Kieferorthopädie 27.02.2014
Doppelte Intrusion
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Im Rahmen des AAO-Jahreskongresses in Philadelphia referierte Prof. Dr. Cheol-Ho Paik zum Thema „Molarenintrusion bei Einsatz von TADs – Schlüsselelement für die Korrektur anterior offener Bisse und/oder bei Problemen vertikaler Überentwicklung“. KN sprach mit ihm.
Wann behandeln Sie Fälle mit offenem Biss mittels Molarenintrusion und wann mithilfe orthognather Chirurgie?
Wenn die Größe des Unterkiefers normal ausgeprägt ist, können wir das Problem des offenen Bisses ohne Chirurgie lösen. Ist der Unterkiefer jedoch zu klein oder zu groß, ist ein zusätzlicher chirurgischer Eingriff erforderlich.
Welche klinischen und welche cephalometrischen Parameter beziehen Sie in Ihren Entscheidungsprozess mit ein?
Für gewöhnlich schaue ich mir das gesamte Gesichtsschema an und vergleiche die Normwerte mit denen des Patienten. Um zu entscheiden, nach welchem Behandlungsplan (siehe Frage 1) vorgegangen wird, müssen jene Werte, die Informationen zur Größe des Unterkiefers geben, wie z.B. Gn-Cd, Pog’-Go and Cd-Go, genau beurteilt werden.
Welches stellt Ihre bevorzugte Molarenintrusionsmechanik im Oberkiefer dar?
In den meisten Fällen bevorzuge ich Intrusionsmechaniken, bei denen ein Transpalatinalbogen und in der Gaumenmitte gesetzte Minischrauben zum Einsatz kommen. Eine in der Mitte des Gaumens platzierte Minischraube ist am stabilsten und führt nur äußerst selten zum Schraubenverlust. Zudem ermöglicht sie uns, stärkere Kräfte einzusetzen. Hinsichtlich der Knochendichte weist der Bereich des mittleren Gaumens die höchste Dichte auf (D1-Klassifikation nach Misch, mehr als 1.250 Hounsfield-Einheiten).
Wenn wir das „TPA-mittpalatinale System“ einsetzen, benötigen wir eine höhere Kraft, sodass wir die Intrusionskraft durch einen starken Palatinalbogen (1,1 oder 1,2mm dick) generieren. Um eine starke Verbindung und ein stabiles System zu erhalten sowie einem palatinalen Kippen der lingualen Höcker der oberen Molaren vorzubeugen, wird in der Regel ein gelöteter Transpalatinalbogen verwendet. Die miteinander verbundenen Molaren bleiben dabei gestützt. Daher ist letztlich auch eine höhere Kraft erforderlich, um die Molaren samt TPA zu intrudieren. Wird hingegen weniger Intrusion benötigt, sind Minischrauben ausreichend. In diesem Fall ist ein starker lingualer Kronentorque (etwa 45 Grad) mithilfe eines .0190 x .0250 Stahlbogens einzusetzen.
Welches stellt Ihre bevorzugte Molarenintrusionsmechanik im Unterkiefer dar?
Aufgrund der anatomischen Eigenschaften des Unterkiefers können nur bukkale Minischrauben verwendet werden. Der am häufigsten genutzte Insertionsort liegt hierbei zwischen dem zweiten Prämolaren und ersten Molaren. Dort können wir den posterioren Bereich mehr intrudieren, da das Widerstandszentrum der unteren Dentition mesial des Insertionsortes des TAD zwischen dem zweiten Prämolaren und ersten Molaren liegt.
Um den unteren ersten Molaren hinsichtlich eines Kippens nach erfolgter Intrusion zu kontrollieren, habe ich bislang einen Lingualbogen eingesetzt. Heute jedoch bevorzuge ich es, ohne Lingualbogen zu intrudieren. In diesem Fall gebe ich für gewöhnlich einen starken lingualen Kronentorque von nahezu 45 Grad auf den .0190 x .0250 Stahlbogen. Zudem verschmälere ich den unteren Drahtbogen ein wenig mehr, damit die von der bukkalen Seite wirkende Intrusionskraft nicht nur zur bukkalen Kippung, sondern auch zur Expansion des Zahnbogens führt.
Wie viele Millimeter an Intrusion kann der Kliniker im Ober- und Unterkiefer erwarten?
In der Regel reichen 2mm zur Korrektur eines offenen Bisses und/oder zur Lösung von Problemen vertikaler Überentwicklung aus. Sogar ein stark ausgeprägter offener Biss mit hohem Winkel der Unterkieferebene kann mittels doppelter Intrusion von oberen und unteren Molaren korrigiert werden.
Was tun Sie, um einen Langzeit-Relapse nach der Molarenintrusion zu vermeiden?
Drei Faktoren beeinflussen die Korrektur eines offenen Bisses und den Relapse nach erfolgter Behandlung. Der eine Faktor ist die Extraktion der Prämolaren und/oder dritten Molaren. Der zweite ist die orofaziale myofunktionale Therapie und der dritte Faktor ist die Intrusion der Molaren mithilfe von Miniimplantaten. Von diesen dreien kann vor allem eine gute und sorgsam durchgeführte orofaziale myofunktionale Therapie dabei helfen, das Ausmaß des Relapse zu reduzieren.
Zwei wichtige Komponenten der orofazialen myofunktionalen Therapie sind zum einen Übungen, bei denen die Zähne zusammengepresst werden, und zum anderen das Training der Zunge. Beißt der Patient nicht zusammen (manchmal aufgrund einer Verkümmerung des Kaumuskels), verfügt über eine niedrige Zungenposition oder ist der Patient Mundatmer, wird es definitiv zu einem Relapse kommen. Der Durchbruch der Weisheitszähne kann zudem zur Extrusion der Molaren führen, wodurch es mitunter zum Relapse eines offenen Bisses kommt. Im Rahmen der letztjährigen AAO-Jahrestagung in Philadelphia stellte ich einen Retentionsfall zehn Jahre nach Intrusion der Molaren vor. Dieser Fall ist auch im Buch „Orthodontic Miniscrew Implants“ (erschienen bei Mosby/Elsevier) enthalten, wobei viele Leser über die Langzeitstabilität staunen. Ein sorgfältig vorbereiteter Retentionsplan, der die genannten drei Faktoren mit einbezieht, wird eine Langzeitretention gewährleisten. In der Regel sind nur ein oder zwei der drei Faktoren bei den meisten Fällen mit offenem Biss oder vertikalen Problemen erforderlich. Bei schwereren Fällen hingegen sollten alle drei Faktoren Anwendung finden.
Hatten Sie auch schon Fälle, bei denen die Molarenintrusion nicht funktionierte?
Bei der Intrusion oberer Molaren hatte ich bislang keinen Fall, der nicht funktioniert hat. Selbst wenn die bukkalen Miniimplantate sich gelöst hatten, konnte ich mithilfe der in der Gaumenmitte platzierten Minischraube fortfahren zu intrudieren. Dieser Insertionsort stellt wie erwähnt aufgrund der vorhandenen Knochendichte den stabilsten Bereich dar.
Im Unterkiefer hatte ich Fälle, wo die Molarenintrusion nicht funktionierte. Sobald sich hier die bukkalen Minischrauben lösen, funktioniert die Intrusion der Molaren nicht mehr.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.