Parodontologie 14.03.2016
Parodontologie und Ästhetik – ein Widerspruch?
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Im privaten wie auch im beruflichen Bereich spielt der Gesamteindruck eines Menschen, sein Aussehen, seine Ausstrahlung eine entscheidende Rolle, trägt zum Erfolg nicht unwesentlich bei und wird als soziale Kompetenz eines Menschen angesehen. Der Mund und damit die Zähne und das Zahnfleisch stehen als integraler Bestandteil eines ästhetischen und harmonischen Gesichtes im Mittelpunkt.
Kein Wunder, dass unsere Patienten nicht nur zur Wiederherstellung der Kaufunktion oder zur Schmerzbehandlung zu uns kommen, sondern auch zunehmend mit dem Wunsch nach „schönen“ Zähnen als Ausdruck von Vitalität und Sympathie. Auch wenn Ästhetik subjektiv ist, existieren insbesondere für die Zahnmedizin kulturell wirkmächtige Konventionen.
Die grundlegenden Richtlinien der dentalen Ästhetik oberer Frontzähne wurden von Hajtó et al. ausführlich beschrieben.1-3 Doch bei der Wiederherstellung der Ästhetik nur auf Form und Farbe der Zähne zu achten hieße, die Komplexität der Ästhetik zu vernachlässigen; denn für eine orale Harmonie und befriedigende ästhetische Ergebnisse gilt es, auch die Optik und den Verlauf der Gingiva zu berücksichtigen.
Minimalinvasive Behandlungsstrategie
Außer der Verhinderung parodontaler Erkrankungen durch eine adäquate, individuelle Prophylaxe und eine frühzeitige Diagnostik bei Vorliegen derselben, ist die einfachste und kostengünstigste Strategie, die der Vermeidung von ästhetischen Defiziten durch einen schonenden und minimalinvasiven therapeutischen Ansatz. Neueste Erkenntnisse über die Entzündungsmechanismen und Wechselwirkungen zwischen oralen Entzündungen haben zu verbesserten und vor allem schonenderen Behandlungsstrategien geführt. So geht man heute in der Regel zunächst geschlossen vor (Abb. 1 bis 3) und erreicht durch die antiinfektiöse Therapie mit Instrumentierung der Zahnoberflächen eine bioakzeptable Oberfläche und so ein epitheliales oder neues bindegewebiges Attachment.4 Systemische Antibiotika, Antiseptika und/oder eine subgingivale Applikation von Antibiotika, Antiseptika – vor allem in der UTP5 sinnvoll – unterstützen schonende Strategien.
Knochenregeneration
Bei größerem Knochenverlust, besonders in Form von Knochentaschen, kann das regenerative Potenzial des menschlichen Knochens durch verschiedenste Knochenersatzmaterialien und Techniken unterstützt werden. Hier kommen natürliche (autogene, allogene und xenogene Materialien) oder synthetische Knochenersatzmaterialien in Betracht.6 Synthetische Knochenersatzmaterialien haben sich enorm weiterentwickelt und haben den Vorteil, beliebig zur Verfügung zu stehen. Jedoch stehen sie den natürlichen Materialien in den meisten Indikationen nach.6 Die gesteuerte Geweberegeneration mit resorbierbaren und nicht resorbierbaren Membranen zeigt konduktive Eigenschaften, das postoperative klinische Bild wird durch mikrochirurgisches Vorgehen mit optischen Vergrößerungshilfen, die ein sehr präzises Vorgehen und eine möglichst atraumatische Behandlung des Gewebes erlauben, verbessert.
Ästhetische Parodontalchirurgie
Doch trotz schonendem Vorgehen kann eine Parodontalerkrankung und/oder erfolgreiche Therapie, die die Lebensqualität nachweislich steigert,7 ihre Spuren hinterlassen. Je nach Schweregrad der Parodontitis, insbesondere beim approximalen Knochenabbau, können Rezessionen fazial, oral und approximal auftreten. Die ästhetische mukogingivale Chirurgie oder auch plastische Parodontalchirurgie widmet sich diesen ästhetischen Störungen. Hierzu gehören die Therapie der Gingivarezessionen ebenso wie die Augmentation oder Formkorrektur der Gingivadicke, kurz: die Rekonstruktion von natürlichem Weichgewebsvolumen in Farbe und Textur sowie der Korrektur des dazugehörigen parodontalen Knochens in Position und Volumen.
Zunächst gilt es – gemeinsam mit dem Patienten – die Art der mukogingivalen Störung der Ästhetik festzustellen. Idealerweise gelten folgende Aspekte: Die inzisalen dreieckigen Öffnungen zwischen den Zähnen (inzisale Embrasuren) nehmen in ihrer Größe nach distal hin zu. Die Interdentalräume sind geschlossen. Der Gingivaverlauf ist symmetrisch und verläuft annähernd auf einem Niveau oder insgesamt leicht gekrümmt und ausreichend breit. Die Papillen füllen die Zahnzwischenräume vollständig aus. Die Länge der Papillen nimmt nach distal hin ab.1–3 Durch Farbe und Oberflächenstruktur vermittelt die Gingiva einen gesunden Eindruck. Der Verlauf der Lachlinie wird als ideal empfunden, wenn sie etwa 1 mm oberhalb der marginalen Gingiva verläuft, mehr als 3 mm werden häufig als störend empfunden.8
Eine der häufigsten ästhetischen Störungen ist die faziale Gingivarezession mit traumatischer Ätiologie (Piercing, Zahnseide, Zahnputztechnik).9 Abbildung 4 zeigt eine durch Zahnputztrauma verursachte Rezession mit Spaltenbildung und Verlust von befestigter Gingiva. Die Prognose von Rezessionen ist abhängig von der Position der Rezession, von ihrer Ausdehnung und dem approximalen Attachment (Klasse I bis IV).10 Eine vollständige Wurzeldeckung kann bei der Klasse I und II erzielt werden.
Bei singulären Rezessionen ist ein Bindegewebstransplantat mit koronalem oder lateralem Verschiebelappen üblich. Bei multiplen Rezessionen wird ein koronaler Verschiebelappen mit einem Bindegewebstransplantat als ein- oder auch zweizeitige Technik mit einem Lappendesign, das sich nach der Größe der Rezessionen, dem Ausmaß an keratinisiertem Gewebe, der Position, der Insertion von Frenula und der Tiefe des Vestibulums richtet, empfohlen.9 In Bezug auf die Neubildung von Alveolarknochen weist die zusätzliche Anwendung von Schmelz-Matrix-Proteinen, vor allem in Bezug auf eine höhere Stabilität der Gingiva, Vorteile gegenüber dem konventionellen Verschiebelappen auf (Abb. 5 und 6).11–13 Neben den klassischen Verschiebelappen finden auch inzisionsfreie Techniken ohne vertikale Entlastungsinzisionen zur Deckung multipler Rezessionen ihre Anhänger. Dieser Verzicht von Entlastungsinzisionen führt zu einer verbesserten Blutversorgung von Lappen und Transplantat (Abb. 7).14
Mit einem autologen Bindegewebstransplantat kann eine Gingivaverdickung zur Stabilisierung des Weichgewebes erreicht werden. Aber auch dunkel durch die Gingiva schimmernde endodontisch behandelte Wurzeln werden hierdurch maskiert.15 Hereditär oder medikamentös verursachte Gingivahyperplasien können nicht nur ästhetisch, sondern auch funktionell stören, ihre Behandlung ist anspruchsvoll und muss multidisziplinär sein. Hilfreich ist das nach Camargo et al. modifizierte empirisch basierte Therapieschema.16 Ästhetische Kronenverlängerungen unter Berücksichtigung der Breite der keratinisierten Gingiva sind ein Mittel der Wahl, wenn der Gingivaverlauf zweier benachbarter Zähne, insbesondere der beiden mittleren Inzisivi unregelmäßig ist.17
Papillenverluste, sog. „schwarze Dreiecke“ beeinträchtigen die Ästhetik im Frontzahnbereich beträchtlich und können häufig auch die Phonetik stören („feuchte Aussprache“). Chirurgische Papillenrekonstruktionen in vertikaler Richtung sind nach klinischer Erfahrung nicht vorhersagbar, aber bei horizontalen Gewebedefiziten lässt sich die Ästhetik durch ein autologes Bindegewebstransplantat verbessern. Einfacher ist das optische Kaschieren durch restaurative in Kombination mit parodontalchirurgischen und orthodontischen Behandlungsmaßnahmen. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Herstellung einer flexiblen Gingivaepithese, die aus weichbleibendem und biokompatiblem Silikonmaterial hergestellt wird.18 Durch die Nutzung der Interdentalräume als Retentionsmöglichkeiten ist ein optimaler Halt gewährleistet. Die Optik ist überzeugend (Abb. 8 und 9), der Nachteil ist jedoch, dass sie zum Reinigen herausgenommen werden muss. Kleinere Papillenverluste können mit Hyaluronsäure kompensiert werden (Abb. 10).
Neben der Hyaluronsäure hat auch Botulinumtoxin in der ästhetischen Parodontalchirurgie Eingang gefunden. So kann bei einem sog. „Gummy Smile“ durch einen muskulären Hypertonus der Oberlippenlevatoren mithilfe von Botulinumtoxininjektionen die Situation einer hohen Lachlinie verbessert werden.19
Schonende Extraktionen mit kamm-prophylaktischen Maßnahmen zur Erhaltung des bukkalen Knochenrandes sind für die spätere prothetische Versorgung oder die Insertion eines Implantates von entscheidender ästhetischer Bedeutung. Mit einem möglichst großvolumigen Bindegewebstransplantat wird das Aussehen von Brückengliedern verbessert.
Zusammenfassung
Durch parodontale Erkrankungen und/oder parodontale Therapien kann es trotz eines schonenden, mikrochirurgischen und minimalinvasiven Vorgehens zu ästhetisch störenden Einbußen kommen. Die Parodontalchirurgie hat auch hier Möglichkeiten, diese zu korrigieren. Mithilfe von entsprechenden Materialien, Techniken und Lappendesigns gelingt in Zusammenarbeit mit restaurativen und ggf. orthodontischen Maßnahmen eine deutliche Verbesserung oder gar Wiederherstellung der dentalen und gingivalen Ästhetik. Zudem stellt die plastisch-ästhetische Parodontalchirurgie für die restaurative und implantologische Zahnheilkunde eine unschätzbare Bereicherung dar.
Eine vollständige Literaturliste finden Sie hier.