Kieferorthopädie 21.02.2011

„Praktiker muss den Herstellerangaben vertrauen“

Mithilfe eines neuartigen Veredlungsprozesses kann die Oberflächenrauheit kieferorthopädischer NiTi- und ß-Titan-Drähte deutlich reduziert werden. Unerwünschte Kraftverluste aufgrund von Friktion können somit erheblich vermindert werden (wir berichteten in Ausgabe 4/2010). Wissenschaftler der Universitäten Köln und Bonn haben dieses neue Verfahren umfassend getestet. KN sprach hierzu mit Univ.-Prof. Dr. Bert Braumann, dem Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie des Universitätsklinikums Köln.

Gibt es ein internationales oder nationales Zusammenspiel von Hochschulen, um einen Standardtest zur Ermittlung von Friktionswerten bei Brackets/Bögen aufzustellen?

Ja, hier spielt der Arbeitsausschuss „Kieferorthopädische Produkte“ des „Normenausschusses Dental“ (eine Gruppierung des „Deutschen Instituts für Normung e.V.“ [DIN]) eine entscheidende Rolle. Er setzt sich aus Experten verschiedener Hochschulen Deutschlands und Vertretern der Industrie zusammen. Alle erarbeiteten Standards dieser Normungsgemeinschaft sind wiederum Grundlage für die internationale Zusam­men­arbeit auf wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene.



Oberflächenbeschaffenheit des unbehandelten Euro NiTi (links) und des vergüteten Euro NiTi LF (rechts), (1.000-fache Vergrößerung).



Oberflächen des unvergüteten ß-Titan-Drahtes (links) und oberflächenveredelten ß-Titan LF (rechts), (1.000-fache Vergrößerung).

Was raten Sie dem Prak­tiker zur Beurteilung von SL-Brackets und Bögen? Wie kann er sich im „Dschungel von Versprechungen“ der Industrie zurechtfinden, wenn es keinen Standard der Prüfung von Reibung und Kraft gibt?

Für kieferorthopädische Produkte und speziell für Brackets und Drahtmaterialien gilt: Der Praktiker kann sich dann auf die Deklaration der physikalischen Parameter verlassen, wenn diese nach ISO oder DIN erfolgt ist. Oft sind es besonders preiswerte Produkte, bei denen die Hersteller auf entsprechende Angaben verzichten. In diesem Zusammenhang sind jedoch häufig klinisch relevan­te, qualitative Schwankungen zwischen den einzelnen Chargen zu beobachten. Dies trifft insbesondere für die Angaben der Kräfte zu. Für die Reibungswerte gibt es tatsächlich keine verbindlichen Messvorschriften. Hier muss sich der Anwender umfassend in der wissenschaftlichen Literatur informieren. Aber leider ist es so, dass auch hier eine sehr große Varia­bilität der Ergebnisse zu finden ist, denn bereits geringe Unterschiede in den Mess­methoden können zu ganz un­terschiedlichen Reibungswerten führen. Diese sind dann physikalisch gesehen oft vollkommen wertlos.

Wenn Sie nur eine Wahlmöglichkeit hätten, in was würden Sie – im Hinblick auf die Reibung – investieren: in ein „Hightech-Bracket“ oder einen „Super-Bogen“? Oder kann man das nicht voneinander trennen?

Letzteres ist richtig. Im Hinblick auf die Reibung ist das Zusammenspiel zwischen Bracket und Bogen sehr komplex und eher nicht losgelöst voneinander zu betrachten. Vor diesem Hintergrund ist die Wahl des idealen Behandlungssystems auch immer von der Behandlungsaufgabe und den ästhetischen Ansprüchen unserer Patienten abhängig.

Werden Sie mit Ihrer Arbeitsgruppe auch einen Vergleich von SLB-Systemen und Bögen der auf dem Markt befindlichen Systeme durchführen und deren Ergebnisse den Kollegen zur Verfügung stellen?

Diese Informationen gibt es bereits. Ich verweise diesbezüglich auf eine sehr gelungene Übersichtsarbeit der Arbeitsgruppe aus Bonn, die bereits 2007 gerade die Friktion bei der bogengeführten Zahnbewegung besonders un­ter die Lupe genommen hat (Bourauel, C. et al. 2007 Inf. Orthod Kieferorthop 2007; 39:18–26). Aber auch andere Arbeitsgruppen haben hierzu schon umfassend publiziert, zum Teil leider mit den oben genannten widersprüchlichen Ergebnissen.

Wird das neue Verfahren Einzug in die Praxis halten bzw. auch wirtschaftlich erschwinglich sein?

Ja, die oberflächenvergüteten Nickel-Titan-Drähte wurden soeben erstmalig zum AAO-Kongress in Washington von der Firma ODS den Praktikern vorgestellt. Sie werden zunächst auf dem US-Markt zu erwerben sein. Bei der Preisgestaltung hat man sich hierbei an hochwertigen Produkten anderer Hersteller orientiert. Etwas Geduld muss man jedoch noch bis zur Serienreife und Markteinführung der TMA-Bögen aufbringen.

Dieses Verfahren verändert die Eigenschaften von Bögen nicht negativ, sondern verringert nur die Reibung. Kann ein Praktiker erkennen, wenn er eine qualitativ schlecht behandelte und Eigenschaftsveränderungen hervorrufende Oberfläche vorliegen hat? Oder ist das eine Frage des Vertrauens in die Herstellerangaben?

Nein und ja – und hier schließt sich der Kreis. Nein, der Praktiker kann schlecht behandelte Oberflächen nicht erkennen. Und ja, er muss den Herstellerangaben vertrauen. Er kann das jedoch, wenn die Deklarationen nach DIN und ISO erfolgt sind.

Haben Sie vielen Dank.


Mehr Fachartikel aus Kieferorthopädie

ePaper