Parodontologie 05.01.2016
Alveoläre Knochenneubildung nach geschlossener Taschentherapie
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Das ideale Ziel der Parodontitistherapie ist die Ausheilung der Defekte mit einem Gewebe, das sowohl morphologisch als auch funktionell den verloren gegangenen Strukturen entspricht. Durch verschiedeneregenerative Verfahren (zellokklusive Barrieremembranen, Verwendung von Knochenersatzmaterialien oder biologische Schmelz-Matrix-Proteine) ist eine Rekonstruktion von periodontalem Ligament, Zement und Alveolarknochen möglich.
Diese Verfahren sind mit mehr oder weniger aufwendigen chirurgischen Eingriffen verbunden. Es soll in diesem Beitrag anhand von Fallbeispielen gezeigt werden, welche Heilungsergebnisse nach einer geschlossenen Taschentherapie erreicht werden können und ob diese zur Erhaltung eines dauerhaften parodontalen Gesundheitszustandes ausreichend sind.
Behandlung entzündlicher Parodontalerkrankungen
Die marginale Parodontitis ist eine Entzündung des Zahnhalteapparats mit einem Verlust von zahntragenden Strukturen (AAP, 2000a). Sie ist das Ergebnis eines gestörten Gleichgewichtes potenzieller pathogener Mikroorganismen und der lokalen sowie systemischen Abwehrmechanismen (Offenbacher, 1996; Page & Kornman, 1997). Die Behandlung der chronischen Parodontitis besteht in einer Reduktion der pathogenen Mikroflora mit dem sofortigen Ziel, die Progression der Erkrankungen aufzuhalten und ein Wiederaufflammen der chronischen Entzündung zu verhindern. Eine erfolgreiche Parodontalbehandlung ist verbunden mit einer deutlichen Reduzierung der Erkrankungsaktivität und einer Stabilisierung oder dem Gewinn von klinischem Attachment.
Behandlungsabläufe
Die Therapie von Parodontitiden gliedert sich in drei eng miteinander verbundene Abschnitte: die antiinfektiöse Therapie (Hygienephase und subgingivales Debridement), die unterstützende Parodontitistherapie (UPT) und, falls notwendig, die weiterführende Parodontalchirurgie (AAP, 2000a).
Die antiinfektiöse Therapie
Die Initialtherapie oder Hygienephase der chronischen Parodontitis umfasst die Entfernung der supragingivalen Hart- und Weichablagerungen (inklusive der Instruktion zu einer adäquaten Mundhygiene sowie der Beseitigung kariöser Defekte und iatrogener Plaqueretentionsstellen). Danach schließt sich die geschlossene (konservative) Par-Therapie (Taschentherapie) an, die aus einer instrumentellen Reinigung und Glättung der Wurzeloberflächen besteht (Deep Scaling und Root Planing). Bei bestimmten Patientengruppen (Patienten mit einem reduzierten Allgemeinbefund oder Abwehrsystem, Rauchern) (Landi et al., 1997; Slots & Rams, 1991), bei aggressiven Formen der Erkrankung (Schenkein & Van Dyke, 1994) oder bei einer persistierenden subgingivalen Keimflora (Renvert et al., 1990) kann die mechanische Therapie durch eine systemische oder lokale antimikrobielle Therapie unterstützt werden (AAP, 2000c; AAP, 2004; Haffajee, 2003; Eickholz, 2008). Eine gute persönliche Belagskontrolle und eine regelmäßig durchgeführte Nachsorgetherapie sind essenziell für den dauerhaften Erfolg parodontaler Behandlungen (Nyman et al., 1975; Dahlen et al., 1992). Nach Abschluss der Taschentherapie wird in bestimmten Recallintervallen die Erhaltungstherapie oder unterstützende Parodontitistherapie (UPT) durchgeführt (Lang et al., 2005). Durch regelmäßig durchgeführte Nachsorgesitzungen kann so der erreichte Sanierungsgrad möglichst langfristig stabilisiert werden. Die Frequenz der Recallsitzungen ergibt sich aus dem individuell ermittelten Risikoprofil (Lang & Tonetti, 2003).
Weiterführende Parodontalchirurgie
Ist es nicht möglich, durch die antiinfektiöse Therapie den parodontalen Gesundheitszustand nachhaltig zu stabilisieren, kann ein weiterführendes chirurgisches Vorgehen mit resektiven oder regenerativen Behandlungsmethoden indiziert sein, um die Erkrankungsprogression aufzuhalten und/oder die anatomischen Defekte zu verbessern (AAP, 2000b).
Heilungsmechanismen
Die parodontale Wundheilung ist ein komplexer Prozess mit koordinierten Interaktionen verschiedener immunologischer und rekonstruktiver Prozesse, bei der grundsätzlich drei Phasen unterschieden werden können:
- die Exudations- oder Inflammationsphase,
- die Proliferations- oder Granulationsphase und
- die Reparations- oder Reifungsphase (Johnstone et al., 2005; Lloyd-Jones, 2007).
Unmittelbar nach mechanischen parodontaltherapeutischen Maßnahmen kommt es durch die Verletzung der Blutgefäße zu Einblutungen und Bildung eines Blutpropfes, welcher den traumatisierten Bereich schützt und die provisorische Matrix für weiter einwachsende Zellen bildet (Clark, 1996). Das entstandene Koagulum enthält außer den Erythrozyten, Thrombozyten, weißen Blutzellen und Wachstumsfaktoren Fibronektin und Fibrin, welches für den Zusammenhalt des Koagulums und für die Anheftung an die Wurzeloberfäche verantwortlich ist (Melcher, 1976). In dieser frühen Phase der Entzündung wird die Wunde gereinigt von Bakterien, Fremdkörpern und nekrotischen Gewebsanteilen durch neutrophile Granulozyten und Makrophagen. Diese Phase dauert normalerweise etwa zwei bis drei Tage. Unter dem Einfluss von Wachstumsfaktoren (FGFs, TGFs-b und VEGFs) kommt es am Ende der Reinigungsphase zu einem Einstrom und zu einer Proliferation von Fibroblasten, Keratinozyten und Gefäßendothelzellen sowie zur Bildung einer amorphen Grundsubstanz, bestehend aus Fibrin, Fibronektin und Glykosaminoglykanen. In der nachfolgenden Proliferations-/Granulationsphase (2. bis 12. Tag) wird durch die Synthese von extrazellulären Matrixproteinen und neuen Gefäßen die provisorische Matrix ersetzt durch ein Granulationsgewebe mit Glykosaminoglykanen, Proteoglykanen und struktuiertem Kollagen. Die in diesem Stadium der Wundheilung auftretenden Myofibroblasten (modifizierte Fibroblasten) enthalten kontraktile Fasern und sind verantwortlich für Kontraktion und Verkleinerung der Wundfläche. In der abschließenden Reparationsphase der Wundheilung (4. bis 20. Tag) kommt es zu einer Reifung und Umbildung des neu gebildeten Granulationsgewebes mit einer Abnahme der Gefäßdichte und Myofibrillen und einer Epithelisierung der Wundoberfläche. Nach einer (chirurgischen) Parodontitisbehandlung entsteht entweder ein Narbengewebe (Repair) oder es können verloren gegangene parodontale Strukturen mithilfe verschiedener Therapieverfahren wiederhergestellt (Regeneration) werden.
Repair
Wegen der hohen Umsatzraten des Saumepithels und des gingivalen Bindegewebes entsteht nach mechanischen Eingriffen an der Wurzeloberfläche (Deep Scaling und Root Planing) zunächst ein langes Saumepithel, das die gesamte bearbeitete Wurzeloberfläche bedeckt (Taylor & Campbell, 1972; Narayanan & Page, 1983). Gleichzeitig bildet sich ein neues Bindegewebe mit parallel zur Wurzeloberfläche verlaufenden Fasern (Stahl et al., 1972, Nyman et al., 1980; Cole et al., 1980). Bei einem ungestörten Heilungsverlauf kann sich nach einigen Monaten das Saumepithel proliferativ bis zum verbleibenden Restdesmodont ausdehnen, oder es legt sich auf einen Teil der gereinigten Wurzeloberfläche eine Bindegewebsschicht, die allerdings nicht mit dem Zement verwächst. In beiden Fällen kann sich im apikalen Teil der Wunde teilweise neuer Alveolarknochen mit Fasereinbau bilden (Schröder, 1996).
Parodontale Regeneration
Das ideale Ziel parodontal(-chirurgischer) Maßnahmen ist die vollständige Wiederherstellung verloren gegangener parodontaler Strukturen mit der Neubildung eines morpholisch und funktionell identischen Gewebes (neues Zement, neues periodontales Ligament und neuer Alveolarknochen) (Polimeni 2006). Zu den gängigen und bewährten Therapieverfahren zur parodontalen Regeneration zählen die gesteuerte Geweberegeneration (Guided Tissue Regeneration/GTR) mithilfe zellokklusiver Membranen (ggf. mit der Stabilisierung durch Knochersatzmaterialien) und die Applikation biologisch aktiver Substanzen wie die Schmelz-Matrix-Proteine (Emdogain®). Beide Verfahren sind verbunden mit mehr oder weniger aufwendigen chirugischen Eingriffen (Lappen-OP) und – besonders bei fortgeschrittenen Defekten – nicht immer vorhersagbar.
Heilungsvorgänge nach konventioneller (geschlossener) Taschentherapie
In der Regel gelingt es, durch eine geschlossene Taschentherapie (ggf. in Verbindung mit einer adjuvanten systemischen oder lokalen antimikrobiellen Medikation) die akuten Entzündungserscheinungen zu beseitigen und eine weitere Erkrankungsprogression aufzuhalten. Nach konventioneller nichtchirurgischer Parodontaltherapie entsteht immer ein neues Attachment, bestehend aus einem langen Saumepithel und kollagenreichem Bindegewebe (Listgarten & Rosenberg, 1979), und entspricht per definitionem einem Repair (Caton & Nyman, 1980; Caton et al., 1980). Eine parodontale Regeneration (mit der Bildung eines neuen Zementes, Desmodonts und Alveolarknochens) ist gar nicht oder nur als Teilregeneration des Restdesmodonts möglich (Schröder, 1996). In einigen Fällen können jedoch auch nach einer nichtchirurgischen Taschentherapie Defektauffüllungen röntgenologisch nachgewiesen werden (Abb. 1a und b). Anhand von Behandlungsfällen sollen die Neubildungen des Alveolarknochens gezeigt und diskutiert werden.
Defektauffüllungen nach geschlossener Taschentherapie
In den vier Behandlungsfällen konnten entsprechend der Defektmorphologie mehr oder weniger stark ausgeprägte Knochenneubildungen nachgewiesen werden. Bis auf drei Zähne (Zahn 27, 37 und 35 im 3. Behandlungsfall) konnten die gewonnenen Knochenformationen über einen Beobachtungszeitraum von 5 Jahren (Behandlungsfall 2), 9 Jahren (Behandlungsfall 4), 12 Jahren (Behandlungsfall 3) und 13 Jahren (Behandlungsfall 1) erhalten werden. Sie sind das Produkt von Osteoblasten, die sich unter dem Einfluss von Wachstumsfaktoren (PDGFs, BMPs) (Lynch et al., 1987; Boyan et al., 1994) aus Progenitorzellen des periodontalen Ligamentes (periodontal ligament-derived stem cells) (McCulloch & Melcher, 1983; Bartold & Narayanan, 1998; Isaka et al., 2001; Chen et al., 2006) und mesenchymalen Stammzellen des Knochenmarks (bone marrow stromal stem cells) entwickelt haben (Hasegawa et al., 2006; Hynes et al., 2012).
Der günstige Heilungsverlauf bei den beschriebenen Behandlungsfällen lässt sich durch:
1. eine erfolgreich durchgeführte antiinfektiöse Therapie,
2. eine gute Plaquekontrolle,
3. eine ungestörte Wundheilung und
4. günstige Heilungsvoraussetzungen erklären.
Ad 1
Das supra- und subgingivale Debridement wurde sowohl mit Handinstrumenten (Gracey-Küretten) als auch mit Ultraschall-Scalern durchgeführt. Bei einer ungünstigen Morphologie der Defekte (tiefe Taschen, Furkationsbefall) erwies sich der Einsatz der grazilen Ultraschallansätze dem von Handinstrumenten als überlegen (Dragoo, 1992; Takacs et al., 1993). Bei allen vier Behandlungsfällen wurden adjuvant Antibiotika systemisch oder lokal verabreicht.
Ad 2
Alle Patienten haben eine gute Zahnpflege und erscheinen regelmäßig zu den Kontrollterminen.
Ad 3
Eine wichtige Voraussetzung für die ossäre Regeneration war eine ungestörten Wundheilung. Elongationen und/oder okklusale Interferenzen wurden (nach Modellanalyse) beseitigt, gelockerte Zähne mithilfe von individuell gegossenen Schienen an die Nachbarzähne adhäsiv fixiert. So konnte die fibrinöse Adhäsion des Koagulums an der Wurzeloberfläche in der frühen Phase der Wundheilung erhalten und eine apikale Migration von gingivalen Epithelzellen (?) und eine Reinfektion der Wunde verhindert werden (Linghorne & O’Connell, 1950; Polson & Proye, 1983; Wikesjö et al., 1992).
Ad 4
Nicht alle Menschen reagieren gleich auf eine Parodontitistherapie (Offenbacher et al., 2008). So kann der Heilungsverlauf – ebenso wie die Entstehung und der Verlauf der Erkrankung – durch verschiedene Faktoren günstig oder ungünstig beeinflusst werden. Dazu zählen die genetische Prädiposition, der gesundheitliche Allgemeinzustand sowie Lebensgewohnheiten (Michalowicz et al., 2000; Schenkein, 2002; Page & Kornman, 1997).
Kritische Bewertung
Die röntgenologisch nachweisbaren Knochenneubildungen sind nach geltenden Vorstellungen der parodontalen Wundheilung nicht über den Faserapparat des periodontalen Ligamentes mit den Wurzeloberflächen verbunden und daher nicht Ausdruck eines neu gebildeten Zahnhalteapparates (Polson & Heijl, 1978). Eine endgültige Beurteilung, ob es sich hierbei um eine echte parodontale Regeneration mit inserierenden kollagenen Fasern oder um ein Repair mit einem langen epithelialen Attachment zwischen der Wurzeloberfläche und dem neugebildeten Alveolarknochen handelt, ist weder klinisch noch radiologisch, sondern nur histologisch möglich. Dabei stellt sich die Frage, ob die Stabilisierung des Knochenniveaus – trotz einer möglichen Epithelschicht auf der Zahnwurzel – nicht doch eine gute Voraussetzung für eine längerfristige Gesunderhaltung parodontaler Strukturen bildet. Die wiederaufgetretenen Knochendefekte im Bereich der Zähne 27, 37 und 35 im 3. Behandlungsfall müssen als Entwicklungen bewertet werden, die durch eine hormonelle Veränderung (Menopause) (Daniell, 1983; Grodstein et al., 1996) zwar erklärt, aber durch eine frühzeitigere (röntgenologische) Diagnose und therapeutisches Eingreifen unter Umständen hätten vermieden werden können.
Schlussfolgerung für die Praxis
- Im Rahmen einer systematischen Parodontalbehandlung sollten Zähne mit einer verstärkten Lockerung zum Schutz des postoperativen Koagulums durch geeignete (ggf. gegossene) Schienen stabilisiert werden.
- Die Beurteilung eines Erfolges oder Misserfolges einer antiinfektiösen Therapie sollte im Verlauf eines angemessen Zeitraumes erfolgen. Erst nach einer genügend langen Beobachtungszeit sollte bei einem negativen Verlauf entschieden werden, ob und welche weiterführenden chirurgischen Behandlungen notwendig sind.
- Chirurgische Rezidivbehandlungen innerhalb der ersten drei postoperativen Monate sind häufig überflüssig, da weder durch Sondierungstiefenmessungen noch röntgenologisch eindeutig der Heilungsverlauf bewertet werden kann. Lokale Entzündungserscheinungen sind in vielen Fällen das Resultat einer ungenügenden Belagskontrolle, systemischer Faktoren (Diabetes) oder ungünstiger Lebensgewohnheiten (Rauchen), die durch chirurgische Maßnahmen auch nicht beseitigt werden können und häufig nur zu einem unnötigen (gingivalen) Gewebsverlust führen.
- Eine knöcherne Defektauffüllung nach einer geschlossenen Taschentherapie ist nicht vorhersagbar.
Die Literaturliste kann hier heruntergeladen werden.