Parodontologie 10.09.2013

Kardiovaskuläre Erkrankungen und Parodontitis



Kardiovaskuläre Erkrankungen und Parodontitis

Foto: © Robert Kneschke, Sebastian Kaulitzki - beide Fotolia.com

Gelingt es, zu beweisen, dass durch parodontale Behandlung eine Verbesserung der Gefäßerkrankungen zu erreichen ist, wäre das ein wichtiger Therapieansatz für die demografisch gesehen stetig älter werdende Bevölkerung. Von Dr. Behrouz Arefnia und Univ.-Doz. Prof. Dr. Gernot Wimmer, Medizinische Universität Graz

Atherosklerotische vaskuläre Erkrankungen sind weltweit die häufigste Todesursache. Etwa 30 Prozent aller Todesfälle sind Folge einer Atherosklerose. In Österreich führen die Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems deutlich und mit großem Abstand die Statistiken der Todesursachen mit über 40 Prozent (Krebserkrankungen als zweithäufigste mit 26 Prozent) an (Abb. 1) und nehmen mit steigendem Alter am raschesten zu (Abb. 2). In der Schweiz liegen besonders deutlich in der älteren Bevölkerung die Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Todesursache an erster Stelle (Abb. 3).2 Wenn man, aufgrund mangelnder Daten aus Österreich, die Prävalenz der Parodontitis anhand epidemiologischer Erhebungen aus Deutschland heranzieht, ist festzustellen, dass in der Altersgruppe der Senioren die Anzahl der parodontal erkrankten Menschen unverkennbar ansteigt (Abb. 4).3 Regionale Erhebungen aus der Schweiz konnten zeigen, dass fortgeschrittener Attachmentverlust und erhöhte Sondierungstiefen vor allem in den älteren Bevölkerungsschichten auftreten.4,5 Konkludierend könnte man sagen, dass mit zunehmendem Alter die Anzahl der Prävalenz der Parodontitis und kardiovaskuläre Erkrankungen als Todesursache Nummer 1 ansteigt. Der Verdacht, dass beide Erkrankungen nicht nur nebeneinander koexistieren, sondern sich auch wechselseitig beeinflussen, erhärtet sich mit zunehmendem Verständnis ihrer Ätiopathogenese.


Abb. 1: Todesursachen Österreich (Vollansicht)

Auch sozioökonomisch ist dieser Krankheitskomplex eine große gesellschaftliche Belastung. Schätzungen in den USA aus dem Jahre 2008 berechnen direkte und indirekte Kosten aufgrund von atherosklerotischen vaskulären Erkrankungen auf 298 Milliarden US-Dollar.6 Zum Vergleich betrug das Bruttoinlandsprodukt in Österreich im Jahr 2008 281,9 Milliarden Euro.7


Abb. 2: Prozentverteilung Todesursachen Österreich (Vollansicht)

Die Beziehungen zwischen vielen sog. systemischen Erkrankungen und Erkrankungen des Zahnhalteapparates werden in den letzten Jahren immer besser untersucht. Dabei stützt sich die Theorie, dass beide Krankheitskomplexe miteinander korrelieren können, auf eine stetig breitere Zustimmung in der rezenten Literatur und wurde durch Metaanalysen durchaus bestätigt.8,9

Entzündung als bindendes Glied

Atherosklerotische Veränderungen, welche das Herz und die Blutgefäße betreffen, sind ursächlich für ischämische Herzerkrankungen, zerebrovaskuläre Erkrankungen und periphere vaskuläre Erkrankungen. Begünstigend für die Entwicklung von atherogener Plaque in den Gefäßen sind neben den durch Cholesterin induzierten Mechanismen auch inflammatorische Prozesse. Es kann jedoch nicht von einem einfachen, konsequenten Zusammenhang zwischen der Entzündung des Parodonts und des Vorhandenseins von vaskulären Veränderungen ausgegangen werden; die Vorgänge, wie sich diese beiden multifaktoriellen Volkskrankheiten beeinflussen, sind durchaus komplex.


Abb. 3: Todesursachen Schweiz. Quelle: Statistik Austria, www.statistik.gv.at, Stand: 14. Mai 2013 (Vollansicht)

Atherogenesis durch Entzündung
Endotheliale Dysfunktion ist eine der ersten Anzeichen für eine atherosklerotische Veränderung. Endothelzellen reagieren auf entzündliche Stimuli mit der Ausbildung von bestimmten Adhäsinen (ICAM-1, VCAM-1 etc.), welche die Anlagerung von Leukozyten an die Zellwand ermöglichen.10 Das Eindringen von Leukozyten in die Gefäßintima wird begünstigt durch das Vorhandensein von Matrixmetalloproteinasen (MMP-9). Durch die Ausbildung und das Vorhandensein von Makrophagen, welches durch Makrophagen stimulierende Faktoren (M-CSF) induziert wird, kommt es zur Ausschüttung einer Reihe von proinflammatorischer Zytokine (IL-1 beta, TNF-alpha), die das lokale entzündliche Geschehen verstärken. Lipide, welche in das Zytoplasma der Makrophagen aufgenommen werden, führen zur Ausbildung sogenannter Schaumzellen. Nach dem Absterben der „foam cells“ verbleiben Lipide in der Gefäßintima und können dort akkumulieren.11 Diese Prozesse sind begünstigend für die Ausbildung atherosklerotischer Veränderungen und ungünstig für die Endothelfunktion.


Abb. 4: Entwicklung von mittelschweren und schweren Parodontalerkrankungen sowie Zahnverlusten bei 65- bis 74-jährigen Senioren von 1997 bis 2005. Quelle: BZÄK (Vollansicht)

Interaktion zwischen parodontopathogenen Keimen und Endothelzellen
Die parodontale Tasche bietet vor allem anaeroben Keimen einen Ort, wo sie geschützt vor körpereigenen Abwehrmechanismen und mechanischen bzw. antibakteriellen Reizen proliferieren und interagieren können. Jedoch kommt es vor allem durch Mastikation und mechanischer Irritation (Zähneputzen, Mundhygiene) immer wieder zur Aussaat parodontaler Keime in den Körper. Ein möglicher Translokationsmechanismus in den Gefäßkreislauf über die Lymphbahnen wird diskutiert.12

Der Nachweis von Parodontitisleitkeimen in atherogener Plaque wurde mehrfach in der Literatur bestätigt. Pathogene Keime infiltrieren humanes Gewebe, um sich der Immunabwehr zu entziehen, und Gewebe-Invasion ist ein häufiger Virulenzfaktor vieler krankheitserregender Keime.

Besonders gut untersucht hinsichtlich seiner Interaktion mit Endothelzellen ist der parodontopathogene Erreger Porphyromonas gingivalis. Infektion mit P. gingivalis führt zu einer Reihe von bereits oben genannter Entzündungsprozesse, wie etwa Monozyten-/Makrophagenmigration und Ausbildung proinflammatorischer Zytokine,13 welche die Endothelfunktion empfindlich stören können.

Einfluß von Parodontaltherapie auf kardiovaskuläre Erkrankungen
In einem erst kürzlich von der American Heart Association (AHA) publizierten Statement wurde festgestellt, dass anhand der Studien der letzten 30 Jahre bis heute kein kausaler Zusammenhang zwischen Parodontitis und Herz-Kreislauf-Erkrankungen beweisbar ist.14 Jedoch erhärtet sich immer mehr der Verdacht, dass entzündliche Prozesse eine Schlüsselrolle spielen bei der Entstehung von atherosklerotischen Veränderungen. Parodontitis, eine (meist) chronisch verlaufende, bakterieninduzierte entzündliche Erkrankung, hat sehr viele gemeinsame Risikofaktoren mit kardiovaskulären Erkrankungen. Die prominentesten und am besten untersuchten sind klassische Risikofaktoren wie Rauchen, Alter, Diabetes, Bluthochdruck, Geschlecht, sozioökonomischer Status und Übergewicht.

Oben genanntes Statement der AHA kritisiert aber nicht den Effekt der Parodontaltherapie auf die Gefäßerkrankungen; sie fordern vielmehr neue, gut durchgeführte und geplante Studien, welche den Einfluß der Parodontalbehandlung auf die Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems besser verständlich machen könnten. In der Vergangenheit konnte gezeigt werden, dass die Parodontalbehandlung erkrankter Patienten einen positiven Einfluß auf die Gefäßfunktion und eine signifikante Abnahme von C-reaktiven Proteinkonzentrationen im Blutserum hat.15 Interessant ist die Tatsache, dass unmittelbar nach der Parodontaltherapie eine akute, kurz andauernde entzündliche Reaktion im Körper ausgelöst wird.16 Jedoch bringt die verringerte entzündliche Belastung im Mund zumindest mittelfristig eine Verbesserung der endothelialen Funktion.

Parodontalbehandlung und Verringerung der Gefäßentzündung bei Patienten mit peripheren arteriellen Verschlußkrankheiten (PAVK) – eine Grazer Studie
Bis heute gibt es jedoch lediglich eine einzige multizentrische randomisierte Pilotstudie, welche die Durchführbarkeit einer größer angelegten Studie zum Einfluß von Parodontaltherapie auf vaskuläre Ereignisse untersucht hat.17 Die Autoren kommen zur Schlußfolgerung, dass, wenn angemessene Rekrutierungsmaßnahmen angewendet werden, die Durchführung solch einer Studie durchaus Sinn macht. So kam es dazu, dass angeführt von der klinischen Abteilung für Angiologie, unter der Mitwirkung der klinischen Abteilungen für Zahnersatzkunde, Nuklearmedizin und medizinisch-chemischer Labordiagnostik der Medizinischen Universität Graz, ein Projekt gestartet hat, welches den Einfluss parodontaler Therapie auf die Entzündungen in Gefässen bei Patienten mit einer PAVK untersucht.

Die Rekrutierung der Patienten wird seitens der klinischen Abteilung für Angiologie sichergestellt. Es werden nach sorgfältiger Überprüfung der Einschlußkriterien 90 Patienten in drei Therapiearmen eingeschlossen. Umfassende internistische Voruntersuchungen sind Voraussetzung für eine Vorstellung an der Grazer Zahnklinik, wo in einem Screeningverfahren wiederum zahnmedizinisch anamnestisch die Einschlußkriterien für die Zulassung zur jeweiligen Therapiegruppe geprüft werden. Wenn alle Kriterien geprüft und erfüllt sind, wird der/die Patient/-in, nach umfangreicher Aufklärung und Einweisung in das Studienprocedere, einer jeweiligen Therapiegruppe mittels PC-gestützter Randomisierung zugeteilt. Ein detaillierter Parodontalstatus aller Patienten der Therapiegruppen wird von einer einzigen, kalibrierten, geblindeten Fachkraft erhoben. Es werden unter Zuhilfenahme von elektronisch unterstützten druckkalibrierter Sonden folgende Parameter an sechs Stellen des Zahnes erhoben:

  • Vorhandensein/Fehlen von Plaque
  • Vorhandensein/Fehlen von Blutung auf Sondierung
  • Vorhandensein/Fehlen von Suppuration
  • Sondierungstiefe
  • gingivale Rezessionen und
  • klinischer Attachmentverlust.

Die Parodontaltherapie wird von einem einzigen, ebenfalls geblindeten Behandler durchgeführt. Es erfolgt eine nicht chirurgische Standardtherapie mit supragingivalem Scaling und Polieren und eingehenden Mundhygiene-Instruktionen. In einer oder zwei weiteren Sitzungen wird eine one stage full mouth disinfection (OSFMD) nach genauem Protokoll18,19 durchgeführt, und der Patient bzw. die Patientin wird angehalten, für zwei Monate nach der letzten Behandlungssitzung zweimal täglich mit 0,2 % Chlorhexidin- Lösung zu spülen.

Jeder Patient der Therapiegruppe wird unmittelbar vor der ersten und nach der letzten Parodontaltherapiesitzung einer Ganzkörper-Fluorodeoxyglucose Positron-Emissions-Tomografie und Computertomografie (FDG-PET/CT) unterzogen. Diese Technologie erlaubt die gleichzeitige Beurteilung metabolischer (FDG-PET) und morphologischer Begebenheiten. Die Anwendung von FDG-PET bzw. FDG-PET/CT zur Tumorfindung bzw. Staging in der Zahnheilkunde ist eigentlich die Domäne des MKG-Chirurgen. Es konnte jedoch bereits gezeigt werden, dass auch entzündetes Parodontalgewebe vermehrt radiologisch markierte Glukose speichert und ein Zusammenhang zu atherosklerotisch veränderten Gefässen besteht.20 So ist es sehr elegant möglich, Entzündungen im Parodont und in peripheren Gefäßen gleichzeitig „sichtbar“ zu machen. Ziel soll es schließlich sein, zu zeigen, dass eine Parodontaltherapie die Aufnahme der FDG im Parodont und in den peripheren Gefäßen vermindert. Zusätzlich werden von allen Patienten vor bzw. nach der Therapie Proben aus der parodontalen Tasche bzw. dem Sulkus genommen, um auch ein besseres Verständnis der mikrobiologischen, sprich bakteriellen Veränderungen zu bekommen.

Das probateste Mittel zur Diagnose von Entzündungen im Parodont im klinisch-praktischen Alltag stellt nach wie vor das Vorhandensein bzw. die Abwesenheit von Blutung auf Sondierung dar. Sicherlich ist der Nachweis der Entzündung mittels aufwendigen radiologischen bzw. nuklearmedizinischen Technologien nicht für die Standardtherapie geeignet. Es könnte jedoch sehr schön zeigen, ob bzw. welchen Einfluß die Therapie der Parodontitis auf Gefäßebene hat.

Konklusion
Kardiovaskuläre Erkrankungen und Parodontitis sind beide mitunter die häufigsten Erkrankungen der Welt. Sie teilen sich nicht nur eine Reihe von Risikofaktoren, es gibt auch immer mehr Beweise dafür, dass sie sich in ihrer Entstehung gegenseitig beeinflussen. Wenn es gelingt zu beweisen, dass durch parodontale Behandlung eine Verbesserung der Gefäßerkrankungen zu erreichen ist, wäre das sicherlich ein guter Therapieansatz in der Bevölkerung, die demografisch gesehen immer älter wird und damit die Prävalenz und Inzidenz beider Krankheiten immer weiter ansteigt.

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