Kieferorthopädie 21.02.2011

„Wir dürfen nicht von Herstellern abhängig sein“

Im Rahmen des diesjährigen AAO-Kongresses referierten Prof. Dr. Giuseppe Scuzzo und Prof. Dr. Kyoto Takemoto über die Vorteile des neuen STbTM Light Lingual Systems. KN traf die beiden Kieferorthopäden in Washington zum Interview.

Wie lange verwenden Sie bereits das neue STbTM Light Lingual System?

Scuzzo: Das eigentliche Konzept, die linguale Straight-Wire-Technik (LSW), wurde bereits 1995 entwickelt, 2003 folgte dann das STbTM-Bracket. Mit dem neuen STbTM Light Lingual System arbeiten wir nun seit rund 2,5 Jahren in unserer Praxis. Wir haben dieses neue Bracket hauptsächlich zum Zwecke eines höheren Patientenkomforts entwickelt, da die bisherige Variante einfach zu un­bequem war. Wir kreierten eine neue Apparatur, welche dem alten Konzept der lin­gualen Straight-Wire-Technik mit einigen Modifikationen folgt. Und das funktioniert bislang recht gut, jedoch bedarf es – wie bei jedem anderen Bracketsystem auch – noch weiterer Präzisierungen und Überarbeitungen.

Welches sind die Haupt­indikationen in Ihrer Praxis?

Scuzzo: Je einfacher ein System zu handhaben ist, desto weniger Stuhlzeit be­nötige ich und desto mehr Patienten können am Tag mit wenig Aufwand behandelt werden. Dieser Fakt stellte für uns die Hauptindikation bei der Entwicklung des neuen STb Light Lingual Brackets dar. Aus klinischer Sicht gibt es keinerlei Einschränkungen bei der Behandlung von Malokklusionen.

Takemoto: Ich habe über 7.000 Fälle lingual behandelt. Als ich 1983 begann, gab es jedoch noch zahlreiche biomechanische Nebenwirkungen zu verzeichnen. Heute hingegen gibt es keinerlei Indikationseinschränkungen mehr.

Wie verhält es sich hinsichtlich Bracketverluste?

Takemoto: Wir verzeichnen sehr geringe Verlustraten, da wir bei Anwendung unseres Kommon base-Systems einen speziellen Kleber verwenden. Es handelt sich hierbei um ein neues Material aus Japan, welches selbst auf feuchten Oberflächen sehr gut haftet. Insofern stellen Bracketverluste für uns kein Problem dar.

Scuzzo: Wir betrachten Klebeverluste schon seit vielen Jahren nicht mehr als Problem. Da nahezu alle Firmen ihr Klebematerial deutlich verbessert haben, ist dieses heutzutage – egal von welchem Anbieter – nahezu dasselbe.

Takemoto: Wie erwähnt, arbeiten wir mit Kommon base, einer von Komori im Jahre 2008 entwickelten indirekten Klebemethode. Bei diesem System erlaubt eine anatomische Erweiterung aufgrund eines Kunstharzplättchens zwischen Bracketbasis und Zahnoberfläche die Individualisierung der lingualen Brackets. Viele Lingualsysteme verwenden Übertragungstrays bzw. individuelle oder einzelne Trays.

Scuzzo: All diese Trays sind jedoch beweglich. Jedes Silikon- bzw. weiche Material beeinflusst die Bracketposition. Das heißt, auch wenn Sie im Laborprozess noch so exakt arbeiten, können Sie beim Kleben der Brackets genauso ungenau sein. Insofern können Sie letztlich sämtliche Präzision aufgrund eines unzuverlässigen Transfermaterials verlieren.

Takemoto: Wurde das Bracket versehentlich falsch positioniert, kann es mithilfe von Kommon base direkt in eine korrekte Position gebracht werden. Sie können dies selbst erledigen, indem Sie wie gewohnt das manuelle System mit Positionierungs-Jig benutzen.

Scuzzo: Die Botschaft, die wir mit unserem Vortrag hier beim AAO in Washington – neben der Vorstellung des Systems – vermitteln wollten, ist, dass wir alle lingual behandelnden Kieferorthopäden so unabhängig wie möglich machen wollen. Natürlich brauchen wir die herstellenden Firmen hinsichtlich Brackets, Bögen etc. auch weiterhin. Jedoch dürfen wir nicht von den Herstellern abhängig sein. Das ist der wichtigste Aspekt.

Welche Bögen bevorzugen Sie?

Takemoto: Wir verwenden hauptsächlich Vierkant-NiTi-Bögen. Sogenannte Standardbögen benutzen wir nicht, da sie zu starke Kräfte für den Patienten bedeuten würden. In der lingualen Orthodontie können die applizierten Kräf­te – insbesondere im unteren Frontzahnbereich – dreimal so hoch wie bei Anwendung der labialen Technik sein. Sie sind einfach zu stark, was sich im Interbracketabstand zeigt.

Gibt es Ihrer Meinung nach noch Indikationen für die Verwendung von Mushroom-Bögen?

Scuzzo: Möglicherweise Eckzahn-Extraktionen oder mitunter fehlende laterale Inzisivi.

Takemoto: Ja, bezüglich fehlender lateraler Inzisivi hatte ich einen Fall. Was jedoch schwierig ist, sind fehlende Eckzähne, da hier umfang­reichere Ausgleichsbiegungen erforderlich sind.

Verwenden Sie auch andere Systeme?

Scuzzo: Natürlich benutzen wir hauptsächlich unser System, jedoch haben wir auch all die anderen probiert, um einen Vergleich zu bekommen.

Takemoto: Doch jetzt verwenden wir insbesondere die in­dividualisierten SL-Brackets mit Vierkant-Slot.

Wann wird diese selbst­ligierende STb-Variante erhältlich sein?

Scuzzo: Anfang nächsten Jahres. Wir möchten das SL-Bracket gern beim World Lingual Congress im April 2011 in Osaka/Japan vorstellen.

Und dieses wird einen Vierkant-Slot haben?

Scuzzo: Ja, um die Nachteile des vertikalen und horizon­talen Slots zu kompensieren. Beide Systeme weisen neben ihren Vorteilen auch Nachteile auf – der vertikale Slot bezüglich Kontrolle des Tippings, der horizontale hinsichtlich Rotationskontrolle. Wir haben eine klinische Studie durchgeführt, welche vie­le Vorteile hinsichtlich eines horizontalen, aber auch ver­tikalen Slots aufzeigte. Ich glaube, wir haben hier etwas den bisherigen Standard geändert.

Takemoto: Auch hat bislang niemand die Slotgröße erwähnt. Auch diese wollten wir im Sinne des Patienten ändern.

Scuzzo: Es wurden einige Artikel publiziert, die aufzeigen, dass es einen Grund dafür gibt, warum Kieferorthopäden einen horizontalen Slot verwenden. Und zwar weil sie es nicht besser wissen. Mehr oder weniger aus Tradition, weil sie es so auf der Uni gelernt haben. Wir jedoch glauben – und natürlich ist das unsere ganz persönliche Meinung –, dass wir mithilfe dieses Vierkantslots vieles für den Kliniker verbessern konn­ten.

Takemoto: Gerade bei passiven SL-Brackets ist der horizontale Slot von großer Bedeutung.

Scuzzo: Ja, das stimmt. Beim aktiven System kann man jederzeit die Slotgröße ändern. Die meisten der aktiven SL-Systeme – egal ob lingual oder labial – weisen einen Clip auf. Da dieser flexibel ist, kann mit dessen Hilfe jederzeit die Slotdimension je nach Größe des Bogens geändert werden. Und wir wollten die Größe einfach beibehalten.

Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

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