Kieferorthopädie 28.02.2011
Modifizierung von Bracketbasen für höhere Passgenauigkeit
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In diesem Jahr werden die selbstligierenden Brackets (SLB) Themenschwerpunkt in der KN sein.
Dabei soll sich nicht nur bekannten Fakten, sondern vielmehr auch einer kritischen Beleuchtung einzelner Systeme gewidmet werden. Denn nicht selten klafft zwischen den zahlreichen Vorteilen, welche SLB in der Regel nachgesagt werden, und den klinischen sowie wissenschaftlichen Fakten eine große Lücke. Im ersten Schwerpunktbeitrag stellen Dr. Björn Ludwig, Prof. Dr. Jörg A. Lisson, Dr. Bettina Glasl und Dipl.-Ing. (FH) Carsten Wagner M.Sc. die Ergebnisse einer Studie vor, auf deren Grundlage die Passgenauigkeit von Bracketbasen erhöht werden konnte.
Einleitung
Auch wenn die Anfänge selbstligierender Brackets viele Jahrzehnte zurückliegen, erfreuen sich diese Behandlungsapparaturen erst in jüngerer Vergangenheit zunehmender Beliebtheit. Insbesondere in den letzten zehn Jahren ließen eine ständig wachsende Anzahl immer neuer Systeme und Designkonzepte eine wahre Euphorie entstehen, die SL-Brackets noch bis vor Kurzem ganz selbstverständlich mit Vorteilen wie weniger Friktion, kürzeren Stuhlzeiten oder einem besseren Anwenderkomfort in Verbindung brachten. Egal, welche Designmerkmale einzelne Systeme aufwiesen, der Begriff „selbstligierend“ schien hier Legitimierung genug zu sein.
Längst ist diese, zum großen Teil auch durch die herstellende Industrie geschürte Euphorie wissenschaftlichen Fakten gewichen. Denn diese belegen in zahlreichen Untersuchungen sowie rund um den Globus publizierten Artikeln, dass selbstligierende Brackets sicherlich ihre Vorteile aufweisen, jedoch keinesfalls „die Allzweckwaffe schlechthin“ darstellen. Gleich konventionellen Brackets weisen auch sie durchaus ihre Schwachstellen auf, wie beispielsweise eine mitunter ungenügende Passfähigkeit der Basis, die nicht ausreichende Präzision der Slots oder nicht einwandfrei funktionierende Verschlussmechaniken, was sich wiederum in unerwünschten Zahnbewegungen, limitierten Korrekturen oder einer nur bedingt möglichen Verkürzung der Gesamtbehandlungszeit zeigt. Zudem ist anzumerken, dass viele Vorteile, die SL-Brackets zugedacht werden, wie beispielsweise dass durch deren Einsatz Expansionen in Non-Extraktionsfällen erleichtert würden, aufgrund bislang fehlender Langzeitstudien nicht wissenschaftlich belegt werden können.
Es lohnt also einmal mehr der detaillierte Blick hinter die Designdetails selbstligierender Brackets. Wie können diese technisch verfeinert werden, um auf der Hand liegenden Problemen zu begegnen, sodass jene Apparaturen zunehmend halten, was sie versprechen? Der vorliegende Artikel stellt die Ergebnisse einer Studie* vor, in deren Rahmen rund 4.000 Zähne aus aller Welt im 3-D-Laserscan-Verfahren erfasst und auf ihre natürliche Wölbung hin untersucht worden sind, um die Passgenauigkeit der Bracketbasis der 3. Generation des Quick®-Systems (BioQuick®)** zu verbessern.
Eine Frage der Basis
Ein generelles Problem aller Brackets – egal ob konventionell oder selbstligierend – stellt deren mitunter schwierige Platzierung (Kippeln) aufgrund der im Vergleich zur Zahnoberfläche geringeren Wölbung der Basis dar. So kann das Bracket beim Andrücken an die Oberfläche des Zahnes kippen (Abb. 1). Diese Inkongruenz der Bracketbasis zur Zahnoberfläche bedarf des Ausgleichs durch eine ungleichmäßige Adhäsivschicht. Zusätzliche Kippeffekte sowie das Abgleiten aus der Idealposition bis zur Polymerisation können Klebefehler verursachen, was in Kombination mit dem Materialüberschuss zur fehlerhaften Ausrichtung des Slots und somit zu ungewollten Zahnbewegungen führt.
Nur ein entsprechend den anatomischen Gegebenheiten geformtes Klebepad, welches die Zahnoberfläche optimal umschließt, würde das Kippeln eliminieren und letztlich die Bracketpositionierung erleichtern. Daher bieten Hersteller in der Regel Brackets mit einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Basiswölbung an. Jedoch wird dabei auf unterschiedliche Verfahren zurückgegriffen, die große Unterschiede hinsichtlich der statistischen Gewichtung und Zuverlässigkeit ermittelter Datensätze aufweisen. So wurden und werden die Krümmungsbahnen noch heute an extrahierten Zähnen oder Gipsmodellen anhand vertikaler sowie horizontaler Schliffpräparate ermittelt. Ein Verfahren, was lediglich eine kleine Probenmenge pro Einzelzahn erfasst und zudem langwierig und materialintensiv ist.
Längst können aufgrund modernster Technologien Zahnmodelle durch dreidimensionale Rekonstruktion und Datenverarbeitung vermessen werden, was ein materialschonendes und vor allem effizientes Verfahren darstellt, da eine hohe Fallzahl mit statistischer Gewichtung erreicht werden kann. Voraussetzung für die Konstruktion optimierter Passformen von Basen auf Grundlage solcher Datensätze ist jedoch die Tatsache, dass die Brackets im sogenannten MIM- oder CIM-Verfahren (Metal Injection Molding bzw. Ceramic Injection Molding) gefertigt werden, da nur diese die Umsetzung solcher Kurvaturen ermöglichen.
Anatomische Passform
Um eine optimale Passform zu erreichen, ist es erforderlich, sowohl die mesio-distale als auch okkluso-gingivale Oberflächenkrümmung in die Kurvatur der Bracketbasis zu übertragen. Da die Zahnoberfläche in horizontaler wie vertikaler Richtung keine einheitliche Wölbung aufweist, sondern positionsabhängig von unterschiedlichen Radien überzogen wird, galt es, das Design des Pads auf die entsprechende Position auf dem Zahn anzupassen und dessen Radius zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu definieren (Abb. 2, 5).
Um den optimalen Radius zu bestimmen, wurden weltweit 230 Gipsmodelle von Gebissen verschiedenster Populationsgruppen gesammelt und dreidimensional eingescannt. Dieses 3-D-Scanverfahren (basierend auf dem Prinzip der Weißlicht-Streifenprojektion) ermöglicht die morphologische Erfassung großer Gruppen einzelner Zähne sowie die Vermessung ihres spezifischen Volumens und ihrer Oberflächenkrümmungen. Aus den Ergebnissen werden Durchschnittswerte errechnet, die eine ausreichende morphologische Kongruenz für die Einzelfallanwendung gewährleisten können (Abb. 3, 4).
Der 3-D-Scan eines OK-Prämolaren verdeutlicht, dass sich die Bukkalfläche anstelle einer konstanten Wölbung aus mehreren Krümmungsbahnen zusammensetzt. Die Oberflächenkrümmung verändert sich dabei in horizontaler und vertikaler Richtung. Für den Prämolaren bedeutet das, dass der Radius von mesial nach distal abnimmt, wohingegen er sich in okkluso-gingivaler Richtung kontinuierlich vergrößert (Abb. 4a, b). Der 3-D-Scan der Basis des für diesen Zahn vorgesehenen Brackets (Abb. 5) zeigt eine stark gekrümmte Unterseite (vertikaler Schnitt). Diese Inkongruenz führt beim Bonding zu einer mangelnden Passgenauigkeit auf der Zahnoberfläche, was durch eine ungleichmäßige Kompositschicht unter der Basis ausgeglichen werden müsste.
Nach Übertragung der Messergebnisse für den OK-Prämolaren in die Gauss’sche Normalverteilung (Abb. 6), zeigte sich bei 53% aller gemessenen Zähne eine optimale Passung. 30% wiesen hingegen einen kleinen Hohlraum zwischen Zahnoberfläche und Bracketbasis auf. Hier lag die Basis lediglich auf den Mesial- und Distalkanten auf. Bei 17% aller gemessenen Zähne konnte noch immer eine leichte Tendenz zum Kippeln beobachtet werden.
Auf Grundlage der Ergebnisse dieser Studie wurde für das BioQuick®-Bracket (3. Generation des Quick®-Systems) eine neue, biologisch angepasste Basis entwickelt (Abb. 7), welche sich durch ihre anatomische Konturierung optimal der Zahnkronenform anpasst und eine sichere Positionierung der Brackets ermöglicht.
Klinische Anwendung
Wie die Erfahrung zeigt, waren aus klinischer Sicht – sofern es beim Andrückvorgang tatsächlich zum Kippeln der Brackets kam – in der Regel die Unterkieferfrontzähne von leichten Abweichungen hinsichtlich der gewünschten optimalen Zahnstellung betroffen. Diesem Effekt konnte aufgrund der anatomisch angepassten Basis nun entgegengewirkt werden. Das Behandlungsbeispiel (Abb. 8 bis 11) zeigt einen 16-jährigen Patienten mit Klasse III-Tendenz, Engstand in der unteren Front, offenem Biss sowie hypoplastischen oberen 2ern.
Diskussion
Der klinische Einsatz selbstligierender Brackets ist keinesfalls frei von Problemen, sondern weist vielmehr ebenso Schwachstellen auf, wie diese auch bei Anwendung konventioneller Systeme auftreten. Klinische Erfahrungen sowie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die in der Regel mit der Anwendung von SLB suggerierten Vorteile tendenziell nicht mit der Realität des Praxisalltags übereinstimmen. Mithilfe beschriebener Studie wurde versucht, die anatomisch perfekte Passung für Bracketbasen zu definieren, sodass etwaiges Kippeln von Brackets beim Andrückvorgang und daraus resultierende Ungenauigkeiten und klinische Folgeerscheinungen von vornherein vermieden werden können.
* durchgeführt in Zusammenarbeit der Klinik für Kieferorthopädie der Universität des Saarlandes, der Praxis Dr. Björn Ludwig & Dr. Bettina Glasl in Traben-Trarbach sowie der Firma FORESTADENT, Pforzheim.
** Fa. FORESTADENT, www.forestadent.com