Kieferorthopädie 28.02.2011

Minischraubengewinde und ihre Funktionen



Minischraubengewinde und ihre Funktionen

Mit dem LuZi-Konzept (Fa. denvenio*) ist ab sofort ein neues Minischraubensystem erhältlich, dessen signifikante Details im Rahmen einer dreiteiligen KN-Artikelserie vorgestellt werden. Im dritten und letzten Teil widmen sich die Autoren Dipl.-Ing. Holger Zipprich und Prof. Dr. Hans-Christoph Lauer ausführlich dem speziellen Gewindedesign der LuZi-Schraube.

Einleitung

Der enossale Anteil kiefer­orthopädischer Minischrau­ben erinnert hinsichtlich des Designs stark an Blech- oder Holzschrauben. Deren Funktionen sind ebenfalls sehr ähnlich ausgelegt. Die Schrau­­ben sollen möglichst ohne vorzubohren und mit wenig Kraftaufwand in das Material (Blech, Holz oder Knochen) eindrehbar sein. Anschließend ist die dauerhafte Verankerung im ent­sprechenden Material erwünscht, ohne dass es zu einer Lockerung oder zum Verlust der Verankerungsqualität kommt. Bei Blech und Holz ist dies meist ge­geben – es sei denn, die Wechselbeanspru­chung auf die Schraube ist zu groß.


Die Beanspruchung kieferorthopädischer Minischrau­ben durch die kieferortho­pädi­schen Hilfsmittel ist mit we­nigen Newton wahrschein­lich zu vernachlässigen.2 Hin­ge­gen genannter Materialien weist Knochen jedoch keine Homogenität auf. Stattdessen bietet lediglich ein minimal dünner Teil, die Kompakta, die gewünschte Stabilität.

Klinisch zeigt sich allerdings, dass es einerseits Regionen gibt, bei welchen die Erfolgsrate gegen 100% läuft (anteriorer Gaumen), und andererseits Insertionsbereiche existieren, wo mit Verlustraten bis zu 20% zu rechnen ist (Unterkieferfront vestibulär). Darüber hinaus gibt es Regionen (Unterkiefer lingual), wo aufgrund von Verlustraten bis zu 100% der Einsatz kieferorthopädischer Pins nicht zu empfehlen ist.1, 4–5, 7

Die Gründe für die Verlust­raten oder für Komplikationen bei der Einheilung sind meist vielschichtig und nicht gänzlich erforscht. Sie rei­chen von der Drucknekrose über die Überhitzung beim Inserieren bis hin zu Belastungsproblematiken durch die Zunge oder bewegliche Gingiva. Auch das Verschleppen von Weichgewebe beim Eindrehvorgang in den Kno­chen und Entzündungsreaktionen von Knochen und Wei­ch­gewebe sind als Einfluss­faktoren aufzuführen.1, 4–5, 7

Fraglich bleibt, ob das Ge­windedesign einen Einfluss auf die Erfolgsrate und den Komfort des Eindrehvorgangs nehmen kann. Die direk-ten Gefahren, die beim Inserieren entstehen kön­nen und auf welche das Gewinde­design einen Einfluss neh­men kann, sind Drucknekro­sen, die Überhitzung des Kno­chens sowie eine schlechte Ver­ankerungsqualität (Primär­­sta­bili­tät) der Schraube im Knochen. Bezogen auf den Komfort des Eindrehvorgangs ist lediglich die not­wendige Anpresskraft der Schraube zu erwähnen, bis sich die Schraube von selbst durch eine weiterführende Rotation in den Knochen zieht.

Selbstbohrende und selbstschneidende Schrauben

Viele Schrauben werden als selbstbohrend bzw. selbst­schneidend bezeichnet. Eine klare Definition hierfür ist allerdings nicht vorhanden. Der Begriff „selbstbohrend“ implementiert, dass die Schrau­­be eine bohrende Wir­kung besitzt. Bohren wiede­rum ist eine spanabhebende bzw. spanbildende Technik zur Aufbereitung einer runden Formausnehmung. Schaut man sich eine gewöhnliche Spitze einer Blechschraube an (Abb. 1), ist zu erkennen, dass keine Elemente vorhanden sind, welche als Schneide zum Bohren verwendbar wären. Solche Schraubenspitzen verdrängen das Material während des Eindrehens.

Bei der Gestaltung kieferorthopädischer Minischrau­ben werden ebenfalls solche Schrau­benspitzen verwendet (Abb. 2). Sie können auch ohne eine Vorbohrung direkt in den Knochen geschraubt werden. In Abhängigkeit von Knochenqualität und -dichte wird es einen endlichen Durchmesser (1,6mm – 2,0mm – 2,5mm –…mm) geben, ab welchem beim Einschrauben mit einer Drucknekrose zu rechnen ist. Es wird vermutet, dass durch eine zu hohe Kompression des Knochens die Blutzufuhr so stark eingeschränkt wird, dass infolgedessen der Knochen nekrotisch wird.3

Streng genommen verfügen selbstbohrende Schrauben über eine oder mehrere Schnei­den, um während des Ein­drehens tatsächlich mit­tels dieser ein Loch zu bohren. Die Abbildung 3 zeigt eine solche Schraube. Für die Anwendung als kieferorthopädische Minischraube wäre eine solche Schraubenspitze sicherlich un­geeignet, da die bohrende Schneide komplett im Knochen versenkt werden müsste, bevor sich die Schraube selbst in den Knochen ziehen kann.

Die selbstbohrenden Effekte bei kieferorthopädischen Schrau­­ben werden direkt mit der selbstschneidenden Wirkung kombiniert. „Selbstschneidend“ bedeutet, dass das Gewinde im Material nicht durch eine Materialverdrängung hergestellt wird (Formen eines Gewindes), sondern durch eine spanabhebende Technik. Das bedeutet, dass Schneidnuten in den Gewinden vorhanden sein müssen. Abbildung 4 zeigt eine kieferorthopädische Schraube mit einer solchen Schneidnut. Bedingt durch die Tatsache, dass diese Schneidnut an der Spitze beginnt, hat sie auch eine zumindest aufbohrende Wirkung in Kombination mit einer selbstschneidenden Wirkung und kann infolgedessen als selbstbohrend und selbstschneidend bezeichnet werden. Die Schneidnut ist allerdings relativ klein ausgeführt. Durch die bohrende und schneidende Wirkung entstehen Späne, die in der Schneidnut genügend Raum finden müssen. Ist nicht genügend Raum vorgesehen, endet die bohrende und schnei­dende Wirkung der Schraube, sobald dieser Spanraum mit Knochenspänen aufgefüllt ist. Wie groß der Einfluss der Gestaltung von Schrau­benspit­ze und Schneid­nuten ist, wird in der folgenden In-vitro-Un­ter­su­chung verdeutlicht.

Material und Methode

Ziel der Untersuchung war der Vergleich zwischen einer am Markt erhältlichen Minischraube mit herkömmlicher Schraubenspitze und der optimierten LuZi-Schraubenspit­ze bezüglich der zu Beginn des Eindrehvorgangs nötigen Anpresskraft. Zu diesem Zweck wurde mit variierenden Anpresskräften (beginnend mit 2,5N) versucht, die Schrauben in ein Knochenersatz­material einzudrehen. Konnte nach fünf Umdrehungen kein selbstständiges Einziehen der Schraube in das Knochenersatzmaterial festgestellt werden, wurde an einer anderen Stelle des Knochenersatzmaterials ein erneuter Versuch mit um 2,5N erhöhter Anpresskraft durchgeführt. Dieses Prozedere wurde solange wiederholt, bis sich die jeweilige Schraube selbstständig
in das Knochenersatzmaterial hineinzog.

Zum Eindrehen der Minischrauben kam eine eigens für diesen Zweck konstruierte Maschine zum Einsatz. Mittels eines Pneumatikzylinders (C85N10-75, Fa. SMC) und einer Druckregelung (ITV 2050-31F3N-Q, Fa. SMC) wurde die Anpresskraft gesteigert, bis der gewünschte und von einem Kraftsensor (KAP-S 50N, Fa. A.S.T.) er­fasste Kraftwert erreicht war. Anschließend wurde versucht, mittels eines drehzahlgeregelten und mit einer Getriebeuntersetzung (Planetengetriebe Serie 30/1 134:1, Fa. Faulhaber) versehenen DC-Motors (bürstenloser DC-Servomotor 3564 K 024 B CS, Fa. Faulhaber) die Minischraube mit den Original-Eindrehwerkzeugen der Hersteller bei einer Drehzahl von 30 Umdrehungen pro Minute in das Knochenersatzmaterial einzudrehen. Als Knochenersatzmaterial wur­de ein von der FDA (F1839-01) empfohlener Kunststoff Grade 4 (PU-Schaum mit einer Dichte von 650kg/m³) verwendet.

Ergebnis

Die Ergebnisse der Eindreh­versuche sind in Tabelle 1 aufgeführt. Sie zeigen den deutlichen Unterschied in der nötigen Anpresskraft der optimierten LuZi-Schraubenspitze mit einem Mittelwert von 5N gegenüber einer herkömmlichen Minischraubenspitze mit einem Mittelwert von 12,75N.

Weitere Einflussfaktoren

Ein weiterer negativer Einfluss kann durch die ober­flächennahe Wärmeentwicklung beim Eindrehen der Schrauben entstehen und je nach Knochenqualität zu einer ungewollten Überhitzung und damit höheren Verlust­rate führen. Studien zeigen, dass ein niedrigerer Insertionstorque höhere Erfolgsraten aufweist.6 Je stärker die Kompression des Knochens und je länger das Schraubengewinde, umso höher ist die sich entwickelnde Wärme­ener­­gie. Wie stark eine Schrau­­be allerdings bei welcher Kno­chenqualität auf­bohren und schneiden sollte, ist nicht eindeutig definiert.

Eine günstige Alternative zur Vermeidung von ungewollter Knochenüber­hitzung ist das Aufteilen des enossalen Bereichs kieferorthopä­discher Minischrauben in mehrere Funktionsbereiche.

Funktionsbereich 1
Die Schraubenspitze mit ihrer selbstbohrenden und selbstschneidenden Wirkung bei minimaler Anpresskraft.

Funktionsbereich 2
Gewindebereich, welcher durch seine Länge die Primärstabilität unterstützt, aber während des Eindrehens kaum zu einer Wärmeentwicklung führt. Erreichbar wird dies durch entsprechend starkes Aufbohren im Funktionsbereich 1.

Funktionsbereich 3
Gewindebereich zur Erzeugung der krestalen und primären Verankerungsqualität. Dies kann über eine Modifikation des Gewindes erreicht werden. Eine Möglichkeit zur Aus­bildung eines erfolgreichen Funktionsbereichs 3 für eine optimierte Verankerungs­qualität ist die Verwendung von mehrgängigen Gewinden. Die Abbildungen 7a–c zeigen den Beginn des zweigängigen Gewindes der LuZi-Schrau­be. In der Mitte des Ursprungsgewindes beginnt ein zweiter Gewindegang zu wach­sen. Dieser Bereich dient in der letzten Phase des Eindrehvorgangs zur Einstellung der Primärstabilität und gewährleistet die nötige Verankerungsqualität im Knochen. Durch die größere Kontaktfläche zwischen Schraube und Knochen kann eine bessere Verankerung erreicht werden.

Eine weitere Möglichkeit, die Verankerungsqualität zu verbessern, ist das Schaffen von zusätzlichen Retentionen im Gewinde. Dies kann z.B. erreicht werden, indem das Gewinde von seiner Grundform nicht rund, sondern oval gestaltet wird. Theoretische Überlegungen haben ergeben, dass bei der Sonderform eines Ovals mit drei lokalen Maxima und drei lokalen Minima des veränderlichen Radius um das Schraubenzentrum (trioval, Abb. 8) beson­ders günstige Verankerungsqualitäten zu erwarten sind.

Bei herkömmlich runden Gewinden wird die Schraube, bevor sie knöchern verankert ist, vor dem Herausdrehen lediglich durch das Produkt aus Rückstellkraft des Knochens auf die Schrau­be und der Kontaktfläche zwischen Knochen und Schraube gehemmt. Es handelt sich folglich nur um eine Haft­reibung zwischen Knochen und Schraube. Re­tentionen sind nicht vorhanden. Während der Einheilung der Schraube in den Knochen lässt diese Haftreibung allerdings nach, da die Knochenkompression und somit die Rückstellkraft des Knochens durch Knochen­umlagerungen vom Knochen selbst abgebaut wird. Würde keine oder erst eine sehr späte Osseointegration stattfinden, wäre kein Widerstand gegen das Herausdrehen gegeben. Ein ovales bzw. trio­vales Gewindedesign hingegen hat in diesem Zustand noch ein mecha­nisches Gesperre gegen das ungewollte Lösen bzw. Herausdrehen. Um eine ­solche Schraube heraus­­zu­drehen, muss bei jeder Rotation der Knochen kom­primiert und verdrängt werden. Dies stellt einen Wi­derstand dar und unterstützt die Primärstabilität bzw. die Verankerungsqualität insbesondere während der Osseointegrationsphase. Abbildung 9 zeigt eine LuZi-Schraube mit einem zweigängigen und triovalen Funktionsbereich 3 für eine verbes­serte Verankerungsqualität.

Ausblick

Bereits in diesem Jahr startet eine umfangreiche Anwendungsbeobachtung zur Evaluierung der Einflüsse von modifizierten Krestalgewinden bei der LuZi-Schraube auf die Erfolgsrate in unterschiedlichen Insertionsregionen. Die Abbildung 10 zeigt die drei verschiedenen Krestalgewinde, welche gegen­übergestellt werden.

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