Kieferorthopädie 15.08.2011

Außergewöhnlicher Bogen



Außergewöhnlicher Bogen

Insbesondere bei Einsatz selbstligierender Brackets profitieren Behandler von den Vorteilen des Supercable® und dessen minimaler Kraftabgabe zur initialen Rotationskontrolle und Nivellierung.  Ein Beitrag von Doz. Dr. med. univ. Friedrich K. Byloff, FA für Kieferorthopädie aus Graz/Österreich.

Dank der fortschreitenden Entwicklung und Optimierung von Legierungen für initiale Nivel­lierungsbögen konnten die auf die Zähne wirkenden Kräfte wesentlich verringert werden; zumindest ist dem kritischen Kieferorthopäden hierzu die Möglichkeit gegeben worden. Der von verschiedenen Firmen strapazierte Ausdruck „leichte“ oder „optimale“ Kräfte wird offensichtlich sehr unterschiedlich definiert und kann beim Befolgen solcher Empfehlungen zur  realen Anwendung von Kräften führen, die sich um ein Mehrfaches unterscheiden.

 

Prinzipiell ist es in der Kieferorthopädie noch nicht gelungen, „ideale“ oder „optimale“ Kräfte genau zu definieren (Ren et al. 2003 und 2004). Dennoch kann man sagen, dass eine Zahnbe­wegung, egal welcher Natur, mit den geringst möglichen Kräften ausgeführt werden sollte. Somit ist die Wahrscheinlichkeit, die Schmerzschwelle des Patienten zu erreichen,  Wurzelresorptionen zu verursachen (Chan und Darendeliler 2005) oder überhaupt unerwünschte Nebenwirkungen hervorzurufen, am geringsten. Wobei diese geringen Kräfte aber auch erstaunlich schnelle Zahnbewegungen hervorrufen können und die Anwendung größerer Kräfte keinesfalls immer zu einer schnelleren Bewegung führen muss (Iwasaki et al. 2000).

In dieser Philosophie wurde von Dr. Hanson, dem „Erfinder“ der SPEED®-Brackets, 1993 der sogenannte Supercable® eingeführt. Hanson kombinierte die Vorteile verseilter (mehrdrähtiger) Bögen mit den Eigenschaften superelastischer Nitinolbögen, indem er einen superelastischen, verseilten Bogen entwickelte (Abb. 1). Dieser besteht aus sieben sehr dünnen und miteinander in einer leichten Spirale verseilten superelastischen Nitinoldrähten. Maximale Flexibilität wird dadurch mit minimaler Kraftabgabe kombiniert. Der Bogen besitzt ein außer­gewöhnliches Formgedächtnis („shape-memory“), wie in Abb. 2 zu sehen: Nach Öffnung von drei Knoten in einem .0160 Super­cable nimmt der Bogen wieder seine ursprüngliche Form an. Dadurch kann er praktisch in jede auch noch so verwinkelte Situation eingebunden werden, ohne dass eine permanente Deformierung befürchtet werden muss – und das trotz der Durchmesser .0160, .0180 und .0200. Dies macht jene Bögen im aktuellen Bogenangebot einzigartig. Kürzlich erschien eine Sonderform mit nur sechs ineinander verwobenen Drähten, welche einen superelastischen Schlauch bilden, der sogenannte „tubuläre“ Supercable.

Abgegebene Kräfte werden somit noch weiter verringert und die Flexibilität entsprechend erhöht. Diese Eigenschaften machen Supercable zum idealen Derotations- und Nivellierungsbogen. Weiterhin von Vorteil ist hier auch, dass verseilte (mehrdrähti­ge) Bögen weniger Reibung verursachen als eindrähtige Bögen gleichen Durchmessers (Matarese et al. 2008). In diesem Zusammenhang entwickelt Supercable seine Eigenschaften am besten mit selbstligierenden Brackets, da ihm hier mehr Bewegungsfreiheit gegeben wird. Vor allem im Vergleich mit an­deren gängigen Nivellierungsbögen erkennt man die Vorteile dieses Bogens, verdeutlicht anhand von Drei-Punkt-Biegetestmessungen: So wurde bereits 1998 dargestellt, dass Supercable nur 36 bis 70% der Kraft gängiger homogener runder Nitinolbögen abgibt (Berger et al. 1998). Zusätzlich wird er aber dank seiner Eigenschaften von Anfang an in größeren Durchmessern verwendet (.0160, .0180, ev. sogar .0200) und kontrolliert somit wesentlich effizienter die Zahnbewegung betreffend Tipping und Rotation. Bei der in Abbildung 3a, b dargestellten Patientin war ein .0160 Supercable für neun Wochen aktiv. Die dabei wirk­samen Kräfte beliefen sich um die 40 bis 60 g.

Besonders interessant ist der  Vergleich der Rückstellkräfte des DamonTM Optimal Force Copper Nitinol mit Supercable, ebenfalls mittels Drei-Punkt-Biegetest (Berger und Waram 2007) in Abbildung 4. Bei einer Auslenkung von 3mm, die beim Nivellieren häufig vorkommt, machen die gemessenen Kräfte beim .0140 Damon Optimal Force Copper Nitinol fast das Fünffache der beim .0160 Supercable gemes­senen aus, nämlich 234g im Vergleich zu 55g. Ein tubulärer Supercable auch in der Dimension .0160 würde sogar nur 43g Rückstellkraft bei derselben Auslenkung von 3mm generieren. Dazu muss man zusätzlich da­rauf hinweisen, dass ein Bogen mit größerem Durchmesser natürlich auch mehr Kontrolle über die Zahnbewegung hat. Hier werden also sehr unterschiedliche Auffassungen von optimalen Kräften erkennbar.

Des Weiteren zeigt dieselbe Grafik, welche eine Zusammenfassung vieler gängiger Nivellierungsbögen darstellt, dass Su-percable-Bögen zumindest 1/3 der Kraft gleich dimensionierter „heat-activated“ Bögen ausüben. Traditionelle Nitinolbögen mit gleichem Durchmesser geben ei­ne bis zu 6-fache Kraft ab. Kurz gesagt, mit Supercable kann mit einem Bruchteil der vielleicht bisher verwendeten Kräfte wesentlich schonender und effizienter nivelliert werden. Hierbei sollten außerdem Kräfte über 100g vermieden werden, da es sonst zu einer Stillstandsphase von 21 Tagen kommt (Iwasaki et al. 2000). Prinzipiell muss man zu diesen in vitro gemessenen Kräften sagen, dass diese auf die klinische Situation nicht genau gleich übertragbar sind. Jedoch geben sie gute Hinweise über die Kräfte­relationen. In der klinischen Anwendung ist es wichtig, nach Einsetzen des Drahtes distal des letzten Zahnes einen sogenannten Super­cable Stop aufzuklemmen oder ein Kleberkügelchen aufzubringen, da der sehr flexible Bogen sonst leicht aus dem am meisten distal gelegenen Bracket oder Röhrchen herausrutschen könn­te (Abb. 5 a, b). Ein Umbiegen als „mexican tie-back“ ist aufgrund der oben beschriebenen Eigenschaften des Bogens nicht möglich. Und das Ausglühen in der Flamme würde zum Ausfransen der einzelnen Bogenkomponenten führen. Intraoral muss der Bogen mit einem speziell dafür geeigneten Distal End Cutter* abgezwickt werden. Der Überschuss an Bogenlänge, welcher durch das Ausnivellieren entsteht, führt nicht zu einem „flaring“ der unteren Front, sondern „schlängelt“ sich distal des letzten Zahnes hinaus (Abb. 6a, b; 7a, b). Dies sollte dem Patienten vorher mitgeteilt werden. In Abbildung 7a, b ist ein typischer Verlauf einer Nivellierung bei Extraktion wegen Engstands dargestellt: Dieser löst sich nach distal auf, wobei sich die linke Extraktionslücke bereits während der ersten sieben Wochen des Nivellierens um fast 2/3 geschlossen hat. Diese Effekte beobachten wir routinemäßig bei der Verwendung von Supercable in Kombination mit selbstligierenden Brackets. Sie erklären sich durch die lediglich geringen Kräfte und die in gewissen Phasen der Bewegung reduzierte Friktion mit selbstligierenden Brackets. Eine dabei normal weitergeführte Kaufunk­tion durch wenig oder gar keine Schmerzbeeinträchtigung aufgrund der geringen Kräfte mag auch dazu beitragen.
Ein weiteres Beispiel ist in Abbildung 8a, b dargestellt: Eine Ro­tationskorrektur um fast 90° eines oberen zentralen Schneidezahnes in nur acht Wochen mit einem Supercable der Dimension .0160. Das Zeitintervall zwischen zwei Terminen in der Nivellierungsphase beträgt hier acht Wochen.
 

Fazit

Möchte der Kieferorthopäde in der Ära leichter Kräfte diese auch wirklich anwenden und gleichzeitig zudem die Zahnbewegung gut kontrollieren, bietet sich der Einsatz des Supercable-Bogens als ideale Alternative an.    

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