Parodontologie 28.07.2025
Der Zusammenhang zwischen parodontaler Erkrankung und Unfruchtbarkeit
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Parodontitis ist eine entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparates. Heute steht die „ökologische Plaquehypothese“ nach Marsh1 im Vordergrund der Ätiologie der Parodontitis. Im vitalen sub- und supragingivalen Biofilm findet eine ökologische Verschiebung von der Symbiose zur Dysbiose statt, die wiederum zu einer Störung der Homöostase führt. Neuere Erkenntnisse weisen auf den Einfluss der Immunabwehr des Wirts als weitere treibende Kraft für die Dysbiose hin. Die Keystone-Pathogen-Hypothese2 besagt, dass bestimmte mikrobielle Pathogene durch Beeinträchtigung der Immunantwort des Wirts zu Entzündungen führen. Das Inflammation-Mediated-Polymicrobial-Emergence and Dysbiotic-Exacerbation(IMPEDE)-Modell von 20203 stellt die Entzündung als verantwortlichen Faktor – anstatt die pathogenen Mikroben selbst – für die Dysbiose dar, die zu Parodontitis führt.
Fallprotokoll
Am 2.12.2019 kam Frau S. S., geboren am 7.11.1987, im Notdienst in unsere Praxis. Sie hatte Schmerzen in der OK- und UK-Front bei starken Entzündungen der Gingiva aufgrund massiver Beläge. Die Schmerzen wie auch die Blutungen nahmen bei der geringsten Berührung zu. Der Patientin wurden kurz die Ursachen der Zahnfleischentzündung erklärt. Unter lokaler Anästhesie wurde der supragingivale und erreichbare subgingivale Zahnstein in der OK-UK-Front mit Ultraschall entfernt (PIEZON NO PAIN/PS). Auf Wunsch der Patientin wurde sofort ein Termin zu einer ausführlichen Erstuntersuchung vereinbart.
- Aufnahme der Anamnese und ausführliche Erstbefunderhebung.
- Auswertung der Anamnese und erhobenen Befunde. Ausarbeitung des Behandlungsplans einschließlich alternativer Therapien.
- Ausführliche Besprechung der Ursachen und Diagnosen (alte Nomenklatur: chronische Parodontitis; neue Nomenklatur: Parodontitis Stadium II, Grad A; multiple kariöse Defekte) der Therapiemöglichkeiten bzw. des Behandlungsplans (Kompositfüllungen 17, 25, 27; Kompositfüllungen nach endodontischer Behandlung; Extraktion 28; systematische nichtchirurgische PA-Behandlung) und der Honorarkosten. Nach der Aufklärung über die Ursachen und Therapie der Parodontitis und der Erwähnung der Zusammenhänge zwischen Parodontitis und Allgemeinerkrankungen stellte die Patientin die Frage, ob es auch einen Zusammenhang zwischen Unfruchtbarkeit und Parodontitis geben würde. Die Patientin und ihr Mann hatten alle konservativen Möglichkeiten einer natürlichen Schwangerschaft (u. a. verschiedene Hormontherapien) ausgeschöpft und die Hoffnung auf eine natürliche Schwangerschaft aufgegeben. Der Patientin wurde erklärt, dass Studien gezeigt haben, dass Frauen mit Parodontitis ein höheres Risiko für Unfruchtbarkeit haben könnten, da die Entzündungsmarker im Körper die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen können. Die Patientin wurde ebenfalls darauf hingewiesen, dass die aktuelle wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema noch wenig aussagekräftig ist.
- Die geplanten Behandlungen wurden „lege artis“ durchgeführt: Schaffung der Mundhygienefähigkeit; Information, Instruktion und Motivation zur häuslichen Mundhygiene; Karies- und endodontische Therapie; nichtchirurgische parodontale antiinfektiöse Therapie.
- Die Patientin wurde in die Erhaltungstherapie (UPT) eingebunden.
Alle Schritte der parodontalen Therapie wurden mit dem modularen Konzept des systematischen Prophylaxeprotokolls der Guided Biofilm Therapy (GBT) durchgeführt.8,9 Mitte Dezember 2020 hat die Patientin voller Stolz in der Praxis angerufen und mitgeteilt, dass sie am 6.12.2020 auf natürlichem Weg gesunde Zwillinge zur Welt gebracht hat.
Die Erstuntersuchung steht in unserer Praxis immer unter dem Motto: „Höre zu, lerne kennen, untersuche, plane, berate, behandle und erhalte.“
Parodontitis und Fertilität in der Literatur
So schön der Erfolg der Parodontitistherapie im vorliegenden Fall ist, kann von einem Einzelfall keine wissenschaftliche Evidenz abgeleitet werden. Es gibt nur wenig wissenschaftliche Literatur, die sich direkt oder indirekt mit dem Problem und den eventuellen Zusammenhängen von weiblicher Infertilität und Parodontitis auseinandersetzt.10–16
D‘Aiuto F. et al. (2004) stellten fest, dass es im Zuge einer Behandlung der Parodontitis zu einer Abnahme der Konzentration des C-reaktiven Proteins sowie von Interleukinen kommt. Folglich ist die Parodontitis eine beeinflussbare bzw. veränderbare Variable, die zu einer Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands führen kann.12 Hart R. et al. (2012) zeigten in einer kontrollierten randomisierten Multicenter-Studie, dass eine Parodontitis die Empfängnis von Frauen beeinflusst. Bei Probandinnen, welche parodontale Läsionen aufwiesen, wurde im Rahmen der Untersuchungen eine längere Zeitspanne bis zum Eintreten der gewünschten Schwangerschaft festgestellt als bei Frauen ohne parodontale Beschwerden.13
Nwhator S. et al. (2014) untermauerten in der Studie die Aussagen von Hart R. et al. Allerdings ist die Datenlage noch nicht ausreichend, und weitere Studien, welche den genauen Mechanismus des Einflusses von parodontalen Entzündungen auf die Empfängnisbereitschaft von Frauen erforschen, sind nötig. Jedoch lässt sich bereits jetzt eine Assoziation der beiden Gebiete festhalten.14
Die Ergebnisse eines systematischen Reviews von Machado et al. (2020) lassen sich wie folgt zusammenfassen: Ziel dieser Übersichtsarbeit war es, die verfügbaren Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Parodontitis und weiblicher Unfruchtbarkeit aufzuzeigen und zu erörtern, welche Schritte in der künftigen Forschung erforderlich sind. Hormone und Entzündungsmechanismen spielen eine Rolle bei der weiblichen Fortpflanzung, einschließlich Follikelreifung, Eisprung, Einnistung des Embryos und Schwangerschaft.

Ricci E. et al. (2022) verglichen in dem Review Ergebnisse aus prospektiven randomisierten Studien, die eine Behandlung der parodontalen Erkrankung mit keiner Behandlung bei Frauen vergleichen, die eine Schwangerschaft anstreben. Es sollte die tatsächliche Wirksamkeit der Behandlung bei der Verbesserung der Empfängnisrate klären. Laut der begrenzten veröffentlichten Literatur könnte die Mundgesundheit die Fruchtbarkeit bei Frauen beeinflussen.15 Marquez-Arrico C. F. et al. (2024) deuten in dem systematischen Review auf einen Zusammenhang zwischen Unfruchtbarkeit und Parodontitis hin. Um Kausalitätsfaktoren zu ermitteln, sind weitere Untersuchungen erforderlich. Eine umfassende und multidisziplinäre Untersuchung des Patienten könnte bei der Behandlung und Therapie idiopathischer Unfruchtbarkeit helfen.16
Schlussfolgerungen
Die Erkenntnisse über die Bedeutung der oralen Gesundheit für die Allgemeingesundheit und umgekehrt nimmt immer mehr zu. Für einige Erkrankungen gibt es gesicherte Zusammenhänge. So stellt das Vorliegen einer Parodontalerkrankung einen gesicherten Risikofaktor für Herzerkrankungen und Diabetes dar. In den letzten Jahren wurden ein Einfluss von Parodontitis auf die Fortpflanzung und mögliche Auswirkungen auf die Empfängnismöglichkeiten festgestellt. Bei der Analyse einer begrenzten Anzahl von Studien, die über den Zusammenhang zwischen Parodontalerkrankungen und weiblicher Unfruchtbarkeit verfügbar sind, wurde festgestellt, dass die Parodontitis mit dem Vorliegen eines Infektionsausbruchs gleichgesetzt werden kann und daher ihren Einfluss nicht nur durch bakterielle Translokation im Blutkreislauf ausübt, wodurch die systemische Verbreitung von Krankheitserregern verursacht wird, sondern auch durch die Produktion von Zytokinen und Immunglobulinen.
Zusammengefasst haben Frauen mit Parodontitis ein höheres Risiko für Unfruchtbarkeit, da die Entzündungsmarker im Körper die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen können. Eine der Ursachen für die Fertilität von Frauen können Entzündungsreaktionen sein. Entzündungen können hormonelle Ungleichgewichte verursachen, die den Menstruationszyklus und die Ovulation beeinflussen. Weitere Forschung ist erforderlich, um diesen Kausalzusammenhang sowie die zugrunde liegenden Mechanismen zu klären.
Bewertung für Patienten
In den letzten Jahren hat das Interesse am Einfluss von Zahnfleischerkrankungen auf die Empfängnis zugenommen. Da eine Zahnfleischerkrankung (Parodontitis) mit einem Infektionsausbruch verglichen werden kann, deuten Studien darauf hin, dass die Bakterien, die Entzündungen hervorrufen, nicht nur auf das Zahnfleischgewebe beschränkt bleiben, sondern in den Blutkreislauf gelangen und sich ausbreiten können, wodurch sich die Infektion ausbreitet und eine Ganzkörperwirkung entfaltet. Diese Situation könnte das Fortpflanzungssystem schädigen und Empfängnisversuche behindern. Zahnärzte und ihr Prophylaxeteam können nicht nur Schwangere, sondern auch Frauen, die eine Schwangerschaft planen, über die richtige häusliche und professionelle Mundhygiene beraten und entsprechend behandeln.
Ausblick
Hormone und Entzündungsmechanismen spielen eine Rolle bei der weiblichen Fortpflanzung, einschließlich Follikelreifung, Eisprung, Einnistung des Embryos und Schwangerschaft. Parodontitis ist eine chronische entzündliche Erkrankung, die auf eine polymikrobielle Störung der Homöostase zurückzuführen ist und als potenzieller Risikofaktor für die weibliche Fruchtbarkeit angesehen werden kann. Die Rolle der Parodontitis wird immer bedeutsamer, da sie in signifikantem Zusammenhang mit dem polyzystischen Ovarialsyndrom, der Endometriose und der bakteriellen Vaginose steht. Darüber hinaus ist Parodontitis mit bekannten Risikofaktoren für weibliche Unfruchtbarkeit wie Alter, Fettleibigkeit und chronischen Nierenerkrankungen verbunden. Ziel dieser Übersichtsarbeit ist es, die verfügbaren Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Parodontitis und weiblichen Unfruchtbarkeitserkrankungen zusammenzufassen und zu erörtern, welche Schritte in der künftigen Forschung erforderlich sind.
Autoren: Dr. Nadine Strafela-Bastendorf, Dr. Klaus-Dieter Bastendorf, DH Julia Fähnrich
Eine Literaturliste steht Ihnen hier zur Verfügung.
Dieser Fachbeitrag ist im PJ Prophylaxe Journal erschienen.