonderer Vorteil für Anwender und gewährleistet sichere und schnelle Arbeitsabläufe. Außerdem erhielt ich mit ClearCorrect eine geeignete Therapiealternative für meine erwachsenen Patienten, die in meinen Praxen in Freiburg im Breisgau und Basel insgesamt einen Anteil von etwa 50 Prozent ausmachen: Sie stehen im Berufsleben und setzten nicht selten aus ästhetischen Gründen auf linguale Brackets. Mit ClearCorrect steht ihnen eine diskrete, herausnehmbare und komfortable Lösung offen, die sie im Täglichen kaum behindert. Auch zunehmend Jugendliche spricht diese Art der kieferorthopädischen Therapie an, sodass die transparente Alignertherapie einen zusätzlichen patientenorientierten Bereich eröffnet.

Vorteile und Indikationen

ClearCorrect-Aligner bestehen aus einem bruchfesten Material (0,76 mm Polyurethan), das über eine hohe Retention verfügt und resistent gegenüber Verfärbungen ist. Sie bieten im Vergleich zur traditionellen Multibandtechnik mehrere Vorteile: Da das Material transparent ist, sind sie diskret und nahezu unsichtbar, was besonders Patienten mit hohem ästhetischen Anspruch sehr schätzen. Es gibt keine Einschränkungen der Essgewohnheiten, da sie herausnehmbar sind. Das ermöglicht auch den Ablauf der Zahnpflege in gewohnter Weise.

Für den Tragekomfort spricht auch eine glatte, gerade verlaufende Trimline, die sich anders als bei anderen Alignern über den Gingivarand hinaus erstreckt. Durch die damit einhergehend höheren Abzugskräfte reduziert sich i. d. R. die Zahl der Attachments, und es werden auch anspruchsvolle Bewegungen erreicht.1, 4 Die Zunge gewöhnt sich schnell an die Schiene, sodass das Sprechen für den Schienenträger selbst und die Mitmenschen schnell wie immer klingt. Dies habe ich auch im Selbstversuch bereits erfolgreich getestet. Sie sind sowohl für Jugendliche als auch Erwachsene geeignet.

Es kann eine Vielzahl von kleineren bis mittleren Fehlstellungen korrigiert werden, wie Zahnengstände, Rotationen oder ein Lückenschluss, um einige Beispiele zu nennen. Bei komplexeren Bisssituationen muss zusätzliches Hilfsmaterial eingeplant werden.2 Der Behandlungszeitraum ist vom Umfang der Korrektur sowie der Tragezeit (täglich 22 Stunden, mindestens jedoch 19 Stunden) abhängig und variiert individuell zwischen vier und 24 Monaten. Nach Rücksprache mit dem Behandler werden die Aligner in der Regel alle 14 Tage gewechselt. Schon während der Behandlung ist der Erfolg zu sehen, und die Zähne bewegen sich schrittweise in die gewünschte Position. Zukünftig soll ein Remote-Monitoring durch den Patienten über ein Hilfsgerät und die Smartphonekamera möglich sein. Die Kosten liegen in der Regel unterhalb der konventionellen klassischen Therapieoption und variieren je nach Behandlungsaufwand und Anzahl der Aligner. Hier bietet der Hersteller zwei Preisoptionen an: Mit Flex wird pro Aligner und Retainer bezahlt. Diese Option empfiehlt sich für einfache ästhetische Korrekturen oder kleinere kieferorthopädische Rezidive. Die Unlimited-Option deckt eine Aligner- und Retainer-Pauschale für fünf Jahre ab und ist geeignet für umfassende Behandlungen und langfristige Retention.

Behandler sollten einschätzen können, welche Zahnfehlstellung erfolgreich mit Alignern behandelt werden kann und wann es für den Patienten möglicherweise sinnvoller ist, einen anderen Behandlungsweg einzuschlagen. Eine Grundlage, um die Behandlungsschritte wie ein Schema abrufen zu können, ist eine strukturierte Fortbildung in diesem Bereich. Die Straumann Group bietet Interessierten kostengünstige Ein-Tages-Kurse an. Dabei geben verschiedene Referenten und versierte Aligneranwender sowohl kieferorthopädisches Basiswissen weiter als auch ihre Erfahrungen mit ClearCorrect (www.clear-correct.de/veranstaltungen). Diese Kurse sind für den erfolgreichen Einstieg mit ClearCorrect zu empfehlen. Wichtig ist, dass eine mögliche Scheu verloren geht und das Verständnis für einen Behandlungsablauf mit Alignern vorhanden ist.

Fallbeispiel

Am Beispiel eines Lückenschlusses wird ein möglicher Behandlungsablauf mit ClearCorrect beschrieben: Eine 22-jährige Patientin mit Frontzahn-Diastema wandte sich an die Praxis mit dem Wunsch, die Zahnlücke im Oberkiefer zu schließen, da sie diese als ästhetisch störend wahrnahm. Aus Kostengründen sollte sich die Korrektur ausschließlich auf den Oberkiefer beschränken. Es wurden Röntgenbilder und Fotoaufnahmen des Gesichts von anterior sowie im Profil und vom Ober- und Unterkiefer in der Aufsicht erstellt.

Zur Herstellung der Aligner kann der konventionelle Weg über Oberkiefer- und Unterkieferabformungen gewählt werden; ClearCorrect bietet jedoch die Möglichkeit des anwender- und patientenfreundlichen digitalen Arbeitsablaufs an, da er komfortabler ist (z. B. entfällt der Würgereiz durch die Abformmasse) und Zeit spart (Abformungen müssen nicht ins Labor transportiert werden, sondern Daten werden online übertragen). Dabei wird mit einem Intraoralscanner (TRIOS, Fa. 3Shape) die Zahnsituation erfasst. Die Foto- sowie Scandaten werden als STL-Datei über das 3Shape-Portal hochgeladen. Dort kann die hochmoderne Produktionsstätte der ClearCorrect-Aligner in Texas (USA) die Scans abrufen.

Alternativ können für ClearCorrect auch andere Scanner (z. B. iTero, Dental Wings) eingesetzt werden. Am Computer gibt der Arzt Informationen zu den gewünschten Behandlungsweisen an, u. a. ob eine ASR (approximale Schmelzreduktion) geplant ist oder sogenannte Engager (Attachments bzw. Hilfsmittel für spezielle Zahnbewegungen) zugelassen werden.

Daraufhin werden die Daten ausgewertet und eine Behandlungssimulation erstellt. Ein Austausch mit dem ClearCorrect-Zahntechniker ist möglich, bei Rückfragen wird nachgehakt, und der Arzt kann die Behandlungssimulation nach seinen Wünschen steuern. Mit einer interaktiven 3D-Vorschau der Behandlung, die das vorhergesagte Endergebnis und den Fortschritt bei jedem Schritt einschließlich empfohlener Verfahren wie ASR und das Kleben von Attachments enthält, bespricht der Arzt mit dem Patienten die Phasen der Alignerbehandlung. Diese Vorschau kann auch als Link direkt an den Patienten weitergeleitet werden.

Anschließend werden auf Grundlage des Behandlungsplans die patientenindividuellen ClearCorrect-Aligner gefertigt. Für die Patientin sah der Behandlungsplan fünf Aligner für den Oberkiefer vor. In Woche drei kamen fünf Attachments, sogenannte Engager, als Hilfsmittel hinzu. Nach rund vier Monaten war die Behandlung abgeschlossen. Die Patientin erhielt eine Retentionsschiene (Retainer) für die Nacht.

Fazit für die Praxis

Die Alignertherapie mit ClearCorrect erweitert das Praxisportfolio deutlich und ist sowohl für Kieferorthopäden als auch Allgemeinzahnärzte mit entsprechender Fortbildung eine sinnvolle Ergänzung in der Praxis. Sie bietet zahlreiche Vorteile: als präimplantologische Maßnahme, um patientenorientiert z. B. eine bestehende Lücke weiter zu öffnen, sodass ein Implantat ideal positioniert werden kann; innerhalb präprothetischer Behandlungen, um beispielsweise Molaren aufzurichten und den Zahnersatz entsprechend funktional und ästhetisch ansprechend zu gestalten. Selbst schon vorhandene oder gezielt gesetzte Implantate können therapeutisch als Retentionselemente innerhalb der Alignertherapie eingesetzt werden, um z. B. Behandlungszeit einzusparen.

Darüber hinaus können ästhetische Korrekturen im Frontzahnbereich vorgenommen werden und Lückenschluss oder leichte Engstände diskret und komfortabel behandelt werden. Für erfahrene Anwender könnte es zudem bereichernd sein, beide Therapieoptionen zu kombinieren: den konventionellen Weg mit Brackets für komplexere Schritte, z. B. eine Digitalisierung, mit einem Teilbogen anzugehen, und anschließend die Behandlung mit ClearCorrect fortzusetzen. Die Option des digitalen Arbeitsablaufs mit digitaler Abformung (Intraoralscan), Datentransfer und zukünftiger Möglichkeit des Remote Monitoring ist ein Gewinn für (Fach-)Zahnarzt und Patient und unterstützt ein zeitgemäßes Behandlungskonzept.

Die Literaturliste gibt es hier.

Der Beitrag ist in der KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.

Foto: Autor

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