Parodontologie 15.07.2013
„Bearbeitung“ von Wurzeloberflächen bei Parodontitis
share
Eine multidirektionale
Parodontitistherapie muss immer alle Risikofaktoren berücksichtigen.
Welche Methoden und Technologien zur
Depuration von Wurzeloberflächen kennen Sie? Welche Geräte haben Sie dafür in der Praxis – wissen Sie, was die können?
Arbeiten Sie effizient? Auf Grundlage der derzeit besten Evidenz zu den abgesicherten und neuen Methoden der Depuration erfolgt
eine Beurteilung betreffend klinische Langzeitparameter und
Effizienz.
Parodontitis wird nicht durch Zahnstein
ausgelöst! Es handelt sich vielmehr um ein multifaktorielles
Geschehen, bei dem neben pathogenen Mikroorganismen Faktoren wie
genetische Prädisposition, zusätzliche Erkrankungen (Diabetes!) und
persönliche Verhaltensmuster (Rauchen, Stress,
Mundhygienegewohnheiten, Diät) die entzündliche Immunantwort des
Wirts modulieren.
Eine multidirektionale Parodontitistherapie berücksichtigt daher alle genannten Risikofaktoren.
Für das zahnärztliche Team am unmittelbarsten zu beeinflussen
sind die Mundhygiene und die bakterielle Besiedlung der
parodontalen Taschen. „Ursachengerichtete Parodontaltherapie“
ist dafür die unabdingbare Basis. Sie zielt auf den funktionellen
Langzeiterhalt der eigenen Zähne und stellt den zu Unrecht oft wenig
ernst genommenen und dennoch wichtigsten Teil der Parodontitistherapie dar. Unter Bedacht auf Substanzschonung werden
„geschlossen“ (d.h. ohne chirurgischen Eingriff ) die in
Biofilmen organisierten Mikroorganismen im Mund, in den Taschen und
auf den Wurzeloberflächen auf ein für die individuelle
Wirtsabwehr tolerierbares Maß reduziert. Begleitende Maßnahmen
(Motivation, Instruktion, Extraktion von „Zahnruinen“,
endodontische Massnahmen, Füllungskorrektur, Kariessanierung)
helfen, erneute Plaqueanlagerung zu verhindern.
Die alleinige supragingivale Reinigung ist nicht ausreichend – wohl aber unbedingt notwendig, um den
subgingivalen Biofilm dauerhaft auch zu Hause unter Kontrolle zu
halten.
Durch subgingivale Instrumentation
und mechanische Zerreissung des Biofilms kommt es zu einer (vorübergehenden) Veränderung der mikrobiellen Flora. Spülungen –
mit welcher Chemikalie auch immer – haben eine zu kurze Kontaktzeit
und zu geringe Eindringtiefe und sind dafür nicht geeignet.
Potenziell gewebsinvasive Mikroorganismen (A.a., P.g.) können durch
alleinige mechanische Therapie oft nicht eradiziert werden, was
möglicherweise nach der Depuration eine zusätzliche Antibiose
erfordert. Aus intraoralen Reservoiren (Zungengrund, Tonsillen,
Pseudotaschen, unbehandelten Stellen) kann es innerhalb weniger
Wochen zur Wiederbesiedlung der behandelten Taschen kommen. Daher
ist eine unterstützende Langzeitbetreuung (Recall) im Sinne einer
Tertiärprophylaxe unbedingt nötig.
Zahnerhalt ist ein nur langfristig
überprüfbarer Faktor, zur Erfolgskontrolle der Therapie werden
daher klinische Parameter herangezogen, die rascher sichtbar sind.
Bereits acht bis zwölf Wochen nach der subgingivalen Depuration
sollten deutliche Verbesserungen messbar sein, auch wenn die
komplette Ausheilung bis zu zwölf Monaten betragen kann.
Abb. 2: Vor der Therapie: deutliche livide Verfärbung und Schwellung der Gingiva (ST bis 8 mm mit BoP).
Erfolgsparameter
- Reduktion der Sondierungstiefen (ST) unter 4 mm. Als Faustregel für einwurzelige Zähne gilt: ST nach Therapie ist die Hälfte der alten ST plus1mm (z.B.: STalt = 6mm, STneu = 6/2 + 1 = 4mm). Daraus ergibt sich, dass bei sehr tiefen Taschen im Anschluss an das geschlossene Vorgehen eventuell noch eine chirurgische Intervention nötig ist.
- Attachmentgewinn (AL): Die Verringerung der anfänglichen Sondierungstiefe kommt sowohl durch Schrumpfung (Rezession) des Gewebes als auch durch „New-“ und „Re-Attachment“ an der Basis der Tasche zustande. Achtung: Instrumentation von normalen Sulci führt zu Attachmentverlust!
- Abwesenheit von Blutung auf Sondieren (BoP) als Parameter mit großer negativer Voraussagekraft: Stellen, die im Recall nie bluten, haben ein geringes Risiko für zukünftigen Attachmentverlust.
Bei geschlossenem Vorgehen ist eine
komplette Belagsentfernung nicht möglich: Abhängig von der
Erfahrung des Behandlers, ST und Zahnmorphologie bleiben 20 bis 40
Prozent des Konkrements zurück, in Taschen ab 6 mm sogar mehr. Eine
„ganz saubere“ Wurzeloberfläche wäre nur bei kompletter Zemententfernung und Ausdünnung des Dentins (Bakterien sind auch in
Dentintubuli nachweisbar) unter Sicht zu erreichen. Ein derart übermäßiger Substanzabtrag muss jedoch vermieden werden. Denn die
Eröffnung von Dentinkanälchen führt zur Empfindlichkeit und erhöhtem Risiko für Wurzelkaries.
Unabhängig von der Technik stellen Approximalräume, Furkationen,
die Schmelz-Zement-Grenze und mehrwurzelige Zähne zusätzliche
Problemstellen dar.
Trotz dieser anatomischen Beschränkungen bringt die subgingivale Depuration – in mehreren
systematischen Übersichtsarbeiten nachgewiesen – deutlichen
Attachmentgewinn und Reduktion der ST gegenüber der alleinigen
supragingivalen Reinigung. Dies macht deutlich, dass es um die
Veränderung der Mikroflora und nicht primär um die
Zahnsteinentfernung geht.
Depurationstechniken
Handinstrumente
Als „Goldstandard“ zur Zahnsteinentfernung werden seit mehr als 1.000 Jahren (Abu I-Qasim,
Córdoba, 10. Jahrhundert) erfolgreich Handinstrumente angewandt.
Bei Beherrschung der schwierig zu erlernenden subgingivalen Technik
sind Ergebnisse zu erzielen, an denen sich alle anderen Verfahren
messen lassen müssen. Und auch hier kommen interessante neuere
Entwicklungen (kürzere Arbeitsenden, neue Konfigurationen) auf den
Markt. Der Nachteil besteht in der aufwendigen
Instrumentenaufbereitung (regelmäßiges Schärfen und Schleifen),
der komplexen Technik und der Gefahr übermäßigen
Substanzabtrags.
Schall und Ultraschall
(magnetostriktiv, piezoelektrisch, Vector®)
Welche Technologie verwendet wird,
hängt vom Praxissetting ab (mobiles Gerät oder direkt an der
Einheit angeschlossen, Zusatzfunktionen wie Endodontie, Kavitätenpräparation, sterile Kühlmittelführung). Auf das Endresultat
(ST, AL, BoP) bezogen, werden heute die Depuration mit
Handinstrumenten und (Ultra-)Schall als gleichwertig betrachtet. Der
Zusatz von Antiseptika zur Kühlung/Spülung ergibt keinen
zusätzlichen Langzeiteffekt und ist daher nicht nötig.
Der Effekt der Kavitation, oft ein
Verkaufsargument, ist physikalisch nur bei Ultraschall möglich,
stark abhängig von der Insertdicke, bislang nur in vitro
nachgewiesen und nicht voraussagbar. Bei Nichtbeachtung der
relevanten Arbeitsparameter (Anstellwinkel des Inserts,
Anpressdruck, Amplitude) ist auch bei (Ultra-) Schall eine schwere
Schädigung von Wurzeloberflächen, Restaurationen und Pulpen
möglich.
Vorteile von (Ultra-)Schall sind die um
bis zu 40 %ige Zeitersparnis, die bessere Zugänglichkeit im Furkationsbereich sowie die leichter erlernbare Technik. Größter
Nachteil: Aerosolbildung (cave: infektiöse Patienten!). Durch
unmittelbar vorausgehende Spülung mit Chlorhexidin (15ml 0,12
Prozent oder 10ml 0,2 Prozent für eine Minute) kann die bakterielle
Belastung jedoch deutlich minimiert werden.
Photodynamische Therapie (PDT)
Die lichtinduzierte Zytotoxizität
eines Farbstoffs soll antimikrobielle Effekte in der Tasche bewirken.
Obwohl diese in vitro sehr ausgeprägt sind, ist der Einfluss auf
die Mikrobiota in vivo weniger deutlich. Als Monotherapie ist die
PDT gänzlich ungeeignet. Auch längerfristig (> sechs Monate)
wurden zusätzlich zur Depuration gegenüber der rein mechanischen
Therapie klinisch keine besseren Effekte nachgewiesen. Nachteil ist
der beträchtliche zusätzliche Zeitaufwand von ca. 60 Sekunden/Tasche.
Glycin Powder Air Polishing (GPAP)
Die seit vielen Jahren etablierte
Pulverstrahltechnik wurde durch Entwicklung eines niedrigabrasiven
wasserlöslichen Pulvers auf Glyzinbasis und Verwendung eines
neuartigen Ansatzes auf den subgingivalen Einsatz im Recall ausgedehnt.
Bei hohen ST ist die Datenlage bislang noch dünn. Im Recall hat sich
GPAP als der (Ultra-)Schallbehandlung gleichwertig erwiesen und wird
von Patienten als angenehmer empfunden. Es ist nicht zur
Konkremententfernung in der Basistherapie geeignet, die
Zeitersparnis im Recall (30 Sekunden pro Stelle versus 1,4 Minuten)
ist beträchtlich. Vorsicht: Bei unsachgemäßer Anwendung sind
Luftemphyseme möglich!
Laser
Grundsätzlich eignet sich für die
Depuration in der Initialtherapie nur der Er:YAG-Laser. Er besitzt
hämostatische und bakterizide Effekte sowie die Möglichkeit
selektiver Konkremententfernung. Drei aktuelle systematische
Übersichtsarbeiten konnten in Studien mit bis zu zweijähriger Dauer
jedoch keinen klinischen Vorteil gegenüber der herkömmlichen
Therapie feststellen. Auch der Einfluss auf die Mikrobiota war nicht
signifikant verschieden. Vorteil dieses modernen Marketing-Tools
ist die kürzere Behandlungszeit, der allerdings sehr hohe Kosten
gegenüberstehen. Auch die nötige Ausbildung, Einrichtung eines
Laserarbeitsplatzes sowie die potenzielle Gefahr für die anderen
Hartgewebe sollten beachtet werden.
Abb. 3: Nach der Therapie: blande Verhältnisse, ST bis 4 mm, kein BoP, deutliche Rezessionen (v.a. UK).
Fazit
Am wichtigsten ist die Entfernung des
subgingivalen Biofilms. Der Erfolg zeigt sich primär klinisch durch
Verringerung der Sondierungstiefen, Gewinn von Attachment und
Reduktion der Blutung, langfristig im funktionellen Zahnerhalt.
Zusätzliche Parameter sind die Schonung von Zahnhartsubstanz und
die Berücksichtigung von Patientenwünschen. Besonders im Recall
sind minimalinvasive Methoden zur Biofilmentfernung zu bevorzugen.
Der Einsatz von (Ultra-)Schallgeräten
ergänzt bzw. ersetzt bei gleichwertigen Ergebnissen und deutlicher
Zeitersparnis die klassische Handinstrumentation. Zukunftspotenzial
weisen PDT, GPAP und Laser auf.